Umwelt

Schweinehaltung: Ringelschwanz-WG im Wald

Anders als ihre Artgenossen in konventionellen Ställen dürfen die Schweine vom Schultenhof im Wald leben. Was sie dort tun? Dösen, wühlen und vor allem: Eicheln fressen.

Ein wenig sieht Jörg Callis aus wie ein Ranger mit seinen grünen Hosen mit den großen aufgesetzten Taschen und den festen Boots. Nur der breitkremplige Hut fehlt. Den braucht er auch nicht. Denn sein Weg führt ihn in den Wald – zu den Schweinen.

Im grünen Jeep geht es den Hügel hinauf. Der Wagen wackelt auf dem Schotterweg. In der Ferne grasen zottelige Heckrinder, ein Schild zeigt an: Willkommen im Tal der Gesetzlosen. Jörg Callis lacht. „Wir halten uns hier ganz streng an alle Regeln, aber sonst dürfen die Schweine machen, was sie wollen“, sagt der Bereichsleiter für Tiere auf dem Schultenhof in Hattingen an der Ruhr. Zum Beispiel neugierig aus dem Wald über die Wiese laufen, sobald Callis das Gatter quietschen lässt. „Die können sogar den Motor unterscheiden und wissen, dass ich mit dem Jeep komme“, sagt er und schaut nach seinen Mädels im Wald.

Woran man artgerechte Schweinehaltung erkennt

„Die ist meistens die Neugierigste“, sagt er und begrüßt ein rosa Schwein mit schwarzen Flecken. Es wackelt mit dem Ringelschwänzchen, fast wie ein Hund kommt es auf ihn zu, ähnlich schlau sind Schweine jedenfalls. Das Schwanz-Kringeln ist ein gutes Signal – und ein Anzeichen für eine artgerechte Tierhaltung. Denn wenn es einem Schwein nicht gut geht, dann lässt es das Ringelschwänzchen einfach hängen. Dass den meisten Schweinen in konventioneller Haltung dieses nach der Geburt abgeschnitten wird, ist für Callis unfassbar. „Ich muss doch wissen, wie es meinen Tieren geht. Dann muss ich sie auch so halten, dass sie mir zeigen können, wie sie gerade drauf sind.“

Kupierte Ringelschwänze, kaum Kontakt zu Artgenossen und enge Boxen mit Spaltenböden – das will er sich weder für seine Schweine noch für seinen Arbeitsplatz vorstellen. „Wenn ich daran denke, dass ich meine Schweine nur im Schutzanzug besuchen könnte, um keine Keime zu übertragen. Das geht gar nicht.“ Doch ist genau das Alltag in deutschen Ställen. Über 90 Prozent aller Schweine leben unter diesen Bedingungen, nicht einmal ein Prozent beträgt der Anteil von Bio-Schweine-Fleisch. Anders der Schulten-Hof: Der Bioland-Hof nutzt die Eichelwälder der umliegenden Ländereien, damit die Bunten Bentheimer dort rund und glücklich werden.

Wie woanders in Deutschland Schweine gehalten werden und was zu tun ist, lest ihr hier:

Arme Schweine

Insgesamt 15 Sauen leben hier unter großen Eichen, umgeben von Brombeerhecken, oben auf dem Hügel von Hattingen. In manchen Jahren sind es ein paar mehr, in anderen etwas weniger. „Wir nehmen nur Ferkel von einem nahe gelegenen Biolandhof“, erklärt Callis und ist ein wenig verwundert, warum er gerade nur 14 seiner Tiere sieht. Ach, hier ist gerade eine hinterm Busch. Zwei andere kuscheln Hintern an Hintern unter den Bäumen, die großen Schlappohren über den Augen. Entspannt sehen die beiden aus. „Ja, die bringt so schnell nichts aus der Ruhe“, erklärt Callis.

Bunte Bentheimer

Gar nicht bunt, sondern hell mit schwarzen Flecken ist diese alte Haustierrasse, die beinahe ausgestorben wäre. Diese Schweine sind anspruchslos in der Haltung und friedlich. Sauen können bis zu 180, Eber bis zu 250 Kilogramm wiegen.

So leben Schweine im Wald

Er kennt alle Tiere genau, auch wenn sie keine Namen haben. „Es ist ja dann schon immer etwas emotional, wenn man sie rund sieben Monate aufwachsen sieht. Aber auch wie sich der Wald verändert. Da ist jedes Jahr an einem anderen Ort eine Kuhle. Dem einen Schwein gefällt es besser, wenn hier ein Ast liegt, das nächste Schwein trägt ihn wieder woanders hin“, erzählt Callis und stellt fest: „Die scheinen Wert auf Wohnraumgestaltung zu legen.“

Das denkt sich wohl auch das Schwein, das jetzt noch tiefer in der Erde buddelt. „Die sucht wahrscheinlich nach einem Wurm oder nach anderen kleinen Tieren“, sagt Callis. Er findet: Schweine sind nicht nur Allesfresser, sondern auch Fast-immer-Fresser – wenn sie nicht gerade dösen. Rund 13 Stunden schläft ein Schwein am Tag und hat es dabei gern romantisch. „In ihrer Hütte sind die Schweine kaum, lieber kuscheln sie unterm Sternenhimmel und unter den Bäumen“, sagt Callis und lacht.

Der Wald bietet den schwarz-gefleckten Tieren neben Sonnenschutz auch ihre Leibspeise: Eicheln. Davon liegen auf dem feuchten Boden im Herbst jede Menge herum – zumindest jede Menge Kapseln. Für Jörg Callis ist das ein Rätsel und Beweis für die Intelligenz der Schweine zugleich: „Ich habe keine Ahnung, wie sie das machen, dass sie die Frucht von der Kapsel trennen. Ausgespuckt sind die Kapseln jedenfalls nicht.“ Jeden Morgen gegen halb acht gibt es Frühstück am Futtertrog auf der Weide. Dann gibt es genau wie abends Getreidepellets. „Da hauen sie richtig rein. Ganz anders als bei den Eicheln – da ist es genussvoller. Sie müssen ja immer nach neuen suchen.“

Aber wenn es genug Eicheln gibt, dann interessiert sie das herzlich wenig. „Dann kommen sie zur Begrüßung, gucken, was hier los ist und verziehen sich wieder“, meint Callis über seine Rotte, die auch ein bisschen etwas von einer wilden Mädels-WG hat. In der hat jede Sau ihren Platz, ihre beste Freundin und ihre eigene Kuhle. „Manche hängen einfach immer zusammen, kuscheln sich gemeinsam in eine Kuhle oder flitzen quasi im Schweinsgalopp um die Bäume.“ Die 15 Bunten Bentheimer Ladys achten dabei stets auf Sauberkeit: Wo gegessen wird, werden keine Haufen gemacht. Und Zickereien gibt es kaum. Nur wenn es ums Fressen geht. „Dann geht schon mal das Gequieke und Geschubse los“, sagt Callis. Rund 20 unterschiedliche Oink-Laute kann ein Schwein quieken und grunzen.

Weniger Arbeit durch Schweine im Wald?

Das Leben im Wald hat auch für Callis Vorteile: „Da muss ich nicht ausmisten. Der Wald erholt sich im Winter von alleine“, erklärt er. Denn dann sind keine Schweine mehr da. Im November wird das letzte Tier geschlachtet, neue Ferkel kommen im Frühjahr. Arbeitsteilung gibt es natürlich auch in der Bio-Welt. So hat sich ein anderer Bioland-Betrieb in der Umgebung auf die Ferkel-Produktion spezialisiert und verkauft diese zur Mast weiter. Aus diesem Grund gibt es auch keinen Eber im Wald von Hattingen.

Neben mehr Arbeit, vor allem wenn die Sauen Junge bekommen, würde die Anwesenheit von männlichen Schweinen in der Mädels-WG auch einen Umbau bedeuten: Die Tiere bräuchten dann mehrere Hütten und das Gelände müsste zudem in verschiedene Bereiche abgesteckt werden, damit sich der Boden vom ständigen Wühlen und Koten wieder erholen kann.

„Ich will den Tieren das Beste geben, was ich kann. Und sie können fast ihr ganzes Leben lang ein fast wildes rosa Schwein sein“, sagt Callis. Übrigens schmecke das Fleisch sogar einen Hauch nach Wild, das komme von den Eicheln. „Wenn wir gut zu den Tieren sind, dann liefern sie uns auch gute Produkte und das ist wiederum gut für unser Wohlbefinden“, ist Callis überzeugt. Von einem Tier, das noch nicht einmal das Sonnenlicht gesehen hat, wolle er keinen Schinken essen, setzt er nach.

Dann geht der Ranger aus dem Wald wieder zurück zu seinem Jeep. Seine Hose ist jetzt nicht mehr grün, sondern übersät mit braunen, runden Flecken. Die neugierigen Schweine haben ihn mit ihrem Rüssel angestupst – und dabei ihre eigene Stempeltechnik hinterlassen. Das Neugierige mit den schwarzen Flecken am Hintern kommt zum Abschluss wieder mit bis zum Gatter.

Interview: „Schweine sind Waldtiere“

Schweine sind sehr saubere Tiere – wenn der Mensch sie lässt. Experte Rudolf Wiedmann erklärt, wieso Schweinen dennoch ein Schmuddel-Image anhaftet. Interview: Oliver Scheiner

Der Agrarbiologe Rudolf Wiedmann beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit dem Thema Schweinehaltung, zuletzt am Bildungszentrum Boxberg.

Schweine sind sehr saubere Tiere – wenn der Mensch sie lässt. Experte Rudolf Wiedmann erklärt, wieso Schweinen dennoch ein Schmuddel-Image anhaftet. // Oliver Scheiner

Herr Wiedmann, warum haben Schweine so ein Schmuddel-Image?

Das liegt unter anderem daran, dass Schweine ihre Körpertemperatur nicht so einfach regulieren können, weil sie nicht schwitzen. Bei hohen Temperaturen werden sie ihre Wärme nur los, indem sie sich auf möglichst kühle und feuchte Flächen legen. Wenn nun solche Flächen nicht vorhanden sind, bleibt ihnen in der Not nichts anderes übrig als in ihren Fäkalien – im Schmutz – zu suhlen. Bevorzugt nutzen die Schweine ein Schlammbad, weil es sie länger abkühlt. Außerdem werden sie mit dem angetrockneten Schlamm Hautparasiten los.

Wie würden sich Schweine in der freien Wildbahn verhalten?

Schweine sind Waldtiere. Dort gibt es viel Schatten und es herrschen moderate Temperaturen. Wenn es ihnen im Sommer doch mal zu heiß wird, legen sich die Tiere in eine kühle Suhle im Schatten der Bäume. Dann werden sie im üblichen Sprachgebrauch schmutzig, wobei es sich aber im eigentlichen Sinne nicht um Schmutz, sondern um einen Überzug mit Erde handelt. Das ist schon ein Handicap für das Image von Schweinen, die eigentlich sehr saubere Tiere sind.

Saubere Tiere?

Ja selbstverständlich. Schweine trennen ihre Bereiche streng. Es gibt einen Schlaf- und Ruheplatz, einen Wühl- und Futterplatz und es gibt einen Ort, an dem die Schweine koten. Letzteren legen Schweine immer so weit wie möglich von den anderen Funktionsbereichen entfernt an. Im Stall, wenn er denn groß genug ist und über einen Auslauf verfügt, gehen die Schweine meist bis ans äußerste Ende des Freibereichs, um ihre Notdurft zu verrichten.

Welche charakterlichen Merkmale weisen domestizierte Schweine noch auf?

In Feldstudien ist nachgewiesen, dass sich unsere Hausschweinerassen in ihrem Verhalten nur minimal von den Wildformen unterscheiden. Es ist erstaunlich, dass viele hundert Jahre Zucht keine großen Auswirkungen auf die typischen Charaktereigenschaften dieser Tiere gehabt haben. Sie leben in Gruppen – also Rotten – von maximal 20 Tieren. Jedes Tier hat zu jedem anderen Tier eine bestimmte soziale Beziehung.

Es gibt in Rotten keine Hierarchien?

Man spricht weniger von einer Hierarchie, sondern eher von einer sozialen Rangordnung, weil jedes Tier zu jedem einzelnen Buchtengenossen in einer festen sozialen Rangfolge steht. Ist diese Ordnung einmal ausgefochten, kommt es nur selten in der Gruppe zu Aggressionen. Schweine sind bestrebt, Auseinandersetzungen zu vermeiden. Als soziale Wesen führen sie alle wichtigen Aktionen gemeinsam durch. Das sieht man an ihrem Fressverhalten. Sie wollen in der Gruppe fressen. Da gibt es kein Alphatier, das erst mal die Sahnestücke vertilgt und die anderen sich um die Reste streiten. Dieses Verhalten spielt für Schweinehalter eine wichtige Rolle.

Inwiefern?

Schweine fressen bei Stallhaltung, in der den Tieren konzentriertes Futter zugelegt wird, meist zu viel und zu schnell. In natürlicher Umgebung sind Schweine etwa acht Stunden pro Tag mit der Nahrungssuche beschäftigt. Sie schnuppern, wühlen und fressen. Die übrigen 16 Stunden schlafen oder dösen sie. Im Stall ist dagegen die Nahrungsaufnahme in einem vergleichsweise kurzen Zeitfenster erledigt. Manche Schnellfresser sind nach wenigen Minuten fertig, vor allem wenn sie Flüssigfutter bekommen. Eine Sau von 250 Kilogramm hat dann schnell mal 20 Kilogramm Futter weggeschlürft. Das sorgt für vielerlei Probleme.

Welcher Art?

Erstens ist das schnelle Fressen schlecht für die Gesundheit der Schweine. Sie können das Futter nicht richtig einspeicheln und es steht in der kurzen Zeit nicht genügend Magensäure für die Aufspaltung zur Verfügung. Im Dünndarm kann dann ein solches Futter nicht optimal verdaut werden. Bei Flüssigfutter kommt hinzu, dass es oft sehr kalt ist – gerade einmal zehn Grad Celsius, im Winter noch kälter. Es kann zu Magenverdrehungen und Magenschleimhautentzündungen kommen.

Was machen die Tiere mit der restlichen Zeit?

Ihr typisches Verhalten ergibt sich aus der andauernden Nahrungssuche. Wenn die Tiere schon nach ein paar Minuten satt sind, wollen sie trotzdem ihre Neugier befriedigen, also wühlen und spielen. Dafür muss es im Stall Gelegenheit geben. Bio-Halter bieten in ihren Ställen kau-, beiß- und schluckbare Materialien wie Rauhfutter und Stroh an, mit denen sich die Schweine beschäftigen können.

Und wenn das nicht vorhanden ist?

Dann werden sie auch mal aggressiv und beißen sich gegenseitig in den Ringelschwanz. Die Wunden können sich entzünden und die Infektion ins Rückenmark wandern. Ihr Fleisch kann dann eventuell nicht mehr verzehrt werden. Schweine mit zu wenig Beschäftigung können deshalb zu Opfern, aber auch Tätern werden, weil sie ihr natürliches Verhalten nicht ausleben können. Oft halten sie dann unter solchen Stresssituationen nicht mehr ihre natürliche Hygiene ein und koten zum Beispiel nur noch wenige Meter von ihrer Schlafstelle entfernt.

Wie unterscheiden sich die Rassen in ihren Charaktereigenschaften?

Grundsätzlich kann man schon sagen, dass die von Natur aus fetteren Rassen etwas umgänglicher sind. Aber eigentlich sind die Charakterunterschiede zwischen den einzelnen Rassen nicht so groß wie unter einzelnen Schweinen.

Woran liegt das?

Die Zucht und der tägliche Umgang mit den Schweinen sind darauf ausgerichtet, mit ihnen möglichst wenig Mühe zu haben. Also werden Schweine, die aggressiv oder ungeschickt sind, ziemlich schnell ausselektiert. Alte Rassen, wie Bunte Bentheimer, Wollschweine oder auch Schwäbisch Hällische sind etwas behäbiger als hochgezüchtete weiße Rassen.

Weiße Rassen?

Dazu zählen hauptsächlich die Edelschweine und die Landrassen. Durch den laufenden züchterischen Austausch sind sie auf einem hohen Leistungsniveau. Deshalb haben diese sogenannten modernen Rassen alte Rassen wie die Schwäbisch Hällischen oder die Bunten Bentheimer stark verdrängt. Mit dem zunehmenden Interesse an der Fleischqualität hinsichtlich Farbe, Geschmack, Zartheit, Safthaltevermögen und so weiter geraten nun die alten Rassen aber wieder mehr in den Fokus.

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