Mobilität

Verkehrswende: Mobil sein ohne Auto?

Um unsere Klimaziele zu erreichen, brauchen wir eine radikale Verkehrswende. Einige Städte und Gemeinden machen es bereits vor.

Gestern mit dem Bus zur Arbeit, heute mit dem Rad und morgen mit dem Carsharing-Fahrzeug, weil der Wocheneinkauf ansteht. Tschüss Routine, hallo Welt der mobilen Möglichkeiten. In Karlsruhe, eine der fahrradfreundlichsten Städte Deutschlands, kann man mit der Mobilitäts-App regiomove Busse und Bahnen, Leihräder und -autos suchen, finden, reservieren und bezahlen. Eine Live-Karte zeigt alle Haltestellen mit den dort verfügbaren Verkehrsmitteln. In den Einstellungen kann man hinterlegen, wie weit man maximal zu Fuß gehen möchte, wie die Alternativroute mit dem eigenen Auto aussähe und wieviel Kohlendioxid dabei ausgestoßen würde. Eine praktische App, die dabei helfen kann, die individuelle Mobilität klimafreundlich maßzuschneidern – je nach Lust, Laune, Zeit und Wetter.

Die perfekte Stadt der Zukunft: Wie leben wir hier?

Modelle für die perfekte Stadt von morgen gibt es viele. Bunte Grafiken zeichnen idyllische Bilder einer Zukunft, in der alle Ziele ohne Auto gut erreichbar sind. Städte, in denen es überall blüht und grünt, und in denen mehr Menschen spazieren und Rad fahren. Lebensräume statt Parkplätze heißt hier das Motto, weshalb praktischerweise auch kaum jemand noch zur Erholung aufs Land fahren muss. Vorfahrt für Radfahrer, mehr Fahrradstellplätze und sichere, gut vernetzte Radwege führen auf kürzestem Weg direkt zum Ziel. Autos, Roller und Motorräder fahren nicht schneller als 30 Stundenkilometer und werden elektrisch betrieben, der Strom hierfür stammt aus erneuerbaren Energien. Flächendeckendes Carsharing, Fahrradverleihsysteme, Mitfahrdienste, Busse und Bahnen ergänzen einander wie in einer einstudierten Choreografie und sind für jeden bezahlbar. Willkommen in Utopia?

Warum wir Diesel und Benziner verbieten sollten

Obwohl im Coronajahr 2020 insgesamt weniger Autos und LKWs auf unseren Straßen unterwegs waren, verursachten sie immer noch 20 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland. Das neue Klimaschutzgesetz sieht vor, dass wir bis 2045 klimaneutral werden sollen. Verkehrsemissionen sollen in einem ersten Schritt bis 2030 im Vergleich zu 1990 halbiert werden. Das reicht nicht, findet etwa Greenpeace und fordert, den Verkauf neuer Diesel- und Benzinfahrzeuge bis spätestens 2028 komplett zu verbieten und den Gesamtbestand an PKWs bis 2040 zu halbieren. Besonders in Städten müsse das Auto zur Ausnahme werden.

Angesichts dieser Forderungen ist lautstarkes Wehklagen der Autoindustrie vorprogrammiert – schließlich beschäftigt diese allein in Deutschland mehr als 800.000 Menschen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts Karlsruhe ergab jedoch, dass die Verluste hier deutlich geringer ausfallen würden als bisher befürchtet, wenn wir es richtig anstellen und eine echte Transformation zu nachhaltigeren Antriebstechniken gelingt.

Tschüss Auto: So lohnt sich der Umstieg doppelt

  • In Hamburg haben 2019 im Rahmen des Projekts „Move it“ sieben Haushalte für drei Monate auf Probe ihre Autoschlüssel abgegeben. Im Gegenzug erhielten sie 400 Euro pro Monat – die durchschnittlichen Kosten für einen Mittelklassewagen. Nach Projektende entschlossen sich fünf Haushalte dazu, ihren PKW abzuschaffen.
  • Im badischen Städtchen Denzlingen gibt es für alle, die ihren PKW abmelden und auf eine Neuanschaffung verzichten, 500 Euro Zuschuss für den Kauf eines E-Bikes oder eines Jahrestickets für öffentliche Verkehrsmittel.
  • Eine Berliner Initiative fordert eine Freie-Straßen-Prämie, bei der Menschen, die auf ein Auto verzichten, mit 1100 Euro pro Jahr belohnt werden. Finanziert werden soll die Prämie über eine Anhebung des CO²-Preises.

Wie der Freiburger Stadtteil Vauban Verkehrswende lebt

Der Freiburger Stadtteil Vauban ist derweil auf einem guten Weg, autofrei zu werden. Eine gut ausgebaute Infrastruktur aus Geschäften, Ärzten und Schulen sorgt hier bereits für kurze Wege, die auf den zahlreichen Fuß- und Radwegen schnell und sicher zurückgelegt werden können. In 13 Minuten ist man mit der Straßenbahn in der Freiburger Innenstadt, für Einkäufe oder Strecken ins Umland stehen 35 Carsharing-Fahrzeuge bereit. In vielen Wohnstraßen gibt es keinerlei Parkplätze, dafür weniger Verkehrslärm und mehr Platz für Begegnung und spielende Kinder.

So punkten städtische Lastenräder und Pop-up-Radwege

Wer das Auto gerne für Einkäufe nutzt, könnte probieren, aufs Lastenfahrrad umzusteigen. Darmstadt etwa stellt seinen Bürgern acht ‚Heinerbikes‘ zur Verfügung. Diese kann man sich für bis zu drei Tage kostenfrei ausleihen. Die „Eberschlepper“, „Einkaufs-Esel“ und „KrempelKarren“ genannten Lastenräder stehen für Verkehrsberuhigung, Ressourcenschonung und eine gemeinsame Nutzung statt individuellem Konsum. Heinerbike ist Teil des Forum Freie Lastenräder, einem Zusammenschluss von 136 Initiativen, die bis heute 451 Lastenräder auf die Straßen gebracht haben. Fahrräder haben vor allem in Städten enormes umweltfreundliches Mobilitätspotenzial – doch das darf nicht mit steigenden Unfallzahlen einhergehen. Für mehr Sicherheit auf zwei Rädern reicht allerdings eine Helmpflicht nicht aus. Stattdessen braucht es vielerorts deutlich mehr sichere, ausreichend breite, gut sichtbare und idealerweise vom Rest des Verkehrs getrennte Radwege. Zu Pandemiezeiten wurden in einigen Städten Pop-Up-Radwege getestet – für manche ein Vorgeschmack auf die Verkehrswende, bei der der zur Verfügung stehende Raum neu verteilt wird. In Hamburg, Darmstadt und Berlin durften die Radwege bleiben, andernorts haben sie heftige Gegenreaktionen ausgelöst und wurden wieder abgebaut – fürs erste.

Citymapper-App

Durch die Stadt mit Bus, Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Rad, Taxi oder Carsharing? Die App Citymapper bringt Nutzer mit dem besten Mix ans Ziel. In Deutschland gibt es sie bislang nur für größere Städte, darunter Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Köln, Nürnberg und Stuttgart.

Wie Rufbusse mobil machen

Auf dem Land gestaltet sich die Verkehrswende deutlich schwieriger als in den Städten. Busse und Bahnen fahren selten, und werden daher nur wenig genutzt – ein Teufelskreis, der die Kommunen viel Geld kostet und den Bürgern wenig bringt. Deshalb empfehlen Verkehrsexperten, Linienbusse in höherer Taktung nur noch auf Strecken mit vielen Fahrgästen einzusetzen, während andernorts Rufbusse nur dann fahren sollten, wenn Bedarf ist. Solche Busse gibt es zum Beispiel im Kreis Offenbach. Hopper heißen die Großraum-Vans, die täglich von 5:30 bis 1:30 Uhr in Seligenstadt, Hainburg, Mainhausen und Klein-Auheim unterwegs sind und per App oder telefonisch gebucht werden können. Flexibel und bedarfsgerecht werden hier die Fahrtwünsche der Kunden gebündelt. Alle 250 Meter gibt es eine Haltestelle, die jedoch nur dann angefahren wird, wenn jemand ein- oder aussteigen möchte. Die Kosten sind dabei in jedem Fall günstiger als ein Taxi: Kinder fahren ab einem Euro, Erwachsene ab 1,60 € mit. Doch zugegeben: So richtig auf dem Land sind wir dort, wo die Hopper fahren, noch nicht. Denn hier leben immerhin 45.000 Menschen. In der bayerischen Gemeinde Freyung sind derweil für nur 7000 Menschen die „Freyfahrt“-Rufbusse unterwegs. Doch hier hapert es noch mit der Wirtschaftlichkeit: Jeden Monat macht Freyfahrt ca. 600 Euro Verlust, obwohl das Projekt vom Bundesland Bayern gefördert wird.

Wie Menschen besser unterwegs sind

Das größte Potenzial für mehr Mobilität auf dem Land schlummert in gemeinschaftlichem, verbindlichem Engagement. In Bayern gibt es zum Beispiel in Donau-Ries einen Bürgerbus und in Oberreichenbach ein Elektro-Bürgerauto. Beide werden von den Einwohnern und Kommunen organisiert, die Fahrer sind ehrenamtlich tätig. Auch Carsharing-Dienste können außerhalb der Metropolen funktionieren, wie das MobiLL am Ammersee zeigt: Über 50 Menschen aus vier Gemeinden teilen sich hier eine Handvoll Autos. Die Kosten orientieren sich an der Nutzungsdauer und an der zurückgelegten Distanz, außerdem muss jeder Fahrer eine Kaution hinterlegen.

Und schließlich bleiben noch die Mitfahrgelegenheiten, etwa BlaBlaCar, Twogo oder das Pendlerportal, über die sich Menschen für spontane oder regelmäßige Fahrten zusammenschließen können. Wer die nötige Geduld und Aufgeschlossenheit mitbringt, kann in manchen Gemeinden auf einer extra ausgewiesenen Mitfahrerbank Platz nehmen und darauf warten, von einem vorbeifahrenden Autofahrer ans gewünschte Ziel mitgenommen zu werden. Im Raum Flensburg etwa stehen über 50 solcher Bänke. Deutschlandweit kommen immer mehr dazu. Das mag nicht ganz so hipp und selbstverständlich erscheinen, wie der bunte Verkehrsmix der Zukunft in den Städten, ist aber in jedem Fall
persönlicher – und umso effektiver, je mehr Menschen mitmachen.

Öffentlicher Nahverkehr: Da geht noch was!

In der Corona-Pandemie hat einer Umfrage der Deutschen Energie-Agentur zufolge jeder Dritte sein Mobilitätsverhalten geändert. Vor allem die kurzen Wege werden häufiger mit dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt. 32 Prozent der Befragten nutzen ihren PKW seit Pandemiebeginn seltener, nur 16 Prozent steigen öfter ins eigene Auto. Mitfahrgelegenheiten werden deutlich weniger genutzt. Der mit Abstand größte Verlierer ist jedoch der öffentliche Nahverkehr: Er verlor 2020 ganze 66 Prozent seiner sonst regelmäßig Bus und Bahn fahrenden Kunden. Das muss sich dringend wieder ändern, denn ohne „Öffis“ ist eine nachhaltige Verkehrswende nicht zu schaffen – weder in der Stadt noch auf dem Land. Die gute Nachricht: Da geht zum Glück noch was!

Mehr über nachhaltige Mobilität

  • umweltbundesamt.de Viele nützliche Hintergrundinformationen, Zahlen, Daten und Fakten rund um Verkehr und Mobilität
  • ecopassenger.de Der Klimarechner für Reisen. Start, Ziel und Reisezeitraum eingeben, dann rechnet das Programm, welche Verkehrsmittel – Flugzeug, Auto oder Bahn – wieviel Energie verbrauchen, wie viele Emissionen dabei entstehen und wie lange die Reise etwa dauern wird

Interview: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“

Jan Werner engagiert sich als Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Verkehrsclubs Deutschland für eine umweltgerechte Verkehrspolitik. Er selbst ist zu Fuß, per Rad, mit Bus oder Bahn unterwegs.

Herr Dr. Werner, ist eine klimafreundliche Verkehrswende bis Mitte des Jahrhunderts zu schaffen?
Unsere Klimaschutzziele sind, was den Verkehr betrifft, hoch ambitioniert. Mal eben mit dem Auto zum Einkaufen oder jeden Morgen zur Arbeit fahren – feste Gewohnheiten zu ändern, ist nicht einfach. Leichter fällt der Umstieg auf Elektromobilität: Irgendwann werden uns Diesel und Benziner so antiquiert vorkommen, wie heute Gaststätten, in denen man rauchen darf – sofern sich die Autoindustrie umstellt und eine flächendeckende Ladeinfrastruktur geschaffen wird. Optimistisch stimmt mich, dass der Radverkehr boomt, und in unserer Gesellschaft einen Status erreicht hat, der vor zehn Jahren undenkbar war. Niemand wird heute komisch angeschaut, wenn er mit dem Rad zu einem Geschäftstermin fährt. Das beweist, dass Wandel in Sachen Mobilität möglich ist.

Was muss der Staat tun, um die Verkehrswende voranzutreiben?
Der Staat muss Alternativen zum Auto schaffen. Wer nur Straßen sät, wird Verkehr ernten. Keiner wartet an einer Haltestelle, die nicht existiert, bis der Bus kommt. Der öffentliche Verkehr muss attraktiv, zeitsparend und bequem gestaltet werden und gegenüber dem Auto echte Vorteile bringen. Parkplätze in den Innenstädten müssten teuer und rar sein. Solche Maßnahmen müssten in bundesweite Verkehrsziele eingebettet werden, die es noch nicht gibt.

Brauchen wir ein Bundesmobilitätsgesetz?
Ohne gesamtstaatlich abgestimmte Ziele wird die Verkehrswende nicht gelingen. Wie diese Ziele konkret umgesetzt werden, darüber entscheiden weiterhin die Länder und Kommunen. Ein Bundesmobilitätsgesetz sollte allen Bürgern eine alltagstaugliche Mobilität garantieren – in der Stadt und auf dem Land.

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