Als Roda Verheyen 2021 mit ihrer Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht recht bekam, war die Juristin erst einmal überwältigt. Sie hatte ein Recht auf Klimaschutz erwirkt, das für die Ewigkeit gilt. Wer glaubt, dass Verheyen sich jetzt auf irgendwelchen Lorbeeren ausruhen würde, hat sich getäuscht. Ihr Engagement für mehr Klimaschutz geht unbeirrt weiter.
Im Februar sind Bundestagswahlen. Was erwarten Sie von der neuen Regierung?
Ich erwarte vor allem Ehrlichkeit. Wir stehen vor herausfordernden Aufgaben. Das gilt für den Bund genauso wie für die Länder und die EU. Ich will wissen: Wohin gehen wir als Gesellschaft? Wie können wir die Klimaziele erreichen? Was werden uns diese Maßnahmen abverlangen? Deshalb muss die Regierung Klimaschutzpolitik mit dem Erhalt unserer Demokratie zusammendenken. So ein Prozess geht nicht ohne Ehrlichkeit und dazu gehört, dass endlich Klartext geredet wird.
Welche Weichen müssen dafür gestellt werden?
Es sind teilweise radikale Maßnahmen erforderlich, etwa bei der Transformation der Energienetze oder bei der Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität. Hier hat das Bundesverkehrsministerium in den letzten Jahren fast gar nichts gemacht. Es geht auch um eine Priorisierung der städtischen Infrastruktur im Öffentlichen Personennahverkehr. Außerdem kann ich nicht verstehen, warum wir in Deutschland immer noch über ein Tempolimit diskutieren, wenn das in anderen Ländern längst Realität ist. Das ist nämlich Ideologie.
Aus dem Verkehrsministerium hieß es ja vor dem Koalitionsbruch, dass die Verkehrspolitik auf Fakten basieren soll und nicht auf Ideologien.
Solche Aussagen lösen bei mir Fassungslosigkeit aus. Ich kann sie nur als organisierte Verantwortungslosigkeit deuten. Denn die Regierung tut so, als hätte sie einen Plan. Wir haben beim Klimaschutz aber keine Spielräume mehr. Und deswegen ist die Forderung nach der Abschaffung von Autos mit Verbrennungsmotor nicht ideologisch, sondern fußt auf unbestrittenen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
„Ich will wissen: Wohin gehen wir als Gesellschaft?“
Aktuell klagen Sie für Greenpeace und Germanwatch sowie mehr als 54 000 private Mitkläger:innen vor dem Bundesverfassungsgericht. Was ist an dieser Klage besonders?
Bei dieser Klage geht es um die Umsetzung des Klimabeschlusses von 2021. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass wir unser CO2-Budget nicht auf einmal aufbrauchen dürfen, da wir sonst die Freiheitsrechte der jungen Generation beeinträchtigen. Die Novelle des Klimaschutzgesetzes hat verbindliche Sektorziele aber gestrichen. Das führt zwangsläufig dazu, dass wir unsere Ziele verfehlen. Deswegen sagen wir: Die Novelle des Klimaschutzgesetzes ist verfassungswidrig. Da das Bundesverfassungsgericht die Klagerechte in diesem Fall so definiert, dass die Freiheitsrechte aller betroffen sind, haben wir die Klage auch für Privatpersonen geöffnet. Dass sich aber so viele Menschen anschließen, haben wir nicht geahnt.
Vor 10 Jahren wurden Sie als Klimaanwältin noch belächelt. Was ist heute anders?
Um den Klimaschutz ist inzwischen ein ganzer Rechtsbereich entstanden. Leider hinken wir bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen immer noch hinterher. Und das obwohl sich viele Menschen in Deutschland für Klimaschutz einsetzen. Das macht es nicht unbedingt einfacher vor Gericht zu gewinnen. Aber es gibt inzwischen einen ganzen Teppich an Klimaklagen, die das Ziel haben, das Tempo zu erhöhen und Akzente zu setzen, damit die Politik beschlossene Maßnahmen und verabschiedete Gesetze nicht wieder zurückdrehen kann. Klar ist aber auch: Klimaklagen sind nicht die Lösung. Politik und Gesellschaft sind weiterhin gefragt.
Zur Person

Roda Verheyen im Porträt
Roda Verheyen ist promovierte Juristin, Partnerin der Hamburger Kanzlei „Rechtsanwälte Günther“ und setzt sich seit Jahrzehnten für Klimaschutz ein. Sie berät und vertritt Gemeinden, Unternehmen, Umweltverbände und andere Betroffene im Umwelt- und Klimaschutzrecht. Verheyen wurde 1972 geboren und lebt in Hamburg.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Klimaschutz zum Menschenrecht erklärt. Damit hat er denselben Rang wie das Recht auf Leben oder das Recht auf Religionsfreiheit. Was bedeutet das für Klimaklagen als Instrument?
Die Feststellung, dass wir uns beim Klimaschutz innerhalb des Menschenrechtsrahmens befinden, ist wichtig. Vor allem für den europäischen Rahmen. Auch auf Ebene der Vereinten Nationen gab es diese Feststellung bereits. Leider kann man meistens vor Gericht kein ganz bestimmtes Verhalten einfordern, also zum Beispiel 30 Prozent eines Landes unter Naturschutz zu stellen.
„Ziviler Widerstand stellt unsere Demokratie nicht infrage.“
Haben Sie schon mal überlegt, sich auf die Straße zu kleben?
Nein, nie. Aber ich finde, dass jeder von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen sollte. Und wenn das gegen die Rechtsordnung verstößt, dann haben wir ein Strafrecht, das hier greift. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass der zivile Widerstand, den es gibt, unsere Demokratie infrage stellt. Eher andersrum. Denn dass die Regierung schlicht und einfach rechtswidrig handelt, ist ein institutionelles Problem.
Wie bewerten Sie Maßnahmen wie Präventivhaft, die zum Beispiel in Bayern durchgeführt wurden?
Ich hoffe, dass die entsprechenden Rechtsgrundlagen für verfassungswidrig erklärt werden. Die Verfahren laufen noch. Ich glaube, dass sie gegen fundamentale Ideen des Grundgesetzes verstoßen und ich bin der Auffassung, dass wir in Deutschland aufpassen müssen, dass wir uns nicht aus Partikularinteressen heraus unserer zentralen Freiheiten berauben, nämlich Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie das Recht auf Freizügigkeit. Das ist eine ganz bedenkliche Entwicklung.
Bei all den Sorgen: Was treibt Sie an?
Ich sehe in Deutschland viele Unternehmen, Gruppen, mittelgroße, große und auch ganz kleine, die wollen bei der Verkehrswende mitmachen, die wollen bei der Energiewende mitmachen. Und die wollen auch eine gesunde Umwelt für sich und ihre Kinder. Aber wir haben ein Kommunikationsproblem. Wir haben verlernt zu vermitteln, dass wir das schaffen können – gemeinsam. Mich inspirieren Menschen, die ins Tun kommen, anstatt zu meckern.
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