Umwelt

Von glücklichen Kühen?

666 Millionen Liter Bio-Milch lieferten Deutschlands 140 000 Bio-Kühe im vergangenen Jahr. Geht es den Tieren dabei gut? Schrot&Korn hat nachgefragt.

"Muuuh!“ antwortet die Kuh auf die Frage, ob sie glücklich ist. Hilfreicher sind da die Aussagen der Ethologen, also der Wissenschaftler, die sich mit artgerechter Tierhaltung befassen. Sie gehen davon aus, dass ein Tier um so zufriedener ist, je besser es sein arteigenes Verhalten ausleben kann. Bio-Bauern versuchen, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Das funktioniert nur mit Einschränkungen. Denn von Natur aus geben Kühe nicht den Menschen Milch, sondern ihren Kälbern – und sie würden natürlicherweise weit weniger produzieren, als der Mensch ihnen abverlangt. Bei Kühen ist es wie bei uns Menschen: Die Milch fließt nur, wenn ein Junges da ist, das auch gesäugt werden muss.

Ohne Kalb keine Milch

Mit 21 Monaten wird die geschlechtsreife Kuh das erste Mal besamt und bringt nach neun Monaten ein Kalb zur Welt. In den Wochen nach dem Kalben ist der Milchfluss der Tiere am größten. Danach geht er langsam zurück. Deshalb werden die Tiere erneut gedeckt, sobald sie wieder fruchtbar sind. Etwa acht Wochen vor der Geburt des nächsten Kalbes nimmt der Bauer die Kuh aus der Produktion. Artgerecht wäre es, wenn das Kalb bei der Mutter bleiben könnte und von dieser gesäugt würde. Im Alltag der Milchproduktion lässt sich das nicht umsetzen. Auch der Bio-Bauer trennt spätestens nach einigen Tagen Mutterkuh und Kalb. Allerdings darf er das Kalb nicht – wie es konventionell erlaubt ist – mit billigen Milchaustauschern füttern. Es bekommt drei Monate lang Kuhmilch. Die muss jedoch nicht von der Mutter stammen.

Kälber wollen sich bewegen, spielen und soziale Kontakte knüpfen. Deshalb müssen sie in Gruppen gehalten werden. Einzelboxen, die Ansteckungen unter den Kälbern vermeiden sollen, sind jedoch in der ersten Lebenswoche zulässig. Konventionell ist Gruppenhaltung erst nach acht Wochen vorgeschrieben.

Aus den weiblichen Kälbern wählt der Bauer die künftigen Milchkühe aus. Die männlichen Kälber werden gemästet und spätestens nach anderthalb Jahren geschlachtet. Veganer weisen zu Recht darauf hin, dass der Konsum von Milch, Butter und Käse zwangsläufig Kalbsschnitzel und Rinderbraten produziert.

Zucht auf Höchstleistung

Ein Kalb trinkt am Tag sechs bis acht Liter Milch, maximal zehn Monate lang. Das ergibt etwa 2000 Liter Milch. Heute liefert eine deutsche Milchkuh über 8200 Liter im Jahr. 1990 waren es nur 4700 Liter. Anders gesagt: Milchkühe erbringen Tag für Tag körperliche Höchstleistungen. Dazu brauchen sie sehr eiweiß- und energiereiches Futter. Doch das ist wenig artgerecht. Kühe fressen von Natur aus Gras, keine Getreidekörner oder Sojabohnen. Für Bio-Kühe ist deshalb vorgeschrieben, dass sie zu 60 Prozent strukturreiches Raufutter bekommen. Dazu zählen Grünfutter, Heu und Silage, also milchsauer vergorene Pflanzen. Außerdem muss ihr gesamtes Futter aus dem Öko-Landbau stammen. Bio-Milch enthält deshalb mehr gesundheitsfördernde Omega-Fettsäuren als konventionelle Milch.

Obwohl Bio-Kühe weniger Kraftfutter erhalten als konventionell gehaltene Milchkühe, produzieren sie mit rund 7000 Litern im Jahr ebenfalls enorme Mengen Milch. Die Bio-Branche diskutiert darüber, den Kraftfuttereinsatz weiter zurückzufahren, denn er widerspricht der artgerechten Tierfütterung. Außerdem liegt der ökologische Wert der Wiederkäuer ja gerade darin, dass sie für den Menschen ansonsten nutzloses Gras verwerten. In seinem Projekt „Feed no Food“ zeigte das Forschungsinstitut für Biologischen Landbau, dass beim Verzicht auf Kraftfutter die Milchleistung zwar leicht sinkt, sich dafür aber Kondition und Eutergesundheit verbessern. – Das ist ein wichtiger Punkt. Denn die ständige Höchstleistung macht die Tiere anfällig für Krankheiten.

Tiergesundheit verbessern

Eine Studie der Universität Göttingen mit über 100 Bio-Betrieben ergab, dass ein Sechstel der Kühe an Euterentzündung litt. Ein weiteres Sechstel lahmte und jedes zehnte Tier wies Stoffwechselstörungen auf, weil das Futter nicht leistungsgerecht war. Die Studie zeigte eine große Bandbreite zwischen den Betrieben. Mit gezielter Beratung gelang es, den Gesundheitszustand der Tiere zu verbessern. Der Anbauverband Bioland startete 2006 mit der Molkerei Söbbeke ein Managementsystem namens KUH-M, um Milchqualität und Tiergesundheit zu optimieren (siehe Kasten oben).

Euterentzündungen behandeln auch Bio-Bauern fast immer mit Antibiotika – weil sich die Entzündung allein mit homöopathischen Globuli kaum in den Griff bekommen lässt. Die Milch bleibt danach doppelt so lange gesperrt wie in konventionellen Betrieben. Der Zeitraum hängt vom jeweiligen Medikament ab.

Milchkühe werden heute selten alt. Nach drei bis vier Jahren Milchlieferung sind die Tiere meist ausgelaugt und werden geschlachtet. Viele Bio-Bauern achten daher bei der Zucht auf die Lebens-leistung der Tiere, dass sie möglichst lange gesund bleiben und gleichmäßig Milch geben. Das Herdenalter in Bio-Ställen ist deshalb im Schnitt etwas höher als in konventionellen Betrieben.

Stallgröße, Weidegang und Anbindehaltung

Rinder leben in Herden mit einer klaren Rangordnung. Rangniedrigere Tiere weichen den ranghöheren aus. Dafür brauchen sie Platz. Sonst gibt es Stress. Rinder verbringen einen Großteil ihrer Zeit mit Liegen und Wiederkäuen. Deshalb schreiben die Öko-Richtlinien im Stall mindestens sechs Quadratmeter Platz für jede Milchkuh vor. Der Ruhebereich muss eingestreut sein, damit die Tiere bequem und sauber liegen können. Der Standard sind – konventionell und bio – Laufställe, bei denen Liegeplätze und Fressplätze getrennt sind und die Tiere sich im Stall frei bewegen können.

Viele dieser Ställe haben auch einen befestigten Auslauf. Weil die Öko-Regelungen „Auslauf und/oder Weide“ vorschreiben, muss sich so manche Bio-Kuh mit einem Auslauf begnügen. Denn arbeitstechnisch ist es für den Bauern einfacher, wenn er das frische Grün mäht und es den Tieren serviert, anstatt sie auf die Weide zu treiben und zum Melken wieder zurück in den Stall.

In der EU-Öko-Verordnung stand schon vor zwölf Jahren: „Es ist untersagt, Tiere in Anbindung zu halten.“ Doch immer noch gibt es Umstellungsfristen, denn im Alpenraum sind Anbindeställe weit verbreitet. Bis Ende 2013 dürfen Bio-Bauern ihre Kühe noch anbinden, wenn die Tiere regelmäßig Auslauf haben. Allein in Bayern haben rund 800 Betriebe eine solche Ausnahmegenehmigung. Höfe mit weniger als 35 Kühen dürfen diese auch über 2013 hinaus anbinden. Die Tiere müssen dann allerdings den gesamten Sommer Weidegang erhalten und im Winter mindestens zweimal in der Woche Auslauf haben – in einem befestigten Laufhof oder auf einer Winterweide am Hof. In Bayern haben 380 Betriebe eine solche Genehmigung beantragt. Naturland-Berater Peter Manusch nennt das „Weidehaltung mit begrenzter Anbindung“. Er ist überzeugt: „Vom Tierwohl her kann diese neue Haltungsform, wenn sie gut gemacht wird, mit einem mittelprächtigen Laufstall mithalten.“ Der Mensch-Tier-Kontakt sei intensiver als im Laufstall. Krankheiten und Auffälligkeiten würden schneller entdeckt.

Vorbild hierfür ist das RAUS-Programm in der Schweiz. Sie bezuschusst diese Haltungsform, um das Tierwohl zu fördern und die kleinen Betriebe im Bergland in der Produktion zu halten. „In der Schweiz wird dieser Kompromiss auch von den Tierschützern respektiert“, sagt Manusch.

Für Bioland-Präsident Jan Plagge ist bei diesen Betrieben wichtig, dass es im Stall stimmt: „Licht, Luft und Liegeplätze müssen passen. Alte, dunkle, schlecht belüftete Ställe darf es da nicht geben.“

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