Umwelt

Warum wir nasse Moore brauchen

Trockengelegte Moore wieder zu vernässen, ist effektiver Klimaschutz. Zu Besuch an Orten, wo das geschieht.

Vor den Toren Greifswalds liegt ein Ort, an dem die Zeit vorbeizufließen scheint. Fast wähnt man sich in einem Gemälde eines berühmten Sohnes der Stadt, Caspar David Friedrichs „Wiesen bei Greifswald“. Alles hier wirkt wie damals, vor 200 Jahren. Die von Kirchen geprägte Stadtsilhouette. Darüber der weite Himmel. Davor die weiten Moorwiesen. Diese Wiesen haben es Michael Succow, einem der weltweit profiliertesten Moorexperten, besonders angetan. Er wohnt am Rahmen des Gemäldes, von seinem Haus sind es nur ein paar Hundert Meter hierher. Die Moorwiesen – gut erhalten, unbebaut, nicht entwässert – sind aus Succows Sicht nicht bloß Überbleibsel der Vergangenheit. Hier eröffnet sich auch ein Blick in die Zukunft. Eine Zukunft, in der Moore wieder Moore sein dürfen.

Warum in Deutschland so viele Moore trockengelegt wurden

„Die Bewirtschaftung von Moorböden durch Entwässerung ist vorbei“, sagt Succow nicht nur mit Blick auf die Wiesen vor Greifswald, sondern auf die Moore in Deutschland insgesamt. „Eine solche Bewirtschaftung ist nicht mehr verantwortbar.“ Mit dieser Sichtweise stehen Succow und andere Moorexperten nicht allein. Die Politik stellt sich mittlerweile darauf ein, dass in der Landwirtschaft ein ähnlich tiefgreifender Umbruch bevorsteht wie bei der Energieversorgung. Auf die Energiewende folgt die Moorwende. Schauplatz dafür ist eines jener Länder, in denen Feuchtgebieten am konsequentesten der Garaus gemacht wurde. Weltweit liegt der Anteil der entwässerten Moore bei rund zehn Prozent. In Deutschland wurden in den zurückliegenden Jahrhunderten mehr als 90 Prozent der Moorflächen trockengelegt, vor allem für die Land- und Forstwirtschaft.

Dafür gab es damals gute Gründe. Vermeintlich nutzloses Land wurde erschlossen und urbar gemacht. Was man noch nicht ahnte: Diese Art der Landgewinnung hinterlässt „Moorruinen“ – und diese ruinieren das Klima. Erst seit wenigen Jahren weiß man, welch wichtige Rolle diese Ökosysteme als Kohlenstoffsenken spielen. In Deutschland speichern sie auf nur fünf Prozent der Landfläche ebenso viel Kohlenstoff wie alle Wälder, obwohl diese rund ein Drittel von Deutschlands Fläche bedecken.

Wie Moore das Klima schützen

Intakte Hochmoore wachsen um einen Millimeter pro Jahr in die Höhe. Kaum merklich, doch dabei produzieren sie je Hektar zehn Kubikmeter Torf, in denen 0,8 Tonnen CO2-Äquivalente gespeichert werden. Trockengelegte Moore hingegen setzen das teils über Jahrtausende in ihnen gebundene CO2 wieder frei, und das vergleichsweise schnell: bis zu 30 Tonnen je Hektar und Jahr, je nachdem, wie tief der Boden entwässert wurde.

Aus Mooren, die nicht länger Moore sein dürfen, stammen mehr als sieben Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen. Und so gelten Schutz und Renaturierung von Mooren inzwischen als Schlüsselmaßnahmen für das Erreichen von Deutschlands Klimazielen. Ein politisch heikles Unterfangen. Welcher Landwirt sieht schon gerne die Äcker und Wiesen absaufen, die seine Vorfahren einst mühsam dem Moor abgerungen haben?

Vorzeigebeispiel Landgrabental: Tierhaltung im nassen Moor

Ein Vorzeigebeispiel der Moorwende ist das Landgrabental. Eine langgestreckte Niederung, 4000 Hektar Landschaftsschutzgebiet. Viel Schilf. Ein paar Tümpel. Ein Durchströmungsmoor. Im Tal, hinter einer Gruppe kronenloser Birkenstämme, wabern geisterhaft schwarze Schattenwesen umher. Wasserbüffel.

Moor bedeutet nicht: keine Tierhaltung. Nur: andere Tierhaltung. Und Feuchtgebiete helfen, die schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels, zunehmende Hitze- und Dürrephasen, zu lindern, indem sie Wasser länger in der Landschaft halten, die Luft kühlen, das Grundwasser speisen. Succow fordert deshalb eine staatliche Honorierung dieser Ökosystem-Dienstleistungen: „Wenn ein Landwirt auf seinem Land Grundwasser wieder in Menge und Güte produziert, muss er künftig dafür entlohnt werden.“ Rasch beenden würde Succow dagegen, was er „subventionierte Unvernunft“ nennt. Die pauschalen, für Ökosystem-Dienstleistungen blinden Flächenprämien-Milliarden, die die EU an Landwirte ausschüttet. Und den Anbau von Mais auf trockengelegten Moorböden für Biogasanlagen – als klimafreundliche Energiequelle angepriesen, obwohl es viel klimafreundlicher wäre, die Böden gar nicht zu entwässern. „Eine politische Fehlleistung“, so Succow.

Warum die Wiedervernässung von Mooren sich lohnt

Selbst wo Biogasanlagen und ihr Mais-Input nicht in direkter Flächenkonkurrenz zu Mooren stehen, haben sie diesen gegenüber einen Nachteil, erklärt Leif Rättig von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein: einen Preisnachteil. „Eine Tonne eingespartes CO2 durch Moor-Wiedervernässung kostet zwischen 40 und 60 Euro. Bei Biogasanlagen sind es um die 240 Euro.“ Diese Kosten-Nutzen-Rechnung, sagt Rättig, sei inzwischen auch der Politik geläufig. Sie dürfte dazu beitragen, dass die Moorwende weiter Fahrt aufnimmt. In Schleswig-Holstein ist sie ohnehin schon weiter fortgeschritten als in anderen Bundesländern. Das hat auch mit Rättigs Arbeitgeber zu tun. Seit 45 Jahren ist die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein bereits im Moorschutz aktiv, auch mit Wiedervernässungen. Heute hat sie knapp 40 000 Hektar in ihrem Besitz, das sind ungefähr zwei Prozent der Fläche des Bundeslandes. Eines der beeindruckendsten dieser Gebiete ist das Dosenmoor, ein wiedervernässtes Hochmoor am Stadtrand von Neumünster, 521 Hektar groß, davon 374 Hektar in Stiftungsbesitz.

Das Dosenmoor: Hochmoor bei Neumünster

Leif Rättig von der Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein schnappt sich einen Ast, bevor er die ersten Schritte ins Dosenmoor geht. Mit ihm wischt er erst Brennnesseln beiseite, später brusthohe Gräser und Spinnweben. Er zeigt auf einen Tümpel ein paar Meter weiter. Der ist fast vollständig von einem dichten, dunkelgrünen Torfmoos-Teppich bedeckt. Das Moor wächst wieder. Torf bildet sich. Kohlenstoff wird gebunden. Ein solch naturnaher, ungenutzter Zustand ist das Moor-Ideal. Ihn für alle in Mitleidenschaft gezogenen Moore in Deutschland anzustreben wäre illusorisch, weiß Rättig. Große Hoffnungen von Moor- und Klimaexperten ruhen deshalb auf Landnutzungsformen, die einerseits dem Klimaschutz dienen, andererseits eine Bewirtschaftung der wiedervernässten Moorflächen erlauben, sei es durch Photovoltaik, sei es durch moorbodenschonende land- und forstwirtschaftliche Nutzung, sogenannte Paludikultur. Rohrkolben und Schilf beispielsweise, typische Moorgewächse, eignen sich als Verpackungs-, Dämm- oder Brennstoff. Wasserbüffel, wie sie schon im Landgrabental weiden, können Rinder ein Stück weit als Fleisch- und Milchlieferanten ersetzen.

Alltagstauglich allerdings ist bis jetzt wenig davon. „Die Paludikultur ist noch nicht schlüsselfertig“, sagt Leif Rättig lapidar. „Bis die sich in großem Maßstab rechnet, wird es noch ein paar Jahre dauern.“ Dafür braucht es politische Weichenstellungen. Ein Umlenken von Agrarsubventionen. Und weitere Forschung. Auch die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein ist in diesem Bereich aktiv, etwa, gemeinsam mit der Universität Kiel, mit dem Paludikultur-Pilotprojekt „Klimafarm“. Die Idee hierbei ist, Paludi-Mahdgut zu Pellets zu pressen, als Rohstoff für die Weiterverarbeitung zu Graspapier oder Pflanzenkohle.

Wie Moorlandwirtschaft das Klima schützt

Ein weiteres Pilotprojekt fördert die Stiftung schon seit mehr als 20 Jahren: den Bauernhof von Jan Koll im Kreis Schleswig-Flensburg. Dessen 750 Rinder weiden auf wiedervernässten Moorwiesen. Wobei der optimale Wasserstand viel Feingefühl verlangt. Zu nass wäre schlecht – schließlich sind Rinder ja keine Wasserbüffel. Vom Deutschen Verband für Landschaftspflege wurde Jan Koll als Paradebeispiel für ein neues Berufsbild, den „Moorklimawirt“, auserkoren. Das ist ein Landwirt, der, neben anderem, Klimaschutz produziert. Damit ist er ein gutes Gegenbeispiel zu dem gern gepflegten Klischee, wonach Landwirtschaft und Naturschutz sich nicht grün seien. „Ich finde es schwierig, dass beides oft gegeneinander ausgespielt wird“, sagt Leif Rättig. „Wir müssen Modelle entwickeln, die gut für den Klimaschutz und gut für die Landwirtschaft sind. Win-win-Situationen, von denen alle profitieren.“

Wichtig wäre allerdings, dass solche Win-win-Lösungen sich schon bald abzeichnen. Die Zeit drängt in zweifacher Hinsicht. „Wenn man den Bericht des Weltklimarates liest, weiß man: Wir müssen nun schnell etwas gegen die Klimaerwärmung tun“, sagt Leif Rättig. „Dazu gehört unbedingt auch die Wiedervernässung von Mooren.“ Hinzu kommt, dass eine klimaschädliche Bewirtschaftung von Moorland uns den Boden unter den Füßen wegzieht. Denn trockengelegtes Moor setzt nicht nur CO2 frei. Es sackt auch ab. Bei intensiver Nutzung als Agrar- oder Saatgrasland kann der Boden jährlich um zwei Zentimeter tiefer sinken, durch das Zusammenspiel von Wasserverlust, Winderosion und Mineralisierung des nackten Torfkörpers. Macht 20 Zentimeter in zehn Jahren. Zwei Meter in 100 Jahren. Eine so betriebene Landwirtschaft ist nicht nachhaltig. Sie schaufelt sich ihr eigenes Grab.

Mehr über Moorschutz und wiedervernässte Moore

Buchtipp: Das Moor

Tanneberger, Franziska; Schroeder, Vera: Das Moor. Über eine faszinierende Welt zwischen Wasser und Land – und warum sie für unser Klima so wichtig ist. dtv-Verlag, 237 Seiten, 24 Euro

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