Umwelt

Ökostrom – wirklich immer grün?

Mehr als die Hälfte unseres Stroms stammt aus Erneuerbaren. Was es noch braucht für eine erfolgreiche Energiewende. Und: Öko ist nicht gleich Öko. 

Völlig utopisch schien die Idee vor 35 Jahren – heute ist der flächendeckende Einsatz von Ökostrom nationales Klimaziel. Kein Wunder, dass sich immer mehr Ökostromanbieter auf dem Markt tummeln. Doch was genau ist eigentlich Ökostrom

Was ist Ökostrom?

Dass der Begriff für Energie aus regenerativen Quellen wie Wasser, Wind, Sonne und Biomasse steht, hat sich herumgesprochen. Weniger bekannt ist, dass auch Strom aus Braunkohle- oder Atomkraftwerken das Etikett Ökostrom tragen kann. Die frisch gebackene Ökostromkundin Andrea Winter wusste es jedenfalls nicht. Seit Mai stehen zwei Steckersolargeräte in ihrem Garten. Gleichzeitig ist sie auf Ökostrom umgestiegen. „Das stand schon lange auf meiner Liste“, sagt sie. Vorher war sie Kundin beim örtlichen Grundversorger der Region Kassel. Schon letztes Jahr hatte sie sich auf Online-Vergleichsportalen umgesehen, konnte sich aber nicht entscheiden.

Als dann im Frühjahr saftige Preiserhöhungen anstanden, stolperte sie über einen Wechselanbieter, erhielt ein tolles Preisangebot und schlug zu. Jetzt also Ökostrom. Ökostrom? Auf der Website des Anbieters sieht alles grün und einladend aus. 100 Prozent aus erneuerbaren Energien. TÜV-Zertifikate wecken Vertrauen. Doch auf der Website steht nichts über die tatsächliche Herkunft des Stroms. Das Unternehmen produziert Fotovoltaikmodule – dafür gab es die TÜV-Zertifikate. Es verkauft Fotovoltaik-Anlagen, betreibt aber in Deutschland keine. Hauptsitz ist Südkorea. Unterm Strich bringt es die Energiewende in Deutschland nicht voran.

Tipps für den Wechsel zum Ökostromanbieter:

  • 100 Prozent Ökostrom: Nachfragen, ob ein Anbieter erneuerbare Energie aus eigenen Anlagen bezieht oder mit Herkunftsnachweisen aus direkten Lieferverträgen mit Erzeugerkraftwerken? Wer regionale Erzeugung unterstützen will, kann gezielt nach Bürger-Energie-Projekten Ausschau halten.
  • Label checken: Ökostromlabel zertifizieren in der Regel einzelne Tarife, seltener auch die anbietenden Unternehmen. Anbieter von reinem Ökostrom, die zusätzlich in den Bau neuer Anlagen investieren, erhalten Label wie „Grüner Strom“ oder „ok-power“.
  • Klimabonus: Manche Anbieter erheben einen Klima-Investitionsaufschlag beim Tarifpreis. Damit unterstützen sie Aufforstungsprojekte.

Wie echten Ökostrom erkennen?

Verpflichtende Herkunftsnachweise sollen eigentlich Transparenz schaffen. Einen solchen Nachweis erhält ein Ökostromproduzent für jede erzeugte Megawattstunde. Den Herkunftsnachweis kann das Unternehmen verkaufen – getrennt vom eigentlichen Strom, den es ins Netz einspeist. Somit können Versorger behaupten, Ökostrom zu liefern, „obwohl sie lediglich Strom aus Atomkraft- oder Kohlekraftwerken liefern und diesen mit Hilfe von zusätzlich eingekauften Herkunftsnachweisen als ‚Grünstrom‘ deklarieren“, wie das Umweltbundesamt schreibt.

Und Stromanbieter können sich diese Zertifikate kaufen, ohne selbst in die Energiewende zu investieren. Günstige Herkunftsnachweise stammen meist aus dem Ausland, oft von alten Wasserkraftanlagen. Aus Norwegen oder Island zum Beispiel. Auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen, sagt Energieberaterin Margrit Zawieja von der Verbraucherzentrale. Sie empfiehlt zur Orientierung die Label „Grüner Strom“ und „ok-power“: „Wer es trägt, investiert nachweislich in erneuerbare Energie-Anlagen.“

Echter Ökostrom sei nicht unbedingt der günstigste, sagt sie. Deswegen weise sie auf die Einsparpotenziale im Haushalt hin. Damit könne man den höheren Preis oft ausgleichen, so Zawieja. Dass hier Potenzial liegt, konnte man 2022 und 2023 sehen. Damals war wegen der enormen Preise die Angst vor der Stromrechnung groß. Die Folge: Der Stromverbrauch sank trotz Zuwachs an E-Autos und Wärmepumpen.

„Nur echter Ökostrom bedeutet Wende“

Carolin Dähling, Leiterin für Politik und Kommunikation bei der Green Planet Energy.

„Fast jeder zweite Haushalt in Deutschland kauft Ökostrom. Dahinter steht oft eine bewusste Entscheidung für mehr Klimaschutz und erneuerbare Energien“, sagt Carolin Dähling, Leiterin für Politik und Kommunikation bei der Green Planet Energy. Doch bei den meisten Ökostromanbietern spare man kein Gramm CO2 und bringe die Energiewende nicht voran. „Viele Versorger liefern lediglich Graustrom, der durch Herkunftsnachweise – z.B. aus Island – grün gewaschen wird“, so Dähling. Im schlimmsten Fall würden Ökostromkund:innen so paradoxerweise sogar Kohle und Atomenergie finanzieren. „Die gute Nachricht: Es gibt Versorger, die echten Ökostrom anbieten.“ Man müsse auf die Herkunft des Stroms achten und ob wirklich in den Ausbau neuer Windenergie- und PV-Anlagen investiert wird. Dabei helfen unabhängige Siegel oder der Ökostromreport von Robin Wood.

Welcher Strom kommt aus der Steckdose?

Unser Stromsystem ist komplex. Vereinfachend könnte man es vergleichen mit einem großen See, gespeist von den Kraftwerken. Der Strom wird dann aus diesem See mittels Überlandleitungen oder unterirdischen Kabelnetzen zu den Verbraucher:innen geleitet. Insgesamt verbrauchten wir 2023 nach Angaben des Umweltbundesamtes 525 Terawattstunden Strom, etwas mehr als die Hälfte davon aus Erneuerbaren. Die nächste Etappe auf dem Weg zur Klimaneutralität heißt 80 Prozent Ökostromanteil bis 2030. Das Ziel sind 100 Prozent bis 2045.

Energieexperten fordern einen nationalen Umsetzungsplan. Ökostromanbieter reagieren bereits mit entsprechenden Angeboten. Besonders attraktiv ist etwa die Nutzung einer eigenen Fotovoltaikanlage. Dafür aber muss man die Energieströme im Haus hin- und hersteuern – und als besonderes Plus auch speichern können. Solchen Nutzer:innen stehen „Smartmeter“ zu, intelligente Stromzähler. Die Bundesregierung will sie damit ausrüsten, noch hat sie nicht damit begonnen. Manche Ökostromanbieter gehen voran und bauen Smartmeter notfalls selber ein. Geht es um 100 Prozent Ökostrom fürs ganze Land, wird oft vor einer „Dunkelflaute“ gewarnt. Der Begriff steht für die Angst, dass reiner Ökostrom den Strombedarf nicht decken könnte, wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint. Damit der Plan B nur mit Erneuerbaren funktioniert, ist die Speichertechnologie ein zentrales Thema.

„Ökostrom ist in der Mitte angekommen“

Oliver Hummel, Vorstandsvorsitzender beim Ökostromanbieter Naturstrom AG

Um die Energiewende voranzutreiben, müsse man die Menschen laut Oliver Hummel kaum noch vom Wechsel überzeugen. Er ist Vorstandsvorsitzender beim Ökostromanbieter Naturstrom AG und hält Greenwashing für das größere Problem: „Ökostrom ist in der Mitte angekommen. Die Kund:innen müssen sich aber fragen: Welcher Anbieter ist glaubwürdig?“ Die meisten seien lediglich Stromhändler, die nicht selbst in Erneuerbare investieren. „Damit aber bringen sie der Umwelt gar nichts.“ Die Düsseldorfer Naturstrom AG steckt je gelieferter Kilowattstunde einen Cent in neue Windenergie- und Solaranlagen. Aktuell beschäftigt Oliver Hummel vor allem der wachsende Bedarf an E-Auto- und Wärmepumpenstrom. Dafür brauche es ein flexibleres Energiesystem: „Wir benötigen mehr Speicherkapazitäten und die Nutzung vor Ort.“

Wie viel Ökostrom fließt in Deutschland?

Schon jetzt könnten Ökostromanlagen sechs Terawattstunden mehr produzieren (und damit etwa 2 Millionen mehr Haushalte versorgen), wenn sie dürften. Deutschland hat jedoch rund 890 Netzbetreiber, die regelmäßig vor allem Windkraftanlagen „abregeln“, also drosseln oder abschalten, damit ihre Netze nicht überlastet werden. Klingt absurd. Ist es auch. Eigentlich hat Ökostrom nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz Vorrang beim Einspeisen ins Netz, um Deutschland klimaneutral zu machen. Doch wenn Betreiber sagen, das Netz sei überlastet, muss abgeregelt und guter Strom verschenkt werden. Dabei wird Windenergie häufiger als andere Erzeuger abgeschaltet, weil sich die Anlagen mit einer schnelleren Wirksamkeit regeln lassen, sagt der Bundesverband Windenergie.

Wir brauchen Strom-Speicher

Um solche Überschüsse künftig nutzen zu können, sind zwei Kraftakte nötig: Zum einen der Ausbau und die Renovierung der veralteten Netze, damit sie mehr Strom fassen. Zum anderen die Einführung von Speichertechnologien. Bei diesen gibt es verschiedene Varianten: vom Batteriespeicher, der mit überschüssigem Grünstrom aufgeladen wird wie ein Akku, bis hin zur Umwandlung des Stroms in speicherbaren Wasserstoff.

Einige davon werden von engagierten Ökostromanbietern schon verwendet oder getestet. Damit, und indem sie neue Anlagen bauen, tragen sie zur Energiewende bei. Unterstützen kann man sie, indem man gezielt zu ihnen wechselt. Andrea Winter hat sich die Kündigungsfrist im Kalender rot angestrichen und wird wieder wechseln. Zu einem zertifizierten Ökostromanbieter, bei dem auch ihre Freunde sind.

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