Entweder – oder: Nach dieser Devise arbeiten die großen Hühnerzüchter seit Jahrzehnten. Entweder züchten sie Tiere, die möglichst schnell Muskelmasse ansetzen. Das Ergebnis sind Masthühner, die sich innerhalb eines Monats zum schlachtreifen Fleischberg entwickeln. Oder sie erzeugen Tiere, die viele Eier legen. Die durchschnittliche Jahresleistung lag 2024 bei ca. 295 Eiern je Henne. Die männlichen Küken dieser Linien taugen nicht zur Mast, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen. Seit 1. Januar 2022 ist das vorher routinemäßige Töten männlicher Küken in Deutschland verboten; Betriebe setzen auf Bruderhahn-Aufzucht oder In-ovo-Geschlechtsbestimmung.
Was gilt für Bio bei Stallpflicht wegen Vogelgrippe?
Bei behördlicher Stallpflicht (Vogelgrippe) dürfen Bio-Eier weiterhin als solche vermarktet werden. Längerfristige Stallpflicht stellt vor allem für Bio-Betriebe mit Mobilställen eine Herausforderung dar, da in betroffenen Regionen die Luken nach draußen verschlossen bleiben müssen. Im Interview mit dem Bioland-Verlag nennt Jutta van der Linde vom Bundesverband mobile Geflügelhaltung das die „Königsdisziplin“. Sie empfiehlt Beschäftigungsmaterial wie Pferde-Heunetze oder zusätzliche Einstreu und Picksteine bereitzustellen, damit die Tiere etwas zum Picken hätten. Eine zusätzliche häufigere Kontrolle der Ställe könne gewährleisten, dass Verbraucher:innen weiterhin zu Bio greifen können.
Bio-Haltung: Auslauf, Futter, Gesundheit
An Alternativen wird von verschiedenen Seiten gearbeitet. Mittendrin ist Inga Günther. Die Geschäftsführerin der Ökologischen Tierzucht gGmbH ist seit März 2015 auf der Suche nach einem echten, öko-tauglichen und leistungsfähigen Zweinutzungshuhn. Ein solches muss beides können – Eier und Fleisch. Konkret stellt sie sich Tiere vor, die etwa 260 Eier im Jahr legen und deren männliche Seite auf rund drei Kilogramm Mastgewicht in 18 Wochen kommt.
Hinter der Ökologischen Tierzucht-Gesellschaft stehen Bioland und Demeter. Den beiden Bio-Verbänden geht es um mehr als die Alternative zum Kükentöten. Es geht auch um Unabhängigkeit. Denn die Zucht von Legehennen liegt weitgehend in der Hand von drei weltweit tätigen Unternehmen. Bis jetzt sind Bio-Landwirt:innen auf deren Tiere angewiesen, weil es kaum noch andere leistungsfähige Rassen gibt.
Doch die Hochleistungshühner der Konzerne sind wenig öko-tauglich. Das gilt auch für die Zweinutzungshühner, an denen zwei der Konzerne arbeiten. Sie alle brauchen ein ausgeklügeltes Futter mit synthetischen Vitaminen und viel Eiweiß, das meist in Form von Sojaschrot in die Futtermischung kommt. Zudem müssen die Eiweißbausteine, die Aminosäuren, in einem bestimmten Verhältnis enthalten sein. Synthetische Aminosäuren sind im Öko-Futter weiterhin nicht zulässig, und seit 2022 gilt die 100 Prozent Bio-Fütterung für Geflügel. Diese Hennen mit Öko-Futter richtig zu ernähren, ist somit ziemlich schwierig.
Bio-Betriebe setzen auf robuste Linien, Auslauf und gutes Management; Antibiotika sind die Ausnahme. Die aktualisierten EU-Öko-Regeln und die Länder-Auslegung 2024 schärfen Vorgaben für Haltung, Auslauf und Fütterung. Für das Bio-Huhn von morgen haben Bioland und Demeter folgende Zuchtziele definiert: „100 Prozent Bio-Fütterung, Auslauf-Eignung, Anpassung an heimische Proteinkomponenten sowie Robustheit bei wirtschaftlich tragfähiger Lege- und Mastleistung.“
Wann gilt ein Huhn als Bio-Huhn?
Hühner wollen scharren, picken, im Staub baden, frische Luft genießen und nachts auf Stangen schlafen. Das alles können sie in Bio-Ställen, denn Einstreu und Sitzstangen sind ebenso Pflicht wie ganze Getreidekörner im Futter. Gentechnisch verändertes Futter ist verboten. Bei Bio-Hennen dürfen die Schnäbel – im Gegensatz zu konventionellen Hennen – nicht gekürzt werden. Verstümmelte Schnäbel erschweren das Fressen und die Pflege des Gefieders.
Antibiotika sind in Bio-Herden die Ausnahme. Deswegen finden Wissenschaftler:innen in Bio-Ställen weniger antibiotikaresistente Keime.
Ein:e Bio-Bäuer:in muss genug Ackerflächen haben, um sie mit dem Mist seiner:ihrer Tiere zu düngen. Eine Überdüngung wird so vermieden. Das schützt das Grundwasser vor Nitrat. In der EU-Bio-Haltung gelten u. a. max. 6 Legehennen/m² Stallfläche und mind. 4 m² Auslauf je Henne. Bei behördlicher Stallpflicht (z. B. Geflügelpest) dürfen Bio-Eier weiterhin so vermarktet werden, die frühere 16-Wochen-Regel entfällt. In der konventionellen Bodenhaltung leben neun Tiere auf einem Quadratmeter, ohne Auslauf.
Bei schnell wachsenden Linien schreibt das EU-Öko-Recht mindestens 81 Tage Mastdauer vor; langsam wachsende Linien haben kein fixes Mindestalter. In der Praxis werden Bio-Hühner meist 70 bis 90 Tage gemästet (konventionelle Hennen nur 28 bis 40 Tage). Bei längerer Mastdauer können sich die Knochen proportional zur Fleischzunahme entwickeln. Dadurch werden Gelenkschäden vermieden.
Ökologische Tierzucht jenseits der Konzerne
Um dieses Huhn zu züchten, muss Inga Günther mit den Tieren von heute anfangen. Die gängigen Zuchtlinien samt ihrer Genetik gehören den drei Konzernen. Doch es gibt noch wenige ältere Hühnerrassen, die in den letzten Jahren züchterisch bearbeitet wurden. Inga Günther selbst züchtet im Hänsel&Gretel-Projekt des schwäbischen Demeter-Betriebs Hofgut Rengoldshausen mit Hühnern aus der französischen Region Bresse. Diese liefern schmackhaftes Fleisch und die Hennen legen hinreichend Eier. Wegen ihrer blauen Füße werden die Tiere auch als „Les Bleues“ bezeichnet. Auch die Herrmannsdorfer Landwerkstätten im Osten Münchens, Öko-Bäuer:innen aus Brandenburg und die bayerische Erzeugergemeinschaft Die Biohennen AG arbeiten seit ein paar Jahren mit älteren Rassen.
Eine der Aufgaben der neuen Züchtungsgesellschaft ist es, den Erfahrungsaustausch dieser und weiterer Projekte zu organisieren und ihre Arbeit zu koordinieren. Vor allem aber soll sie mit einem Grundstock eigener Züchtungstiere arbeiten. Diese Tiere hat die Domäne Mechtildshausen eingebracht. Der hessische Bioland-Betrieb arbeitete über Jahre hinweg mit Geflügelzüchter:innen der Universität Halle zusammen. Deren genetisches Material stammte aus Beständen der staatseigenen Zucht der DDR, unbeeinflusst von westlichen Konzernen. „Die drei bestehenden Zuchtherden der Rassen New Hampshire, White Rock und Bresses Gauloises sind hinsichtlich ihrer Größe und der jahrelangen züchterischen Bearbeitung europaweit, wenn nicht sogar weltweit einmalig“, schwärmt Sebastian Fuchs, Leiter der Abteilung Qualität bei Demeter.
Smart-Nester: Tierwohl & Zuchterfolg messen
Aus diesen insgesamt 4.000 Zuchttieren sollen die Öko-Tierzüchter:innen um Inga Günther in jeder Generation und für jede der drei Herden getrennt die Tiere auswählen, die die Zuchtziele am besten erfüllen. Mit diesen arbeitet sie dann weiter. Bis die Züchter:innen einschätzen können, ob ein bestimmtes Tier die vorgegebenen Zuchtziele Legeleistung, Futterverbrauch, Gesundheitszustand und Sozialverhalten erreichen wird, vergeht mindestens ein Jahr. Dann muss Inga Günther auch sichergehen, dass die Henne ihre Eigenschaften vererbt – und wie sich die Hähne dieser Tiere entwickeln. „Dazu müssen wir wissen, welche Henne welches Ei gelegt hat und welches Tier daraus geschlüpft ist“, sagt die Agrarwissenschaftlerin.
Um bei Hunderten von Hühnern den Überblick zu behalten, braucht sie intelligente Nester. Diese können das Huhn über einen Chip am Bein identifizieren, das gelegte Ei wiegen und es kennzeichnen. „In der konventionellen Zucht leben die Tiere in Einzelkäfigen, da ist eine Zuordnung leichter. Aber wir wollen ja das soziale Verhalten der Tiere beobachten, etwa wie sie mit den anderen Hennen und dem Hahn umgehen.“ Außerdem würden sich die Haltungsbedingungen der Tiere auch auf den Nachwuchs auswirken. „Die Küken bekommen das als genetische Erinnerung mit. Wenn man öko-taugliche Tiere will, muss man die Zuchttiere entsprechend halten.“ Auf zehn Jahre ist dieses erste Züchtungsprogramm angelegt.
Doch so lange müssen Bio-Kund:innen nicht auf Eier und Fleisch von echten Zweinutzungshühnern warten. Denn die Öko-Züchter:innen wollen nicht nur ihre drei reinrassigen Herden züchterisch weiterentwickeln. Sie planen auch, die reinrassigen Elterntiere zu kreuzen, etwa einen gut zu mästenden Bresse-Hahn mit einer legefreudigen White Rock-Henne. Daraus entstehen Zweinutzungshühner mit unterschiedlichen Eigenschaften, die sie jetzt schon Landwirt:innen anbieten. Von diesen Tieren vermuten die Züchter:innen, dass sie besonders vital und wenig anfällig sind. Domäne Silber heißt eine dieser Kreuzungen aus zwei legebetonten Linien. Praxis-Betriebe wie der Bauckhof und der Kudammhof haben einige Herden dieser Tiere aufgestallt und sammeln Daten. „Schließlich müssen interessierte Landwirte wissen, was diese Tiere im Alltag leisten“, erklärt Inga Günther.
Die österreichischen Bio-Bäuer:innen setzen auf „Sandy“, eine herkömmliche Legehybride des Weltmarktführers Lohmann Tierzucht, aber das sei nun mal kein ökologisch gezüchtetes Tier. „Wir können die bestehenden Strukturen nur ändern, wenn wir selbstbestimmt und frei von Konzerninteressen ökologische Züchtungsziele entwickeln und umsetzen.“
1,9 Milliarden Bio-Eier
- 2024 lag der Legehennenbestand in Deutschland bei 51,4 Mio. Hennen, von denen 16,3 Mrd. Eier erzeugt wurden.
- 58 Prozent der Legehennen fristen ihr Dasein in konventioneller Bodenhaltung, 23,6 Prozent in Freilandhaltung. Knapp 7,2 Millionen Hennen leben auf einem Bio-Betrieb. Das sind rund 14 Prozent.
- Bio-Hennen legen im Schnitt 280 Eier im Jahr, das macht rund 2 Milliarden Bio-Eier im Jahr.
- Ein Ei der Gewichtsklasse M wiegt 53 bis 63 Gramm. Es enthält rund fünf Gramm Fett, vor allem im Dotter, und sieben Gramm Eiweiß. Ein Ei deckt je nach Haltung und Futter der Hennen bis zu 8,5 Prozent der empfohlenen Zufuhr von Vitamin D über die Nahrung (20 µg) ab sowie ein Drittel des Tagesbedarfs an Vitamin B12.
- Die Möglichkeit zur sogenannte Kleingruppenhaltung läuft Ende 2025 aus, nur besondere Härtfälle dürfen die Umstellung bis 2028 umsetzen.
Preise und Markt
Doch dafür braucht es Geld. Bisher haben die Öko-Züchter:innen vor allem Zuwendungen aus der Bio-Branche bekommen. Auch Handel und Verbraucher:innen will Inga Günther mit einbeziehen. Ein Züchtungs-Cent für jedes Ei wären bei 1,1 Milliarden verkauften Bio-Eiern immerhin elf Millionen Euro.
Letztlich sind es auch die Verbraucher:innen, die entscheiden, ob Zweinutzungshühner überhaupt eine Zukunft haben. Denn diese Tiere legen von Natur aus weniger Eier und setzen langsamer Fleisch an als die jeweiligen Hochleistungszüchtungen. Deshalb müssen Eier und Fleisch deutlich mehr kosten als bisher üblich. Größenordnung: 60 Cent fürs Ei und 20 Euro für das Kilogramm Hähnchen. Doch das ist es wert, oder?
„Bio ist ein erster Schritt“
Dr. Ursula Hudson war längjährige Vorsitzende von Slowfood Deutschland. Bis zu ihrem Tod im Jahr 2020 setzte sie sich auch im Vorstand der weltweiten Organisation für gute, saubere und faire Lebensmittel ein. Das vorliegende Interview wurde 2016 geführt.
Was bedeutet der Slowfood-Anspruch „gut, sauber und fair“ für Ihr Frühstücksei?
Mit einem Ei muss man behutsam und vorsichtig umgehen, schon bei der Beschaffung. Es muss aus einer richtig guten Hühnerhaltung stammen, und die sind selten. Die Hühner müssen auch richtig gefüttert werden, kein Sojaschrot, sondern richtiges Getreide zum Picken.
Erfüllt ein Bio-Ei Ihren Anspruch?
Ein Bio-Ei ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist eine Mindestschwelle, darunter geht gar nicht. Das Problem ist, dass sich auch bei Bio-Geflügel eine ziemliche Spezialisierung entwickelt hat. Ideal ist aus unserer Sicht ein gemischter Betrieb, in dem Hühner neben vielen anderen Tieren leben. Und am besten ist ein Zweinutzungshuhn.
Die sind aber rar.
Ja, aber es gibt viele gute Modelle, es ist viel in Bewegung und das kann man mit dem Kauf solcher Eier unterstützen. Sicher sind sie teurer, aber das sind sie wert. Schließlich ist ein Ei ein wunderbares Lebensmittel, eine Konzentration vieler wichtiger Nährstoffe. Das sollte man mit einem Dank an das Huhn verzehren.
Und wie sieht es mit dem Gockel aus?
Die Tiere sollen ein gutes Leben haben und nicht innerhalb von 28 Tagen zu Fleischbergen herangemästet werden. Ein solches Fleisch schmeckt auch überhaupt nicht. Und trotzdem stürzen sich viele Menschen darauf, weil weißes Fleisch angeblich gesund ist. Auch der Gockel sollte von einer Zweinutzungsrasse stammen. Ein solches Huhn ist ein Festtagsbraten, ein wertvolles und genussreiches Lebensmittel. Da bleibt bei uns nichts übrig.
Auch nicht die Knochen?
Die abgenagten Knochen koche ich mit Wurzelgemüse aus. Das ergibt einen wunderbaren Fond, etwa als Grundlage für ein Risotto.
Häufige Fragen zur Bio-Hühnerhaltung
Was ist ein Zweinutzungshuhn?
Das sind Hühner, die Eier legen und Fleisch ansetzen. Entsprechende Linien werden z.B. von ÖTZ und Partner:innen entwickelt.
Ist Kükentöten in Deutschland noch erlaubt?
Nein. Seit 01.01.2022 ist das routinemäßige Töten männlicher Küken verboten. Alternativen sind die In-ovo-Bestimmung und die Bruderhahn-Praxis.
Wie viel Platz haben Bio-Legehennen?
Im Stall max. 6 Hennen/m², draußen mind. 4 m² je Henne.
Wie alt werden Bio-Masthühner?
Bei schnell wachsenden Linien mindestens 81 Tage. Langsame Linien haben kein starres Mindestalter, in der Praxis sind es oft 70–90+ Tage.
Wie viele Eier und Hennen gibt es in Deutschland?
Im Jahr 2024 haben rund 51,4 Mio. Legehennen ca. 16,3 Mrd. Eier gelegt.
Dieser Artikel wurde von der Redaktion ergänzt und aktualisiert.
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