Ein Bakterium lässt die Olivenbäume verdursten
Während Francesco D’Urso in seinem Van über die Landstraße rumpelt, schweift sein Blick über die Kalksteinformationen des Alto Salento in Apulien, dem Stiefelabsatz Italiens. Olivenbäume so weit das Auge reicht. Mindestens 40 000 seien es, sagt er. Viele davon hat er gepflanzt, andere stehen hier seit mehr als tausend Jahren. In den Stolz von Familienunternehmer D’Urso mischt sich Sorge, wenn er durch seine Ländereien fährt. Sorge, dass Xylella seine Bäume dahinrafft. Xylella fastidiosa. Das Feuerbakterium. Befällt es eine Pflanze, besiedelt es das Xylem, das Leitgewebe, in dem Wasser und Nährstoffe von den Wurzeln durch den Stamm in die Äste transportiert werden.
Wie eine Thrombose blockieren die Erreger die Lebensadern. Zuerst welken einzelne Blätter, bald verdorren ganze Äste. Der Baum verdurstet. Von den rund achtzig Millionen Olivenbäumen Apuliens sind bereits mehr als zwanzig Millionen verloren. Francesco D‘Urso ist bisher weitgehend verschont geblieben. Erst vier Bäume hat er verloren. Vier zu viel. Sie wurden unter Polizeiaufsicht gefällt und verbrannt. Viel schlimmer hat es seine Nachbarn getroffen: „In ihren Hainen sind schon Hunderte Bäume tot“, sagt der 72-Jährige.
Hunderte Olivenbäume werden gefällt
Zehn Jahre ist es her, dass Xylella fastidiosa erstmals nachgewiesen wurde, laut EU eine der gefährlichsten Pflanzenkrankheiten der Welt. Einer Studie zufolge drohen allein den Anbauländern Spanien, Italien und Griechenland, die 95 Prozent der europäischen Oliven produzieren, in den kommenden Jahrzehnten Verluste von mehr als zwanzig Milliarden Euro. Um das Sterben einzudämmen, setzen die italienischen Behörden mit Unterstützung aus Brüssel auf rabiate Methoden: Infizierte Olivenbäume werden gerodet und verbrannt, ebenso alle potenziell betroffenen Wirtspflanzen im Umkreis von bis zu hundert Metern.
Zusätzlich sind Apuliens Olivenbauern verpflichtet, in ihren Hainen Insektizide zu versprühen. Sie sollen den Überträger des Bakteriums töten, die Wiesenschaumzikade, Philaenus spumarius. Sie saugt Saft aus den Blättern der Olive, dabei infiziert sie die Pflanzen. Allein im vergangenen Jahr wurden 4,2 Millionen Liter Gift versprüht.
Gift hilft nicht
Trotzdem geht das Sterben weiter. Die Rodungen und die Chemiekeule zeigen kaum Wirkung. Olivenbauern und Wissenschaftlerinnen halten den bisherigen, konventionellen Weg, dem auch gesunde Bäume zum Opfer fallen, nicht für zukunftsweisend. Im Gegenteil. Sie fürchten, dass sich ihre historische Kulturlandschaft in eine Industrieregion mit Intensivanbau verwandeln könnte, in der Qualität und Tradition zweitrangig sind. Statt uralten Hainen mit knorrigen Unikaten würden dann kleine Bäume in Reih und Glied dominieren, an denen Maschinen rütteln. Billiges Öl aus standardisierten Früchten. Deshalb arbeiten sie an neuen technischen und natürlichen Lösungen. Und sie fordern eine agrarökologische Bewirtschaftung.
Insekten könnten den Olivenbäumen helfen
Man könnte die Insekten zum Beispiel mit Insekten bekämpfen. In Experimenten hat etwa die Wanze Zelus renardii, eine ohnehin bereits aus Nordamerika nach Italien eingeschleppte Art, die gefürchtete Wiesenschaumzikade und sogar weitere Schädlinge wie die Olivenfruchtfliege gefressen. Nützliche Insekten hingegen blieben weitgehend verschont. Forschende rund um Vincenzo Verrastro vom Institut für mediterrane Agrarökonomie kommen zu dem Schluss, dass die mögliche Schadwirkung dieser biologischen Schädlingsbekämpfung deutlich geringer wäre als der weitere massenhafte Pestizideinsatz.
Wiesenschaumzikade unter dem Mikroskop
Die Wiesenschaumzikade überträgt das gefährliche Feuerbakterium, das Olivenbäume verdursten lässt. Ihr soll mit Gift zu Leibe gerückt werden, doch Resistenzen scheinen möglich.
Als bislang am tödlichsten haben sich Gifte aus der Gruppe der Neonikotinoide erwiesen. Diese Wirkstoffe will die EU eigentlich einschränken oder verbieten, denn sie schaden auch Vögeln und anderen Tieren. Ein Gutachten der Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA sieht es als erwiesen an, dass Neonikotinoide bei Säuglingen und Kleinkindern Schäden im Nervensystem anrichten können. Zugleich hat sich in Apulien gezeigt, dass die Pestizide längst nicht alle Wiesenschaumzikaden vernichten. Etliche Tiere überleben. Dass sie gegen die Pestizide resistent werden, so Verrastro, sei nur eine Frage der Zeit.
„Wer hilft den Bauern in der Türkei oder Marokko, wenn deren Bäume sterben?“
Ein weiteres Problem: Die Wiesenschaumzikade fliegt nicht nur von Baum zu Baum. Als blinder Passagier reist sie auch mit Autos und Lkws. Deshalb werden immer neue Infektionsherde weit außerhalb Apuliens gemeldet. Verrastro fürchtet, dass sich der Ausbruch in Italien zu einer Epidemie auswachsen könnte. „Was mir Sorge bereitet, sind die ärmeren Länder außerhalb der EU.“ Apuliens Landwirte würden mit Geld aus Brüssel entschädigt. „Aber wer hilft den Bauern in der Türkei oder Marokko, wenn deren Bäume sterben.“
Hoffnung ruht auf dem Öko-Landbau
Doch womöglich ist es noch nicht zu spät. Inmitten vertrockneter Olivenhaine will Marco Scortichini den Beweis erbracht haben, dass sich das Sterben stoppen lässt. Ohne Gift. Der Direktor des Forschungszentrums für Fruchtbäume arbeitet im Auftrag des Landwirtschaftsministeriums. „Fakt ist, dass Xylella Olivenbäume krank macht. Aber das ist nicht die alleinige Ursache für das Olivenbaumsterben.“ Studien zeigen, dass Schädlinge wie Pilze und andere Bakterien teils sehr ähnliche Krankheitssymptome an Olivenbäumen hervorrufen wie Xylella. Hinzu kommt, dass die Bäume im immer trockeneren Klima und den zunehmend ausgelaugten Böden ohnehin gestresst sind.
Weil die Lage so komplex ist, verwendet die Wissenschaft einen möglichst neutralen Begriff: „Olive Quick Decline Syndrome“, ein Syndrom also, bei dem sich der Zustand der Oliven rapide verschlechtert. Scortichini: „Das Baumsterben wird so als Ergebnis einer Kombination von Faktoren definiert.“ Für ihn steht fest: Xylella ist gekommen, um zu bleiben. Das Bakterium auszurotten, hält er für unrealistisch. „Wir müssen lernen, mit Erregern und Pflanzenkrankheiten umzugehen.“ Er empfiehlt, Olivenbäume regelmäßig mit organischem Dünger zu versorgen, um ihre Abwehrkräfte zu stärken. Außerdem sollten Bauern ihre Haine im Frühjahr vom Grasbewuchs befreien, in dem sich die Wiesenschaumzikaden vermehren.
Scortichinis Vision: Die agrarökologische Bewirtschaftung, kombiniert mit gezielten Behandlungsmethoden, soll den Olivenanbau widerstandsfähiger machen gegen die Klimakrise und Krankheitserreger.
Wie ist die aktuelle Situation im Bio-Olivenanbau? Wir haben nachgefragt
„Den Bäumen fehlt die Ruhephase“
„In Griechenland führen warme Winter dazu, dass Olivenbäume die für ihre Blüte nötige Ruhephase nicht durchlaufen können. Die Anpassung an die klimatischen Veränderungen erfordert von unseren Bäuer:innen große Investitionen z.B. in neue Bewässerungssysteme. Auf häufigere Schwankungen bei den Erträgen mussten wir zuletzt mit Preiserhöhungen reagieren. Die Natur lässt sich nicht besser strukturieren, effizienter machen. Aber was geht, ist mehr mit ihr statt gegen sie zu arbeiten. Und genau das macht der ökologische Landbau. Mit viel Unterholz und Nützlingen bekämpfen unsere Bäuer:innen Unkraut und Schädlinge auf natürliche Weise. Ein weiterer Baustein ist die Vorreiterrolle von Naturland im Bereich verantwortungsvolles Wassermanagement.“ Felix Bläuel, Geschäftsführer von Mani
„Genügend Humus ist wichtig“
„Auf unseren Olivenhainen in der Maremma in Italien sind wir bisher von Xylella fastidiosa verschont geblieben. Eine unserer größten Aufgaben ist es, ausreichend gut ausgebildetes Fachpersonal zu finden und entsprechend zu schulen. Der richtige Zuschnitt und der fachgerechte Einsatz schonender Erntetechniken sind essenziell für starke Bio-Olivenbäume. Wichtig ist auch genügend viel und nährstoffreicher Humus. Dieser macht die Bäume resistenter gegenüber Extremwetterereignissen. Darüber hinaus ist die Auswahl der richtigen Pflanzen unter Aspekten wie Wasserbedarf, Wuchskraft und Widerstandsfähigkeit gegen Umweltstress entscheidend. Trotz aller Herausforderungen sind wir durch diese verschiedenen Maßnahmen zuversichtlich, auch in Zukunft qualitativ hochwertige native Olivenöle anbieten zu können.“ Andreas Englmeier, Geschäftsführer von LaSelva
„Manche Öle werden nicht immer verfügbar sein“
„Die Olivenbäuerinnen und -bauern spüren in den letzten Jahren deutlich die Auswirkungen der Klimakrise: Insgesamt verzeichnen sie einen Temperaturanstieg, der kritische Phasen der Olivenentwicklung wie Blüte und Reife beeinflusst. Das wirkt sich auf Erntemengen, aber auch auf die Qualität aus. Um Krankheiten in den Hainen vorzubeugen, beschneiden die Bio-Landwirte regelmäßig die Bäume und überwachen die Haine mit Kameras, auch um bei Unwettern schnell handeln zu können. Sie arbeiten mit Tröpfchenbewässerung, kontrollieren regelmäßig den Boden und legen Kanäle an, um Starkregen aufzufangen und das Wasser in Reservoirs zu speichern. Die Herausforderung sind steigende Preise sowie teils mangelnde Verfügbarkeit in der von uns gewünschten Qualität. Manche Olivenöle werden nicht immer bis zur nächsten Ernte verfügbar sein“. Eva Kiene, Pressesprecherin bei Rapunzel
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