Umwelt

Die wahren Preise von Lebensmitteln

Die aktuelle Krise und die Inflation offenbaren die wahren Kosten von konventionellen Lebensmitteln. Warum Bio-Produkte im Preis stabiler bleiben – und sich aktuell gleich doppelt lohnen.

Die Bio-Butter ist 50 Cent günstiger als das Markenprodukt aus Irland. Bio-Milch nur 30 Cent und Spaghetti nur 20 Cent teurer als die billigste Discounterware. Eine Supermarkt-Recherche im Berliner Akazienkiez Mitte Januar 2023 zeigt: Bio-Produkte liegen beim Preis deutlich näher an konventionellen Produkten als noch vor einem Jahr. Und: Oft sind die Bio-Varianten sogar günstiger als Markenprodukte im Lebensmitteleinzelhandel. Wie lässt sich das erklären?

„Bio ist preisstabil und wirkt als Inflationsbremse.“

Tina Andres, BÖLW

Eine neue Studie des Bunds für Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) bestätigt den Selbstversuch. Vergleicht man die Verkaufspreise im Herbst 2021 mit jenen vom Herbst 2022, zeigt sich ein deutliches Bild: Während beispielsweise Möhren im Discounter rund 60 Prozent mehr kosten und im Supermarkt 20 Prozent, zahlt man für Bio-Möhren im Discounter etwa 45 Prozent mehr und im Fachhandel nur geringe zwei Prozent. Auch bei Butter, Eiern, Äpfeln und vielen anderen Lebensmitteln ist der Preisanstieg bei Bio deutlich geringer als bei konventionellen Produkten. Die Bio-Frischmilch stieg im Fachhandel zum Beispiel um 18 Prozent – im Vergleich zu Frischmilch im Discounter, die satte 36 Prozent mehr kostet.

„Die Zahlen belegen: Bio ist preisstabil und wirkt als Inflationsbremse“, kommentiert Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bio-Spitzenverbands BÖLW die aktuelle Studie.

Was Dünger mit der Gaskrise zu tun hat

Der Grund für diese Entwicklung ist die aktuelle Krisenlage. Sie schafft zynischerweise eine gerechtere Preistransparenz. Zwei Faktoren sind dafür verantwortlich: Die konventionelle Landwirtschaft setzt zum einen beim Anbau auf synthetische Stickstoffdünger, die in der Herstellung extrem viel Energie verbrauchen, vor allem Gas. Das ist aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine deutlich teuer geworden. Diese Mehrkosten werden auf die Lebensmittelpreise umgelegt. Bio-Produkte betrifft das kaum, denn im Öko-Landbau sind diese Dünger verboten – genauso wie Pestizide. Entsprechend steigen die Preise hier weniger stark.

Warum Bio kurze Transportwege nimmt

Ein weiterer Aspekt ist der Transport: Die Rohstoffe müssen vom Feld zur Verarbeitung und dann in den Handel kommen. Oft mit dieselbetriebenen Lastwagen. Die Dieselpreise sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 30 Prozent gestiegen. Im Bio-Handel wird in puncto Transport oft auf regionale Strukturen gesetzt: Beispielsweise erntet die Kelterei Voelkel Möhren und Rhabarber in der unmittelbaren Nachbarschaft und die Firma Zwergenwiese aus Schleswig-Holstein baut zahlreiche Zutaten für ihre Bio-Aufstriche in Norddeutschland an. Insgesamt 60 Prozent der deutschen Bio-Firmen beziehen ihre Rohwaren aus einem Umkreis von durchschnittlich 228 Kilometern. Das spart Fahrtkosten und schont die Umwelt.

Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft

Faktoren wie Transport und Düngemittel sorgen also in der aktuellen Krise dafür, dass die Preislücke zwischen Bio- und konventionellen Lebensmitteln kleiner wird. Trotzdem ist sie immer noch verzerrt, denn eigentlich müssten die Preise im konventionellen Lebensmittelhandel noch höher sein. Warum? Weil sie durch ihre Produktion deutlich höhere Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft verursachen. „Das ist zwar unbequem, aber die Realität“, bringt es Prof. Tobias Gaugler von der Technischen Hochschule Nürnberg im Gespräch mit Schrot&Korn auf den Punkt.

Gaugler arbeitet seit Jahren im Forschungsbereich „True Cost Accounting“, also der Forschung zu „wahren Preisen“. Er hat eine Methode entwickelt, um Umweltschäden bei der Herstellung in die Kosten von Tomaten, Hackfleisch, Milch und Co. einzupreisen – beim konventionellen Anbau und beim ökologischen. Die vier größten Treiber sind laut Gaugler der CO2-Ausstoß, die Nitrat-Belastung im Grundwasser, der Energieverbrauch und die Landnutzungsänderung, also das Umwandeln der Natur in Ackerland.

Sollte konventionelles Fleisch dreimal teurer sein?

Wenn man diese Faktoren in Kosten umrechnet, müsste konventionelles Fleisch dreimal so teuer sein, bei konventioneller Milch läge der wahre Preis 30 Prozent höher. Diese Schäden werden in den Lebensmittelpreisen aktuell nicht abgebildet, sondern die Gesellschaft muss diese tragen. Zum Beispiel wenn in Folge des Klimawandels Flutkatastrophen ganze Dörfer wegspülen, wie im Ahrtal. Oder das Trinkwasser von Düngemittel- oder Pestizid-Rückständen gereinigt werden muss und die Wasserwerke deshalb die Preise erhöhen.

Auch Bio-Lebensmittel wären nach diesen Berechnungen teurer. Aber dank ihrer deutlich nachhaltigeren Erzeugung viel weniger stark als konventionelle. Bio-Milch zum Beispiel nur um zehn Prozent. Dadurch würden sich die Preise von Bio- und konventionellen Produkten angleichen, erklärt Gaugler und bekräftigt: „Die Preise würden sich noch mehr annähern, wenn weitere Faktoren wie das Tierwohl, Biodiversität, Pflanzenschutz oder eine faire Entlohnung für Bäuerinnen und Bauern mit in die Berechnungen einfließen würden.“ Gaugler schlägt deshalb eine gezielte Steuer-Entlastung von Bio-Lebensmitteln vor.

Die Mehrwertsteuer einfach erklärt

In Deutschland gelten aktuell zwei Mehrwertsteuersätze. Der normale Regelsatz (19 Prozent) und der ermäßigte Satz (7 Prozent). Grundsätzlich wird die Mehrwertsteuer auf alle Produkte und Dienstleistungen erhoben. Im Jahr 1968 wurde in Deutschland zum ersten Mal eine Mehrwertsteuer durch den Gesetzgeber festgelegt. Bis in die 90er-Jahre lag der Regelsatz bei maximal 14, bis 2007 bei 16 Prozent. Dann erfolgte die Erhöhung auf 19 Prozent.

Ermäßigter Satz

Der ermäßigte Satz greift vor allem bei Produkten des täglichen Bedarfs. Also bei Grundnahrungsmitteln wie Milch und Brot, aber auch Büchern, Zugtickets und seit 2020 auch bei Periodenartikeln.

Regelsatz

19 Prozent werden bei Dienstleistungen, Luxusartikeln, Getränken, Alkohol oder verarbeiteten Lebensmitteln fällig. Darunter fällt auch die Hafermilch (verarbeitet) oder die Süßkartoffel, die als Luxusgut bezeichnet wird.

Eine gezielte Steuer-Entlastung von Bio-Lebensmitteln fordert auch Johanna Kriegel vom Verein „True Cost Economy“, der sich dafür einsetzt, dass Verkaufspreise die wahren Gesamtkosten widerspiegeln: „Bio-zertifizierte Produkte, die weniger Kosten in ihrer Herstellung für Mensch, Umwelt und Tier verursachen, sollten geringer besteuert werden.“ Kriegel sammelte mit ihrem Team zuletzt fast 25.000 Unterschriften für eine Streichung der Mehrwertsteuer auf alle Bio-Produkte: „Einen Null-Prozent-Mehrwertsteuersatz für langfristig günstigere Produkte einzuführen ist gerade jetzt die richtige Maßnahme, um den nachhaltigen Konsum auch in der Krisenzeit aufrechtzuerhalten.“

Aus der Politik kommen, zumindest was die Besteuerung von Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte angeht, positive Signale. Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem Özdemir (Grüne), fordert die Mehrwertsteuer für diese Produkte auf Null zu setzen.

Keine Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse

Als Vorbild fungiert Spanien, wo Grundnahrungsmittel seit dem Jahreswechsel komplett von der Mehrwertsteuer befreit sind, um die Bevölkerung zu entlasten. Renommierte Forschungsinstitute wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzen die Ausfälle für die Staatskasse als verkraftbar ein. Allerdings würde ein solcher Schritt nicht nur Bio-, sondern auch konventionelle Lebensmittel einschließen.

Trotzdem bewegt sich zugunsten von Bio-Lebensmitteln einiges in eine positive Richtung, denn die Aussagen von Gaugler und seinem Team machen Mut: Mit sieben Millionen Euro fördert die Europäische Union ein neues Projekt, mit dem sich die wahren Kosten von Lebensmitteln künftig noch besser berechnen lassen. Gaugler blickt jedenfalls positiv nach vorne: „Damit werden wir die Zukunft der nachhaltigen Ernährung entscheidend mitgestalten.“ Und in der aktuellen Situation lohnt sich Bio gleich doppelt: in Sachen Umweltschutz und beim Preis.

Studie: Öko-Landbau spart Milliarden an Umweltkosten

Eine im Januar veröffentlichte Studie der TU München zu Umwelt- und Klimawirkungen des ökologischen Landbaus zeigt: Mehr Bio-Fläche könnte bis zu vier Milliarden Euro jährlich an Umweltkosten sparen.

Schon jetzt spart unsere Gesellschaft mit Öko-Landbau jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro, berechneten die Wissenschaftler um Studienleiter Kurt-Jürgen Hülsbergen. Die Kosteneinsparungen kommen aufgrund geringerer Stickstoff- und Treibhausgasemissionen im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft zustande.

Fazit der Studie: „Je schneller die Umstellung auf ökologischen Landbau erfolgt und je größer die Öko-Anbaufläche ist, desto größer ist die Umweltentlastung und Einsparung von Umweltkosten für die Gesellschaft.“

Von der Bundesregierung wird ein Flächenanteil des ökologischen Landbaus von 30 Prozent bis zum Jahr 2030 angestrebt. Damit stiege die Ersparnis auf vier Milliarden – jedes Jahr. In der Studie heißt es aber auch, das Ziel von 30 Prozent Öko-Fläche sei nur erreichbar, wenn die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln kräftig steige.

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