Häuser sind Materiallager voller Potenzial, doch beim Abriss landet vieles einfach auf dem Müll. In Berlin-Kreuzberg zeigt ein Bürogebäude, dass es anders geht: Statt es einfach abzureißen, geht ein Bauteam systematisch durch die Etagen, schraubt Türen aus und nimmt Lampen, Treppenstufen und sogar Rolltreppen auseinander. Alles wird sorgfältig sortiert und eingelagert, wie ein riesiges Modell aus Legosteinen, das Stück für Stück zerlegt wird. Am Ende bleibt vom Gebäude kaum Abfall übrig. „Zirkuläres Bauen heißt, die Dinge im Fluss zu halten, sodass es keinen Abfall mehr gibt“, erklärt Prof. Amandus Samsøe Sattler den Vorgang. Der Architekt und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen setzt sich seit Jahren für den bewussten Umgang mit Ressourcen ein. „Das wirksamste Mittel für Klimaschutz im Bauwesen ist, Materialien wiederzuverwenden, statt sie zu vernichten.“
Warum zirkuläres Bauen so wichtig ist
Zirkuläres Bauen geht weit über das hinaus, was viele unter Recycling verstehen. Es folgt einer einfachen Logik: Materialien sollen so lange wie möglich genutzt werden – am besten, indem man Bauteile zerstörungsfrei weiterverwendet. Wenn das nicht geht, lassen sie sich für andere Zwecke wiederverwenden oder, als letzte Stufe, recyceln. Auch im Vergleich zum klassischen nachhaltigen Bauen zeigt sich ein klarer Unterschied. „Nachhaltiges Bauen ist wie ein Mischpult aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem“, sagt Samsøe Sattler. Zirkuläres Bauen hingegen schaut zuerst, was schon da ist, und versucht, neue Eingriffe so weit wie möglich zu vermeiden.
CO₂-Reduktion im Bauwesen durch zirkuläres Bauen
Die Notwendigkeit ist groß. Rund 40 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen entstehen durch Bauen und Wohnen, ein Drittel davon allein durch die Herstellung von Baumaterialien. Millionen Tonnen hochwertiger Stoffe landen jedes Jahr auf Deponien, während an anderer Stelle neue Baustoffe energieintensiv produziert werden. Für Samsøe Sattler liegt darin eine klare Diskrepanz: „Wir verbieten Plastiktüten und Strohhalme, aber ganze Häuser dürfen weiterhin einfach vernichtet werden.“ Für ihn macht das deutlich: Vielen ist noch gar nicht bewusst, wie stark das Bauen unser Klima beeinflusst.
Pluspunkt: Materialien haben den Alltagstest schon bestanden
Dominik Campanella kennt die Realität auf der Baustelle. Er ist Mitgründer von Concular, einer Plattform, die Baumaterialien aus alten Gebäuden rettet und wieder in den Kreislauf bringt. „Wenn wir ein Haus zerlegen, sichern wir alles, was sich wiederverwenden lässt – von Ziegeln und Natursteinen bis zu Türen, Leuchten und Doppelböden“, sagt er. Viele Bauteile wandern direkt von der alten auf die neue Baustelle oder zurück zu den Herstellern, die sie aufbereiten und erneut verkaufen. Ein Teil landet in sogenannten „Urban Mining Hubs“, modernen Lagern, in denen gebrauchte Baumaterialien auf ihr zweites Leben warten. Künftig sollen auch Privatpersonen dort einkaufen können.
„Wir sparen beim Rückbau bares Geld“
„Wir sparen beim Rückbau bares Geld, weil keine Entsorgungskosten anfallen“, erklärt Campanella. Gleichzeitig sind die wiedergewonnenen Materialien meist günstiger als neue und oft sogar besser. Sie haben ihre Qualität bereits unter Beweis gestellt, denn Produktionsfehler zeigen sich meist im ersten Jahr der Nutzung. Wer Bauteile aus einem bestehenden Gebäude übernimmt, weiß also, dass sie den Alltagstest schon bestanden haben.
Erfolgreiche Beispiele für gelungene Materialkreisläufe
In Dresden konnten beim Rückbau des Kongresszentrums „Neue Terrasse“ mehrere tausend Stühle und Möbelstücke vor der Entsorgung gerettet und weiterverkauft werden. In Berlin wird beim Rückbau des Karstadt-Gebäudes am Hermannplatz ein Modellprojekt für Urban Mining umgesetzt: Zahlreiche Bauteile – von Türen bis hin zu Fassadenelementen – werden ausgebaut, digital erfasst und für die Wiederverwendung vorbereitet.
Doch zirkuläres Bauen ist nicht nur etwas für große Projekte. Auch Privatleute können sofort damit anfangen. Türen, Treppenstufen, Natursteine, Dachziegel oder ganze Küchen lassen sich problemlos ausbauen und weiterverwenden. Amandus Samsøe Sattler erinnert daran, dass es in ländlichen Regionen früher selbstverständlich war, Materialien wie Holz, Natursteine oder Türen, mehrfach zu nutzen. Heute scheitert das Wiederverwenden oft an Gewohnheiten und am Image.
„Die Klimakrise wird auf der Baustelle entschieden.“
„Viele denken bei gebrauchten Materialien sofort an Schrott“, sagt Dominik Campanella. Für Samsøe Sattler ist das größte Hindernis ein Mangel an Vorstellungskraft. Wer Gebäude plant, sollte offener für Materialien mit Geschichte werden. Handwerksbetriebe brauchen Lust aufs Experimentieren und Bauherr:innen den Mut, Dinge anders zu machen. So entstehen aus alten Häusern neue Räume, ohne dass wertvolle Rohstoffe im Container landen. Campanella bringt es auf den Punkt: „Die Klimakrise wird auf der Baustelle entschieden.“
Adressen für zirkuläres Bauen
Besonders leicht gelingt der Einstieg im Innenbereich: Hier sind die technischen und rechtlichen Anforderungen meist geringer als bei Fassaden oder tragenden Bauteilen. Inspiration und Angebote finden sich auf Plattformen wie Restado oder in lokalen Bauteilbörsen.
www.concular.de – Plattform für professionelle Wiederverwendung von Baumaterialien
www.restado.de – Marktplatz für private Projekte und kleinere Mengen
www.bauteilnetz.de – Netzwerk deutscher Bauteilbörsen
www.houseeurope.eu – Europäische Initiative für den Erhalt von Gebäudebestand
www.dgnb.de – Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
Fragen und Antworten zum zirkulären Bauen
Was ist zirkuläres Bauen?
Zirkuläres Bauen bedeutet, Baumaterialien so lange wie möglich im Kreislauf zu halten. Anstatt sie nach einem Abriss zu entsorgen, werden sie wiederverwendet oder recycelt.
Welche Vorteile hat zirkuläres Bauen?
Es spart Kosten beim Rückbau, reduziert CO₂-Emissionen und schützt wertvolle Ressourcen. Zudem entstehen weniger Abfälle.
Worin unterscheidet sich zirkuläres Bauen von nachhaltigem Bauen?
Nachhaltiges Bauen berücksichtigt Ökologie, Ökonomie und Soziales. Zirkuläres Bauen geht einen Schritt weiter und setzt konsequent auf Wiederverwendung vorhandener Materialien.
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