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Das Bio-Huhn von morgen

Wie eine Öko-Tierzucht aussehen kann – mit Hühnern, die Frischluft vertragen und blaue Füße haben.

Entweder – oder: Nach dieser Devise arbeiten die großen Hühnerzüchter seit Jahrzehnten. Entweder züchten sie Tiere, die möglichst schnell Muskelmasse ansetzen. Das Ergebnis sind Masthühner, die sich innerhalb eines Monats zum schlachtreifen Fleischberg entwickeln. Oder sie erzeugen Tiere, die viele Eier legen. Bis zu 330 Eier im Jahr schafft so eine Legehenne, bevor sie ausgemergelt geschlachtet wird. Die männlichen Küken dieser Linien taugen nicht zur Mast, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen.

Zuchtziel: Eier und Fleisch

An Alternativen wird von verschiedenen Seiten gearbeitet. Mittendrin ist Inga Günther. Die Geschäftsführerin der Ökologischen Tierzucht gGmbH ist seit März 2015 auf der Suche nach einem echten, öko-tauglichen und leistungsfähigen Zweinutzungshuhn. Ein solches muss beides können – Eier und Fleisch. Konkret stellt sie sich Tiere vor, die etwa 260 Eier im Jahr legen und deren männliche Seite auf rund drei Kilogramm Mastgewicht in 18 Wochen kommt.

Hinter der Ökologischen Tierzucht-Gesellschaft stehen Bioland und Demeter. Den beiden Bio-Verbänden geht es um mehr als die Alternative zum Kükentöten. Es geht auch um Unabhängigkeit. Denn die Zucht von Legehennen liegt weitgehend in der Hand von drei weltweit tätigen Unternehmen. Bis jetzt sind Bio-Bauern auf deren Tiere angewiesen, weil es kaum noch andere leistungsfähige Rassen gibt.

Doch die Hochleistungshühner der Konzerne sind wenig öko-tauglich. Das gilt auch für die Zweinutzungshühner, an denen zwei der Konzerne arbeiten. Sie alle brauchen ein ausgeklügeltes Futter mit synthetischen Vitaminen und viel Eiweiß, das meist in Form von Sojaschrot in die Futtermischung kommt. Zudem müssen die Eiweißbausteine, die Aminosäuren, in einem bestimmten Verhältnis enthalten sein. Mit synthetischen Aminosäuren lässt sich das gut einstellen, doch die sind für Öko-Landwirte tabu. Diese Hennen mit Öko-Futter richtig zu ernähren, ist somit ziemlich schwierig. Auch sind die Tiere anfällig und bekommen an der frischen Luft schnell eine Erkältung. Aufgrund der extremen Leistung leiden sie oft an chronischen Erkrankungen, etwa Eierstockentzündungen. Deshalb brauchen solche Hennen oft Antibiotika. Für das Bio-Huhn von morgen haben Bioland und Demeter folgende Zuchtziele definiert: „100 Prozent Öko-Fütterung, Auslauf-Eignung, Anpassung an heimische Leguminosen und Proteinkomponenten sowie Resistenz gegen Krankheiten und Robustheit bei gleichzeitig wirtschaftlich erfolgreicher Lege- und Mastleistung.“

Bio: Hühnerzucht in Bauernhand

Um dieses Huhn zu züchten, muss Inga Günther mit den Tieren von heute anfangen. Die gängigen Zuchtlinien samt ihrer Genetik gehören den drei Konzernen. Doch es gibt noch wenige ältere Hühnerrassen, die in den letzten Jahren züchterisch bearbeitet wurden. Inga Günther selbst züchtet im Hänsel&Gretel-Projekt des schwäbischen Demeter-Betriebs Hofgut Rengoldshausen mit Hühnern aus der französischen Region Bresse. Diese liefern schmackhaftes Fleisch und die Hennen legen hinreichend Eier. Wegen ihrer blauen Füße werden die Tiere auch als „Les Bleues“ bezeichnet. Auch die Herrmannsdorfer Landwerkstätten im Osten Münchens, Öko-Bauern aus Brandenburg und die bayerische Erzeugergemeinschaft Die Biohennen AG arbeiten seit ein paar Jahren mit älteren Rassen.

Eine der Aufgaben der neuen Züchtungsgesellschaft ist es, den Erfahrungsaustausch dieser und weiterer Projekte zu organisieren und ihre Arbeit zu koordinieren. Vor allem aber soll sie mit einem Grundstock eigener Züchtungstiere arbeiten. Diese Tiere hat die Domäne Mechtildshausen eingebracht. Der hessische Bioland-Betrieb arbeitete über Jahre hinweg mit Geflügelzüchtern der Universität Halle zusammen. Deren genetisches Material stammte aus Beständen der staatseigenen Zucht der DDR, unbeeinflusst von westlichen Konzernen. „Die drei bestehenden Zuchtherden der Rassen New Hampshire, White Rock und Bresses Gauloises sind hinsichtlich ihrer Größe und der jahrelangen züchterischen Bearbeitung europaweit, wenn nicht sogar weltweit einmalig“, schwärmt Sebastian Fuchs, Leiter der Abteilung Qualität bei Demeter.

Ein intelligentes Nest erkennt das Huhn

Aus diesen insgesamt 4.000 Zuchttieren sollen die Öko-Tierzüchter um Inga Günther in jeder Generation und für jede der drei Herden getrennt die Tiere auswählen, die die Zuchtziele am besten erfüllen. Mit diesen arbeitet sie dann weiter. Bis die Züchter einschätzen können, ob ein bestimmtes Tier die vorgegebenen Zuchtziele Legeleistung, Futterverbrauch, Gesundheitszustand und Sozialverhalten erreichen wird, vergeht mindestens ein Jahr. Dann muss Inga Günther auch sichergehen, dass die Henne ihre Eigenschaften vererbt – und wie sich die Hähne dieser Tiere entwickeln. „Dazu müssen wir wissen, welche Henne welches Ei gelegt hat und welches Tier daraus geschlüpft ist“, sagt die Agrarwissenschaftlerin. Um bei Hunderten von Hühnern den Überblick zu behalten, braucht sie intelligente Nester. Diese können das Huhn über einen Chip am Bein identifizieren, das gelegte Ei wiegen und es kennzeichnen. „In der konventionellen Zucht leben die Tiere in Einzelkäfigen, da ist eine Zuordnung leichter. Aber wir wollen ja das soziale Verhalten der Tiere beobachten, etwa wie sie mit den anderen Hennen und dem Hahn umgehen.“ Außerdem würden sich die Haltungsbedingungen der Tiere auch auf den Nachwuchs auswirken. „Die Küken bekommen das als genetische Erinnerung mit. Wenn man öko-taugliche Tiere will, muss man die Zuchttiere entsprechend halten.“ Auf zehn Jahre ist dieses erste Züchtungsprogramm angelegt.

Doch so lange müssen Bio-Kunden nicht auf Eier und Fleisch von echten Zweinutzungshühnern warten. Denn die Öko-Züchter wollen nicht nur ihre drei reinrassigen Herden züchterisch weiterentwickeln. Sie planen auch, die reinrassigen Elterntiere zu kreuzen, etwa einen gut zu mästenden Bresse-Hahn mit einer legefreudigen White Rock-Henne. Daraus entstehen Zweinutzungshühner mit unterschiedlichen Eigenschaften, die sie jetzt schon Landwirten anbieten. Von diesen Tieren vermuten die Züchter, dass sie besonders vital und wenig anfällig sind. Domäne Silber heißt eine dieser Kreuzungen aus zwei legebetonten Linien. Praxis-Betriebe wie der Bauckhof und der Kudammhof haben einige Herden dieser Tiere aufgestallt und sammeln Daten. „Schließlich müssen interessierte Landwirte wissen, was diese Tiere im Alltag leisten“, erklärt Inga Günther.

Die österreichischen Bio-Bauern setzen auf „Sandy“, eine herkömmliche Legehybride des Weltmarktführers Lohmann Tierzucht, aber das sei nun mal kein ökologisch gezüchtetes Tier. „Wir können die bestehenden Strukturen nur ändern, wenn wir selbstbestimmt und frei von Konzerninteressen ökologische Züchtungsziele entwickeln und umsetzen.“

60 Cent fürs Ei

Doch dafür braucht es Geld. Bisher haben die Öko-Züchter vor allem Zuwendungen aus der Bio-Branche bekommen. Noch fehlen für 2016 und 2017 rund vier Millionen Euro. Ein Förderantrag an das Bundeslandwirtschaftsministerium ist gestellt. Auch Handel und Verbraucher will Inga Günther mit einbeziehen. Ein Züchtungs-Cent für jedes Ei wären bei 1,1 Milliarden verkauften Bio-Eiern immerhin elf Millionen Euro.

Letztlich sind es auch die Verbraucher, die entscheiden, ob Zweinutzungshühner überhaupt eine Zukunft haben. Denn diese Tiere legen von Natur aus weniger Eier und setzen langsamer Fleisch an als die jeweiligen Hochleistungszüchtungen. Deshalb müssen Eier und Fleisch deutlich mehr kosten als bisher üblich. Größenordnung: 60 Cent fürs Ei und 20 Euro für das Kilogramm Hähnchen. Doch das ist es wert, oder?

Frische Luft und ganze Körner – Bio-Hühner leben besser

  • Hühner wollen scharren, picken, im Staub baden, frische Luft genießen und nachts auf Stangen schlafen. Das alles können sie in Bio-Ställen, denn Einstreu und Sitzstangen sind ebenso Pflicht wie ganze Getreidekörner im Futter. Gentechnisch verändertes Futter ist verboten.
  • Bei Bio-Hennen dürfen die Schnäbel – im Gegensatz zu konventionellen Hennen – nicht gekürzt werden. Verstümmelte Schnäbel erschweren das Fressen und die Pflege des Gefieders.
  • Pro Quadratmeter dürfen Bio-Bauern im Stall sechs Hennen halten. Jedem Tier stehen zudem vier Quadratmeter Auslauf zu. In der konventionellen Bodenhaltung leben neun Tiere auf einem Quadratmeter, ohne Auslauf.
  • Antibiotika sind in Bio-Herden die Ausnahme. Deswegen finden Wissenschaftler in Bio-Ställen weniger antibiotikaresistente Keime.
  • Ein Bio-Bauer muss genug Ackerflächen haben, um sie mit dem Mist seiner Tiere zu düngen. Eine Überdüngung wird so vermieden. Das schützt das Grundwasser vor Nitrat.
  • Bio-Hühner werden meist 70 bis 90 Tage gemästet (konventionelle Hennen 28 bis 40 Tage). Bei längerer Mastdauer können sich die Knochen proportional zur Fleischzunahme entwickeln. Dadurch werden Gelenkschäden vermieden.

Zahlen und Fakten: Henne und Ei

1,1 Milliarden Bio-Eier

‣ In Deutschland leben 40 Millionen Legehennen und legen pro Jahr fast 12 Milliarden Eier.

‣ 63 Prozent der Legehennen fristen ihr Dasein in konventioneller Bodenhaltung, 18 Prozent in Freilandhaltung. Knapp vier Millionen Hennen eben auf einem Bio-Betrieb. Das sind rund 10 Prozent.

‣ Bio-Hennen legen im Schnitt 280 Eier im Jahr, das macht 1,1 Milliarden Bio-Eier im Jahr.

‣ Ein Ei der Gewichtsklasse M wiegt 53 bis 63 Gramm. Es enthält rund fünf Gramm Fett, vor allem im Dotter, und sieben Gramm Eiweiß. Ein Ei deckt 8,5 Prozent der empfohlenen Zufuhr von Vitamin D über die Nahrung (20 µg) ab sowie ein Drittel des Tagesbedarfs an Vitamin B12.

Interview: „Bio ist ein erster Schritt“

Was bedeutet der Slowfood-Anspruch „gut, sauber und fair“ für Ihr Frühstücksei?

Mit einem Ei muss man behutsam und vorsichtig umgehen, schon bei der Beschaffung. Es muss aus einer richtig guten Hühnerhaltung stammen, und die sind selten. Die Hühner müssen auch richtig gefüttert werden, kein Sojaschrot, sondern richtiges Getreide zum Picken.

Erfüllt ein Bio-Ei Ihren Anspruch?

Ein Bio-Ei ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist eine Mindestschwelle, darunter geht gar nicht. Das Problem ist, dass sich auch bei Bio-Geflügel eine ziemliche Spezialisierung entwickelt hat. Ideal ist aus unserer Sicht ein gemischter Betrieb, in dem Hühner neben vielen anderen Tieren leben. Und am besten ist ein Zweinutzungshuhn.

Die sind aber rar.

Ja, aber es gibt viele gute Modelle, es ist viel in Bewegung und das kann man mit dem Kauf solcher Eier unterstützen. Sicher sind sie teurer, aber das sind sie wert. Schließlich ist ein Ei ein wunderbares Lebensmittel, eine Konzentration vieler wichtiger Nährstoffe. Das sollte man mit einem Dank an das Huhn verzehren.

Und wie sieht es mit dem Gockel aus?

Die Tiere sollen ein gutes Leben haben und nicht innerhalb von 28 Tagen zu Fleischbergen herangemästet werden. Ein solches Fleisch schmeckt auch überhaupt nicht. Und trotzdem stürzen sich viele Menschen darauf, weil weißes Fleisch angeblich gesund ist. Auch der Gockel sollte von einer Zweinutzungsrasse stammen. Ein solches Huhn ist ein Festtagsbraten, ein wertvolles und genussreiches Lebensmittel. Da bleibt bei uns nichts übrig.

Auch nicht die Knochen?

Die abgenagten Knochen koche ich mit Wurzelgemüse aus. Das ergibt einen wunderbaren Fond, etwa als Grundlage für ein Risotto.

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