Umwelt

Spirulina: Die geballte Kraft aus der Natur

Schrot&Korn: Welche Idee steckt hinter dem Anbau von Spirulina?

Robert Henrikson, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler aus den USA, ist Mitbegründer und Präsident der weltweit größten Spirulina-Farm, der „Earthrise-Farm“ in Kalifornien, wo seit 1978 die blaugrüne Mikroalge in Teichen kultiviert wird. Sie ist zur Zeit wohl die bekannteste Alge, die in vielfältiger Form für das menschliche Wohlbefinden genutzt wird. Seit 15 Jahren macht Robert Henrikson eigene Erfahrungen mit dem täglichen Verzehr von Spirulina. Er gibt sein Wissen in Seminaren, Vorträgen und Rundfunksendungen in der ganzen Welt weiter. Für Schrot&Korn sprach Gabriela Kopka (kurz vor ihrem Tod) mit Robert Henrikson.

Schrot&Korn: Welche Idee steckt hinter dem Anbau von Spirulina?

Robert Henrikson: Vor rund 18 Jahren hatten mein damaliger Partner Larry Switzer und ich die Vision, mit der Zucht von Spirulina eine mächtige neue Nahrungsquelle und einen Eiweißlieferanten gegen den Hunger und den Hungertod der Erdbevölkerung bereitzustellen. Jeden Tag sterben weltweit rund 40.000 Kinder an Unterernährung und den damit zusammenhängenden Krankheiten. Spirulina besteht zu über 60 Prozent aus hochwertigem Eiweiß und liefert mehr Ertrag pro Hektar als jedes andere Lebensmittel und braucht zum Anbau keine Ressourcen. Ursprünglich wächst diese faszinierende Mikroalge in alkalischen Seen und begnügt sich in Kultur mit unfruchtbarem Land und sogar Wüstenflächen mit heißer Sonneneinstrahlung. Dieser 3,5 Milliarden Jahren alten Lebensform auf unserem Planeten wird nachgesagt, mittels Photosynthese den Sauerstoff in der Atmosphäre angereichert und so allen weiteren Lebensformen den Weg bereitet zu haben. Die Wiederentdeckung dieses pflanzlichen Planktons kann in den nächsten 20 Jahren die Erde wieder begrünen, sie und die Menschheit gesunden lassen, und einen Beitrag zur Rettung der Regenwälder leisten.

S&K: Warum gerade Spirulina? Was ist das Besondere daran?

R.H.: Die herkömmliche Art, Landwirtschaft zu betreiben, laugt immer mehr die fruchtbaren Böden aus, verwendet und verseucht das knappe, frische Wasser, verschmutzt die Umwelt, und verwandelt Regenwälder und Getreideanbauflächen in Ödland. Die globale Nahrungsmittelproduktion und das ungerechte Verteilungssystem verursachen Hunger in einer Welt des Überflusses. Die unhaltbare Art, wie wir unsere Nahrung produzieren, stellt unter Umständen die größte Gefahr für die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes unserer Biospähre dar. Den mit Kunstdünger und Pestiziden erzeugten Nahrungsmitteln fehlen die inneren Qualitäten: sie schädigen auf lange Sicht unsere Gesundheit und das Immunsystem, und führen zu vielen sogenannten Zivilisationskrankheiten. So leiden sowohl die planetarische als auch die menschliche Gesundheit an umweltbedingtem Stress. Die vorwiegend fleischorientierte Ernährung der Industrienationen erfordert zur Produktion von 1kg Rindereiweiß 193 m2 Land und 104.500 Liter Wasser. Dagegen reichen für 1kg Spirulina gerade mal ein Quadratmeter Land und 2508 Liter Wasser. Oder anders ausgedrückt: Pro Hektar und pro Jahr beträgt der Eiweißertrag bei Rindfleisch 0,16 Tonnen, bei Weizen 0,8 Tonnen und bei Spirulina 50 Tonnen! Zudem kann Spirulina mit einem äußerst komplexen, konzentrierten und natürlichen Wirkstoffcocktail aufwarten: bis zu 70% hochwertiges Eiweiß mit allen essentiellen Aminosäuren, ein außergewöhnlich hoher Anteil an Betacarotin (Provitamin A), Vitamin B12 (wichtig für VegetarierInnen) und zweifach gebundenes Eisen, reichlich weitere Vitamine und Mineralstoffe, Chlorophyll, den blauen Farbstoff Phycocyanin, und die für einen gesunden Fettstoffwechsel wichtige Gamma-Linolensäure. Spirulina ist zu 95% verwertbar, Fleisch dagegen nur zu rund 20%. Ihre wertvollen Nährstoffe können leicht assimiliert werden, da die Zellwände aus einem leicht verdaulichen Kohlenhydrat bestehen. Das ist vor allem bei Mangel- und Unerernährung sehr wichtig.

Spirulina aus kontrolliert biologischem Anbau

Spirulina gibt es seit 1996 aus kontrolliert biologischem Anbau. Die Earthrise Farm in Kalifornien darf nun das Qualitätssiegel „certified organic“ auf Ihre Flaschen kleben. Der Naturkosthersteller Vividus hat für „Spirulina Bio“ den Anstoß gegeben. Der Farmer reagierte zunächst skeptisch: „Warum einen Berg von Formularen ausfüllen, nur wegen eines kleinen Siegels.“ Er hat sich letztlich doch überzeugen lassen, denn auch in den USA wächst der Naturkostmarkt.

S&K: Was bewirkt nun dieses „grüne Kraftwerk“ Spirulina?

R.H.: Bereits den Azteken und den Völkern am Tschadsee in Afrika war Spirulina als wichtige Ergänzung zur täglichen Nahrung bekannt, und steigerte Wohlbefinden, Vitalität und Leistungsfähigkeit. Die Mikroalge wirkt ernährungsbedingten Mangelerscheinungen entgegen, stärkt das Immunsystem, reinigt den Körper, und ist zum Fasten gut geeignet. Dabei wird im Gegensatz zu vielen Modediäten langsam, aber regelmäßig abgenommen. Der hohe Anteil an Betacarotin hat sich in langjährigen Studien in den USA und Japan als wirksames Mittel zur Krebsprophylaxe erwiesen, und ist eines der kraftvollsten Antioxidantien bei der Bekämpfung freier Radikale. Das nationale Krebsinstitut der USA (NCI) fördert seit 1989 den Einsatz von Spirulina bei AIDS, und erteilte weiteren Forschungen höchste Priorität. Spirulina verringert auch die Strahlenbelastung durch radioaktiv verseuchte Lebensmittel (Cäsium 137 und Strontium 90). Seit 1990 spendet Earthrise Spirulinapulver nach Weißrussland und in die Ukraine. Kinder in Tschernobyl, denen das Pulver in geringen Mengen verabreicht worden war, hatten nach kurzer Zeit deutlich weniger Radioaktivität im Harn.

S&K: Gibt es weitere Anwendungsbereiche?

R.H.: Ja. Spirulina unterstützt die Darmflora durch den Aufbau von Lactobazilli, das ist ein natürliches Antibiotikum, hilft bei Übersäuerung des Körpers und vermindert die Beschwerden des Prämenstruellen Syndroms. Außerdem wird der Alterungsprozess verlangsamt und die Konzentrationsfähigkeit gesteigert.

Symbolik von Spirale und Farben bei Spirulina

Spirulina platensis, die blaugrüne Mikroalge, trägt ihren Namen zu Recht: Die Milliarden Jahre alte Lebensform wächst spiralig und drückt in ihrer Gestalt symbolisch die Urform allen Lebens aus. Die Spirale steht für die große Schöpferkraft und bedeutet das Leben in dynamischer Bewegung, in Entwicklung. Auch die blau-grünen Farbanteile enthalten Botschaften: das blaue Farbpigment Phycocyanin steht für die Verbindung zwischen Himmel und Erde, während das grüne Chlorophyll die raumgebende Qualität der Natur ausdrückt, in der sich die Seele ausdehnen kann.

S&K: Wie wird Spirulina angebaut?

R.H.: Auf der von 35 MitarbeiterInnen betriebenen Earthrise-Farm in der entlegenen und regenarmen Wüste Südkaliforniens wächst Spirulina in mineralstoffreichem Wasser des Colorado-Flusses in flachen Becken abseits der umweltverschmutzenden Zivilisation, natürlich ohne Pestizid- und Herbizideinsatz. Die Monate April bis November sind besonders günstig für diese Aquakultur, da dann Temperaturen von 40 bis 50 C vorherrschen. Bei diesen Bedingungen vermehren sich die Spirulina-Algen besonders schnell: sie binden dann die in Wasser, Luft und Boden enthaltenen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente durch Photosynthese organisch zu einem komplexen, natürlichen Nahrungsmittel und produzieren dabei auch Sauerstoff. In regelmäßigem Turnus werden die Becken von Schaufelrädern belüftet. Jedes Becken hat eine Größe von einem 1/2 Hektar, die Gesamtproduktionsfläche beträgt 20 Hektar.

S&K: Und die Ernte?

R.H.: Zunächst werden die Algen mit speziellen, feinen Sieben vom überschüssigen Wasser getrennt, so daß eine dicke, grüne Paste übrigbleibt. In Sekundenschnelle wird diese Spirulinamasse in einem Trocknungsturm bei maximal 42 C schonend sprühgetrocknet, damit die empfindlichen Inhaltsstoffe erhalten bleiben. Das fertige Pulver wird sofort vakuumverpackt, und ein Teil wird später ohne Füll- und Zusatzstoffe langsam und kalt zu Tabletten gepreßt. Frisch vom Becken schmeckt Spirulina süßlich, während das fertige Pulver zuerst an pures, frisches Eigelb erinnert, und später durch die unvermeidbare Zersetzung der Eiweiße an der Außenseite den eher typischen Algengeschmack erhält. Meist schmeckt das Pulver jedoch angenehm nussig. Pro Jahr werden auf der Earthrise-Farm an die 200 Tonnen geerntet, weltweit sind es etwa 1 000 Tonnen. Nach der Ernte wird das Wasser recycelt, und nur der verdunstete Anteil wird nachgefüllt.

S&K: Wer kontrolliert den Anbau und die Verarbeitung?

R.H.: Earthrise-Spirulina unterliegt den äußerst strengen Qualitätskontrollen der kalifornischen und US-Gesundheitsbehörden (Food and Drug Administration). Jede Charge wird auf über 60 verschiedene Umweltgifte untersucht. Bis heute wurden noch keine Verunreinigungen gemessen. Zudem durchläuft jede Charge noch 18 verschiedene Qualitätskontrollen, und wird erst nach der Zertifizierung für den Handel freigegeben.

Unterschied zwischen Spirulina und AFA

Neben Spirulina werden auch Bluegreen-Algen angeboten. Der feine Unterschied: Bluegreen (Aphanizomenon Flos Aquae=AFA) ist eine wildwachsende Alge, während Spirulina gezüchtet wird. AFA wird eine Wirkung mehr im Bereich der Drüsen und des Nervensystems nachgesagt. Beide Mikroalgen stammen aus der Familie blaugrüner Algen.

Spirulina, Chlorella und AFA: Kraft aus Algen

S&K: Wie sieht der Vertrieb aus?

R.H.: Im "Marketing-Office" nördlich von San Francisco arbeiten 27 MitarbeiterInnen am weltweiten Vertrieb in über 25 Länder. In den USA läuft der Verkauf über Naturkostläden, Drogerien, Ernährungszentren und teils sogar über Supermärkte. Da wir heute in einer schnelleren, aber auch stressvolleren Zeit leben, gilt Spirulina als eine Art "gesundes Fast Food". Der Verzehr ist einfach und schnell und es funktioniert, daß sich die Leute danach gesund und besser fühlen.

S&K: Gibt es Spirulina nur als Pulver oder Tabletten?

R.H.: Nein, ganz und gar nicht. Das Pulver läßt sich gut mit anderen Speisen mischen, und so gibt es Spirulina-Fruchtschnitten, Waffeln, Teigwaren, Kekse und Säfte, eine Palette an "Green magic"-Produkten. In Frankreich wird Spirulina in Hautcremes und Shampoos eingesetzt, in Schweden und Japan ist seit langem ein Spirulina-Brot bekannt. Japanische Wissenschaftler haben sogar den blauen Farbstoff Phycocyanin zur Verwendung als natürliche Nahrungsmittelfarbe extrahiert. Spirulina wird als Tierfutter eingesetzt, angefangen von Vögeln und Fischen, bis hin zu Pferden und Rindern.

S&K: In welchen Ländern wird Spirulina noch angebaut?

R.H.: Es gibt Farmen in Thailand, Taiwan, auf Hawaii, in Chile, Spanien und Australien. Ganz groß im Einsteigen ist China.

Earthrise-Spirulina wird seit Oktober 1991 in Deutschland, Österreich, der Schweiz und in den Niederlanden von der Firma Vividus in Berlin im Alleinvertrieb angeboten. Der Geschäftsführer Franz J. Nacke lebte in den 80er Jahren längere Zeit im Mittelwesten der USA und machte dort eigene, wichtige Erfahrungen mit Spirulina.

Literatur-Tipp:

"Earth Food: Spirulina" von Robert Henrikson, Ronore Enterprises, Inc., Laguna Beach, Kalifornien, ISBN 0-9623111-0-3, 180 Seiten

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