Die Coronakrise lässt Themen wie Glyphosat und Pestizide beinahe in Vergessenheit geraten. Dabei tut sich hier gerade eine ganze Menge. In der Schweiz zum Beispiel soll das Volk voraussichtlich noch in diesem Jahr über eine Verfassungsänderung abstimmen: „Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide“. Initiiert hat den Vorschlag die Bürgerstiftung Fondation Future3. In ihrer Begründung nennt sie die gesundheitlichen Risiken und den Verlust von Biodiversität. Die Bürgerstiftung will einen Ausstieg mit Ansage, umzusetzen innerhalb von zehn Jahren. So wie in Deutschland bei der Atomkraft und bei der Kohle.
Noch vor fünf Jahren hätten die Manager der Chemiekonzerne Bayer (und damals Monsanto), BASF, & Co. über ein solches Szenario nur müde gelächelt. Heute treibt es ihnen Schweißtropfen auf die Stirn. Denn in der Zwischenzeit haben zwei Themen die Wahrnehmung von Ackergiften in der Öffentlichkeit drastisch verändert: Glyphosat und Insektensterben.
So weit wie die Schweiz sind die Staaten der EU noch nicht. Ein generelles Verbot von Pestiziden steht hier nicht zur Debatte. Im Raum steht jedoch ein Verbot von Glyphosat. Zur Erinnerung: Der Wirkstoff wurde im März 2015 von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Die Substanz stand damals gerade in der EU zur Wiederzulassung an und wäre im Zuge der aufkommenden öffentlichen Diskussion fast verboten worden. Im letzten Moment stimmte jedoch der damalige deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt Ende 2017 auf EU-Ebene für Glyphosat und verlängerte damit dessen Zulassung bis 15. Dezember 2022. Bliebe es dabei, wäre das Herbizid bis Ende 2023 vom Markt verschwunden.
Neue Zulassung für Glyphosat?
Doch so einfach wird es wohl nicht. Denn am 12. Dezember 2019 reichten neun Hersteller von Glyphosat ihren Antrag für eine erneute Zulassung ein. Sie haben nun bis Mitte diesen Monats Zeit, den Antrag mit einem Dossier zu begründen. Sobald es vorliegt, werden Fachbehörden der EU-Staaten Frankreich, Schweden, Ungarn und der Niederlande eine Risikoabschätzung erarbeiten, die Mitte 2021 fertig sein soll und dann zwei Monate öffentlich zur Debatte steht. Danach verfasst die europäische Lebensmittelbehörde EFSA eine Stellungnahme für die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten. Diese entscheiden dann darüber, ob die Zulassung von Glyphosat verlängert wird.
Der Inhalt der Stellungnahme müsste laut Peter Clausing vom Pestizid-Aktionsnetzwerk (PAN) eigentlich klar sein: „Es gab in den letzten Jahren Hunderte neuer Publikationen zu den verschiedensten Aspekten von Glyphosat. Bezüglich des Krebsrisikos ist die Datenlage ausreichend eindeutig, um eine Zulassung abzulehnen.“ Das sahen drei US-Gerichte ähnlich und gaben den Klägern recht, die ihre Krebserkrankung auf das glyphosathaltige Herbizid Roundup der Bayer-Tochter Monsanto zurückführten. Weitere 48.600 Klagen sind in den USA noch anhängig. Um der Prozessflut Herr zu werden, verhandelte Bayer intensiv über einen Vergleich; das Ergebnis: der deutsche Agrarchemie- und Pharmakonzern erklärte sich bereit, 39,6 Millionen US-Dollar zu zahlen.
Wird der Ausstieg politisch gewollt?
Pestizide in Zahlen

Deutschlands Landwirte haben 2018 rund 29.000 Tonnen Pestizidwirkstoffe auf Äcker und Felder gesprüht, darunter 3400 Tonnen Glyphosat. Trotz aller Minimierungsversprechen hat sich die Menge seit 30 Jahren kaum verändert. Ende 2018 waren 285 Wirkstoffe zugelassen, die die Hersteller zu 872 verschiedenen Pestiziden kombinierten. Diese Zahlen erhebt jährlich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Weltweit werden rund vier Millionen Tonnen Pestizide ausgebracht.
Die Bundesregierung hat den Glyphosat-Ausstieg bereits im Koalitionsvertrag im März 2018 versprochen. Am 4. September 2019 beschloss sie, „den Einsatz glyphosathaltiger und wirkungsgleicher Pflanzenschutzmittel ab 2020 deutlich einzuschränken“. Bis Ende 2023 will sie die Anwendung in Deutschland ganz beenden. Doch was, wenn die Zulassung verlängert wird? „Bisher hat Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner nicht klar gesagt, dass sie in Brüssel eine erneute Zulassung von Glyphosat ablehnen wird“, sagt Karl Bär, Pestizidexperte beim Umweltinstitut München. Der Ausstieg und die Schritte dahin seien noch nicht gesetzlich verankert und selbst das seit Langem versprochene Verbot für Hobbygärtner wurde bis heute nicht umgesetzt, bilanziert Bär: „Ich bin da sehr, sehr misstrauisch!“ Auch auf Nachfrage von Schrot&Korn, ob die Ministerin in Brüssel gegen eine erneute Zulassung stimmen werde, antwortete eine Sprecherin lediglich, die Ministerin habe gesagt, „dass nicht davon auszugehen ist, dass es in der Europäischen Union nach 2022 noch eine Mehrheit für eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung gibt".
Misstrauen ist auch auf europäischer Ebene angebracht. EFSA und EU-Kommission haben dem Wirkstoff Glyphosat bisher die Treue gehalten. Die Kommission wird vermutlich auch dieses Mal versuchen, einen Kompromiss zu finden. Der könnte so aussehen: Glyphosat bleibt weiter zugelassen und jene Staaten, die den Wirkstoff ablehnen, können für ihr Land Anwendungsverbote erlassen. Die Hersteller würden diese Verbote respektieren und nicht dagegen klagen. Mit einem ähnlichen Kompromiss erlaubte die EU 2015 ihren Mitgliedern nationale Anbauverbote für Gentechnikpflanzen. Der grüne Bundestagsabgeordnete Harald Ebner warnt deshalb vor einem „Kuhhandel wie bei der Gentechnik“. Glyphosat müsse aus Gründen des Gesundheits- und Umweltschutzes vom Markt – in der ganzen EU.
Nicht nur Glyphosat ist ein Problem
Karl Bär vom Umweltinstitut weist darauf hin, dass es die Möglichkeit für nationale Verbote jetzt schon gebe. So habe Deutschland bereits seit 2009 keine Pestizide mit dem giftigen Insektizid Chlorpyrifos mehr zugelassen. „Die EU hat den Wirkstoff jetzt erst verboten.“ Ein weiteres Beispiel sei Frankreich. Das Land habe die bienengiftigen Neonicotinoide lange vor der EU aus dem Verkehr gezogen. „Dafür braucht es ein handwerklich gut gemachtes Gesetz und den politischen Willen“, sagt Bär. An beidem mangelte es in Österreich. Das Parlament des Nachbarlandes hatte im Sommer 2019 ein Glyphosatverbot beschlossen, es aber bis heute nicht umgesetzt. Dabei hatte die EU-Kommission keine inhaltlichen Einwände gegen das nationale Verbot. Auch Frankreich hatte ein vorzeitiges Glyphosatverbot angekündigt, das Präsident Macron nach Bauernprotesten wieder einkassierte. Denn den Landwirten erleichtert das günstige Herbizid die Arbeit.
Zwingend notwendig, um die Ernten zu sichern, ist es nicht. Das haben inzwischen einige Studien gezeigt, unter anderem vom bundeseigenen Julius-Kühn-Institut. Denn Wildkräuter auf dem Acker lassen sich auch mechanisch bekämpfen, indem der Landwirt mit dem Trecker Striegel oder Hacke über das Feld zieht und damit die Kräuter entwurzelt. Bio-Bauern wenden diese Technik seit Jahrzehnten an und haben die Geräte weiterentwickelt. Auch immer mehr konventionelle Landwirte interessieren sich dafür.
Herbizid auch verantwortlich für Insektensterben?
Vielen Menschen geht es aber längst nicht mehr nur um Glyphosat. Es geht um alle synthetischen Pestizide. Im Herbst 2017 schrieben niederländische Wissenschaftler, dass die Zahl der Fluginsekten in deutschen Schutzgebieten in den letzten 30 Jahren um drei Viertel abgenommen hat. Weitere Studien bestätigten das massive Insektensterben und benannten auch den Hauptschuldigen: Die industrielle Landwirtschaft mit ihren Pestiziden. Dabei töten nicht nur Insektizide, also Insektenvernichtungsmittel, die Tiere, sondern auch Herbizide, mit denen Wildkräuter weggespritzt werden, die Insekten als Nahrungsquelle und Lebensraum dienen.
Zwar schaffte es der Insektenschutz im März 2018 in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung, zusammen mit dem Versprechen, mit einer Ackerbaustrategie „die umwelt- und naturverträgliche Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ voranzubringen. Doch dann dauerte es bis Dezember 2019, bis Agrarministerin Klöckner ihre Ackerbaustrategie präsentierte. Darin nennt sie das Ziel, bis 2030 die Anwendung von Pestiziden „deutlich zu reduzieren“. „Keine verbindlichen Ziele, keine konkreten Maßnahmen, kein Zeitplan“, kommentierte damals Olaf Bandt, Geschäftsführer Politik des Umweltverbandes BUND. Ähnlich unkonkret bleibt die EU-Kommission, die in ihrem Green Deal verspricht, die Anwendung von Pestiziden deutlich zu reduzieren und sie sicherer zu machen.
Wie viel es zu tun gäbe, zeigt eine Liste von PAN International. Sie umfasst 310 Wirkstoffe, die laut dem Pestizid-Aktionsnetzwerk für die menschliche Gesundheit, für Tiere und für die Umwelt besonders gefährlich sind. Die meisten davon sind auch in der EU zugelassen. „Diese Stoffe gehören schon seit Langem verboten und zwar weltweit“, sagt der Toxikologe Peter Clausing von PAN. Die anderen Wirkstoffe sollten dann mit der Zeit folgen. „Wir brauchen keine neuen, angeblich verträglicheren Wirkstoffe, sondern den Ausstieg aus diesem Anbausystem.“
Europäische Bürgerinitiative gegründet
Das sehen immer mehr Menschen so, die dabei allerdings nicht mehr auf die zögerliche Politik warten wollen. Sie nehmen die Dinge selbst in die Hand, etwa mit dem erfolgreichen Volksbegehren „Rettet die Bienen“ in Bayern. Es fand Nachahmer in Baden-Württemberg und Brandenburg und hat auch zur Europäischen Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ geführt. Deren wichtigste Forderung: „Der Einsatz von synthetischen Pestiziden in der EU-Landwirtschaft soll bis 2030 um 80 Prozent reduziert werden. Bis 2035 sollen die EU-Mitgliedstaaten komplett pestizidfrei sein.“ In Umfragen befürworteten zwei Drittel der Befragten einen solchen Pestizidausstieg – in der Schweiz. Eine EU-weite Umfrage zu einem möglichen Pestizidausstieg gibt es bisher noch nicht.
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