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Machen Kohlenhydrate wirklich krank?

Müsli, Brot und Fruchtsäfte sind in Verruf geraten. Die Kohlenhydrate darin sollen dick machen, Diabetes fördern und zur Leberverfettung führen. Was ist dran an den Behauptungen? //

Müsli, Brot und Fruchtsäfte sind in Verruf geraten. Die Kohlenhydrate darin sollen dick machen, Diabetes fördern und zur Leberverfettung führen. Was ist dran an den Behauptungen? //

Es ist schon verrückt. Auf der einen Seite wird geraten, wir sollten mehr Kohlenhydrate essen. Der Anteil an der täglichen Energiezufuhr sollte mindestens 50 Prozent betragen, rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Denn sie liefern Energie und als Vollkornvariante viele Ballaststoffe, die die Verdauung fördern und durch ihre gute Sättigung vor Übergewicht schützen. Doch Männer kommen nur auf einen Kohlenhydratanteil von rund 45 Prozent, Frauen auf 49 Prozent, so der Ernährungsbericht 2012.

Auf der anderen Seite ist „low carb“ Trend, also das Essen von weniger Kohlenhydraten – denn es soll die Pfunde purzeln lassen. Ob Müsli, Brot oder Frühstücksbreie, ob bio oder konventionell, fast täglich kommen neue Lebensmittel in die Läden, die low carb sind.

Zuckergesüßte Softdrinks im Visier

Tatsache ist: Immer mehr Erkrankungen werden mit dem Verzehr von Kohlenhydraten in Verbindung gebracht. Das Risiko für Übergewicht und Diabetes erhöht sich nachweislich durch Kohlenhydrate. Auch das sogenannte Syndrom X, hier liegen Fettsucht, Fettstoffwechselstörungen, Diabetes und Bluthochdruck gemeinsam vor, geht unter anderem auf den Kohlenhydratverzehr zurück.

Doch man muss unterscheiden. Nicht die Kohlenhydrate generell schaden. Auf dem Index stehen vor allem zuckergesüßte Softdrinks. Sie sättigen schlechter als feste Nahrung und werden zudem oft in großen Mengen getrunken, sodass viel Zucker und damit Energie aufgenommen wird. Das ergab die Auswertung zahlreicher Studien im Rahmen der Leitlinie Kohlenhydrate der DGE.

Für Zucker in festen Nahrungsmitteln ist die Studienlage nicht ganz so eindeutig. So sieht die DGE in ihrer Leitlinie keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Zucker und Wohlstandskrankheiten.

Leber speichert Zucker als Fett

Doch bekannt ist: Wird viel Süßes gegessen und hapert es an ausreichend Bewegung, wird der Zuckerüberschuss in Form von Fett eingelagert – das Gewicht steigt. Auch geht häufig die Produktion des Insulins, jenem Hormon, das den Zucker aus dem Blut in die Zellen schleust, mit der Zeit zurück und wird schließlich eingestellt. Es kommt zum sogenannten Alters- oder Typ-2-Diabetes – von dem auch immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen sind. Die Zahl der Typ-2-Neuerkrankungen bei Jugendlichen habe sich in den letzten Jahren verfünffacht, berichtet die Deutsche Diabeteshilfe. Das entspricht rund 200 Neuerkrankungen im Jahr.

Seit einiger Zeit in der Diskussion sind die Kohlenhydrate und ihre Wirkung auf die Leber: „Fettleber. Die unterschätzte Gefahr“ titelte Spiegel online kürzlich. „Menschenstopfleber. Die verharmloste Volkskrankheit Fettleber“ nennt sich ein neues Buch des Ernährungswissenschaftlers Nicolai Worm. Die Rede ist von der nicht-alkoholischen Fettleber. Jenem verfetteten Organ, das nicht durch übermäßiges Alkoholtrinken dick wird, sondern durch das Essen. Von einer leichten Leberverfettung sprechen Fachleute, wenn mehr als fünf Prozent der Leberzellen Fettansammlungen zeigen; sind mehr als 50 Prozent der Leberzellen befallen, von einer Fettleber. Schon 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen, so die DGE.

Die Fettleber selbst bereitet selten Probleme. „Damit können Sie 100 Jahre alt werden“, erklärt Privatdozent Dr. Anton Gillessen, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Herz-Jesu-Krankenhaus in Münster. Jedoch können sich die befallenen Zellen entzünden und eine Hepatitis hervorrufen. Bleibt sie unerkannt, kann sich eine Leberzirrhose entwickeln. Immerhin bis zu 16 Prozent der Patienten mit Fettleber haben laut der Deutschen Leberhilfe eine solche. Bei dieser Erkrankung gehen die Leberzellen zugrunde, die Leber vernarbt, schrumpft und kann ihre Aufgaben, die Entgiftung des Körpers und die Bereitstellung von Energie, nicht mehr erfüllen. Schließlich kann sich Leberkrebs entwickeln.

Eine Fettleber verursacht keine eindeutigen Schmerzen. Darum wird sie oft nur zufällig entdeckt, etwa bei der Blutabnahme beim Arzt. Die Untersuchung ergibt dann erhöhte Werte für die Leber-enzyme, die Transaminasen. Auch ein Bauchultraschall zeigt das vergrößerte Organ. Doch die Untersuchungen können nicht genau zeigen, welche Erkrankung der Leber vorliegt. „Sicherheit bietet nur eine Biopsie“, betont Anton Gillessen. Anhand einer Gewebeprobe können die Leberzellen dann genau untersucht werden.

Was aber haben Kohlenhydrate damit zu tun? „Nicht Fett macht die Leber fett, sondern Kohlenhydrate“, stellt Dr. Gillessen klar. Überschüssiges Fett aus dem Essen wird unter anderem in den Gefäßen abgelagert und erhöht so das Risiko für Arteriosklerose. Überschüssige Kohlenhydrate landen auch in der Leber.

Kritisch sieht der Arzt insbesondere die Fructose. Jenen billigen Industriezucker, der immer öfters in Softdrinks, Fruchtjoghurts, Bonbons und anderen Süßigkeiten steckt. Anders als Zucker benötigt Fructose kein Insulin, um in die Zellen geschleust zu werden. Sie landet ruck, zuck unter anderem in der Leber und wird dort, so es keinen Bedarf an Energie gibt, als Fett gespeichert.

Vollkorn statt Zucker

Auch zu viel Haushaltszucker macht die Leber fett. Und er zieht eine weitere Krankheit nach sich, den Diabetes. Die Pförtner, die Glucose in die Leber schleusen, werden mit der Zeit resistent gegen Insulin, jenem Hormon, das den Zucker im Blut abbaut und zu den Zellen lotst. Mit der Folge, dass die Leber keine Glucose mehr aufnehmen kann. Da der Zucker weiterhin im Blut kursiert und immer mehr Insulin produziert wird, stellt die Bauchspeicheldrüse aufgrund von Überlastung irgendwann ihren Dienst ein. Die Folge: Diabetes. „In vielen Fällen kommt erst die Fettleber, dann der Diabetes“, weiß Dr. Gillessen. Es kann aber auch umgekehrt sein.

Die gute Nachricht: Eine Fettleber kann kuriert werden. Dazu müssen die Kohlenhydrate auf den Prüfstand. „Güns-tig sind alle Kohlenhydrate, die langsam aufgeschlüsselt werden“, erklärt Gillessen. Gemeint sind Vollkornbrot und -nudeln, Naturreis, Müsli, Gemüse und Hülsenfrüchte. Sie liefern zugleich Ballast stoffe, werden also peu à peu von den Enzymen abgebaut, gelangen gemächlich ins Blut, halten den Blutzucker stabil und überfordern die Leber somit nicht.

Zurückhaltung geboten ist bei allen Einfach- und Zweifachzuckern, etwa Frucht- und Haushaltszucker, Fructose-Glucose-, Reis- oder Maissirup sowie allen Lebensmitteln, die sie enthalten. Sie treiben den Blutzucker in die Höhe und setzen der Leber somit zu. Wer davon Abstand nimmt, beugt auch Diabetes, Übergewicht und dem Syndrom X vor. Zehn Prozent der täglichen Energie können aus Zucker sein, so die DGE. Das entspricht einem kleinen Stück Kuchen oder zwei kleinen Kugeln Eis. Tatsächlich sind es laut Ernährungsbericht im Schnitt doppelt so viel.

Zusammenfassend kann man sagen: Die empfohlenen 50 Prozent Kohlenhydrate an der täglichen Energiezufuhr sind eine gute Orientierung bei der Frage, wie viele Kohlenhydrate es sein dürfen. Vorausgesetzt, sie stammen überwiegend aus Vollkorn, und auch die Bewegung kommt nicht zu kurz.

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