Der Nachspeisen-Reigen
Nach gut drei Stunden erheben sich die Duponts ermattet vom Tisch. Grandmère und Tante Germaine gehen zur Kirche, die anderen machen einen Spaziergang. Als alle wieder da sind, setzt der Nachspeisen-Reigen ein: Obst, Quittenpaste, Oreillettes – Küchlein mit Orangenwasser, kandierte Früchte – Calissons. Und allerlei zum Knabbern. Tante Germaine erklärt die Bedeutung: „Die Datteln gelten als Symbol für den Heiland aus dem Orient. Für die vier Bettler stehen die trockenen Feigen (Franziskaner), die Mandeln (Karmeliter), die Rosinen (Dominikaner) und die Nüsse (Augustiner).“ Weißer und dunkler Nugat, so erfahren die Kinder, repräsentiere das Gute und die Kräfte des Bösen. Mit dicken Bäuchen fallen alle weit nach Mitternacht in ihre Betten.
Ein derartiges „Grand Souper“ haben Sophie und Jean-Marc zuvor noch nie erlebt. Man kennt es nur in Frankreichs Süden. In den anderen Regionen fällt der„Réveillon“, also das Dinner am Vorabend des eigentlichen Weihnachtstags, der in Frankreich der 25. Dezember ist, deutlich anders aus. Ursprünglich, so hatte Tante Germaine den Kindern erzählt, bestand es nur aus Kleinigkeiten. In der Region Île-de-France gab es Crêpes, in den östlichen Gebieten Waffeln oder geröstete Kastanien, in der Auvergne eine Käsesuppe. Dazu trank man oft heißen Wein.
Die ursprünglichen Geschenke
Im heutigen Frankreich wird das kulinarische Weihnachten meist zweimal gefeiert: am 24. abends und am 25. mittags. Vielerorts isst man Austern, Gänseleberpastete (Foie gras), Boudin blanc (weiße Kochwurst) und Pute, meist gefüllt mit Maronen. So kennen das Sophie und
Jean-Marc, wenn sie zu Hause in Paris bleiben mit ihren Eltern. Einige Landstriche haben sich Spezialitäten auf der Basis von Schwein, Rind, Gans oder Ente bewahrt. Und besondere Süßigkeiten. „Das waren ursprünglich die Geschenke“, weiß die kluge Tante Germaine. Mit den gebackenen Sternen, Monden und Gewürzbroten des Elsasses ist diese Tradition bis heute lebendig.
Durchbrennen bis Dreikönig
Das am weitesten verbreitete Weihnachtsdessert, bislang der Favorit von Sophie und Jean-Marc, ist die „Bûche“ (Rezept auf Seite 18). Sie erinnert in ihrer Form an einen Holzstamm, den man einst im Kamin verbrannte, um böse Geister zu vertreiben. Noch heute gehört es bei vielen Franzosen zum Weihnachtsritual, dass das jüngste und das älteste Familienmitglied gemeinsam einen Eichen- oder Obstbaumscheit entzünden. Er soll durchbrennen bis Neujahr. Oder am besten sogar bis Dreikönig. Zum Glück hat Grandmère Dupont diese Tradition in ihrem provenzalischen Haus bewahrt – und Jean-Marc durfte mit ihr das Feuer entfachen.
Bräuche: Maria aus Ton, Tanne mit Äpfeln
In der Provence werden Krippenfiguren aus Ton verkauft. Neben Maria, Josef und dem Kind, den Tieren im Stall und den Hirten auch Bäcker, Metzger, Lehrer, Wirtsleute und Bauern. Übrigens ist der Weihnachtsbaum wohl Franzose: Liselotte von der Pfalz berichtete bereits 1708 von der elsässischen Sitte, die Tanne mit roten Äpfeln, Gebäck und Nüssen zu schmücken.
Mit Champagner und Mistel
Saint Sylvestre wurde in Frankreich nicht immer und überall am 31. Dezember gefeiert. In Reims zum Beispiel begann das neue Jahr am 25. März. In Paris wurde es am Ostertag eingeläutet. Erst Karl IX. beseitigte nach der Einführung des gregorianischen Kalenders 1563 die regionalen Unterschiede. Geblieben ist in vielen Häusern jedoch der Brauch, unter einer Mistel um Mitternacht die Glückwünsche für das neue Jahr auszutauschen – und zwar am liebsten mit Champagner.
Süße Tradition aus Frankreich
Oreillettes
Die „Oreillettes“ – Öhrchen –sind flache, frittierte Küchlein mit Orangengeschmack. Der Teig aus Mehl, Butter, Eiern, Zucker, Rum, Orangenschale und Milch wird dünn ausgerollt, rund oder oval ausgeschnitten und im heißen Fett ausgebacken. Sobald die Oreillettes kalt sind, werden sie mit Puderzucker bestäubt.
Bûche de Noël
Der Baumstammkuchen kommt in vielen französischen Familien am ersten Weihnachtstag auf den Tisch. Bûche de Noël heißt übersetzt „Weihnachtsholzscheit“ und sieht auch so aus. Es gibt verschiedene Rezepte. Etwa als Biskuitrolle oder mit Maronenpüree, Schokolade, Butter und Zucker.
Kandierte Früchte
Hochburg der französischen „fruits confits“ ist das provenzalische Städtchen Apt. Schon Papst Urban V. erhielt von Pilgern aus Apt eingelegte Früchte als Geschenk. Damals konservierte Honig das Obst. Auch Fett oder Essig diente als Haltbarmacher. Heute sind vor allem Apts kandierte Kirschen ein Begriff.
Calissons
Segelschiffchen sei seine Gestalt nachempfunden, heißt es vom provenzalischen Mandelkonfekt, um dessen Ruhm sich nicht nur die Calissonniers aus Aix verdient gemacht haben. Die Rauten mit Zuckerguss waren schon im 16. Jahrhundert beliebt. Ihre Mandelmasse enthält kandierte Melonen und Aprikosen.
Montélimar-Nugat
Nugat aus Montélimar hat nichts zu tun mit der bei uns bekannten Melange aus Haselnuss und Schokolade. Er besteht vielmehr aus Mandeln, Pistazien, Lavendelhonig, Zuckerlösung und Eiweiß. Traditionell wird die Masse in Kupferkesseln gerührt. Je nach Kochtemperatur entsteht härterer und weicherer Nugat.
Königskuchen
In Frankreich gehört die „Galette des Rois“ zum Drei-königstag. Ob aus Blätter- oder Hefeteig, beim Anschnitt darf stets die jüngste Person die Reihenfolge der Verteilung bestimmen. Wer auf die versteckte Bohne stößt, ist als König erwählt und darf einen Partner nennen. Der muss eine neue Galette besorgen.
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.