Umwelt

Mehr Humus braucht das Land

Bauern und Hobbygärtner stehen auf Humus. Er macht Böden fruchtbar, stabilisiert sie und bindet Kohlendioxid aus der Luft. Wir haben uns von Profis erklären lassen, wie man mehr Humus in den Boden bekommt.

So entsteht Humus

Unser Überleben hängt von einer dünnen Schicht Boden ab. In ihr wachsen die Pflanzen, die wir essen. Damit sie wachsen, braucht Boden Humus. Dieser entsteht, wenn Regenwürmer, Springschwänze, Milben und jede Menge Bakterien und Pilze sich über abgefallene Blätter, Kuhfladen oder Getreidestoppeln hermachen. Sie verwandeln das organische Material in Nährstoffe, Enzyme, Fermente und andere Substanzen, die zusammen den fruchtbaren Humus bilden.

Darum ist Humus so wichtig

Sein Anteil im Boden ist nicht groß. Ein bis vier Prozent sind es bei den meisten Ackerböden, zwei bis acht Prozent bei Waldböden und vier bis fünfzehn Prozent bei Grünland. Erhöht ein Landwirt den Humusgehalt im Acker von zwei auf drei Prozent, bindet er je nach Boden pro Hektar 30 bis 60 Tonnen CO₂ aus der Luft. Doch das ist bei Weitem nicht alles. Humus lagert sich an mineralische Ton-Partikel an und macht den Boden dadurch krümeliger. Seine Fähigkeit, Wasser zu speichern, verringert die Gefahr von Überschwemmungen und begrenzt die Folgen von Dürren. Deshalb sollten wir diesen multifunktionalen Leistungsträger pfleglich behandeln. Tun wir aber nicht. Durch Übernutzung und Erosion verlieren unsere Böden Humus und damit auch ihre Fruchtbarkeit.

Wie funktioniert die regenerative Landwirtschaft?

Doch Landwirte können gezielt Humus aufbauen. Eine solche Wirtschaftsweise wird als regenerative oder aufbauende Landwirtschaft bezeichnet. Auch Agroforstsysteme und Permakultur zählen dazu. Gemeinsam ist den verschiedenen Ansätzen, dass sie den Boden immer bedeckt halten und das Bodenleben, also die dort lebenden Organismen wie Bakterien, Pilze und Würmer, gezielt fördern und füttern. Gepflügt wird der Boden nicht, „denn der Pflug kehrt das Unterste nach oben und zerstört das Bodengefüge“, erklärt Friedrich Wenz. Der Bio-Landwirt aus dem badischen Schwanau ist einer der Pioniere der regenerativen Landwirtschaft und wirtschaftet ohne Pflug.

Wenn er einen Acker für die Aussaat vorbereitet, spannt er einen Unterbodenlockerer hinter den Trecker. Dessen gekrümmte Zinken reichen weit in den Boden hinein und heben ihn leicht an. „Dabei entstehen kleine horizontale Risse im Gefüge, in die später die Pflanzenwurzeln schnell eindringen können.“ Verbunden mit den Zinken sind kleine Düsen, die ein milchsauer vergorenes Pflanzenferment in die entstehenden Hohlräume spritzen. „So ähnlich wie Sauerkrautsaft“, sagt Wenz, wobei er keine Kohlblätter verwendet, sondern Brennnessel, Beinwell und andere Heilkräuter, die auf seinem Hof an Böschungen und Wegrändern wachsen. Das Ferment regt das Bodenleben an und bereitet es auf die Pflanzenwurzeln vor, die bald kommen werden. Denn mit der gleichen Treckerfahrt kommt auch das Saatgut in den Boden.

Diesen Tee lieben die Mikroorganismen

Bei Mais und Soja passiert das Ende April, Anfang Mai. Ist die Saat aufgegangen, gibt es für die Jungpflanzen eine Runde Kompost-Tee. Ein einfacher, selbstgemachter Nährstoff-Booster fürs Bodenleben: Etwas Kompost in Wasser lösen, Melasse dazugeben und das Ganze 24 Stunden aktiv belüften. Die Mikroorganismen des Komposts vermehren sich in diesem Tee explosionsartig. „Die Spritzung regt die Photosynthese in den Pflanzen an und gibt ihnen einen enormen Schub“, sagt Friedrich Wenz. „Sie produzieren mehr Zucker, den sie über den Pflanzensaft als Futter an die Bakterien im Wurzelbereich abgeben, im Tausch gegen Nährstoffe.“ Wenz spritzt den Tee im Frühjahr auch als Starthilfe auf das Wintergetreide oder als Notfalltropfen etwa nach einem Hagelschaden.

Das fördert den Humusaufbau

Sind Mais und Soja hoch genug gewachsen, sät Wenz zwischen die Reihen eine Untersaat ein, etwa eine Gras-/Kleemischung. Auch im Wintergetreide wächst Gras mit. Es entwickelt sich im Schatten der Hauptpflanzen nur langsam und hat seinen großen Auftritt nach der Ernte. „Der Acker, der nach der Ernte offen daliegen würde, ist so bereits nach zwei Wochen grün“, erklärt Wenz. Die Untersaat schützt den Boden vor Erosion, lockert ihn durch die Wurzeln auf und bringt über die Photosynthese Kohlenstoffverbindungen wie Zucker in den Boden. Vor der nächsten Aussaat schält Wenz mit einer Fräse den Bewuchs flach ab. Das Gerät vermischt die Pflanzenreste mit Erde und legt sie auf dem Acker ab. Dort liegen sie zwei Wochen und verrotten, unterstützt von einer Spritzung mit Pflanzenferment. „Diese Flächenrotte ist eine der wichtigsten Maßnahmen, um Humus aufzubauen“, sagt Wenz. Gleichzeitig reduziere die sich ändernde Bodenbiologie den Unkrautdruck, der ansonsten bei einem pfluglosen Anbau zum Problem werden könnte.

Regenerativ in die Zukunft

Seit Jahren gibt Wenz zusammen mit Dietmar Näser und Ingrid Hörner seine Erfahrungen an Kollegen weiter. Rund 1400 konventionelle und Bio-Betriebe haben die drei bisher beraten und damit das Bild der regenerativen Landwirtschaft in Deutschland stark geprägt. Daneben ist in den letzten Jahren rund um die Lebensgemeinschaft Schloss Tempelhof und den Permakultur-Designer Stefan Schwarzer ein Netzwerk an jungen Landwirten und Gärtnern entstanden, die sich der aufbauenden Landwirtschaft widmen. Oft in Verbindung mit solidarischer Landwirtschaft, Direktvermarktung oder auch Agroforstsystemen.

Tierhaltung: Mehr Humus auf der Weide

  • Auch auf Grünland lässt sich der Humusgehalt steigern, wenn die Tiere dort anders grasen. Also nicht zwei Wochen auf der gleichen Weide stehen, bis alles millimeterkurz abgegrast ist.
  • Beim ganzheitlichen Weidemanagement kommen viele Tiere auf eine kleine Fläche mit hohem Gras – aber nur für kurze Zeit. Sie fressen einen Teil vom Gras, der Rest wird niedergetrampelt und bildet so eine Mulchschicht, die das Bodenleben fördert. Die Fläche wird erst nach mehreren Wochen Ruhe wieder beweidet.
  • Das System ahmt die Nutzung von Prärie und Savannen durch Bison- oder Zebraherden nach, die zum Schutz vor Raubtieren dicht gedrängt stehen, grasen und immer wieder fliehen müssen.
  • Für den Landwirt bedeutet das mehr Arbeit fürs Einzäunen und Umtreiben

So funktioniert Agroforst

Agroforstsysteme bringen mehr Humus in den Boden, indem sie Hecken und Bäume in die Landwirtschaft einbeziehen. Als schattenspendende Streuobstbäume auf Weiden oder als Pappelreihen, zwischen denen Getreide wächst. Bäume bringen mit ihrer großen Blattmasse mehr Photosyntheseprodukte wie Zucker in den Boden, ihre Wurzeln erschließen tiefere Bodenschichten für den Nährstofftransport und über die Verdunstung verbessern sie das Mikroklima. Obst- oder Nussbäume liefern zusätzliche Lebensmittel, andere Bäume Bau- und Brennholz.

Wie Bio-Firmen den Aufbau von Humus fördern

„Alle Agroforst-Projekte, die ich kenne, produzieren auf die Fläche bezogen mehr als vorher, aber eben nicht nur ein Erzeugnis, sondern bis zu sieben verschiedene“, sagt Julius Palm. Er leitet bei Followfood den Bereich Strategie & Marke und hat die Bodenretter-Initiative ins Leben gerufen, mit der der Bio-Hersteller seit 2019 Landwirten helfen will, regenerativ zu arbeiten. „Bio ist ein Anfang, aber es reicht nicht für eine Gesundung unserer Ökosysteme“, ist Palm überzeugt. Deshalb fördert Followfood mit dem Naturland-Betrieb Gut&Bösel in Brandenburg ein Leuchtturmprojekt: den Umbau eines großen Hofes mit sandigen und sehr humusarmen Böden durch eine Vielzahl an Maßnahmen zu einem Modellbetrieb für regenerative Landwirtschaft.

Der Regionalgroßhändler Bodan und der Öko-Waschmittelhersteller Sonett fördern den Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz. Er unterstützt 30 Bio-Betriebe rund um den Bodensee beim Humusaufbau. Einige Bio-Hersteller kompensieren ihren CO₂-Ausstoß gezielt mit CO₂-Zertifikaten von Höfen, die Humus aufbauen. Solche Zertifikate sind gerade das große Ding, denn rein rechnerisch könnte sich das gesamte durch die Industrialisierung freigesetzte CO₂ im Boden verbuddeln lassen. Doch während die EU-Kommission auf „Carbon Farming“ setzt, sehen viele Wissenschaftler dieses Instrument skeptisch.

Ist die regenerative Landwirtschaft automatisch auch Bio?

In Europa unterscheiden die meisten Vertreter der regenerativen Landwirtschaft nicht zwischen bio und konventionell. Sie wollen alle Landwirtinnen und Landwirte ansprechen, denn konventionelle Äcker haben den Humusaufbau noch viel notwendiger als biologisch bewirtschaftete. Ein wichtiger Akteur in Deutschland ist die Gesellschaft für konservierende Bodenbearbeitung, in der sich vor allem konventionelle Betriebe finden, die pfluglosen Ackerbau betreiben. Zu den Fördermitgliedern gehören auch die Glyphosathersteller Bayer und Nufarm. Denn im konventionellen Landbau funktionierte pfluglos bisher nur mit Herbiziden wie Glyphosat.

Pestizide schaden dem Bodenleben

Andrea Beste, Agrarwissenschaftlerin

Pestizide und Kunstdünger schaden dem Bodenleben und gehören deshalb nicht zu einer regenerativen Landwirtschaft“, sagt die Bodenwissenschaftlerin Andrea Beste. Sie wünscht sich hier eine klare Positionierung der Szene und warnt vor Greenwashing. Als Beispiel nennt sie OP2B, eine im September 2019 von 19 Konzernen gegründete Koalition für alternative Anbaumethoden. Mit dabei sind große Lebensmittelkonzerne wie Unilever, Nestlé und Danone, aber auch Yara, der weltgrößte Hersteller von Kunstdünger. Der Öko-Landbau komme in deren Papieren nicht vor, kritisiert Beste, wohl aber regenerative Landwirtschaft als Basisbegriff. „Bis 2030 werden 50 Prozent unserer wichtigsten Rohstoffe aus regenerativer Landwirtschaft stammen“, hat Nestlé angekündigt. „Diesen Konzernen passt der Öko-Landbau nicht in ihr Business-Konzept. Sie brauchen etwas, das nicht genau definiert und damit auch nicht überprüfbar ist“, sagt Beste. Sie plädiert für den Öko-Landbau als „gesetzliche Mindestabsicherung an Nachhaltigkeit“ und die regenerative Landwirtschaft als Zusatz oben drauf.

So wie in den USA, wo der Begriff regenerative Landwirtschaft vor 40 Jahren von Robert Rodale geprägt wurde. Er verstand ihn als Weiterentwicklung des Bio-Landbaus, in dem die Bodenfruchtbarkeit sowieso schon eine große Rolle spielt. Eine Art Bio-Plus also. Seit 2017 gibt es in den USA eine eigene Zertifizierung dafür: „Regenerative organic certified“ heißt sie und schließt neben dem Bodenaufbau auch mehr Tierwohl und soziale Kriterien ein. „So eine sozial-ökologische Zertifizierung bräuchten wir in Deutschland auch“, sagt Julius Palm. „Denn es muss für alle klar sein: Ein paar regenerative Maßnahmen umsetzen und Glyphosat sprühen, das ist keine regenerative Landwirtschaft.“

Mehr zum Thema regenerative Landwirtschaft

Links

humusfarming.de

diegrueneberatung.de

aufbauende-landwirtschaft.de

diezukunftsbauern.de

agroforst-info.de

agroforst.org

Film- und Buchtipps

Dokumentarfilm Unser Boden – unser Erbe (2019) zum Streamen

Dietmar Näser: Regenerative Landwirtschaft. Verlag Eugen Ulmer, 2021, 208 Seiten, 34,95 €

Bärbel Oftring: Mach mich locker! Wer den Boden versteht, gärtnert erfolgreich & nachhaltig. Verlag Kosmos, 2021, 128 Seiten, 18 €

Interview: „Das ist Greenwashing“

Andrea Beste ist promovierte Agrarwissenschaftlerin und berät mit ihrem Büro für Bodenschutz und Agrarkultur Landwirte, Lebensmittelhersteller und die Politik. gesunde-erde.net

Warum halten Sie Carbon Farming für keine gute Idee?
Man kann auf dem Acker keinen Klimaschutz betreiben, nur Klimaanpassung. Wer Humus aufbaut, stellt die Funktionen des Bodens wieder her und erhält sie. Dass dabei Kohlendioxid im Boden gebunden wird, ist ein Nebeneffekt. Durch eine Wiedervernässung ehemaliger Moorböden oder den Verzicht auf energieintensiven Kunstdünger lässt sich das Klima schneller und effektiver schützen.

Aber der Landwirt freut sich, wenn er für Humusaufbau etwas Geld bekommt?
Soll er auch, etwa über EcoSchemes im Rahmen der Agrarförderung. Aber Zertifikate sind dafür der falsche Weg. Das Carbon Farming der EU-Kommission halte ich in Teilen für Greenwashing.

Wo liegt konkret das Problem?
Der Kohlenstoff ist im Ackerboden überwiegend nicht langfristig gebunden. Ändert sich die Bewirtschaftung, kann sich der Humusgehalt sogar schnell wieder verringern. Die Messungen, um die Zertifikate abzusichern, sind unsicher. Zudem benachteiligt Carbon Farming Öko-Betriebe, die schon viel Humus aufgebaut haben. Das größte Risiko sehe ich aber in Pflanzenkohle, die verbuddelt wird, um den Boden mit Kohlenstoff anzureichern und so an Zertifikate zu kommen. Der Aufwand ist groß und die positiven Effekte sind gering.

Diese Kohle soll doch gut für Böden sein...
Im großen Stil wird Pflanzenkohle – chemisch nicht gleichzusetzen mit Terra Preta – aus pflanzlichen Reststoffen durch Pyrolyse gewonnen, also durch Vergasung ohne Sauerstoff und unter hohem Druck. Die dabei entstehende Kohle ist mit Schadstoffen belastet. Es ist fraglich, inwieweit dieser tote Kohlenstoff das Bodenleben bereichert. Hier haben weite Fruchtfolgen, Agroforst oder Qualitätskompost deutlich mehr Vorteile für das Ökosystem.

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