Sommer und Eis: Allein schon beim Schreiben dieser Worte steigt mir der Geruch von Vanille und frischen Waffeln in die Nase. Vor meinem geistigen Auge erscheinen eisverschmierte Kindergesichter sowie lange Schlangen vor den besten Öko-Eismanufakturen der Stadt. Ein Sommer ohne Eis ist kein richtiger Sommer. Unglücklicherweise habe ich mir die Freude daran durch die Nachrichtenlektüre in den vergangenen Wochen etwas verderben lassen. Womöglich sind wir einem eisfreien Sommer näher als wir ahnen. Damit sind nicht die durchschnittlich gut hundert Kugeln Stracciatella, Zitrone oder Zimteis pro Kopf gemeint, die dem Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie zufolge jährlich in unseren Mägen oder auf den T-Shirts landen. Vielmehr haben Analysen von Forschern aus aller Welt ergeben, dass die Kühlkammern der Erde inzwischen beinahe so schnell schmelzen wie Stangeneis bei Hitzefrei.
Das Fachjournal „The Cryosphere“ stellte Messergebnisse aus den vergangenen drei Jahrzehnten vor. Demzufolge hat die Erde zwischen 1994 und 2017 über 28 Billionen Tonnen Eis verloren – an beiden Polen, aber auch durch den klimakrisenbedingten Gletscherschwund. Man kann sich so eine Zahl schlecht vorstellen, aber der „Spiegel“ hat dafür einen Vergleich gefunden: Würde man ganz Großbritannien mit 28 Billionen Tonnen Eis bedecken, läge das Land unter einer hundert Meter dicken gefrorenen Schicht.
Die Arktis erwärmt sich mittlerweile dreimal so schnell wie der Rest der Welt. Folgerichtig registrierten die Satelliten vergangenen Juli so wenig Eis auf der Erde wie nie zuvor seit Beginn der Messungen.
Das ist ein Zeichen von brutaler Intoleranz.
Um das eigentlich Unbegreifbare zu verstehen, was da gerade vor sich geht, stelle ich mir manchmal klimapolitisch ambitionslose Politiker und Wirtschaftsführer mit einem Waffeleis vor. Von oben brennt die Sonne auf sie, in ihnen brennt nichts. Während sie ihre Waffeln halten, erzählen sie von „technologischen Innovationen“, die bestimmt ganz bald kommen und das Eis in ihrer Hand noch lange kühlen werden. Während die ersten Tropfen schon zu Boden platschen, warnen sie noch vor „Panikmache“ und „hohen Kosten“, ungläubig beobachtet von kleinen Kindern, die nicht fassen können, dass da erwachsene Männer ihr Eis schmelzen lassen, ohne etwas dagegen zu tun.
Die Verbindung von großmäuligen Zielvorgaben, die „Klimaneutralität“ bis 2050 versprechen, und gleichzeitiger Planlosigkeit, wie das denn zu erreichen sei, ist ein Zeichen brutaler Ignoranz. Wer heute glaubt, wir könnten noch jahrzehntelang mit Verbrennermotoren herumfahren oder mit Kohle, Öl oder Gas heizen, der geht vermutlich auch davon aus, dass er an einem heißen Sommertag eine Eisbombe für die ganze Familie auf dem Fahrrad unbeschädigt durch die ganze Stadt transportieren kann. So ein Abend ohne Eis ließe sich zwar verschmerzen. Eine Welt ohne Eis aber verglüht.
Fred Grimm
Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.
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