Essen

Regionale Herbstküche

Hierzulande sind die regionalen Vorlieben im Herbst so vielfältig wie die Landschaften. Wir laden Sie ein auf eine kulinarische Reise zu den Kochtöpfen der Nation. // Nicole Galliwoda

Deutschland - zum Anbeißen!

Schon von Weitem sind die Kastanienbäume am Haardtrand zu erkennen, dem Ausläufer des Pfälzer Waldes hin zur Rheinebene. Im Herbst, wenn sich ihre stacheligen Fruchtkapseln öffnen und die glänzenden, braunen Esskastanien preisgeben, gehen in Deutschlands größtem zusammenhängenden Kastanienbaumgürtel viele Wanderer zum Sammeln der „Keschde“ - so nennen die Pfälzer die Esskastanien - auf Tour. Daraus formen sie traditionell Kastanienknödel, die sie gerne zu Wild servieren.

Regionale Spezialitäten sind von dem geprägt, was Wald, Feld oder Garten des Landstrichs hergeben und was sich gut einmachen oder lagern lässt. Klimatisch begründet sind das bei uns im Herbst Kartoffeln, Pilze, Hülsenfrüchte, Kürbisse, Lauch, Zwiebeln, Rote Bete und vor allem Kohl. Eine Vorliebe, die den Deutschen im englischsprachigen Ausland den (Schimpf-) Namen „Krauts“ eingebracht hat.

Rund um die schleswig-holsteinische Region Dithmarschen etwa dominieren seit 115 Jahren Weiß- und Rotkohl sowie Wirsing auf den Anbauflächen. Es ist das größte geschlossene Kohlanbaugebiet Deutschlands. Die Ostfriesen mit ihren ausgedehnten Grünkohlfeldern um Oldenburg sind auf diese Sorte ganz verrückt. Der Startschuss für den beliebten Grünkohl mit Pinkel, das ist eine fette Wurst aus Hafergrütze, Rindernierenfett und Gewürzen, fällt nach den ersten Nachtfrösten. Die Minusgrade erst nehmen dem Gemüse den bitteren Geschmack.

In der Region um Stuttgart wächst eine elegante Version des bodenständigen Weißkrauts mit weniger festen und faserreichen Blättern: das Filderkraut. Fein geschnitten und mit Salz eingelegt, fermentiert dieser Spitzkohl zu einem besonders aromatischen Sauerkraut. Als Gemüse gedünstet und mit einem Schuss Sahne und Wein veredelt, findet sich frischer Spitzkohl häufig auf den Karten von Gourmet-Restaurants. Spitzenköche entwickeln einen Ehrgeiz darin, Traditionsgerichte in weniger gehaltvolle Delikatessen zu verwandeln. Beispielsweise schwäbische Linsensuppe mit Spätzle. Mit der aromatischen, grün-blau gesprenkelten Du-Puy-Linse oder der rötlich-braunen Beluga-Linse wird die Alltagskost ein Gaumenschmaus.

Comeback der Traditionsgerichte

Feinschmecker setzen bei den herbstlichen Traditionsgerichten auf Qualität und naturbelassene Produkte. „Sowohl Bio-Gemüse als auch Bio-Fleisch sind viel aromatischer als konventionelle Produkte“, sagt Bio-Spitzenkoch Jürgen Andruschkewitsch vom Restaurant „Rose“ im baden-württembergischen Vellberg. „Dazwischen liegen Welten.“

Überhaupt hat sich das Image der regionalen Küche stark gewandelt. Viele Jahre als Arme-Leute-Essen verpönt, gehören klassische Zutaten und Rezepte heute zum Selbstverständnis eines Landstrichs. Häufig trifft man in verschiedenen Bundesländern auf die gleichen Vorlieben, nur heißen sie anders. Kartoffelknödel sind etwa in Süddeutschland eine beliebte Speise, die die Thüringer „Klöße“ nennen. Die Pfälzer bereiten Dampfnudeln zu, die in Bayern als Germknödel bekannt sind. Die Saarländer sagen „Glatzköpfe“ dazu. Sie sind oft süß gefüllt, mit Pflaumenmus oder Mohn und Zucker. In Niedersachsen kommen Birnen, Bohnen und Speck in einen Topf. Im Rheinland vereinigen sich Äpfel oder Birnen mit Kartoffeln und Blutwurst im Traditionsgericht Himmel und Erde. Wer es vegetarisch mag, lässt die Wurst einfach weg. Kartoffeln mit Birnenmus schmecken auch solo himmlisch.

Fünf Stunden für das Brudermahl der Schaffer

Grünkohl mit Pinkel spielt eine wichtige Rolle bei der traditionellen Bremer „Schaffer-Mahlzeit“, die seit 1545 alljährlich am zweiten Freitag im Februar angerichtet wird. Der Schaffer ist der Proviantmeister eines Schiffes. Im Bremer Rathaus erinnert das Mahl an den Abschied der Schiffer, ehe nach der Winterruhe die Seereisen begannen. Die Mahlzeit beginnt mit Hühnersuppe, gefolgt von Stockfisch und wird begleitet von Seefahrtsbier. Vor dem Hauptgericht „Grünkohl mit Pinkel“ gibt es Rauchfleisch mit Maronen und Bratkartoffeln sowie Kalbsbraten mit Backpflaumen. Zum Nachtisch werden Käse und geräucherter Butt gereicht.

Interview

Über Apfelküchle, Schwarzen Blooz und Schupfnudeln

? Welche regionalen Speisen servieren Sie Ihren Gästen im Herbst?

! Bekannt ist hier in der Gegend der „Schwarze Blooz“. Das ist dünn ausgerollter Hefeteig, belegt mit einer Masse aus Kartoffeln und Sauerrahm, Schnittlauch und Speck. Weil man früher vom dunklen Brotteig etwas dafür abgezweigt hat, heißt es Schwarzer Blooz. Sehr gerne koche ich Sahne-Sauerkraut mit Forelle und Schupfnudeln. Das fein in Streifen geschnittene Weißkraut koche ich nur 20 bis 25 Minuten, damit es noch bissfest ist. Nicht wie früher, als Sauerkraut noch fünf bis sechs Stunden auf dem Herd stand. Die Schupfnudeln, die hier auch „Bubaspitzle“ heißen, zum Beispiel aus der alten Kartoffelsorte „Reichskanzler“, rolle (schupfe) ich selbst in der Hand.

? Einige Herbstgerichte sind deftig und schwer verdaulich. Wie verfeinern Sie das Essen?

! Früher hat man viele Soßen mit Mehl angedickt. Das mache ich nicht, sondern lasse die Brühe einkochen und mache sie mit etwas Butter sämig. Mit frischen Gartenkräutern wie zum Beispiel Estragon zu Geflügel oder frisch gemahlenem Kümmel in Weißkohlstrudel werden die Speisen bekömmlich.

? Was gibt es bei Ihnen für vegetarische Varianten im Herbst?

! Bratlinge aus Weiß- oder Rotkohl mit Dinkelschrot, angeschwitzten Zwiebeln, einem Schuss Weißwein, Eiern und etwas Gemüsebrühe. Auch Linsen-Bratlinge mit einer Ysopsoße schmecken herrlich. Außerdem gibt es im Herbst Auflaufgerichte aus Kartoffeln, Steckrüben, glasierten Weißen und Gelben Beten sowie Kürbis oder Mangold in vielen Variationen.

? Und was kommt als Dessert auf den Tisch?

! Wegen der Streuobstwiesen haben wir viele Apfelsorten. Deshalb biete ich gerne Apfelküchle an. Das sind in Fett ausgebackene Apfelringe im Teigmantel. Dazu serviere ich Vanillesoße und selbst gemachtes Akazienblüteneis aus den Blüten der Scheinakazie, die hier wächst.

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