Umwelt

So reicht Öko-Strom für alle

Sonne, Wind und Wasser: Welcher Mix ist nötig für eine erfolgreiche Energiewende und wie viel Bürgerbeteiligung braucht sie?

Tim Meyer sieht zu viele Dachziegel. Der Vorstand des Öko-Energieversorgers Naturstrom steht in seinem Büro und schaut in den Hamburger Herbsthimmel. Er zeigt auf die umliegenden Dächer: „Es gibt noch zu viele Dächer, auf denen sich keine Photovoltaik-Anlagen befinden. Das muss sich ändern.“ Zumindest ist das aus seiner Sicht ein guter Weg, um die riesigen Mengen an CO2, die wir ausstoßen, zu verringern. Und dass das passieren muss, steht außer Frage. 400 Gigatonnen CO2 dürfen es den Berechnungen des Weltklimarates IPCC in Deutschland nur noch sein, wenn man das Pariser Klimaabkommen einhalten und die Erderwärmung bei 1,5 Grad stoppen will.

Hoher CO2-Preis = Chancen für erneuerbare Energien

Legt man die globalen Emissionsmengen, die nach Berechnungen von Klimaforschern noch zulässig sind, pro Kopf der Weltbevölkerung um, so ergeben sich noch insgesamt 4,4 Gigatonnen CO2, die Deutschland beginnend mit dem Jahr 2020 noch ausstoßen darf. Klingt nach viel, ist es aber nicht. Bei gleichbleibenden Emissionsmengen wäre dieses Budget bis 2026 bereits aufgebraucht.

In der Verknappung des Budgets liegt genau die Chance für die erneuerbaren Energien. Denn damit werden CO2-Emissionen im Emissionshandel teuer – und die erneuerbaren attraktiver, weil im Vergleich günstiger. Und so sind die CO2-Preise im europäischen Emissionshandel bereits deutlich gestiegen, zeitweise auf bis zu 65 Euro pro Tonne. Marktbeobachter gehen sogar davon aus, dass der „Green Deal“ der EU nur umsetzbar sein werde, wenn die Tonne CO2 künftig mit 200 bis 300 Euro bepreist wird.

Erste Projekte belegen diese Entwicklung: Der Energiekonzern Vattenfall hat mit der Errichtung „des größten und ersten subventionsfreien Offshore-Windparks der Welt“ begonnen. Dieser entsteht vor der niederländischen Küste – frei am Markt finanziert. Auch große Solarstromanlagen kommen heute längst ohne Förderung aus.

So funktioniert der Emissionshandel

CO2-intensive Industrien, etwa die Energiewirtschaft, die Stahlindustrie und der Flugverkehr, müssen für jede emittierte Tonne CO2 ein Zertifikat vorlegen. Eine bestimmte Anzahl stellt der Gesetzgeber frei zur Verfügung. Wer mehr emittiert, muss zusätzliche Zertifikate ersteigern.

Soll das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, braucht Deutschland schnell sehr viel Öko-Strom – zumal auch im Verkehr und zur Gebäudeheizung immer mehr Strom eingesetzt werden wird. Das Bundeswirtschaftsministerium rechnet inzwischen für das Jahr 2030 mit einem Stromverbrauch von 645 bis 665 Milliarden Kilowattstunden (Terawattstunden, TWh). Der Bundesverband Erneuerbare Energie gab jüngst für das Jahr 2030 die Prognose von sogar 745 TWh aus, ausgehend von 13 Millionen Elektroautos und sieben Millionen elektrischen Wärmepumpen. Und auch für die Digitalisierung wird immer mehr Strom benötigt.

Warum Photovoltaik riesige Potenziale bietet

Sofern die Gesellschaft bereit ist, ausreichend Flächen für die Windkraft bereitzustellen, ist sehr viel möglich. In der Politik ist stets von zwei Prozent der Landesfläche die Rede, die man für die Rotoren ausweisen will; das wären in Deutschland gut 7000 Quadratkilometer. Auf einer solchen Fläche ließen sich 500 TWh im Jahr erzeugen – das entspricht fast dem derzeitigen Jahresstrombedarf Deutschlands.

Davon aber ist man noch weit entfernt: Im vergangenen Jahr wurden an Land 104 TWh erzeugt, weitere 27 TWh auf See. Will Deutschland entsprechend den Klimazielen der EU Windkraftanlagen zubauen, wäre ein Ausbautempo wie in den Spitzenjahren 2014 bis 2017 nötig.

In ähnlicher Größenordnung wie die Windkraft müsste sich die Photovoltaik bewegen, deren Potenziale ebenfalls riesig sind. Will man neben bereits bebauten Flächen auch das Freiland nutzen, ist der Zubau wiederum vor allem durch die Frage limitiert, welche massive Veränderung des Landschaftsbildes die Bürger in Kauf zu nehmen bereit sind.

Auf Gebäuden ist Photovoltaik weitgehend unumstritten, dort jedoch leidet die Technik vor allem unter den komplizierten Rahmenbedingungen. Längst ist der Solarstrom zwar billiger als jener aus dem Netz; er ist damit prinzipiell attraktiv für den direkten Verbrauch vor Ort, weil er zunehmend ohne jede Förderung auskommt. Doch die Bürokratie verleidet es potenziellen Investoren, diese Chance zu nutzen.

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Jedes Dach wird für die Energiewende gebraucht

Besonders auf Mehrfamilienhäusern werden Solarprojekte durch die Rechtslage erschwert. Wie einfach es gehen könnte, beweist die Solarwärme: Vermieter können diese auf dem Dach gewinnen und unkompliziert über die Nebenkostenabrechnung an die Mieter abgeben. Mit Solarstrom ginge das technisch natürlich ebenso. Aber hier schuf der Gesetzgeber komplizierte Regeln. „Die Idee hinter solchen Mieterstromkonzepten ist genial“, sagt Naturstrom-Vorstand Meyer, „die Umsetzung von Projekten wird aber durch unnötige Bürokratie erschwert“. Wer Solarstrom vom Dach an einen Bewohner des Hauses verkauft, wird formal zum Energieversorger – mit allen Rechten und Pflichten. Damit bringen bereits einige 1000 Kilowattstunden vom Dach enormen Verwaltungsaufwand mit sich.

Mit der seit Jahresbeginn geltenden Rechtslage habe sich immerhin der wirtschaftliche Rahmen merklich verbessert, so Meyer. Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) soll Investitionen fördern und für eine bessere Nutzung von Synergieeffekten unterschiedlicher Systeme zur Energiegewinnung sorgen.

Bürger am Ausbau beteiligen

Kann die Energiewende ein Bürgerprojekt werden oder soll nur die etablierte Energiewirtschaft profitieren? In den vergangenen zehn Jahren wurden in Deutschland rund 800 Energiegenossenschaften gegründet. Doch längst sind die Rahmenbedingungen für Bürgerprojekte so unsicher und kompliziertgeworden, dass im Jahr 2020 in ganz Deutschland nur noch 13 Genossenschaften hinzukamen. Dabei hat eine gemeinsame Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und der TU Berlin zum dezentralen Ausbau der Erneuerbaren ergeben: je lokaler, desto besser.Der von der alten Bundesregierung geplante Netzausbau sei deutlich teurer als der Ausbau dezentraler Beteiligungssysteme. Dieser wäre sogar von der EU gedeckt, denn die Erneuerbare-Energien-Richtlinie gibt vor, dass Bürger erneuerbaren Strom aus Wind und Sonne nicht nur gemeinsam erzeugen, sondern auch teilen können.

So decken sich Vorteile für die Stromerzeuger mit den Erfordernissen des Klimaschutzes – denn man wird jedes Dach für die Energiewende brauchen. Zumal andere Erneuerbare längst an Grenzen stoßen. Die Wasserkraft zum Beispiel hat ihr Potenzial in großen Teilen ausgereizt, auch bei der Biomasse sind große Steigerungen nicht mehr absehbar, sofern man nicht Rohstoffe in großem Stil importieren will. Die Geothermie schließlich dümpelt trotz üppiger Einspeisevergütungen, die das EEG gewährt, noch immer nahe Null und wird auch auf absehbare Zeit für die Stromerzeugung in Deutschland aufgrund der hohen Kosten und Risiken beim Bohren keine relevante Rolle spielen.

Warum es nicht nur auf die Strommenge ankommt

Um den Photovoltaikausbau zu „entfesseln“, richtete Green Planet Energy kürzlich 15 Forderungen an die neue Bundesregierung – darunter eine Solardachpflicht für Neubauten, weniger Bürokratie für Betreiber und mehr Möglichkeiten der Beteiligung für Bürger. Denn Potenzial ist da. Rein summarische Berechnungen, wie sie etwa von der Forschungsgruppe Energy Watch Group vorgelegt wurden, zeigen, dass 100 Prozent Erneuerbare theoretisch möglich sind – wenn man es denn will.

Allerdings ist die Fokussierung auf die summarischen Strommengen nur ein Aspekt. Denn Strom muss rund um die Uhr in dem Maße bereitstehen, wie er nachgefragt wird, nicht nur bei Wind und Sonnenschein. Fallen beide gleichzeitig aus – man spricht dann von Dunkelflauten –, braucht man ausreichend Ersatzkapazitäten.

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Optionen für Strom-Großspeicher sind gefragt

Will man dann nicht auf fossile Energien zurückgreifen, braucht man Speicher für Öko-Strom. Pumpspeicher und Batterien alleine werden es nicht schaffen. Zwar werden neue Technologien wie Redox-Flow-Batterien mit hohen Kapazitäten ihren Teil beitragen. Angesichts der nötigen Speichermengen sind Gase, die unter Einsatz von überschüssigem Strom per Elektrolyse erzeugt werden (speziell Wasserstoff), derzeit die einzige absehbre Option für Großspeicher. Das Gas kann dann in die bestehende Gasinfrastruktur eingespeichert und später zur Stromerzeugung genutzt werden – etwa in umgerüsteten Erdgaskraftwerken. Und der Wasserstoff kann auch für den Schwerlastverkehr genutzt werden.

Stromspeicher auf der Basis von „Power-to-gas“ gibt es bislang allerdings erst als Pilotprojekte, die betriebswirtschaftlich noch nicht rentabel sind. Eine Option, das zu ändern, wäre ein weiter steigender Preis für die CO2-Emissionen fossiler Energien. Auch NaturstromVorstand Meyer ist überzeugt: „Auf lange Sicht wird der CO2-Preis zum maßgeblichen Taktgeber der Energiewende.“

Mehr zum Thema

Im Netz:

  • energy-charts.info
    Der Service vom Fraunhofer Institut liefert einen guten Überblick über aktuelle Daten zur Stromerzeugung in Deutschland.
  • pik-potsdam.de/~stefan
    Weitere Informationen zu aktuellen Entwicklungen in der Klimaforschung auf der Webseite des Klimaforschers Stefan Rahmstorf.
  • dehst.de
    Wer tiefer einsteigen will in den europäischen Emissionshandel, findet auf den Seiten der Deutschen Emissionshandelsstelle vom Umweltbundesamt eingängige Informationen.

Bücher:

  • Quaschning, Volker: Erneuerbare Energien und Klimaschutz. Carl Hanser Verlag, 2021, 420 Seiten, 29,99 €
  • Hennicke, Peter;Rasch, Jana u.a.: Die Energiewende in Europa. Oekom Verlag, 2019, 192 Seiten, 20 €
Veröffentlicht am

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