Gut, die ersten Krokusse und Schneeglöckchen färbten schon Ende Februar die wintermüden Wiesen, aber das große Auftrumpfen der Natur beginnt dann doch eher im Laufe des Aprils. Alle Sinne scheinen zurückzukehren, die Welt wird bunter und frischer und auch der Morgenspaziergang fühlt sich leichter an. „Unbezahlbar, oder?“, rief mir vor Jahren mal eine Frau im Vorübergehen zu, die mit aufgerissener Winterjacke und hochrotem Kopf unter ihrer Wollmütze offenbar von der Wärme des Aprilmorgens überrascht worden war. Ja, unbezahlbar. Wir nehmen die Dienste der Natur gern wie selbstverständlich in Anspruch. Kostet ja nix. Schließlich ist sie immer für uns da, bedingungslos, ganz so wie Eltern für ihr neugeborenes Kind.
Die Natur schenkt uns die Luft zum Atmen, den Boden, auf dem wir gehen, das Licht, damit wir sehen, und vom Essen oder dem Meer will ich gar nicht erst anfangen. Was wir ihr antun, nimmt sie klaglos hin. Sie verschluckt unseren Müll, kämpft mit ihren Wäldern gegen die verdreckte Luft und lässt mit Regen und Sonne wachsen, was wir uns nehmen, als gehörte es uns.
Rund sechs Billionen Dollar – das sind 6000 Milliarden – öffentliche Gelder werden jährlich direkt in die Zerstörung der Welt investiert.
Es mag ein seltsamer Gedanke sein, ganz so als würde man von einem Neugeborenen erwarten, dass es seinen fürsorglichen Eltern Geld für deren Dienste zahlt, aber inzwischen fragt die Wissenschaft sehr ernsthaft danach, ob man die Arbeit, die die Natur einfach so für uns leistet, nicht doch irgendwie beziffern müsste. Vor ein paar Wochen erschien ein Report „zur Ökonomie der Biodiversität“, der genau dies versuchte. Im Auftrag der britischen Regierung warf Sir Partha Dasgupta von der Universität Cambridge die Rechenmaschinen an. Rund sechs Billionen Dollar – das sind 6000 Milliarden – öffentliche Gelder werden jährlich direkt in die Zerstörung der Welt investiert: In Subventionen für Öl und Kohle, für Massentierhaltung, Entwaldung, Flächenversiegelung, Bodenvergiftung und dergleichen. Gerade mal 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung entfallen auf Maßnahmen zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Man muss kein Mathematiker sein, um festzustellen, dass so eine Rechnung nicht lange aufgehen kann. Die Regenerationsfähigkeiten der Erde sind erschöpft. Dass die Natur im besten Sinne des Wortes „unbezahlbar“ ist, übersetzen unsere politischen und ökonomischen Spitzenkräfte offenbar noch immer mit „kostenlos“.
Man kann zu Recht hinterfragen, ob man auch die Natur einem Denken unterwerfen sollte, das nur ernst nimmt, was einen Preis trägt. Tatsächlich sind die wertvollsten Dinge unseres Lebens ja gerade die unbezahlbaren – die Liebe, das Lächeln, die Hingabe, das Glück. Aber anders als diese unerschöpflichen Freuden hat die Natur ihre Grenzen. Sie kann nicht mehr. Es wird höchste Zeit, eine Welt zu gestalten, in der sich auch die Ausbeutung des vermeintlich Unbezahlbaren nicht mehr lohnt.
Fred Grimm
Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.
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