Der Mehrweg-Gedanke ist bei Bio-Läden tief im Erbgut verankert. „Jute statt Plastik“ lautete eine Parole in den 80er-Jahren; damals, als Plastiktüten als Fortschritt galten und Stoffbeutel als altmodisch. Wasser, Saft und Bier boten Bio-Hersteller immer schon in Mehrweg an. Zusätzlich begannen Bio-Molkereien damit, Milch, Sahne und Joghurt in Mehrwegflaschen und -gläser abzufüllen. Selbst Wein gibt es immer wieder in Mehrweg.
Plastikflaschen aus PET oder Dosen sind im Bio-Laden so selten wie Rebhühner in der Agrarlandschaft. Nur Getränkekartons finden sich häufiger in den Regalen – allerdings selten, verglichen mit herkömmlichen Supermärkten. In Bio-Bistros sind Mehrwegbecher und -schüsseln längst üblich und auch hinter den Kulissen finden sich Mehrweglösungen, etwa Kisten, in denen Bio-Gemüse von der Gärtnerei über den Großhandel in die Bio-Läden kommt. Oder Paletten und Rollis, deren Ladung mit Mehrweggurten gesichert wird und nicht mit Einweg-Schrumpffolie.
Warum Pfandsysteme boomen?
In den letzten zwei, drei Jahren brachten findige Bio-Unternehmen auch andere Lebensmittel in Mehrweggläsern und -flaschen auf den Markt: Hafermilch, Passata, Nüsse, Linsen, Aufstriche oder Feinkostsalate. Dabei benutzen die meisten ein Mehrwegsystem, das es bereits gibt, nämlich die zwei Gläser- und zwei Flaschengrößen, in denen seit Jahrzehnten Milchprodukte abgefüllt werden. Abgekürzt nennt sich dieses System MMP, Milch-Mehrwegpool. „Wir haben über 1000 Produkte, die in MMP abgefüllt werden, überwiegend von Start-ups, 2019 war die Zahl noch zweistellig“, berichtet Tobias Bielenstein. Er leitet die Geschäftsstelle des Arbeitskreises Mehrweg, der sich auch um MMP-verwendende Unternehmen kümmert. „Im Schnitt fragt jede Woche ein interessiertes Unternehmen an, die Entwicklung ist nach wie vor rasant.“ Das liegt auch daran, dass MMP drei große Vorteile hat: Es ist ein bereits bekanntes Mehrwegsystem. Die Gläser und Flaschen können über die gängigen Automaten zurückgegeben werden und sie sind vielseitig befüllbar.
„Mehrweg ist keine Verpackung, Mehrweg ist ein System“
Doch das Wachstumstempo brachte auch Probleme mit sich. Vielen Start-ups war anfangs nicht klar, dass die Rücknahme der Gläser ebenso viel Aufmerksamkeit braucht wie der Vertrieb der Produkte. „Mehrweg ist keine Verpackung, Mehrweg ist ein System“, erklärt Bielenstein. Und dieses System geriet durch den plötzlichen Andrang in Unordnung. Die neu ins System gekommenen Gläser kamen kaum zu den Verarbeitern zurück, sondern wurden zu den Molkereien geliefert. Die ärgerten sich, weil die Etiketten der neuen Firmen in den Waschstraßen oft nicht abgingen, oder aber sich gleich auflösten und als Papierschlamm die Maschinen verstopften.
„Es ist zunächst ein Test“
Der Hersteller Egesun verpackt die meisten Nüsse, Kerne und Trockenfrüchte seiner Marke Morgenland in Kunststoffbeutel. Doch die sollen weniger werden. „Wir sind konsequent dabei, alle unsere Verpackungen umweltfreundlicher zu gestalten“, sagt Produktmanagerin Malin Hillebrandt. Deshalb füllt das Unternehmen seit Mai Cashewkerne, Pistazien und Studentenfutter in kleine Mehrweggläser ab. „Es ist zunächst ein Test, wir müssen erst Erfahrungen sammeln“, erklärt Hillebrandt. Deshalb würden noch neue Gläser zugekauft, in Kartons verschickt und gingen nach Gebrauch in den Kreislauf der Molkereien. „Wenn wir sehen, dass es gut läuft, werden wir das ausweiten und dann auch das System optimieren und verfeinern“, erklärt Hillebrandt. Sie sieht die Gläser als Ergänzung zu den über 40 Boxen, die Morgenland schon länger im Programm hat, bei denen Verbraucher die gewünschten Mengen selbst abfüllen können. Die Boxen enthalten je nach Produkt 2,5 bis 4,5 Kilogramm und werden zunehmend nachgefragt.
Ende 2020 erarbeiteten der Bundesverband Naturkost Naturwaren und der Arbeitskreis Mehrweg einen Leitfaden für die MMP-Nutzung. „Dadurch hat sich vieles verbessert, aber die leeren Gläser und Flaschen standen immer noch bei den Molkereien auf dem Hof“, berichtet Bielenstein. Deshalb beschlossen die beteiligten Unternehmen, den Milch-Mehrwegpool wieder aktiv zu managen. Das war jahrelang nicht notwendig gewesen, weil nur wenige Molkereien das System nutzten und die Absatzzahlen stagnierten. Künftig soll eine Leergutbörse dafür sorgen, dass leere MMP-Verpackungen schnell dorthin kommen, wo sie gebraucht werden. Und die Unternehmen kümmern sich gemeinsam darum, dass regional verteilt neue Waschanlagen entstehen. Denn viele Start-ups sind zu klein, um ihre Gläser selbst zu reinigen.
Darum sind kurze Transportwege wichtig
Die regionale Reinigung ist wichtig für die Ökobilanz. Denn Mehrwegglas schneidet im Vergleich zu Einwegverpackungen aus Pappe oder Plastik nur dann besser ab, wenn die Wege kurz sind und das schwere Glas nicht durch die ganze Republik kutschiert werden muss. Das gilt für Mineralwasser, Saft und Bier ebenso wie für Joghurt, Nüsse oder Fruchtaufstrich. Eine zweite Erkenntnis aus allen Ökobilanzen, die Mehrweg und Einweg vergleichen: Mehrweg liegt nur dann vor Plastik, wenn die Verpackung möglichst oft wieder befüllt wird. Als Standard gilt die bei Bier- und Sprudelflaschen übliche Umlaufzahl von 50. Das heißt, eine Flasche bleibt im Schnitt bis zu zehn Jahre im System, wird 50 mal gereinigt und neu befüllt, bevor sie aussortiert und wieder eingeschmolzen wird. Die wenigen vorliegenden Schätzungen zeigen, dass die Mehrwegflaschen für Saft und Milch niedrigere Umlaufzahlen haben. Für MMP-Gläser gibt es gar keine Zahlen.
Die Institute IFEU und IÖW haben im Forschungsprojekt Innoredux erstmals Mehrwegverpackungen für Tomatenpassata und Mandeln mit herkömmlichen Einwegverpackungen verglichen. Betrachtet haben sie dabei nicht nur den Ausstoß an Treibhausgasen, sondern auch den Verbrauch fossiler Rohstoffe, die Gewässerbelastung und die Abfallmenge. Als grundsätzlicher Nachteil bei Mehrweggläsern erwies sich, dass der Metalldeckel nur einmal verwendet werden kann.
Mehrweg sticht nicht immer
Für Passata ergab die Abschätzung, dass Mehrwegglas und Verbundkarton in etwa gleichauf liegen und weitaus ökologischer sind als Einwegglas als Verpackung. Allerdings rechneten die Institute für Mehrweg mit 50 Umläufen und setzten 200 Kilometer als durchschnittliche Entfernung vom Hersteller zum Laden an – also in Deutschland produzierte Passata, die überwiegend regional verkauft wird. Bei den Mandeln half nicht einmal die optimistische Zahl von 50 Umläufen. Der Einwegbeutel aus Plastik schnitt deutlich besser ab als das Mehrwegglas. Ein Grund dafür war das geringe Füllgewicht. Das für die Abschätzung herangezogene 250 Milliliter-Glas wog 175 Gramm, der Inhalt nur 140 Gramm. Auch war die angesetzte Entfernung vom Abfüller in den Laden mit im Schnitt 400 Kilometern bei allen Varianten gleich. Das bedeutet, die Mandeln werden überwiegend bundesweit vertrieben.
„Wir müssen runter vom Rohstoffverbrauch“
Seit 2015 belieferte Georg Neubauer mit seinem Unternehmen Blattfrisch Bio-Märkte rund um Hamburg mit frischen To-go-Salaten aus regionalen Zutaten. Als er am Durchstarten war, brach im ersten Corona-Lockdown der Markt zusammen und Neubauer sattelte um auf Feinkostsalate. Ein Dutzend Produkte füllt er inzwischen ab, Kartoffel- und Krautsalat, zwei Varianten Heringsalat, vegane Dips und Salate – alle in Mehrweggläsern. Die Einwegverpackungen der To-go-Produkte hatten ihn schon immer genervt. „Es ist klar, dass wir als Gesellschaft vom hohen Rohstoffverbrauch für Verpackung runter müssen und das geht nur mit Mehrweg“, sagt Neubauer. „Ich hoffe es werden noch viel mehr Unternehmen, dann werden die Systeme effektiver“. Die 250-Milliliter-Gläser aus dem Milch-Mehrwegpool, die er verwende, seien nicht so bekannt wie die großen Joghurtgläser. „Die landen noch zu oft im Glascontainer“. Von der Politik wünscht Neubauer sich Kampagnen, die die Akzeptanz von Mehrweg steigern, und bessere Rahmenbedingungen, auch in Form höherer Pfandpreise.
Der Verband der Unverpackt-Läden zog aus den Ergebnissen von Innoredux folgenden Schluss: „Trockenprodukte wie Mandeln oder Nudeln sollten möglichst unverpackt verkauft werden – zumindest jedoch in leichten Verpackungen und größeren Portionen“. Also die Unverpackt-Stationen nutzen, die es in vielen Bio-Märkten gibt, oder große Vorratspackungen kaufen. Denn die meisten Trockenprodukte halten lange. Für die Frischeprodukte an der Theke können Sie übrigens ihre eigenen Mehrweggefäße mitbringen. Das spart Plastikbecher oder beschichtetes Einwickelpapier und ist deshalb im Bio-Laden gern gesehen.
„Bei uns kommen Werte ins Glas“
Als Leonhard Kruck 2016 Mehrweg in den Handel bringen wollte, hatte niemand Interesse daran. 2019, nach einer erfolgreichen Crowdfunding-Kampagne, „schlug die Idee ein und fand schnell Nachahmer“, erzählt der Unternehmensgründer. Heute füllt die Firma Unverpackt für Alle 150 verschiedene Bio-Lebensmittel in Mehrweggläser und Flaschen und verkauft diese auch über Bio-Läden. Das Sortiment umfasst Nussnougat-Creme ebenso wie Essig und Öl. Weitere Produkte sollen folgen. „Wir wollen das ganze Trockensortiment in Mehrweg anbieten“, ist Krucks Ziel. Je mehr Plastik und Einwegglas ersetzt werde, desto effizienter werde das Mehrwegsystem. „Allein wir haben bis jetzt fast 60.000 Kilogramm Müll gespart“. Doch Kruck will mehr als Mehrweg: „Bei uns kommen Werte ins Glas“, sagt er und verweist auf heimische Kichererbsen und Quinoa, auf fair gehandelte Gewürze, auf Aufstriche mit 77 Prozent Frucht. Gleichzeitig ist das Unternehmen auch ein Inklusionsprojekt. 70 Prozent der Mitarbeitenden in der Produktion am Standort Berlin sind Menschen mit Beeinträchtigungen. „Volle Werte ins Glas, das ist es doch, was Bio ausmacht.“
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