Das Beste an Jasmin Jungs Haus ist die große, knarzende Holztreppe. „Bei der Holztreppe wollten mein Mann und ich keine Kompromisse machen, so verrückt das klingt“, sagt die 32 Jahre alte Digitalberaterin. Ansonsten waren die Ansprüche bescheiden: Die beiden suchten in ihrem Ort Pinneberg bei Hamburg gezielt nach einem kleinen und alten Haus. Neubau kam für sie nicht in Frage.
Das hatte gleichermaßen ökologische wie finanzielle Gründe, erklärt Jung, die unter gruenartig.de über nachhaltiges Leben bloggt. „Passende Baugrundstücke wären für uns nur ganz weit draußen noch bezahlbar gewesen“, sagt sie. Da sie nicht mit dem Auto zur Arbeit nach Hamburg pendeln wollte, kam das nicht in Frage. In ihrem neuen alten Haus mussten sie dann sogar weniger sanieren als ursprünglich befürchtet: Sie verlegten Fliesen, zogen die Holzdielen ab, strichen die Wände mit ökologischen Farben und informierten sich, wie die Klinkerfassade zu pflegen sei. Sicher, den Grundriss hätte sie anders geplant, sagt Jung. „Dafür geht man eben kreativ mit dem um, was da ist.“ Bald wurde aus der beinah hundert Jahre alten Immobilie ihr neues, persönliches Traumhaus. Und gleichzeitig leistete Jung mit ihrem bescheidenen Häuschen einen Beitrag zur sogenannten „Wohnwende“, nach der Gebäude einen geringeren energetischen Fußabdruck haben, als es bisher üblich war.
Öko-Häuser – Die unterschiedlichen Energiestandards
- Effizienzhäuser sind ein Standard der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die je nach erreichter Kategorie ihre Förderungen vergibt. Die Werte werden nach einem Referenzhaus und auf Basis der Energieeinsparverordnung berechnet.
- Passivhäuser erzeugen ihre Raumwärme durch ihre gute Dämmung und kontrollierte Lüftung überwiegend passiv – etwa durch Sonneneinstrahlung oder die Personen im Haus.
- Nullenergiehäuser können durch regenerative Quellen im Jahresmittel gleich viel eigene Energie produzieren, wie von außen zugeführt wird.
- Plusenergiehäuser erzeugen überschüssige Energie und speisen sie ins Stromnetz ein.
- Energieautarke Häuser sind unabhängig von externen Energiequellen. Das weltweit erste Mehrfamilienhaus ohne Netzanschlüsse steht in der Schweiz.
Warum das Klima in der Städteplanung mitgedacht werden muss
Die Art, wie wir wohnen, ist ein sehr persönliches Thema sowie eine große gesellschaftliche Frage – und eine politische Baustelle. Aktuell steht der Wohnungsmarkt in den Ballungsräumen enorm unter Druck: Fast jeder fünfte Mieterhaushalt gibt 40 Prozent und mehr seines Nettoeinkommens fürs Wohnen aus. In einer Studie des deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) sagten zuletzt 66 Prozent der befragten Oberbürgermeister, dass es zu ihren dringendsten Aufgaben gehöre, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Diese Situation fördert ungewöhnliche Konzepte: „Die Behörden interessieren sich sehr für unsere Tiny Houses“, sagt etwa Van Bo Le-Mentzel. Der Architekt sieht in den kleinen Holzhäusern eher eine Ergänzung im Kampf gegen Wohnraumknappheit, als eine Antwort auf die Klimakrise.
Die wäre aber wichtig: Sämtliche Neubauten müssten mit den kommunalen Klimazielen im Blick geplant werden, sagt Difu-Expertin und Diplomingenieurin Daniela Michalski. „Wohnen und private Haushalte tragen eine hohe Mitverantwortung am CO2-Ausstoß.“ Auf deren Konto gehen allein durch den täglichen Betrieb etwa zehn Prozent der deutschen CO₂-Emissionen. Hauptsächlich, weil man sie heizen, kühlen und mit Warmwasser versorgen muss.
Zement ist schädlicher als Flugzeuge
Jasmin Jung und ihr Mann hatten sehr konkrete Vorstellungen davon, wie viel Wohnraum genug sei: Sie suchten nach Häusern unter 120 Quadratmetern und fanden schließlich doch eines mit 140. Jung plant, dafür innerhalb der nächsten zehn Jahre die Gasheizung durch Solarthermie zu ersetzen. Dass sie kein neues Passivenergiehaus gebaut hat, verursacht ihr aus ökologischer Sicht keine Kopfschmerzen. „Sanieren spart viel mehr Ressourcen und Energie ein als ein Haus neu zu bauen.“
Das sagt auch die Expertin Daniela Michalski. „Umnutzung sollte vor Neubau gehen.“ Denn je länger der Lebenszyklus eines Hauses, desto besser ist dessen gesamte Energiebilanz. „Die graue Energie wird beim Bauen immer noch viel zu selten berücksichtigt“, sagt Michalski. Also die Energie, die man braucht, um Basisrohstoffe wie Beton, Stahl und Glas herzustellen, zu lagern, zu transportieren, zu verbauen und zu entsorgen. Allein die Zementindustrie verursacht acht Prozent der globalen CO2-Emissionen. Das ist mehr als der gesamte jährliche Flugverkehr.
Darum sind ökologische Baustoffe besser
„Es werden nach wie vor großflächig fossile styrol-, mineralfaser- oder kunststoff-basierte Materialien verwendet“, sagt der Baubiologe Stefan Schindele von Baufritz. Diese seien nur mit viel Energie herzustellen und schlecht wiederverwertbar. Dazu auch für uns Menschen problematisch: „Sie können in der Nutzungsphase flüchtige Schadstoffe freisetzen und die Gesundheit der Bewohner beeinträchtigen.“
Anbieter von Öko-Häusern wie Baufritz, Holzius oder Baumhaus verwenden in ihren Häusern hingegen überwiegend den natürlichen Rohstoff Holz. Bei manchen erfüllen sogar sämtliche Hausbestandteile die Richtlinien des Umweltgütesiegels Natureplus: vom passgenauen Fenstereinbau ohne PU-Schaum über Dämmung aus Holzflocken bis hin zu eigenen Öko-Wandfarben.
Alternative Baustoffe
Hanf, Wolle oder Stroh fristen als Baustoffe immer noch ein Nischendasein. Die gesundheitlichen Gefahren konventioneller Kleber, Lacke oder Lösungsmitteln sind kaum bekannt.
Sanierung schlägt sich auf die Mietkosten nieder
Dass solche Baustoffe im Vergleich zu Standardprodukten im Baumarkt meistens teurer sind, erklärt den geringen Marktanteil, sagt Schindele. Selbst Holz spielt als Baustoff derzeit deutschlandweit in nur etwa 17 Prozent aller Neubauten die Hauptrolle. Dabei seien die Vorteile des nachwachsenden Rohstoffs fürs Klima sehr groß: „Verbautes Holz speichert CO2 und entzieht damit große Mengen dieses Treibhausgases aus unserer Atmosphäre.“
Zentral ist nach Angaben des Baubiologen, dass neue Häuser von vornherein einen energiesparenden Schnitt haben: „Eine kompakte Form, in der das Volumen in einem günstigen Verhältnis zur Fläche der Gebäudehülle steht, ist ideal.“ Diese Anforderung erfüllen mehrstöckige Stadthäuser, die dicht an dicht stehen, meist gar nicht mal schlecht. Und doch kann die energetische Sanierung älterer Bestandshäuser bedeuten, dass finanzschwache Bewohner aus den Zentren verdrängt werden. Denn die Kosten für die Umbauten sind große Mietentreiber und stehen meist nicht im Verhältnis zu den monatlichen Einsparungen, sagt Difu-Expertin Michalski.
Klimaschutz im Neubau
In Hamburg erfüllen sogar Neubauten mit einer vergleichsweise günstigen Nettokaltmiete von acht Euro pro Quadratmeter die hohen KfW-Energiestandards.
Vor solchen Herausforderungen steht auch die Stadt Hamburg. Sie setzt auf wohnpolitische Instrumente, um das eigene Wachstum möglichst ökologisch zu gestalten, aber auch soziale Härten zu vermeiden. Oberstes Ziel sei beispielsweise die Entwicklung innerhalb der Stadt – indem bereits verwendete Flächen umgenutzt oder bestehende Wohnquartiere verdichtet werden. So werde einerseits nur so wenig zusätzlicher Boden wie nötig versiegelt, sagt Barbara Ketelhut, Sprecherin der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen. Gleichzeitig sorge der sogenannte „Drittelmix“ in Hamburg dafür, dass ganze Quartiere sozial durchmischt würden: Denn mindestens ein Drittel der neu entstandenen Einheiten muss über den geförderten Mietwohnungsbau realisiert werden.
Hamburg hat sich 2018 außerdem die Macht über den eigenen Boden zurückgeholt. Mit dem „Erbbaurecht“ sichert sich die Stadt künftig die eigenen Grundstücke: Sie sollen nur noch ausnahmsweise verkauft und stattdessen langfristig verpachtet werden. „Ein aktives Flächenmanagement spielt wirklich eine große Rolle“, findet Baukultur-Expertin Daniela Michalski. „Kommunen sollten selbst Flächen ankaufen und baureif machen, dann haben sie später mehr Steuerungsmöglichkeiten.“ Eines der zentralen Instrumente ist für die Expertin dabei die sogenannte Konzeptvergabe. Sie bedeutet, dass nicht der gebotene Höchstpreis über den Zuschlag für ein Grundstück entscheidet, sondern das beste Konzept.
Kommunen müssen wieder Boden gewinnen
Auch in Hamburg werden große Wohnbauprojekte nach dem besten Konzept vergeben, sagt die Behördensprecherin Barbara Ketelhut. „Insbesondere bei neuen Quartieren und Neubauten bietet sich ja die Chance, die Aspekte Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel von Anfang an in der Planung zu berücksichtigen“, sagt Ketelhut. Ein besonders großes Vorzeigeprojekt der Millionenstadt entsteht gerade auf dem zentral gelegenen Areal des ehemaligen Bahnhofs Altona: Im neuen Quartier „Hamburg Mitte Altona“ sollen in zwei Abschnitten insgesamt 3500 neue Wohnungen, eine Schule und ein Park mit einem kleinen Wald entstehen. PKW-Stellplätze wurden zugunsten von Fahrradständern reduziert. Geplant sind auch begrünte Dächer und Flächen, die Starkregen auffangen können.
Das ganze Grün um ihr Haus ist – neben der Holztreppe – auch Jasmin Jungs Bestätigung, dass sie und ihr Mann die richtige Entscheidung getroffen haben: Hatten sie in ihrer früheren 60-Quadratmeter-Wohnung nur einen kleinen Balkon zur Verfügung, ernten sie jetzt endlich Gemüse aus den eigenen Beeten. „Meine abendliche Runde durch den Garten ist ein wunderschöner Abschluss nach einem langen Tag.“ Alt statt Neu machte sich auch hier bezahlt: Denn Bürgers grüner Rückzugsort besteht nicht aus frisch verlegtem Rollrasen mit einigen schüchternen Büschen drauf – sondern er wächst und wuchert schon seit Langem. Seit 90 Jahren, um genau zu sein.
Mehr zum ökologischen Bauen
difu.de
Das Difu hat für private Bauherren einen Praxisratgeber für klimagerechtes Bauen erarbeitet.
verbietet-das-bauen.de
In seinem Blog schreibt der Architekturjournalist und Autor Daniel Fuhrhop über alternative Wohnkonzepte und die ökologischen Vorteile des Sanierens.
duh.de/energie-gebaeude
Tipps rund um Sanierung und Klimaschutz in den eigenen vier Wänden
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