Interview

Liv Lisa Fries: „Widersprüche Stück für Stück auflösen“

Liv Lisa Fries spricht über grüne Filmproduktionen und ihre Glücksformel. In der TV-Serie „Babylon Berlin“ spielt sie die Kriminal-Assistentin Charlotte Ritter.

Kurz vor unserem Treffen in einem Berliner Bio-Café kam etwas dazwischen, also haben wir drei Tage später telefoniert – unkompliziert, unprätenziös. So ist Liv Lisa Fries.

Ich würde gerne mit dir in die Zukunft sehen. Wie wünschst du dir, dass Berlin in zehn Jahren aussieht?

Also ich würde erst mal den ganzen Beton abschaffen. Das wird nur leider nicht passieren, denn die Lücken zwischen den Häusern werden konsequent mit Beton aufgefüllt. Außerdem wünsche ich mir breitere Fahrradwege. Vergangenen Sommer war ich in München und dort hat die Stadt am Wochenende manche Strecken in der Innenstadt für Autos gesperrt. Das war unglaublich, dieses Gefühl – total befreiend.

Du hast einmal gefordert: Lasst uns Wohlstand anders denken. Was genau meinst du damit?

Wir müssen zuerst die Widersprüche unserer globalisierten Welt aufzeigen. Wenn ich allein an die Filmbranche denke. Da muss umgedacht werden.

Inwiefern?

Ich drehe gerade in Österreich. Mit dem Flieger könnte ich in einer Stunde in Wien sein. Das geht super schnell. Oder ich nehme den Zug nach München, treffe da Freunde und fahre anschließend von dort weiter. Ich muss mir also mehr Zeit nehmen. Wohlstand kann bedeuten, mit sich selbst in einem guten Kontakt zu stehen, mit sich selbst wohl zu sein. Ich glaube nicht, dass materielle Dinge glücklich machen.

Was macht dann glücklich?

Letztlich sucht jeder Mensch nach Liebe, Wärme und Geborgenheit. Das nur im Außen zu suchen, ist ein Phänomen unserer modernen Gesellschaft. Ständig wird einem suggeriert, dass man neue Dinge braucht. Sich nach Innen zu kehren und dort nach Antworten zu suchen, das bedeutet Wohlstand für mich. Ich übe das jeden Tag, werde aber wie wir alle von der Welt da draußen permanent abgelenkt.

Klingt nach Glücksformel.

Im besten Fall ja, aber das kann auch unangenehm sein, weil man vielleicht Seiten an sich entdeckt, die man gar nicht so mag. Aber ich halte es dennoch für lohnenswert, diesen Kontakt zu sich herzustellen.

Wie stellst du Kontakt zu dir her?

Da kommt mir mein Beruf zugute. Um Filmfiguren glaubhaft verkörpern zu können, muss ich in die Rollen hineinschlüpfen und Fragen stellen. Zu Hause will ich aber wieder ich selbst sein. Dazu muss ich mir dieselben Fragen stellen: Wer bin ich? Wo bin ich? Wie fühle ich mich? Erst wenn ich diesen Kontakt wieder hergestellt habe, kann ich mich nach außen hin öffnen. Und dann geschehen wirklich schöne Dinge, beim Tanzen zum Beispiel. Da fühle ich mich mit anderen Menschen verbunden – was in einer Stadt wie Berlin unheimlich guttut. Ich finde, das könnte man fast staatlich verordnen: mindestens einmal im Monat.

Eine allgemeine Tanzpflicht?

Nichts liegt mir ferner, als den Leuten zu sagen, was sie tun und lassen sollen. Ich will nicht missionieren. Ich will verstehen, warum Menschen so handeln, wie sie handeln.

Was versprichst du dir davon?

Ich kann zum Beispiel nicht verstehen, wie jemand Massentierhaltung befürworten kann. Wenn ich aber nachfrage, erfahre ich etwas über Hintergründe und Motivation. Dass es dabei auch um Generationenunterschiede geht. Oder dass Menschen anders über günstige Angebote denken als ich jetzt zum Beispiel. Das schafft Raum für Dialog.

Zur Person: Liv Lisa Fries

Die 29-jährige Schauspielerin steht seit sie 15 ist vor der Kamera. Ihre erste Hauptrolle spielte sie 2006 in „Schimanski – Tod in der Siedlung“ an der Seite von Götz George. Es folgten weitere Filme, zum Beispiel im Jahr 2013 das anrührende Drama „Und morgen Mittag bin ich tot“, in dem sie eine Mukoviszidose-Patientin spielt oder „Rakete Perelman“, eine Tragikomödie aus dem Jahr 2017. Kurz darauf begeisterte Fries in der TV-Serie „Babylon Berlin“ sowohl Kritiker als auch Zuschauer. Die Serie geht jetzt in die 3. Staffel (zu sehen ab Ende Januar auf Sky, ab Herbst 2020 im Ersten). Liv Lisa Fries fährt am liebsten mit dem Fahrrad durch ihre Heimatstadt Berlin.

Isst du noch Fleisch?

Wenn ich unterwegs bin und nicht weiß, wo das Essen herkommt, bin ich vegan. Ansonsten erlaube ich mir aber auch mal ein Ei oder ein Stück Fleisch, aber ausschließlich bio.

In deinem Film „Und morgen Mittag bin ich tot“ gibt es Schnitzel als letzte Mahlzeit. Brauchen wir neue Erzählweisen, wenn wir den Fleischkonsum senken wollen?

Auf jeden Fall. Wenn ich überlege, wie viele Verhaltensweisen ich mir unbewusst von Filmen abgeschaut habe – da bleibt immer etwas hängen. Es wäre wünschenswert, dass künftig ein Sellerieschnitzel serviert wird. Aber nicht nur inhaltlich brauchen wir neue Erzählungen, auch die Filmindustrie selbst muss grüner werden. Und da muss ich Babylon Berlin loben, denn das ist eine „grüne Produktion“.

Was bedeutet das?

Wir achten am Set sehr auf Müllvermeidung. Jeder Mitarbeiter bekommt zum Beispiel eine eigene Trinkflasche und kann sich dann an Wasserspendern bedienen. Das ist zehnmal besser, als Wasser in Einwegflaschen zu kaufen, die im Müll landen. Außerdem verwende ich seit Jahren ausschließlich Naturkosmetik. Da gehe ich keine Kompromisse mehr ein. Wenn ich mich schon jeden Tag schminken muss, dann bitte schön mit natürlichen Produkten.

War das Catering auch bio?

Leider diesmal noch nicht. Aber Volker Bruch und ich setzen uns für die nächste Staffel weiter dafür ein. Er und ich hätten vielleicht Bio-Essen bekommen, weil wir die Hauptdarsteller sind. Aber das wäre nicht fair gewesen. Wir dachten uns: wenn, dann alle.

Glaubst du, dass man mit Kunst die Welt besser machen kann?

Ich würde es mir wünschen. Zumindest bin ich überzeugt, dass Kunst inspirieren kann. Vor kurzem habe ich von einem Projekt gehört, bei dem ein Künstlerduo einen Faden durch ein Tal in der Schweiz legen will. Dieser Faden verbindet die Menschen miteinander; nicht nur symbolisch, sondern konkret, weil der Faden auch durch Wohnhäuser verläuft. Das schafft ein anderes Bewusstsein für das Miteinander.

Wie löst du solche Widersprüche auf?

Ich weiß es nicht, muss ich ganz ehrlich sagen. Vor Kurzem habe ich die Einladung zu einem Filmfestival in Moskau ausgeschlagen, weil ich nicht dorthin fliegen wollte. Dann bin ich aber zu einem Dreh nach Luxemburg geflogen, weil ich noch Zeit mit Freunden verbringen wollte. Man muss diese Widersprüche zumindest im Moment noch aushalten. Wir sollten sie aber Stück für Stück auflösen.

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