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Tiertransporte: Leid auf Rädern

Tiere Transporte bedeuten für Tiere Stress. Je länger, desto mehr. Trotzdem werden tagelange Fahrten vom Gesetz erlaubt und von Tierärzten abgenickt. Dabei ginge es auch anders.

Im Hafen von Beirut, Libanon: Ein schwarzweißes Rind baumelt am Seil des Ladekrans, befestigt nur mit dem linken Vorderbein. Das Tier lebt, aber es ist so schwer verletzt, dass es den Frachter nicht selbst verlassen kann. Mit dieser Szene begann im November 2017 die ZDF-Dokumentation Geheimsache Tiertransport. Es folgten noch weitaus schrecklichere Bilder, die alle ein Thema hatten: Das Leid der Nutztiere, die lebend in Länder außerhalb der EU transportiert werden, um dort in Schlachthöfen zu enden – weil das günstiger ist, als Fleisch gekühlt zu transportieren.

Stundenlang unterwegs
Laut Verordnung dürften Tiere nur acht Stunden transportiert werden. Doch Ausnahmen sind erlaubt – und häufig die Regel.

Rund vier Millionen Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen werden jedes Jahr aus der EU in Drittländer exportiert, schreibt der Deutsche Tierschutzbund. Die meisten von ihnen landen in Schlachthöfen in der Türkei und im Nahen Osten. Für die Tiere und ihren Transport gilt eigentlich ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2015: Demnach enden die Tierschutzbestimmungen der EU nicht an deren Außengrenze, sondern müssen bis zum Bestimmungsort eingehalten werden. Doch das funktioniert nicht, wie die ZDF-Dokumentation und zahlreiche Recherchen von Tierschutzorganisationen zeigen.

Dabei passt auf dem Papier alles. Die Händler müssen belegen, dass sie die Vorgaben der EU-Verordnung über den Schutz von Tieren beim Transport einhalten, auch außerhalb der EU. Erst wenn ein hiesiges Veterinäramt das bestätigt, dürfen die Tiere auf die Reise geschickt werden. „Doch wie soll ein deutscher Tierarzt überprüfen, ob die angegebenen Tränkeplätze in der Türkei oder Tadschikistan tatsächlich existieren“, fragt Angela Dinter von der Tierschutzorganisation Provieh. Solche Recherchen leisten Organisationen wie die Animal Welfare Foundation. Im Sommer 2016 besuchten deren Mitarbeiter die bulgarisch-türkische Grenzstation Kapikule. Bis zu 40 Grad zeigte das Thermometer, stundenlang mussten die Tiertransporter auf die Einreise in die Türkei warten. „Die Ladedichte war oft zu hoch und das Wasser der automatischen Tränken nicht trinkbar, weil es mit Kot verschmutzt war“, berichteten die Tierschützer. „Die Tiere litten unter Hitzestress, Durst und Hunger. Wir haben tote Bullen und Kälber auf den Transportern vorgefunden und ein junger Mastbulle ist vor unseren Augen gestorben.“

Nutz- und Zuchttiere
Die meisten Tiertransporte führen zum Schlachthof. Doch auch Zuchttiere werden den Transport-Strapazen ausgesetzt.

Aufgeschlitzt und ins Meer „entsorgt“

Animal Welfare Foundation hat auch Schiffe untersucht, mit denen Rinder übers Mittelmeer nach Ägypten oder Lybien gebracht werden – ausgemusterte, billig umgebaute Fähren. „Die Schiffe sind zu alt, technisch überholt, schlecht gewartet“, heißt es im Bericht der Tierschützer. Die Tiere würden unter Deck in notdürftig zusammengeschweißten Gattern, bei Kunstlicht und ohne Belüftung tagelang zusammengepfercht. Jedes Jahr würden 15 000 bis 18 000 auf solchen Schiffen gestorbene Tiere im Mittelmeer entsorgt, schätzen die Tierschützer: „Die Crew schlitzt ihre Bäuche auf, damit die Kadaver versinken und nicht an die Touristenstrände gespült werden.“ Dennoch sind solche Schiffe nach EU-Recht zugelassen. „Für wenig Geld findet sich zum Beispiel in Rumänien ein Veterinär, der die EU-Zulassung für wenige Euro abstempelt“, schreibt die Animal Welfare Foundation.

Tierärzte verweigern Zustimmung

„Die dokumentierten Zustände zeigen, dass der Schutz der Tiere auf solchen Transporten nicht sichergestellt werden kann“, sagt Claudia Preuß-Ueberschär, Pressesprecherin des Vereins Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft. „Also dürfte es eigentlich keine Genehmigung geben.“ Mancher deutsche Amtsveterinär verweigert deshalb auch seine Zustimmung für Tiertransporte in Länder außerhalb der EU. „Aber das bedeutet auch Ärger mit den Unternehmen und womöglich auch mit Lokalpolitikern“, weiß Preuß-Ueberschär. Zudem könnten die Händler in einen anderen Landkreis ausweichen, wo sie leichter eine Genehmigung bekommen. Tierschützerin Angela Dinter lobt in diesem Zusammenhang den baden-württembergischen Landwirtschaftsminister. Er hat sich mit den betroffenen Verbänden darauf geeinigt „auf die Vermarktung von lebenden Tieren aus Baden-Württemberg zur Schlachtung in Drittländern zu verzichten“, schreibt das Ministerium. Einen solchen Verzicht fordern Tierschützer – und in aktuellen Anträgen die Grünen und die FDP – auch von der Bundesregierung. Bislang erfolglos.

Die Transporte in Drittländer machen nur einen kleinen Teil der Tiertransporte in der EU aus (siehe Kasten). Weil die Missstände besonders groß und die Bilder davon besonders grausam sind, schaffen sie es immer wieder in die Öffentlichkeit. Doch auch bei Transporten innerhalb der EU und sogar innerhalb Deutschlands leiden die Tiere.

In Artikel 3 der EU-Tiertransportverordnung heißt es: „Niemand darf eine Tierbeförderung durchführen oder veranlassen, wenn den Tieren dabei Verletzungen oder unnötige Leiden zugefügt werden könnten.“ Um das zu erreichen, schreibt die Verordnung zahlreiche Details vor, von der Qualifikation des Personals über die Ausstattung der Transporter bis hin zum Umgang mt den Tieren. Sie gelten für Transporte in Deutschland ebenso wie für Fahrten innerhalb der EU und darüber hinaus.

Generell gibt die Verordnung eine Beförderungszeit von acht Stunden vor, lässt aber Ausnahmen zu, wenn die Transporter entsprechend ausgestattet sind. Dazu zählt, dass die Fahrzeuge isoliert sein müssen und über eine Lüftung verfügen. Auch müssen ausreichend Futtermittel und Wasser mit an Bord sein. Ist das erfüllt, dürfen Schweine bis zu 24 Stunden am Stück transportiert werden. Rinder müssen nach 14 Stunden Fahrt „eine ausreichende, mindestens einstündige Ruhepause erhalten, damit sie getränkt und nötigenfalls gefüttert werden können.“ Danach darf der Laster weitere 14 Stunden fahren. Erst dann „müssen die Tiere entladen, gefüttert und getränkt werden und eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden erhalten“, heißt es in der Verordnung. Das wäre vielleicht noch auszuhalten, wenn die Tiere so viel Platz wie in einem Stall hätten. Doch im Laster muss ein ausgewachsenes Mastschwein mit einem halben Quadratmeter auskommen, für ein Rind sind 1,6 Quadratmeter vorgesehen. Die Fläche ist nicht groß genug, damit alle Tiere gleichzeitig liegen können. Sie stehen also dicht gedrängt. Tierschutzorganisationen fordern seit Jahren, die Vorgaben zu verschärfen und die Transportzeit strikt auf acht Stunden zu begrenzen. Doch die EU-Kommission zeigt bisher keine Bereitschaft dazu.

Bußgelder schrecken nicht ab

Doch selbst diese wenig tierfreundlichen Bedingungen werden oft nicht eingehalten. Wenn Polizei und Amtstierärzte bei Straßenkontrollen Tiertransporter rauswinken und überprüfen, müssen sie oft die Hälfte oder mehr der Laster beanstanden. Sie sind überladen, transportieren kranke oder verletzte Tiere, die gar nicht mitfahren dürften oder haben zu niedrige Decken für die Tiere. Erstaunlicherweise stellen die Veterinäre, die bei der Verladung von Tieren oder bei deren Ankunft im Schlachthof die Transportbedingungen überprüfen, weitaus weniger Verstöße fest. „Ich halte die Ergebnisse der Straßenkontrollen für repräsentativer“, sagt Angela Dinter: „Denn dort kontrollieren Polizei, Ordnungsamt und Veterinäre viel umfassender.“

Gravierende Folgen haben Verstöße nicht. Oft werden die Fahrer nur ermahnt, die selten verhängten Strafgelder sind gering. Und die Gefahr erwischt zu werden ist angesichts der sporadischen Straßenkontrollen nicht hoch. Tierärztin Claudia Preuß-Ueberschär fordert deshalb: „Es muss in Deutschland besser kontrolliert werden und beanstandete Lkws gehören aus dem Verkehr gezogen.“ Doch dafür bräuchte es mehr Personal. 3 900 amtliche Veterinäre arbeiten in Deutschlands Behörden, weitere 2 000 wären notwendig, um alle gesetzlichen Aufgaben erfüllen zu können, legte Holger Vogel, Präsident des Bundesverbandes der beamteten Tierärzte (BbT), vor dem Bundestag dar.

Die EU-Öko-Verordnung macht keine konkreten Vorgaben für Tiertransporte. Deshalb gelten für Bio-Tiere dieselben Regelungen wie für ihre konventionellen Artgenossen. Ganz anders dagegen die Bio-Verbände wie Bioland, Demeter oder Naturland. Sie beschränken die Transporte zum Schlachthof auf vier Stunden und 200 Kilometer. Die Tiere dürfen nicht mit Elektroschockern angetrieben werden, was konventionell in bestimmten Situationen erlaubt ist. Die Lkws müssen trotz der kurzen Strecke eingestreut werden. Die EU schreibt das nur für Langstreckentransporte und Jungtiere vor.

„Bio-Verbände sind hier ein Vorbild. Es wäre schön, wenn auch die restliche EU so weit käme“, lobt Angela Dinter von Provieh. Allerdings sehen die Verbandsregeln auch Ausnahmen vor. Denn für manchen Bio-Landwirt ist es nicht so einfach, im Umkreis von 200 Kilometern einen bio-zertifizierten Schlachthof zu finden. Das große Geschäft mit dem Fleisch machen einige wenige Konzerne. Für deren Fließbandschlachthöfe sind die kleinen Mengen an Bio-Tieren nicht interessant. Sie stören nur die Abläufe. Es sind eher kleine bis mittelgroße Schlachthöfe, die an ein, zwei Tagen Bio-Tiere schlachten – und davon gibt es immer weniger. „Eine strikte EU-Vorgabe, die Transportzeit auf vier Stunden zu begrenzen, würde dazu führen, dass wieder regionale Schlachtstrukturen entstehen“, erklärt Dinter. Für die von vielen Menschen gewünschte regionale Lebensmittelversorgung wäre das ein großer Vorteil. Noch viel besser wäre aus Sicht der Tierschützerin eine mobile Schlachtung am Hof selbst – ohne Tiertransport und ohne Stress.

Rinder, Schweine, Hühner

Tiertransporte in Zahlen

  • Auf den Straßen in Deutschland und der EU sind ständig lebende Tiere unterwegs. Tierschutzorganisationen und amtliche Statistiken nennen folgende Zahlen:
  • Allein in Deutschland werden jährlich über 750 Millionen Tiere zu einem Schlachthof transportiert und dort geschlachtet. 80 Prozent dieser Tiere sind Masthühner, der Rest vor allem Schweine, Rinder, Puten und Legehennen.
  • Für die gesamte EU erhöhen sich die Zahlen auf 360 Millionen Schweine, Rinder, Schafe und Ziegen sowie vier Milliarden Stück Geflügel – jedes Jahr.
  • Die meisten dieser Tiere wurden auch davor schon transportiert: Als Küken zum Hühnermäster, als junge Hennen zum Eiererzeuger, als Ferkel und Kälber in die Mastbetriebe. Dadurch verdoppelt sich die Zahl der Transporte. Allein in Deutschland wären es dann 1,3 bis 1,5 Milliarden Tiere jährlich.
  • 700 000 Rinder, 2,6 Millionen Schweine und 226 Millionen Hühner verlassen Deutschland lebend und werden in anderen Ländern geschlachtet oder zur Eiererzeugung verwendet.
  • Vier Millionen Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen werden jedes Jahr von der EU in Drittländer transportiert und dort geschlachtet. Darunter sind 70 000 Rinder aus Deutschland.
  • Selbst in Deutschland wir nur ein Prozent der Tiertransporte auf der Straße kontrolliert.

Mehr zum Thema

Tierschutzorganisationen
www.animals-angels.de
www.animal-welfare-foundation.org
www.provieh.de
www.peta.de
www.tierschutzbund.de
www.albert-schweitzer-stiftung.de
www.vier-pfoten.de
www.ariwa.org
www.bmt-tierschutz.de
www.soko-tierschutz.de
www.tierschutz-tvt.de


Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz

www.tfvl.de

Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft

Doku von Manfred Karremann:
www.zdf.de/dokumentation/37-grad/37-geheimsache-tiertransporte-100.html

www.truckyou.de

„Truck you, Tiertransporte schmecken nicht“ heißt eine Kampagne des Deutschen Tierschutzbüros

Veröffentlicht am

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