Umwelt

Wie Bio entstand. Was Bio heute ist

Drei Viertel aller Deutschen kaufen laut einer Emnid-Umfrage zumindest gelegentlich Bio. Da sind manche alte Hasen darunter, aber auch viele Neukunden. Grund genug, sich mal wieder auf die BioBasics zu besinnen

Gedanken Raten ist nicht schwer. Man drückt einem Arbeitskollegen oder der besten Freundin Stift und Zettel in die Hand. „Schreib' doch bitte auf, was du mit Biolebensmitteln verbindest.“ Mit ziemlicher Sicherheit stehen nach wenigen Minuten die Begriffe „gesunde Ernährung“, „artgerechte Tierhaltung“ und „Umweltschutz“ auf dem Zettel. Wahrscheinlich auch „schmeckt gut“ und „keine Zusatzstoffe“.

Dieses positive Image der Biolebensmittel zeigt sich in vielen Umfragen. Es ist ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen Bio kaufen. Der Markt wächst seit einiger Zeit jedes Jahr um zehn bis zwanzig Prozent. Mit der Zahl der Kunden steigt auch der Bedarf an Aufklärung darüber, was Bio eigentlich ist. In einer aktuellen Umfrage schätzte sich nur die Hälfte der Verbraucher bei diesem Thema als gut informiert ein. Vermutlich sind es weniger. Im Alltag zeigt sich das häufig.

Da behauptet ein Bekannter im Brustton der Überzeugung, das bei Aldi sei doch gar kein echtes Bio. Die Tante erzählt stolz, dass sie jetzt auch immer Bio-eier kauft. Doch die Eier stammen aus Käfighaltung und nur das gemalte Huhn auf der Verpackung war glücklich. Es gibt aber auch die Freundin, die entsetzt „Massentierhaltung“ schimpft, als sie erfährt, dass in einem Stall 3000 Biolegehennen leben dürfen. „Das sind doch keine Bioeier mehr.“ Sind sie doch, sagt die EU-Öko-Verordnung. Sie regelt EU-weit einheitlich, wie viele Biohühner in einen Stall dürfen, wie viel Platz und Auslauf jedes Tier mindestens haben muss und dass die Hühner Sitzstangen zum Schlafen und Sand zum Scharren brauchen.

Wie's Biobauern umsetzen

Für die anderen Tierarten ist ebenfalls detailliert vorgeschrieben, wie die Biobauern den Grundsatz „Es muss eine artgerechte Unterbringung der Tiere gewährleistet sein“ umzusetzen haben. Auch für den Anbau und die Verarbeitung von pflanzlichen Lebensmitteln legt die EU-Öko-Verordnung die Standards fest. Viel wichtiger als die Paragraphen ist das Weltbild, das ihnen zugrunde liegt. Für den Biobauern ist sein Hof ein ganzheitliches System aus Boden, Pflanzen, Tieren und Menschen. Er versucht, dieses System in der Art eines Kreislaufs zu bewirtschaften, sodass möglichst wenig Nährstoffe von außen zugeführt werden müssen. Sein Ziel ist es, dass alle Teile des Systems gut zusammenwirken.

Deshalb setzen Biobauern keinen Kunstdünger ein. Sie bringen Mist und Gülle ihrer Tiere und Kompost vom Hof auf die Felder. Zusätzliche Nährstoffe liefern Bohnen, Erbsen, Lupinen oder Klee. Diese Pflanzen – die Leguminosen – können mit Hilfe von Bodenbakterien Stickstoff aus der Luft binden und im Boden anreichern. Gleichzeitig lockern sie den Boden und dienen als Gründüngung oder als Futterpflanzen für die Tiere.

Zum Kreislauf gehört, dass Biobauern nur begrenzt Futtermittel für ihre Tiere zukaufen. Zudem dürfen sie nur so viele Tiere halten, wie sie mit dem Ertrag ihrer eigenen Flächen ernähren könnten. Flächenbindung heißt dieses Gebot. Es verhindert, dass überflüssige Nährstoffe aus der Gülle das Grundwasser belasten. Biobauern wehren sich gegen Unkraut, Pflanzenkrankheiten und Schädlinge nicht mit Pestiziden, weil diese Umweltgifte das Ökosystem belasten.

Vorbeugen ist besser

Erlaubt sind nur wenige natürliche oder traditionelle Pflanzenschutzmittel. Dazu gehören Kupfer, Schwefel oder pflanzliche Wirkstoffe wie das Pyrethrum aus der Chrysantheme. Vor allem aber arbeiten Biobauern mit vorbeugenden Methoden. Die wichtigste ist die Fruchtfolge: Die auf einem Feld wachsenden Kulturpflanzen wechseln, keine wird zweimal nacheinander angebaut. Dadurch können sich spezialisierte Schädlinge und typische Krankheiten nicht so stark ausbreiten wie in Monokulturen. Biobauern setzen auf robuste und regional angepasste Sorten und fördern Nützlinge, indem sie Hecken und Biotope anlegen. Das Unkraut wird noch vor der Aussaat mechanisch mit Grubber und Egge bekämpft. All diese Maßnahmen halten Schädlinge und Unkräuter in Grenzen, rotten sie aber nicht aus. Mit Absicht! Denn auch sie sind – so die Ansicht der Biobauern – für ein stabiles ökologisches Gleichgewicht notwendig.

Entstanden ist diese Art der Landwirtschaft schon in den „goldenen Zwanzigern“: Wolkenkratzer, Fließbandtechnik, der wilde Rhythmus der Großstadt. Boom-Zeiten für Wissenschaft und Technik, aber auch für Gegenströmungen: Wandervögel ziehen, die Gitarre im Gepäck, aufs Land hinaus. Die ersten Reformhäuser schließen sich zusammen. Pfingsten 1924 hält der Anthroposoph Rudolf Steiner einen Kurs über die Zusammenhänge zwischen Natur, Kosmos und Landwirtschaft. Rund 100 Bauern hören ihm zu. Es ist die Geburtsstunde des biologisch-dynamischen Anbaus.

Zur gleichen Zeit kämpfte der Schweizer Agrarpolitiker Hans Müller mit seiner Bauernheimatbewegung gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft. Er empfahl kleinen Familienbetrieben, auf geschlossene Betriebskreisläufe zu setzen und entwickelte den organisch-biologischen Anbau. In den 70er-Jahren ziehen langhaarige Hippies mit wilden Bärten in Scharen aufs Land, gründen Kommunen, hüten Ziegen und backen Vollkornbrot. Ihre Vision: Ein naturnahes und selbstverwaltetes Leben als Alternative zu Konsumwahn und Kapitalismus.

Die ersten Bioläden entstehen. Aus dieser Zeit stammt das Zerrbild vom „Müsli“ mit Schlabberpulli und Birkenstock-Schuhen, der in seinem kleinen Bio-laden verschrumpelte Möhren verkauft und missionarisch die Vollwertkost predigt. Dieses überwiegend vegetarische Ernährungskonzept setzt auf frische, möglichst naturbelassene Lebensmittel und Vollkornprodukte. Weißer Zucker, weißes Mehl und Fertiggerichte sind verpönt.

An diese Ernährungslehre sind Biolebensmittel heute nicht mehr gekoppelt. Doch sie verdanken ihr den Grundsatz, dass die Zutaten möglichst schonend verarbeitet werden und Zusatzstoffe weitgehend außen vor bleiben. Nur ein Zehntel der über 400 zugelassenen Zusatzstoffe dürfen Biohersteller überhaupt einsetzen. Synthetische Farbstoffe, Konservierungsmittel, Geschmacksverstärker und künstliche Vitamine sind ganz verboten.

Boom durch Tschernobyl

Die Atomkatastrophe löste 1986 den ersten Bio-Boom aus. Mit dem Erfolg kamen die Geschäftemacher. Plötzlich standen in den Supermärkten Lebensmittel im Regal, die sich „Bio“ nannten, es aber nicht waren.

Um die Biobauern und ihre Kunden zu schützen, erließ die EU 1991 ihre Ökoverordnung. Nur Produkte, deren landwirtschaftliche Zutaten zu mindestens 95 Prozent aus ökologischem Anbau stammen, dürfen seither die Bezeichnungen „Bio“ oder „Öko“ führen. Jeder Betrieb wird mindestens einmal jährlich von einer Ökokontrollstelle besucht. Damit der jeweilige Eigentümer und die notwendigen Unterlagen da sind, kündigen die Inspektoren den Termin an. Zusätzlich können sie zu unangekündigten Besichtigungen kommen.

Die Mindeststandards der EU-Öko-Verordnung halten alle Biolebensmittel ein, auch die bei Aldi. In zahlreichen Punkten jedoch sind die deutschen Anbauverbände strenger, sind also quasi „Bio plus“. Trotz aller Regelungen ist die Biowelt keine Insel der Seligen. Betrüger gibt es, wenn auch nur gelegentlich. Weitaus häufiger sind Betriebe, deren wichtigstes Ziel das Geld verdienen ist. Sie erfüllen zwar die Buchstaben der Ökoverordnung, aber nicht unbedingt die Ideale, die dahinter stehen. Doch bei den meisten Biobetrieben haben soziales Verhalten und ein faires Miteinander noch einen hohen Stellenwert. Sie engagieren sich im betrieblichen Umweltschutz, fördern die regionale Vermarktung oder pflegen Biotope. Alles Tätigkeiten, die die Ökoverordnung nicht vorschreibt, die aber zu Bio dazugehören. Irgendwie.

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