Der Deutsche Tierschutzbund will das Schicksal der Millionen Masthühner und Schweine in der konventionellen Tierhaltung verbessern. Anfang 2013 kamen die ersten Produkte des zweistufigen Labels in den Handel. Es umfasst neben Schweinen und Masthühnern auch Legehennen, Milchkühe und Mastrinder.
Anhand von Sternen können Verbraucher:innen ablesen, wie ernst es ein Fleischunternehmen mit dem Tierwohl meint. Ein Stern bedeutet Eingangsstufe – das sind die meisten Produkte und bietet Tierschutz light. Zwei Sterne stehen für Premium, was in etwa dem Bio-Standard entspricht.
„Um Verbesserungen zu erreichen, müssen Landwirte – wie auch Verbraucher und Handel – Schritt für Schritt auf dem langen Weg in Richtung Tierschutz begleitet werden“, begründet der Tierschutzbund die Einstiegsstufe. Dabei versuchen die Tierschützer einen schwierigen Spagat: Die Standards sollen deutlich über den gesetzlichen Mindestanforderungen liegen und zu klaren Verbesserungen für die Tiere führen. Gleichzeitig soll eine größere Anzahl von Erzeugern sie erfüllen können. Nicht zuletzt müssten die Produkte für die Verbraucher attraktiv bleiben, also nicht viel mehr kosten.
Deutsche Fleischeslust
Mit diesem Spagat reagierte der Tierschutzbund auf ein Dilemma: In Umfragen sind die Deutschen sehr tierlieb und verabscheuen die Massentierhaltung. Eingekauft wird dennoch so billig wie möglich und in Massen: 60 Kilogramm Fleisch pro Einwohner und Jahr. Und das trotz des Veggie-Booms.
Bereits vor 25 Jahren startete der Tierschutzbund zusammen mit anderen Organisationen und einigen Bauern das Neuland-Programm für eine besonders artgerechte Tierhaltung.
Kaum Bio-Fleisch
Was die artgerechte Tierhaltung angeht, liegen die Bio-Standards nur knapp hinter denen von Neuland. Es ist erfreulich, dass der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln seit Jahren wächst. Doch beträgt der Bio-Anteil laut Statista beim Schweinefleisch nur 0,8 Prozent, bei 1,6 Prozent bei Geflügel und beim Rindfleisch immerhin 6,9 Prozent. Der Rest stammt aus konventioneller Tierhaltung – und kostet in Supermärkten oft nur ein Drittel dessen, was die Kunden für Bio-Fleisch bezahlen.
Die Einstiegsstufe beim Tierschutzlabel soll diese Lücke füllen: etwas mehr Tierwohl zu bezahlbaren Preisen, garantiert durch ein Verbandslogo. Das Vorbild dazu kommt aus den Niederlanden, wo die Tierschutzorganisation Dierenbescherming zusammen mit der Fleischindustrie bereits vor Jahren das Siegel Beter Leven etabliert hat. Eckehard Niemann koordiniert das Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken.
Er sieht in den Einstiegskriterien bei Masthühnern einen akzeptablen Zwischenschritt. „Bei Schweinen sind sie dagegen unzureichend. Probleme wie Klauenschäden, Schwänze beißen und Antibiotikaeinsatz löst man damit nicht.“ Außerdem fehle ihm eine Regelung für faire Erzeugerpreise der Bauern. Insgesamt setzt Niemann auf bessere gesetzliche Vorschriften, weil sie nicht nur einige, sondern alle Betriebe zu mehr Tierschutz verpflichten würden.
Label, aber nichts dahinter?
Bedenken, ob das Tierschutz-Label notwendig sei, kommen auch vom Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft. „Es ist Aufgabe des Staates, eine tiergerechte Haltung für alle Tiere vorzuschreiben und durchzusetzen“, sagt Landwirtschaftsreferent Peter Röhrig. Zudem habe der Öko-Landbau bereits einen sehr hohen Tierschutzstandard. Röhrig befürchte, dass einzelne Aspekte wie Klimaverträglichkeit oder Tierschutz herausfiletiert und isoliert in Konkurrenz zu „Bio“ vermarktet werden. „Nur der Öko-Landbau bietet das ganze Paket an positiven Auswirkungen.“
Die agrarindustrielle Fleischerzeugung gerät wegen der offensichtlichen Missstände immer mehr unter Druck. Da bietet ein Tierschutz-Label auch die Möglichkeit, Problembewusstsein zu dokumentieren – allerdings ohne in der Praxis allzu viel ändern zu müssen. So hat auch der zweitgrößte deutsche Schweineschlachter, Vion, seine Produkte mit dem neuen Logo versehen, zertifizierte aber nur einzelne Betriebe.
Auch beim Konkurrenten Plukon, Europas größtem Hähnchenproduzent, nutzt man das gute Image des Tierschutzes. Hier ist es die Organisation Vier Pfoten, die das sogenannte FairMast-Programm des Fleischunternehmens zertifiziert. Die hehren Ziele hindern Plukon aber nicht daran, im Osten Deutschlands weiterhin herkömmliche Ställe für Hunderttausende Masthähnchen zu planen.
Lasche Gesetze
Einen anderen Weg, um das Wohl der Tiere in konventionellen Ställen zu verbessern, hat die Tierschutzorganisation ProVieh eingeschlagen. Sie hat mit Marktbeteiligten, darunter dem größten deutschen Schweineschlachter Tönnies und dem Handelskonzern Rewe, ein Anreiz- und Bonitierungssystem ausgearbeitet. Dabei sollen tierhaltende Betriebe für jede Maßnahme über den gesetzlichen Standard hinaus Punkte erhalten, die sich in Bonuszahlungen unabhängig vom Vermarktungspreis niederschlagen.
Eigens mit einem Label ausgelobt wird das Fleisch nicht, da keine einheitlichen Standards gelten. Aus diesem Vorstoß hat sich ein branchenweites Modell entwickelt. Die großen Erzeugerverbände, Schlachtbetriebe und Handelskonzerne haben erklärt, ein solches Konzept für Schweine- und Geflügelfleisch umzusetzen. 100 Millionen Euro will der Handel für die Tierschutzleistungen jährlich bereitstellen. Im Frühjahr 2014 soll die Initiative starten. Im Detail sind die Kriterien noch nicht bekannt.
ProVieh kämpft derweil darum, bis zum Start der Initiative nicht an den Rand gedrängt zu werden. Die Organisation will insbesondere am Kontrollsystem und bei der Schulung der Kontrolleure beteiligt sein. „Die Einbindung in das Auditsystem ist unerlässlich, um zu verhindern, dass die bisherige Erfolgsgeschichte in einer Alibiveranstaltung endet“, sagt die ProVieh-Referentin Sabine Ohm. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) kritisiert, dass die Basisstandards kaum mehr verlangen als die laschen Gesetze. „Wenn völlig unzureichende Tierschutzstandards als eine breit angelegte Tierwohl-Initiative verkauft werden sollen, wird das nichts anderes als Verbrauchertäuschung“, sagt der AbL-Vorsitzende Bernd Voß.
Cents für Tierwohl
Ob das neue Tierschutz-Label oder die geplante Tierwohl-Initiative – der Endverbraucher wird wohl kaum etwas von den Maßnahmen spüren. Denn die beteiligten Erzeuger bekommen nur einige Cent mehr fürs Kilogramm Fleisch. Doch eine artgerechte Haltung kostet Geld, für größere Ställe zum Beispiel, eine intensivere Betreuung und bei Bio zusätzlich noch für spezielles Futter. Bei dem harten Preiskampf im Handel lassen sich die Erlöse, die für solch eine Umstellung notwendig sind, aber kaum durchsetzen. Der Preisdruck geht auf Kosten der Tiere – auch im Bio-Bereich.
Bio-Fleisch NRW
Hubertus Hartmann ist Bio-Bauer und Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Bio-Fleisch NRW. Das Besondere daran: „Hier haben wir Bauern nicht nur eine abliefernde Funktion.“
Chiemgauer Naturfleisch
„Die Herkunft des Fleisches spielt wieder eine größere Rolle“, sagt Tom Reiter, Geschäftsführer von Chiemgauer Naturfleisch. Er setzt Qualität gegen die Kampfpreise industrieller Bio-Fleisch-Anbieter.
Tierschutz steht auf grün
Vier Öko-Verbände in Nordrhein-Westfalen machen es vor: Gemeinsam haben Bioland, Naturland, Demeter und Biokreis den Leitfaden Tierwohl herausgebracht. Dieser soll Landwirten, Beratern und Kontrolleuren helfen, das Tierwohl stärker in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu rücken.
Dabei geht es um mehr als ausreichend Platz oder artgerechtes Futter. Denn bessere Haltungsbedingungen führen nicht automatisch zu gesünderen Tieren. Wie in konventionellen Ställen auch ist beispielsweise Bio-Geflügel oft einseitig gezüchtet und deshalb anfällig für Krankheiten. Das Tierwohl hängt außerdem von der Arbeitsweise der Betriebe ab. So gibt es eine große Spanne zwischen vorbildlichen Bio-Betrieben und Erzeugern mit Verbesserungspotenzial. Deshalb arbeiten die Verbände seit Jahren daran, etwa mit Tiergesundheitsplänen den Alltag in den Betrieben zu optimieren.
Der neue Leitfaden enthält für jede Tierart rund 50 bebilderte Indikatoren. Mithilfe eines Ampelsystems können der Gesundheitszustand der Tiere, der Zustand von Stall und Auslauf und das Haltungsmanagement bewertet werden:
- Grün ist „optimal“
- Gelb steht für „Akzeptabel, Optimierung erwünscht“
- Rot bedeutet „Inakzeptabel, Dringender Handlungsbedarf“
Als nächstes wollen sich die Verbände auf ein einheitliches Vorgehen aller Kontrollstellen bei ihren Mitgliedsbetrieben einigen. Bisher fehlten in der EU-Öko-Verordnung und den Verbandsrichtlinien Tierwohl-bezogene Indikatoren. So war es möglich, dass Betriebe bio-zertifiziert wurden, auch wenn es den Tieren dort sichtlich schlecht ging. Zukünftig soll das für Verbandsbetriebe ausgeschlossen sein. Wer „rot“ bekommt und die Ursache dafür nicht umgehend abstellt, fliegt raus.
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