Umwelt

Müll vermeiden statt recyceln

Auf unseren Meeren schwimmen Inseln aus Plastiktüten, gleichzeitig pusten Schornsteine unsere verbrannten Abfälle in die Luft. Zum Glück gibt es für dieses Müllproblem einen vielversprechenden Lebensentwurf.

Rumms! Weg damit. Eine Kofferraumladung Sperrmüll und Elektroschrott zum Recyclinghof gefahren, zwei Tüten Abfall runtergebracht ... Herrlich! Der Keller ist nun endlich wieder geräumig, im Bio-Müll wieder Platz für Kartoffelschalen. Nach solchen Aktionen fühlt man sich geradezu befreit. Leider gilt das nicht für die Umwelt: Der Müll mag ja aus dem Blickfeld verschwunden sein, weg ist er damit aber noch lange nicht.

Sperrmüll etwa wird, soweit möglich, wieder verwertet. Und mit dem Restmüll durch Verbrennen Energie gewonnen, was nicht ohne Umweltbelastung zu haben ist. Von den rund 600 Kilogramm Müll, die pro Kopf und Jahr anfallen, recycelt Deutschland nach den Erhebungen des Europäischen Amts für Statistik Eurostat über 60 Prozent. Dann wird ein Teil verbrannt, sodass am Ende knapp 220 Kilo übrig bleiben. Damit gehören wir zu den europäischen Vorzeigerecyclern.
Trotzdem laufen uns die kleinen Länder Estland, Slowenien und Belgien den Rang ab – zwar recyceln sie nur 20 bis 40 Prozent, dafür produzieren allerdings sie von vornherein viel weniger Müll. In Estland bleiben 170 Kilo übrig. Das ist die eigentliche Herausforderung: Statt das Hauptaugenmerk auf das Recyceln unseres Mülls zu legen, sollten wir insgesamt viel weniger Müll produzieren und verbrauchen.

Diese Botschaft haben in den vergangenen Jahren offenbar immer mehr Menschen verstanden: Das unsoziale Wachstumsmantra ist out, hingegen sind Müllvermeidung, nachhaltiger Konsum, Teilen, Wiederverwerten und Gärtnern angesagt. Eine von vielen inspirierenden Botschaftern dieses nachhaltigen Lebensentwurfs ist Bea Johnson mit ihrem Blog „ZeroWasteHome“. Es fing 2008 mit einem Umzug aus einem großen Haus in eine kleinere Wohnung an. Die vierköpfige Familie fand zunächst nichts Größeres – und sortierte deshalb gnadenlos aus.

Stoffbeutel und Gläser hat sie immer parat

Seitdem leben die Johnsons nach einem fünfstufigen Prinzip: Ablehnen, Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln und Kompostieren. Die Familie begann, jedes Teil zu hinterfragen. Am Ende waren 80 Prozent der früheren Habe verkauft oder verschenkt und Bea Johnson beschloss: „Ich bringe nichts mehr in mein Zuhause, das ich nicht wirklich nutzen will.“ Seitdem passe die gesamte Garderobe in vier große Taschen. Müllvermeidung beginnt also nicht im Haus, sondern erst einmal im Kopf und beim Einkaufen. Um klar zu machen, wie ihr neuer Lebensstil aussieht, startete Bea Johnson den Blog „ZeroWasteHome“. Und plötzlich gab es ein riesiges, sogar internationales Interesse. Auf Facebook folgen ihr knapp 26 000 Menschen und sie hat ein anregendes Buch über ihre Erfahrungen und mit Tipps zum Umsteigen geschrieben.

„Wir verbringen viel mehr Zeit miteinander“, schreibt Johnson. Wir schenken unseren Kindern kein Plastikspielzeug, sondern lieber Aktionen – wir fahren Kajak, pflücken Erdbeeren …“. Und was erzählen die pubertären Kinder ihren Freunden? „Natürlich haben sie Freunde und auch eine X-Box – gebraucht gekauft!“, schreibt sie mit ihrem gebrauchten Smartphone. In ihrem Kühlschrank finden sich natürlich überwiegend frische und unverpackte Lebensmittel. Stoffbeutel und Gläser hat sie beim Einkauf immer parat.

Nicht jeder wird so konsequent Müll verbannen können wie Bea Johnson, schon weil es für uns sehr ungewohnt ist, Brötchen oder Obst in eine mitgebrachte Tasche füllen zu lassen.

Spülmittel zum Selbstabzapfen

Doch wem im Traum nicht einfiele, seinen unterwegs gekauften Kaffee während eines Telefonats mit der Freundin zu trinken und am Ende den Becher einfach fallen zu lassen, oder wer beim Einkaufen noch nie eine Plastiktüte verlangt hat, um darin die Papiertüte mit zwei Brötchen zu verstauen – der könnte zum Überläufer werden. Bereits jetzt breitet sich der Null-Müll-Trend immer mehr aus. Zwar musste vor Kurzem der älteste Unverpacktladen nach sechs Jahren guten Betriebs in London schließen, doch die Besitzerin glaubt, dass es am veränderten Konzept nach dem Umzug lag. Am neuen Standort hatte sie ein Bistro integriert, das sei einfach in diesem Viertel keine gute Idee gewesen.

Doch gibt es andere, funktionierende Beispiele für Läden, in denen Kunden ihre Waren ohne überflüssige Verpackung bekommen. So gibt es in Wien ein Zero Waste-Geschäft und das italienische Campannori hat schon länger eines. Dort ist die wohl älteste Zero Waste-Kommune Europas beheimatet. Im Bio-Laden „Effecorta“ gibt es über 250 verschiedene unverpackte Produkte vom Keks bis zum Essig.

Seit Kurzem können Müllvermeider sogar in Deutschland fündig werden: Neben dem Unverpackt-Laden in Kiel wird es demnächst auch ein Geschäft in Berlin geben. Die Pioniere der Bio-Hersteller und -läden dürfte das an alte Zeiten erinnern, denn in den 80er-Jahren war normal, was heute Bulkshopping, zu deutsch: Großeinkauf, heißt.

Heike Kirsten von Rapunzel erinnert sich: „Ich habe noch selber für Kunden Müsli aus Säcken geschaufelt. Später hatten wir auch schöne Selbstbedienungskästen aus Plexiglas.“ Aber das war lange Zeit gar nicht gefragt. Stattdessen verlangten die Kunden immer öfter nach Convenience – schnell, bequem, und schön verpackt. Wenn es allerdings einen neuen Trend zum unverpackten Produkt gibt, sagen verschiedene Bio-Hersteller auf Nachfrage, ziehen wir gerne mit. Der Seifen- und Waschmittelhersteller Sonett registriert bereits eine steigende Nachfrage für größere Flaschen und die Möglichkeit, selbst abzufüllen. In einigen Läden stehen Zehn-Liter-Pump-Kanister, aus denen man sich etwa Spülmittel zapfen lassen kann. Das Interesse an einem müllfreien Lebensstil scheint zu wachsen.

Verpackungsindustrie ist mächtige Lobby

Auf der Plattform Utopia werden Erfahrungen mit langlebigen und verpackungsarmen Produkten geteilt, zum Beispiel wiederverwendbare Binden oder Schminkpads. Dazu gibt es Erfahrungsberichte zu Körperseifen, Rezepte für Shampoos oder Linktipps zur Smartphone-App „Ecotastic“, mit der man sich gegenseitig zu einem umweltgerechten Leben anspornen kann.

Ein komplett müllfreies Leben werden wir sicher nicht so schnell erreichen, doch dass wir dieses Ziel anpeilen müssen, wenn wir auf unseren Gewässern keine Plastiksuppen sehen wollen, darin sind sich die Politiker und Umweltverbände einig. Allein die Umsetzung hinkt noch. Nicht zuletzt, weil Verpackungs- und Entsorgungsindustrie sich zu riesigen Wirtschaftszweigen mit mächtiger Lobby ausgewachsen haben. Und das Verrückte ist: Je aufwendiger verpackt und je kleiner die Portion, desto höher der Umsatz.

Wachstum verursacht viele Probleme

Wenn die Verbraucher aber erst einmal aufwachen, werden die Verpacker neue Ideen finden müssen. Denn dann könnte sich zu den fünf Konsum-Regeln der kalifornischen Bloggerin Johnson noch eine sechste gesellen: Re-Design, also das Umgestalten von Produkten und Prozessen, damit Müll gar nicht erst entsteht. Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, der Naturschutzbund oder Lokalpolitiker, aber auch Privatleute sind bereits auf dem Weg. Mit Aktionen wie „Berlin tüt was“, „Sauberhaftes Hessen“ oder der Petition gegen in Plastik verschweißte Werbeblätter beziehen mittlerweile viele Menschen und Organisationen Stellung. Denn sie sehen Wachstum nicht länger als Heilsbringer, sondern als Verursacher von vielen Problemen.

Zahmes Abfallgesetz

Sogar das neue EU-Abfallvermeidungsgesetz trennt erstmals Wachstum und Abfallwirtschaft. Doch dieses zahme Gesetz wird die Verpackungsindustrie nicht davon abhalten, den derzeit eingeschlagenen Weg zu verlassen. Michael Angrick, Leiter des Fachbereichs Nachhaltige Produktion und Produkte, Kreislaufwirtschaft beim Umweltbundesamt, spricht oft mit ihren Vertretern: „Sie bringen viele Argumente, warum ein Herunterfahren der Verpackungsmenge für sie nicht gilt“, erzählt er.

Gerade im Lebensmittelbereich argumentiere die Verpackungsindustrie, dass nur mithilfe von Plastik und Co. gesichert sei, dass die Ware unangetastet und hygienisch einwandfrei an den Verbraucher ginge. Nachhaltigkeitsexperte Angrick findet das insbesondere bei Obst und Gemüse nicht sehr sinnvoll. „Normalerweise wäscht man sein Obst doch auch, wenn es eingeschweißt war.“ Der Verbraucher wolle es eben so, sei dann oft das letzte Argument, um das Geschäft mit Verpackungen zu rechtfertigen. Und es wird gerne benutzt – um Bücher mit Plastik einzuhüllen, Kaffe in Becher aus geschäumtem Styropor statt aus Porzellan zu füllen oder Probepäckchen zu verteilen. Wollen wir das wirklich alles?

Die Tüte flattert 100 Jahre in der Natur herum

Wer mit Müllvermeidung beginnen will, für den hat Michael Angrick ein paar Tipps: „Immer eine Tasche dabei haben, auch für Spontanes. Gezielt einkaufen und überlegen: Was will ich kochen, was habe ich noch im Kühlschrank? Nicht von Sonderangeboten wie: ‚Nimm zwei, zahl eins‘ locken lassen, wenn ich nur eins verbrauchen kann.“ Kurz gesagt: Stofftasche, Planung, unverpackt kaufen – und dann frisch kochen und durchdacht lagern. Wenn man aber schon mal eine Plastiktüte kauft, sollte man eine mit dem Logo „Blauer Engel“ nehmen. Denn die enthalte Recyclat, weiß Angrick. Und die Tüte sollte wenigstens solange benutzt werden, wie es geht.

Das gilt übrigens auch für eine Stofftasche. Denn diese herzustellen (oder zu entsorgen) kostet natürlich auch Energie. Bis sich dieser Einsatz rentiert, sollte eine Stofftasche mindestens 30, besser 80 Mal benutzt werden. Wer sie fast täglich nutzt, für den sind das schlappe drei bis sechs Monate. Bis allerdings eine Plastiktüte in der Natur zerrieben wurde, sind für die Stofftasche längst Rohstoffe nachgewachsen.

Ewiger Müll

Jedes Jahr verursachen wir ca. 38 Millionen Tonnen Hausmüll und werfen über 5 Milliarden Plastiktüten weg. Experten schätzen, dass allein 6 Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer gelangen. Dort sind sie nicht nur tödlich für die Meeresbewohner, sondern bleiben auch für eine lange Zeit: Plastiktüten 1–20 Jahre, Weißblechdosen, aufgeschäumte Plastikbecher: 50 Jahre, Aluminiumdosen: 200 Jahre, Einwegwindeln, Plastikflaschen: 450 Jahre, Angelschnüre: 600 Jahre.

Denn: Plastik bleibt Plastik. Wenn es dem Recyclingkreislauf entwischt, also gar nicht erst in der Tonne landet, hängt, schwimmt, flattert es womöglich 20 bis 100 Jahre in der Natur herum. Danach ist das Material in Kleinststückchen zerfallen, aber eben nicht biologisch zersetzt. Kein Wunder, dass die Plastiktüte zum Symbol für das gesamte Müllproblem geworden ist. Es gibt sie überall und außerdem viel zu häufig kostenlos. Wer je Bilder von an Plastik verendeten Tieren oder den Plastikstrudeln im Nordpazifik gesehen hat, wird in Zero Waste eine Antwort sehen. Und die heißt ganz einfach: „Nein danke!“

Was ist was?

  • Pre-Cycling: Wer unerwünschte Proben, Tüten oder Verpackungen bereits im Geschäft ablehnt und stattdessen lose Ware kauft, vermeidet im Vorfeld Müll.
  • Up-Cycling: Weggeworfenes oder nicht mehr Gebrauchtes wird hier für eine neue Form der Nutzung um- oder aufgearbeitet.
  • Re-Cycling: Verwertbare Ressourcen wie Metall, Papier, Holz oder Kunststoffe aus Kaputtem und Wegegeworfenem werden herausgelöst und daraus neue Produkte hergestellt, um sie dann wieder zu verkaufen.

Interview: „Darauf haben die Kunden gewartet“

Frau Florenkowsky, was steckt hinter dem Konzept „Unverpackt einkaufen!“?

Ich komme aus den USA. Dort gibt es viele Geschäfte, wo man Trockenwaren wie Nüsse oder Reis lose kaufen kann. Das hat mir in Deutschland immer gefehlt. Während meines Zweitstudiums habe ich die Schnittstelle zwischen Abfallwirtschaft und Konsumverhalten untersucht und festgestellt, dass Konsumenten wenig Möglichkeiten haben, Abfall zu vermeiden. Daraus hat sich dann mein Geschäftskonzept entwickelt.

In den 80er-Jahren gab es auch in deutschen Bio-Läden lose Waren. Kommt das wieder?

Viele Ladner, die das früher gemacht haben, sagten mir, das sei „eine Sauerei“ und viel Mehrarbeit gewesen. Dann kam die Entwicklung hin zu mehr Convenience – und strengere Hygienevorschriften. In den USA gibt es hingegen sehr gute Spendersysteme, die immer weiter verbessert worden sind. In Deutschland kannte man diese bisher nicht.

Sie testen gerade solche Behälter für lose Ware. Nehmen Kunden das denn an?

Ja, es kommt sehr gut an! Sie schienen geradezu darauf gewartet zu haben. Gleich von Anfang an haben die Kundinnen und Kunden Gläser oder andere Gefäße von Zuhause mitgebracht. Wir haben auch 200 Stoffbeutel mit Bändern zum Zuziehen nähen lassen und angeboten. Innerhalb kurzer Zeit waren sie ausverkauft.

Haben Sie Tipps, wie sich Verpackungsmüll vermeiden lässt?

Wenn es eine Alternative gibt, würde ich lose Ware kaufen. Unser Ansatz ist ja nicht, dass es keine Verpackung mehr geben darf. Bei manchen Produkten ist das durchaus hygienischer und praktischer. Ich bin ein großer Fan von Naturstoffbeuteln, auch für Brötchen, Obst und Gemüse, für die ich feuchte Tücher mitnehme, um sie optimal einzupacken. Ich nehme keinen Plastikbeutel mehr, weil auch die „kompostierbaren“ sich nicht so leicht zersetzen. Und wenn es keine lose Ware gibt, sollte man nachfragen. Einen gewissen Druck von den Konsumenten muss es schon geben.

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