Stephan Thomas klopft mit einem Hammer auf einen Ziegelstein. „Fünf Schläge, danach ist der Aufwand eigentlich zu groß“, sagt er und holt zum sechsten Mal aus. Auch das ist noch nicht genug. Thomas macht so lange weiter, bis er den Ziegel vollständig von altem Putz befreit hat. In den Bauschutt-Container werfen und neu kaufen wäre einfacher gewesen. Aber auch teurer. Außerdem: Das Haus, in das der 41-Jährige mit seiner Frau und den drei gemeinsamen Kindern einziehen will, soll nach ökologischen Kriterien saniert werden.
Sanieren fürs Klima
Die Bauwirtschaft ist alles andere als ökologisch. Weltweit gehört sie zu den größten Umweltsündern auf dem Planeten. Sie verschlingt natürliche Ressourcen, produziert massenhaft Müll und heizt die Klimakrise an. Das kann nicht so weitergehen, findet die Bundesregierung und will daher klimafreundliches Bauen mehr fördern. Die Gesetze, die sie deshalb auf den Weg bringt, gehen Umwelt- und Klimaaktivisten aber nicht weit genug. Sie fordern von Politik und Wirtschaft ein grundsätzliches Umdenken: Bauteile wiederverwenden statt entsorgen. Gebäude sanieren statt abreißen. Etagen aufstocken statt noch mehr Flächen versiegeln. Nachwachsende Rohstoffe statt Beton. Menschen wie Stephan Thomas vertreten keine große Industrie. Sie sind kleine Häuslebauer mit Idealen, aber auch begrenzten Möglichkeiten.
Umbau für bezahlbares Wohnen
Thomas, lockige Haare, runde Brille, Bio-Kistenabonnent, hat einen Bürojob an der Uni. In die Rolle des Bauherren wächst er gerade erst hinein. Es ist ein lauer Spätsommertag. Während die Nachbarschaft im Leipziger Stadtteil Gohlis die warmen Sonnenstrahlen genießt, schwitzt Thomas auf der Baustelle und versetzt eine Ziegelwand.
Das Besondere an dem Haus, das er für sich und seine Familie saniert: Es gehört ihm gar nicht. Eigentümerin ist die Stadt Leipzig. Sie hat Grundstück und Gebäude im Frühjahr 2022 angeboten, wollte sie allerdings nicht ganz aus der Hand geben. Verpachten statt verkaufen, lautet ihre neue Strategie bei der Vermarktung städtischer Immobilien. Die Nachfrage ist offenbar groß. „Als wir das Haus besichtigt haben, waren zehn Familien gleichzeitig da“, erzählt Thomas. Kleine Toiletten, niedrige Waschbecken – über Jahrzehnte hatte das begehrte Haus als Kindertagesstätte gedient. Ursprünglich war es ein Wohnhaus, bestehend aus zwei Hälften. Zusammen mit einem befreundeten Ehepaar, ebenfalls drei Kinder, hat sich Familie Thomas darauf beworben. Monate später, nach ein paar Verhandlungsrunden mit der Stadt, hatte sie den Pachtvertrag auf dem Tisch. Er gilt für die nächsten 99 Jahre.
Die langen Pachtverträge sollen Spekulanten einen Riegel vorschieben und bezahlbares Wohnen ermöglichen. „Am Ende entscheidet nicht das höchste Gebot, sondern das stärkste Konzept“, so das zuständige Amt zur Vergabe städtischer Immobilien. Neben sozialen Aspekten wie ehrenamtliches Engagement und Zahl der Kinder seien auch ökologische Gesichtspunkte ausschlaggebend. „Damit soll umweltbewusstes Bauen forciert werden.“ Um nachhaltigen und erschwinglichen Wohnraum zu schaffen, denken viele Städte deutschlandweit
über die Umnutzung von Bestandsgebäuden nach – unter anderem in Düsseldorf, Köln und Berlin.
Heizen, Dämmen, Sparen
Heizung: Das Gebäudeenergiegesetz führt zu einem hohen Investitionsbedarf in neue Heizungen. Die Bundesregierung hat ein Förderprogramm aufgelegt. Wer sofort loslegt, bekommt einen Bonus. Insgesamt können laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bis zu 70 Prozent der Kosten erstattet werden. Mehr Informationen unter www.energiewechsel.de
Energie: Die Kreditbank für Wiederaufbau vergibt Förderkredite für den Bau oder den Kauf von Häusern mit klima-freundlichen Energiesystemen. Auch für Sanierungen gibt es Geld. www.kfw.de
Dämmung: Wer sein Haus dämmen möchte und dafür noch finanzielle Unterstützung benötigt, kann sich an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle wenden. Die Behörde fördert einzelne Sanierungsmaßnahmen, darunter auch die Erneuerung technischer Anlagen. www.bafa.de
Umweltsünder Heizung
Mit das Erste, was Thomas gemacht hat: Er hat die alte Ölheizung entsorgt. Ursprünglich wurde das 1926 errichtete Haus mit Kohle beheizt, wie ein Schornstein noch bezeugt. Ihn wird bald das gleiche Schicksal ereilen. Für wohlige Temperaturen soll künftig eine Wärmepumpe sorgen. Ein Pluspunkt im Vergabeverfahren der Stadt Leipzig. Die wünschst sich für ihre verpachteten Gebäude Heizsysteme, die sich zu mindestens 65 Prozent aus Erneuerbaren Energien speisen.
Leipzig und Thomas sind damit dem viel diskutierten Gebäudeenergiegesetz, das der Bundestag erst im zurückliegenden September verabschiedet hat, ein gutes Stück voraus. Das novellierte Gesetz tritt mit Beginn des nächsten Jahres in Kraft. Neben der 65-Prozent-Vorgabe für Neubauten enthält es Ausnahmen und Übergangsfristen für bestehende Gebäude. So heizt rund die Hälfte aller Haushalte in Deutschland mit Gas. Das dürfen sie auch weiter – bis 2028. Erst danach müssen neue Heizungen mindestens zu 65 Prozent auf Biogas oder Wasserstoff umgestellt bzw. bis 2040 schrittweise auf mindestens 65 Prozent angehoben werden.
Mit den neuen gesetzlichen Vorgaben will die Bundesregierung den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase senken. Aktuell gehen fast ein Fünftel der gesamten deutschen Kohlendioxid-Emissionen aufs Heizen und den Verbrauch von warmem Leitungswasser zurück. Das Ziel der Regierung: eine klimaneutrale Bundesrepublik bis 2045.
Dämmung ist das A und O
Stephan Thomas hat erst mal sein künftiges Zuhause im Blick. Dafür verbringt er seinen Urlaub auf der Baustelle. Hammer, Schaufel und Spritzpistole sind, wann immer möglich, im Einsatz. Die Abenddämmerung setzt schon ein, als er noch Holzplatten an der Außenfassade befestigt. „Das wird die Dämmung“, erklärt er. Heute wird kein Haus mehr gebaut, ohne einen solchen Mantel, der es warm hält. Wer bei den Dämmmaterialien auf nachwachsende Rohstoffe setzt, hat wiederum bei der Stadt Leipzig gute Karten.
Thomas hat sich auch mit Alternativen beschäftigt wie Hanf oder Stroh, die schneller nachwachsen als ein Baum. Doch dann hätte er nach Innen dämmen müssen. „Das hätte bedeutet, dass wir Wohnfläche einbüßen“, so Thomas weiter. Wenn alles fertig ist, auch der kleine Dachboden in ein Kinderzimmer umgewandelt wurde, stehen der fünfköpfigen Familie insgesamt rund 120 Quadratmeter zur Verfügung. Das ist vergleichsweise wenig. Die durchschnittlich bewohnte Fläche in Deutschland liegt bei knapp 48 Quadratmetern – pro Person. Diese Zahl steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Offenbar wollen wir immer mehr Platz für uns allein. Das könnte neben ineffizienten Heizungen auch ein Grund sein, warum der Wohnungssektor ungebremst viel Energie verbraucht.
Energie bewahren
Die technisch vielversprechendste Lösung sind Häuser, die ihre Energie selbst erzeugen. So achtet die Stadt Leipzig bei der Vergabe ihrer Immobilien unter anderem darauf, ob interessierte Bauträger Solaranlagen installieren wollen. Auch Dachbegrünung spielt eine Rolle, am besten die Kombination aus beidem; Aspekte, die bei einer ökologischen Sanierung oft mitgedacht werden.
„Hier wird das nicht funktionieren“, sagt Thomas mit Blick auf sein Dach. Ein Walmdach, das sich auf allen vier Seiten neigt und durch Gauben und Fenster gegliedert ist. Es bietet nur wenig nutzbare Fläche. „Bei einem Neubau wäre das anders“, sagt Thomas. „Dann könnte man das Dach von vornherein so planen, dass man großflächig Photovoltaik aufbringen kann.“ Für einen Neubau hätte er sein Haus aber zunächst abreißen müssen. Das kam Thomas nie ernsthaft in den Sinn. „Aus Nachhaltigkeitsgründen“, wie er sagt. Das Haus befindet sich in einem Viertel, das die Stadt in seinem Erscheinungsbild erhalten und deshalb vor allzu großen baulichen Veränderungen bewahren will.
Abreißen und neu bauen: Das ist die Logik vieler Bauherren, wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) beklagt. „Jedes Jahr werden Tausende Gebäude abgerissen, ohne vorab die Auswirkungen auf das Klima zu prüfen“, kritisiert die Organisation. Deshalb fordert die DUH eine Genehmigungspflicht für Abrissarbeiten. Hintergrund ihrer Kritik: In den Gebäuden ist die Energie, die einst für die Herstellung von Baumaterialien, den Transport und den Bau aufgewendet wurde, gebunden. Diese „Graue Energie“, wie sie von Fachleuten bezeichnet wird, geht bei einem Abriss verloren. Nicht so bei Stephan Thomas in Leipzig. Er setzt mit ökologischer Sanierung auf Nachhaltigkeit und rettet sogar einzelne Ziegel.
Interview: „Lehm befreit die Luft von Schadstoffen“
Adrian Nägel ist Architekt mit einer Gastprofessur an der TU Berlin und Aktivist bei „Architects 4 Future“. www.architects4future.de
Herr Nägel, macht uns unsere Art zu bauen krank?
Ja. Wir halten uns über 90 Prozent unserer Lebenszeit in geschlossenen Räumen auf. Bestimmte Dämmstoffe, Farben, Böden, Kleber können über einen langen Zeitraum Giftstoffe in die Innenluft emittieren. Allergien und Atemwegserkrankungen nehmen seit Jahrzehnten zu.
Was ist eine gesunde Architektur?
Eine Architektur, die für ein angenehmes Raumklima, frische Luft und natürliches Licht sorgt und vor Lärm schützt.
Welche Baumaterialien sind gesund und ökologisch?
Da gibt es viele Multitalente. Ich möchte Lehm hervorheben. Hervorragend geeignet alsPutz, Farbe aber auch tragender Baustoff. Lehm steht mit geringem Energieaufwand zur Verfügung, sorgt für eine ausgeglichene Luftfeuchtigkeit und befreit die Luft sogar von Schadstoffen.
Holz ist ein nachwachsender Rohstoff. Doch sollten für den Bau von Gebäuden Wälder gerodet werden?
Stellen wir uns doch lieber die Frage, ob wir jedes Brötchen in eine Papiertüte stecken und alle Briefkästen mit Werbung geflutet werden müssen. Verzichten wir auf kurzlebige Holzprodukte und setzen das Holz möglichst langlebig und kreislaufgerecht in Gebäuden ein.
Carbonbeton gilt als Baustoff der Zukunft. Was halten Sie davon?
Carbon ersetzt den Stahl im Beton, was erst mal gut ist, da Stahl sehr energieaufwendig ist. Allerdings ist Carbon aktuell nicht recyclingfähig, stellt also keinen Beitrag zur Nachhaltigkeit dar. Zukunftsweisender wäre es, Beton reduziert einzusetzen und auch nur da, wo er wirklich gebraucht wird.
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