Umwelt

Nachhaltiger Tourismus: Warum in die Ferne schweifen ?

KLIMAWANDEL in Schweden setzt sich ein neuer Trend durch: flygskam, sich wegen seiner Flugreisen schämen. Zum Glück kann man im Urlaub auch auf dem Boden bleiben.

KLIMAWANDEL in Schweden setzt sich ein neuer Trend durch: flygskam, sich wegen seiner Flugreisen schämen. Zum Glück kann man im Urlaub auch auf dem Boden bleiben. Susanne Götze

Bio-Hotel Strandeck auf Langeoog liegt nur wenige Minuten vom Strand entfernt – eine Traumlage. Hier verbringen jedes Jahr Menschen aus ganz Deutschland ihren Urlaub. Doch die gute Lage auf der Nordseeinsel könnte Hotelbesitzerin Maike Recktenwald bald zum Verhängnis werden. Der steigende Meeresspiegel, häufigere Sturmfluten und Unwetter bedrohen die Idylle. Maike Recktenwald hat deshalb die EU verklagt. Die Gastronomin reichte zusammen mit zehn Familien aus fünf EU-Ländern sowie aus Fidschi und Kenia Anfang 2018 eine Klage gegen die Klimapolitik der EU am Gericht der Europäischen Union ein. Sie erklärt dazu: „Im Nationalpark Wattenmeer leben wir mitten in der Natur und spüren den Klimawandel in unserem Alltag.“ Die Klimaschutzpolitik der EU reiche nicht aus, um wirklich die Bürger zu schützen. Ihr Familienhotel fürchtet um seine Existenz, denn die Staaten der Welt stoßen weiterhin zu viel CO2 in die Atmosphäre aus und betreiben keinen konsequenten Klimaschutz.

Wie Familie Recktenwald geht es immer mehr Unternehmen, die vom Tourismus abhängen. Küsten und Inseln sind vom steigenden Meer bedroht. Gebirgsregionen leiden unter kurzen, schneearmen Wintern. Im letzten Oktober vermeldete ein Skiort in Tirol, man habe die ersten Pisten komplett künstlich beschneit – bei elf Grad Außentemperatur. Hydrologen und Umweltverbände schätzen vorsichtig, dass bereits heute rund die Hälfte der europäischen Skigebiete während der gesamten Wintersaison künstlich beschneit werde. Schneekanonen fressen sehr viel Energie und verbrauchen Unmengen Wasser – bevorzugt aus natürlichen Wasservorräten. Das verschlechtert die CO2-Bilanz der Skiorte beträchtlich und schadet dem Klima wiederum: ein Teufelskreis. Der Deutsche Alpenverein und das Umweltbundesamt warnen, dass in rund 20 Jahren nur noch halb so viele Skigebiete schneesicher sein könnten – trotz künstlicher Beschneiung.

Doch viele Tourismusorte wollen das nicht wahrhaben und ignorieren den Klimawandel. Statt für mehr Klimaschutz einzutreten wie Frau Recktenwald auf der Nordseeinsel Langeoog investieren sie in neue oder noch größere Skigebiete in immer höheren Lagen – allen regionalen Klimaprognosen zum Trotz.

Strände, Seen, Wälder

Reiseziel: Mecklenburg-Vorpommern

Für die Internationale Tourismusbörse warb das Land im Februar 2018 in seinem Imagefilm mit
ganz viel Lokalkolorit: Der wird verkörpert etwa von einem Seemann, der auf Platt mit Touristen grobe Späße macht. Das Bundesland punktet mit Stränden, Seen und Wäldern – Natur pur. Hier gibt es für jeden Geschmack etwas: Es finden sich Sternehotels für das Spa-Wochenende, Öko-Bauernhöfe und coole Camping-Locations. Kein Wunder, dass sich das Land bei aktuellen Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Bayern in Sachen Tourismus liefert. Nachhaltigkeit ist in Mecklenburg-Vorpommern ein Thema: Urlauber können etwa Waldaktien kaufen, um ihre CO2-Bilanz zu verbessern. Mit zehn Euro können zehn Quadratmeter Bäume gepflegt werden, wirbt das Tourismusministerium. Und im „Klimawald“ kann man sich über Aufforstung und Klimawandel informieren.

Mecklenburg-Vorpommern: Sonnenuntergang im Hafen von Stralsund © Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern e. V.

Surfen und Schnorcheln: bald Vergangenheit?

Auch anderswo macht der Klimawandel den Touristen-Hotspots zu schaffen: So könnte der Anstieg des Mee-
resspiegels Trauminseln im Indischen Ozean wie die Malediven verschwinden lassen. Die Versauerung der Ozeane zerstört fortschreitend Korallenriffe, die bei Schnorchlern besonders beliebt sind, wie am australischen Great Barrier Rief oder vor dem US-Bundesstaat Florida. Heftigere Winde könnten dem Geschäft mit den Surfern zusetzen. Und Strandurlaub wird dank Erosion der Küsten zunehmend zu einer teuren Angelegenheit, denn es ist aufwendig, immer wieder Sand aufzuschütten. Hinzu kommt, dass viele Regionen – nicht nur am Mittelmeer – mit Wasserknappheit zu kämpfen haben: Großzügige Pools, grüne Gärten und Wassertoiletten könnten bald Luxus, wenn nicht gar unmöglich sein.

Schritt für Schritt

Menschliches Maß seit der Entdeckung des aufrechten Gangs ist der Schritt.

Die vom Weltklimarat prophezeiten, bereits heute zu beobachtenden heftigeren Unwetter führen in einigen Regionen zum Komplettausfall der Urlaubssaison. Wer will schon in überschwemmten oder beschädigten Feriendörfern seine „schönsten Wochen des Jahres“ verbringen? In die Freude über den wunderbar warmen, letzten Sommer in ganz Europa mischen sich bereits Zweifel: Seen und Flüsse heizten sich extrem auf. Sinkende Pegelstände hatten gravierende Folgen für die Binnenschifffahrt. Flusskreuzfahrten sattelten auf Busse um. Und die Wasserqualität verschlechterte sich durch Algenwuchs, geringen Sauerstoffgehalt und höhere Temperaturen.

Die Reisebranche ist aber nicht nur Opfer, sondern auch Täter: Agenturen verführen Kunden mit Schnäppchenangeboten zu immer exotischeren Zielen. Die Schattenseite unserer Reiselust ist eine fatale Klimabilanz: Je weiter und ferner wir reisen, desto mehr schädigen wir Umwelt und Klima. Allein zwischen 2009 und 2013 stiegen die vom Tourismus verursachten Emissionen weltweit jährlich von 3,9 auf 4,5 Milliarden Tonnen CO2. Ein Forscherteam der University of Sydney errechnete, dass das rund acht Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen ausmacht. Folgen wir unserem Fernweh so weiter, wachsen die Emissionen bis 2025 auf 6,5 Milliarden Tonnen an. Das wäre mehr CO2, als die USA pro Jahr in die Atmosphäre blasen und rund sieben Mal so viel wie hierzulande. Die Stiftung für Zukunftsfragen schreibt in ihrer aktuellen Tourismusanalyse: „Gewinner der Reisesaison 2017 sind Fernreisen.“ Zu keiner Zeit seien mehr Bundesbürger außerhalb Europas im Urlaub gewesen. Insgesamt drei von vier Urlaubsreisen gingen ins Ausland – ebenfalls ein Rekord, schreibt die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen in ihrer letzten Analyse.

Erlebniswandern

Biosphärengebiet Schwäbische Alb

Wandergelegenheiten gibt es in Deutschland viele. Die meisten denken da vielleicht erst einmal an den Schwarzwald oder den Harz. Doch in wohl keiner Region gibt es so aufregende Wanderrouten wie im Biosphärenreservat Schwäbische Alb in Baden-Württemberg. Viele Wege sind optimal für Pilgerwanderungen, sie tragen Titel wie Stationenweg, Lebens-Horizont-Weg oder Besinnungsweg. Der Stationenweg in Altsteußlingen etwa lädt mit Denkanstößen am Wegesrand unter dem Motto „Last aufnehmen, Last abgeben“ Wanderer dazu ein, in sich zu kehren. Durch die Hochfläche der Alb führt der Besinnungsweg, von dem aus man einen herrlichen Blick auf die 400 Kilometer lange Alpenkette hat. Einige Wege vermitteln anhand besonderer Pflanzungen das Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Landwirtschaft. Der Lebens-Horizont-Weg etwa ist von begehbaren Kunstwerken und Erlebnisräumen gesäumt, die dazu anregen, über existenzielle Fragen nachzudenken. – Ein Paradies für Pilger zum Entschleunigen, gegen die Schnelllebigkeit der Zeit: das Biosphärengebiet Schwäbische Alb.

Neben Langstreckenflügen, deren CO2-Bilanz besonders schlecht ist, gehören auch Kreuzfahrten zu den größten Umweltsünden, kritisieren Umweltverbände wie der Naturschutzbund Nabu. Mittlerweile gleichen diese Schiffe schwimmenden Kleinstädten mit bis zu 5000 Menschen an Bord. Die meisten fahren ohne Rußpartikelfilter, mit hochgiftigem Schweröl. In seinem jährlichen Kreuzfahrt-Ranking warnt der Nabu, dass nicht nur Umwelt, sondern auch Passagiere an Bord hoher Feinstaubbelastung ausgesetzt sind.

Harald Zeiss ist Professor für Nachhaltigkeit und Tourismus an der Hochschule Harz. Er sieht einen wachsenden Markt gerade auch für Nahreisen. Denn „trotz der zunehmenden Fernreisen bleibt die Mehrheit der Urlauber in Deutschland“, erklärt der Forscher. 2017 seien 28 Prozent der Urlauber daheim geblieben. Betrachte man auch Reisen unter vier Tagen, seien sogar 75 Prozent der Gäste in Deutschland geblieben. Viele Ziele hierzulande seien sehr attraktiv. Allerdings dürften sich Hoteliers nicht auf dem einmal Erreichten ausruhen, sondern müssten weiter investieren und modernisieren.

Ökologisch reisen: Das Angebot wächst

Petra Thomas ist Expertin für ökologisches Reisen und leitet den Verband „Forum anders Reisen“, der sich für nachhaltigen Tourismus einsetzt. Sie erklärt: „Es gibt Untersuchungen darüber, was Reisende suchen, wenn sie ihren Urlaub buchen: Erholung, Entspannung, Wohlbefinden oder Freiheit.“ Um Urlaubswillige von klimaschädlichen Fernreisen abzubringen, müsste ihnen klar werden, dass nachhaltige Reisen ihre Bedürfnisse womöglich weit besser befriedigen als Fernreisen und Massentourismus. Mit moralisierenden Hinweisen erreiche man das allerdings nicht. Vielmehr gehe es darum, Urlaubern spürbare Vorteile zu bieten, sagt Thomas. Mehr Erlebnis, mehr Qualität, mehr Genuss. Konkret könnten das atmosphärische Unterkünfte sein, gute Lebensmittel aus der Region, Aktivitäten in der Natur oder geschulte Begleiter, die Insidertipps geben.

Laut Forum anders Reisen begeistern sich immer mehr Menschen für regionale und nachhaltige Reisen. Und parallel dazu wächst das Angebot: Öko-Reisen, Bio-Hotels, Naturreisen oder kulinarische Nachhaltigkeits-
touren werden immer beliebter. Nicht zu fliegen ist schon mal ein guter Punkt für nachhaltiges Reisen und Klimaschutz. Da passt es gut, dass 2018 erstmalig ein deutsches Bundesland Partnerland der Internationalen Tourismusmesse ITB in Berlin wurde: Mecklenburg-Vorpommern. Für solche Urlaubsziele braucht es keine Flieger. Warum also in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah?

Ab an den Strand

Autofreie Insel Juist

Im Autoland Deutschland gibt es nur wenige Orte mit Fahrradständern statt Parkplätzen und Meeresrauschen statt Motorengeheul. Neben der Ostseeinsel Hiddensee sind das alle Ostfriesischen Inseln bis auf Borkum und Norderney. Dort ist Ruhe Programm und nicht nur Werbeversprechen. Die Insel Juist bezeichnet sich gerne als Gesundheitsinsel. Beim Spazierengehen, Pferdekutsche- oder Fahrradfahren, in der Sauna schwitzen oder beim Plantschen und Schwimmen im Meer oder im Meerwasser-Erlebnisbad gelingt Entspannung ganz leicht. Nicht zu vergessen: die Wattwanderungen, die vom Nationalparkhaus angeboten werden. Immerhin handelt es sich um Weltnaturerbe. Und wer genug hat von endlosen, weißen Stränden und Salz auf der Haut, kann den Hammersee besuchen. Der größte Süßwassersee der Ost-
friesischen Inseln ist ein einzigartiges Biotop.

„Würden Sie auf einen Schnäppchenurlaub auf den Malediven verzichten?“

Zwei Wochen Schnorchelurlaub auf den Malediven: Können wir uns diese Klimasünde überhaupt noch leisten?

Wir können es den Leuten nicht verbieten. Rein umweltpolitisch gedacht müsste man allen Menschen ein CO2-Budget zuteilen: Drei Jahre geht es zum Urlaub nur in die Region, danach darf man sich eine Reise auf die Malediven leisten. Familien könnten sich ihre Fernreisen ansparen, etwa durch eine klimafreundliche Lebensweise. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass beim Tourismus vor allem der Flugverkehr besonders klimaschädlich ist – und je weiter weg es geht, desto schlimmer fürs Klima. Dennoch werden sich CO2-Budgets nicht durchsetzen. Der Tourismus ist ein starker Wirtschaftszweig, hinter dem eine ganze Industrie steht.

Kann ich meine Fernreise umweltverträglicher machen durch Angebote wie die CO2-Kompensation? Oder ist das eher Greenwashing?

Die CO2-Kompensation von Flügen durch eine Ausgleichszahlung für Klimaschutzprojekte ist sicher sinnvoll. Aber auch hier muss man genau hinschauen, ob die Projekte wirklich nachhaltig sind. Und man muss sich fragen, was man im Rest des Jahres bezüglich seiner CO2-Bilanz macht. Ich gleiche meinen Flug aus, aber fahre jeden Tag mit meinem SUV zur Arbeit, kann es ja nicht sein! Die Gesamtbilanz macht es.

Wie kann man Menschen überzeugen, auf Kreuzfahrten oder Urlaub unter Palmen zu verzichten?

Egal, wie gut meine Argumente sind: Die Menschen werden es trotzdem machen – schon deshalb, weil wir immer mehr Freizeit haben und die Angebote immer besser und teilweise günstiger werden. Würden Sie auf ein Schnäppchenangebot für einen Pauschalurlaub auf den Malediven verzichten? Das Fernweh der Deutschen wächst seit Jahrzehnten unaufhaltsam. Diesen Trend wird man nicht stoppen können.

Was wäre für Sie der ideal klimabewusste Familienurlaub?

Zu Hause bleiben und Siesta machen. Mehr Klimabewusstsein geht nicht! Aber natürlich wollen die Menschen wegfahren, etwas anderes sehen und erleben. Ideal wäre, wenn man mit der Bahn zur Nord- oder Ostsee fährt. Es gibt Unterkünfte, die besonders nachhaltig sind. Mittlerweile organisieren sich ganze Regionen als klimafreundliche Urlaubsorte. Darunter das Biosphärengebiet Schwäbische Alb, das Biosphärenreservat Bliesgau, die Nordeifel, die Stadt Celle und die Nordseeinsel Juist. Das ist eine spannende Entwicklung.

Andreas Matzarakis Der Experte für Klimawandel und Tourismus des Deutschen Wetterdienstes (DWD) glaubt: Verbote bringen wenig. © Fotos: Privat; PR-Material

Mehr zum Reisen

https://forumandersreisen.de/uploads/media/Flyer_Tipps_fuer_nachhaltiges_Reisen.pdf Broschüre mit vielen Tipps für nachhaltiges Reisen

www.atmosfair.de/wp-content/uploads/aai2017-deutschfarbe_final.pdf Der jährliche Atmosfair-Airline-Index sagt, welche Fluglinien klimafreundlicher sind

www.studienkreis.org/deutsch/wer/main_wer.htmlDer Studienkreis Tourismus informiert über sanften Tourismus

www.klimafakten.de Fakten über den Klimawandel und seine Folgen

In jeder Schrot&Korn finden Sie auf den „Grünen Seiten“ aktuelle Urlaubsangebote

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