Die Leipziger Unternehmerin Cordula Weimann traf immer wieder mal einen guten Bekannten aus dem Umweltbundesamt, Harry Lehmann. Regelmäßig erzählte er ihr von den Folgen der ungebremsten Erderhitzung. „Schlimm“, dachte sie jedesmal. „Aber wir haben ja das Pariser Klimaabkommen. Wird schon.“ Einmal zeigte Lehmann ihr ein Schaubild der steigenden Fieberkurve der Erderhitzung. „Da wurde mir klar, dass die Einhaltung der in Paris beschlossenen Ziele nicht klappt, wenn wir nicht jetzt etwas tun.“ Doch Wissen ist das eine, Handeln das andere.
Als Cordula Weimann jedoch kurz darauf mit ihrem Enkel Fahrradfahren übte, sah sie diese Fieberkurve wieder vor sich. In dem Moment fand sie ihr Enkel-Engagement grotesk, denn gleichzeitig trug sie durch ihr normales Alltagsleben und politisches Stillhalten mit dazu bei, die Zukunft ihrer Enkel durch das Aufheizen der Erde zu zerstören. Sie dachte: „Wenn ich jetzt nicht etwas mache, haben meine Enkel keine Zukunft. – Das ging mir durch alle Zellen.“ Nur wenige Wochen später gründete Cordula Weimann mit Gleichgesinnten den gemeinnützigen Verein: „Leben im Einklang mit der Natur“ und die Bewegung „Omas for Future“.
Allianzen schließen
Die Kids von Fridays for Future (FFF) und vor allem junge Frauen haben im vergangenen Jahr mit ihren Streiks und öffentlichen Auftritten das Problem der fehlenden Klimapolitik zu einem zentralen gesellschaftlichen Thema gemacht. Vorher war es von Regierungsparteien, Gesellschaft und auch Medien jahrelang weggedrückt worden, ähnlich wie bei Cordula Weimann: „Schlimm. Aber naja, man hat anderes zu tun.“ Die jungen Leute von Fridays for Future haben Allianzen mit Klimawissenschaftlern und anderen geschlossen. Das hat die Bewegung für Klimapolitik breit in der Mitte der Gesellschaft verankert. Viele wollen plötzlich „for Future“ sein.
Doch was eigentlich ist mit den älteren Leuten? Wo sind die „68er“, die ja die große, emanzipatorische Junge-Leute-Bewegung der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts waren? Auch sie wollten die Welt zum Besseren verändern, die Politik, die Liebe, den Sex und das menschliche Miteinander. Und sie haben in mancherlei Hinsicht einiges erreicht. Doch was machen sie heute? Schippern sie auf klimakillenden Kreuzfahrtschiffen fröhlich in den Sonnenuntergang, während die Jungen auf der Straße protestieren?
Das ist eine abwegige Perspektive, der Lukas Beckmann (69) nichts abgewinnen kann. Er ist ein Protagonist der westdeutschen Protest- und Aufbruchsgeneration, hat 1979 die Grünen mitgegründet, war ihr Geschäftsführer und Vorsitzender, später im Vorstand der sozialökologischen GLS-Bank-Stiftung. An einem Tag im Spätherbst vergangenen Jahres steht er am Brandenburger Tor in Berlin und „streikt für Klima“, wie die Jungen sagen.
Beckmann engagiert sich in unterschiedlichsten Bereichen, etwa in Genossenschaften. Was ihm fehlt, sind eher die Mittelalten. „Eine Schwäche für Veränderungen ist die Generation dazwischen, die im Rad dreht, die von Beruf, Kindern und pflegebedürftigen Eltern in Beschlag genommen ist“, sagt er. Und außerdem: „Welche 68er von damals verstehen sich heute noch als 68er? Wir alle werden als Klimageneration zusammenwachsen oder zusammen weichen müssen.“
Wir alle zusammen: die Klimageneration
Vermutlich hat Beckmann Recht und die Gruppe der 68er ist zu klein, um sie stellvertretend für die bis 1950 Geborenen nehmen zu können. Klar ist aber, dass viele der Älteren die glücklichen Profiteure einer in Europa einzigartigen Phase des Friedens, des Wohlstands und der Liberalisierung sind. Viele leben gut und reisen gern, was einen hohen ökologischen Fußabdruck bedeutet, solange die Geschäftsgrundlage das Verbrennen fossiler Energieträger ist.
Cordula Weimann schreibt auf der Website von Omas for Future: „Es war ein Schock für mich, zu erkennen, dass ich mit meiner Lebensweise die geliebte Erde zerstöre und damit meinen Kindern und Enkeln die Existenzgrundlage.“ In einem Café in Berlin erzählt sie von ihrem Lebensplan, der „eigentlich“ vorsah, dass es „ab 60 ruhiger wird“. Wenn man jedoch mit Cordula Weimann spricht, merkt man sehr schnell, dass sie keine halben Sachen mag. Sie ist keine „Oma“ aus dem Klischeebilderbuch, sie ist eine echte Macherin und ihre Zielgruppe ist 50 Jahre alt und älter. Das sind insgesamt 40 Millionen Deutsche. Längst gibt es eine professionelle Website und wissenschaftliche Beratung für Omas for Future. Aus der ersten Ortsgruppe Leipzig sollen zügig 100 werden. Die Leute treffen sich nicht zum Kuchen Essen, sie wollen und sollen geschult werden. Denn nicht alle, denen die „Omas“ ihr Anliegen vortragen, sind begeistert. Teilweise erfahre sie eisiges Schweigen, sagt Weimann. „Vielleicht haben die Menschen so viel Angst, den Status quo aufgeben zu müssen, dass sie mauern.“
„Oma, tu es für mich!“
Weltweit protestieren Millionen von Menschen, um den Klimawandel zu stoppen. Beim 4. globalen Klimastreik am 29. November demonstrierten Bürger in 150 Ländern. Selbst in abgeschiedenen Weltregionen der Arktis und Antarktis haben sich Forscher den internationalen Klimaprotesten angeschlossen.
... Klimastreik-Bewegung ist international, überparteilich, autonom und dezentral organisiert.
Das kurzfristige Ziel von Omas for Future ist es, möglichst viele Menschen zu mobilisieren, die eigenen Lebensgewohnheiten zu überdenken und als Konsumenten und Bürger intensiv Einfluss auf Unternehmen, Handel und Politik zu nehmen.
Als Weimann zum ersten Mal bei Fridays-for-Future-Demonstrationen auftauchte, sagten die Kids: „Oma, toll, dass du da bist.“ Cordula Weimann darauf: „Ne, ne, ihr müsst nicht mich toll finden. Ihr müsst eure eigenen Opas und Omas aktivieren. Denn da habt ihr die Macht.“ Ihren Eltern könnten Kinder nichts vorschreiben, sagt Weimann, das Verhältnis sei zu kompliziert. Aber wenn jemand Oma und Opa das Kreuzfahrtticket madig machen dürfe oder ihren Strom auf Öko umstellen könne, dann seien das die Enkel. Die könnten sagen: „Oma, tu’s für mich.“ Oder auch mal konfrontativ werden und sagen: „Warum schenkst du mir 50 Euro zum Geburtstag und bedrohst mit der Kreuzfahrt gleichzeitig meine Zukunft?“
„Mobilisiert uns! Holt uns Ältere ins Boot!“
Letztlich geht es jedoch nicht um Spaltung, sondern um eine Allianz. Für Weimann ist diese Allianz zwischen den Enkeln und ihren Großeltern ganz existenziell wichtig. Das sagt sie den Leuten von Fridays for Future auch: „Wenn ihr uns nicht mobilisiert, haben wir keine Chance. Denn wir Älteren machen diese Kreuzfahrten, wir haben die dicken Autos, wir wohnen in viel zu großen Wohnungen, wir müssen ins Boot.“ Die Politik habe hier versagt: „Sie hat unseren Konsum und Lebensstil unterstützt und uns nie gesagt, welche Belastung das für die Natur ist. Sie tut es auch heute noch nicht entschlossen genug.“
Jetzt darf man sich Cordula Weimann auf keinen Fall als Öko-Zausel aus dem Grünen-Milieu vorstellen. Sie ist seit 40 Jahren Unternehmerin, erst Sanierungen, später ökologische Holzhäuser. Früher, gesteht sie, lebte sie im Höher-weiter-schneller-Modus. 68erin war sie nie. „Ich hatte ein Sportcabrio und meine drei Kinder sind darin großgeworden“, sagt sie. „Ich war auf dieser Schiene, fühlte mich wichtig, das sind auch schöne Gefühle, aber es hat mich nicht glücklich gemacht.“
Heute weiß sie: „Wenn wir glücklich werden wollen, dann geht das nur mit Beziehungen zu Menschen oder Erlebnissen in der Natur.“ Dieses Glücksgefühl habe sie nie gehabt, wenn sie etwa ein neues Auto gekauft hatte. Glück sei immer umsonst. Natürlich merkt sie, dass das ein Poesiealbumspruch ist, und setzt nach: „Ist so.“
Dass Fridays for Future die Politik bearbeiten, also oben ansetzen, findet sie richtig. Omas for Future seien die Ergänzung dazu, „wir setzen unten an, bei jedem Bürger. Ziel ist, deutschlandweit diejenigen zu vernetzen, die nicht auf Kosten der Natur und zu Lasten ihrer Kinder leben wollen. Eine neue Idee ist, Menschen in Altenheimen einzubinden. Denn viele wissen, wie man umweltverträglich lebt, sind so aufgewachsen. Sie sind wichtig für uns.“
Ein möglicher Ansatz für Veränderung bildet nach Weimann auch das Prinzip der Nachfrage. Denn die Nachfrage bestimmt das Angebot. Und „die Nachfrage, das sind wir“. Zunächst gehe es um Ermächtigung des Konsumenten, etwa durch eine Rot-Grün-Ampel auf jedem Produkt. Das solle das Bewusstsein schärfen und zerstörerisch produzierte Waren aus dem Markt drängen. So könne jeder selbst entscheiden, ob er umweltschädlich (rot) einkaufen will oder die Kosten für Naturbelastungen übernehmen (grün). Die gelbe Tonne solle schnell überflüssig werden, „entweder ohne Verpackung oder kompostierbar“. Nun sind die Strukturen leider bekanntlich zäh und die Lösung globaler Krisen ist von vielen Dingen in unterschiedlichen Systemen abhängig, sodass man sich leicht wieder in ein Gefühl flüchten könne, dass das alles zu viel sei. Aber Resignieren hilft nicht.
Fridays for Future: Chance für die Welt
Die Kids von Fridays for Future haben der Weltgesellschaft die Chance eröffnet, dass Enkel ein ebenso gutes Leben führen können wie ihre Großeltern. Diese Chance wollen Omas for Future nutzen. „Sonst können wir unseren Enkeln nur sagen, dass wir zu bequem waren“, sagt Cordula Weimann. Als Eltern sei es selbstverständlich gewesen, Anstrengungen aus Liebe zu den Kindern auf sich zu nehmen. „Mit der gleichen Liebe müssen wir uns nun für den Erhalt dieser Erde einsetzen.“
Grünen-Gründer und 68er Lukas Beckmann sagt: „Ich traue den Fridays for Future sehr viel zu, wenn sie an der gesellschaftlichen Breite festhalten, allen Ausreden den Weg versperren und die Gesellschaft – anders als wir – nicht nach Freund und Feind sezieren. Sonst werden sie verlieren.“
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.