Umwelt

Lithium: Wie grün ist die Energiewende?

Ohne Lithium fährt kein E-Auto, ohne Silizium gibt es keine Solarzellen. Die Rohstoffe haben allerdings Schattenseiten.

Unter den Füßen von Henry Beeckmann knirscht der Schnee. Der 58-Jährige ist Ortsvorsteher von Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge. Der Ort lebt von Tourismus und Wintersport. Neben Wanderwegen und Ski-Loipen hat das 400-Seelen-Dorf an der Grenze zu Tschechien aber noch etwas anderes zu bieten: eine lange Bergbautradition. Bis 1991 wurde hier Zinn abgebaut. Dann soll es sich nicht mehr gelohnt haben und der Schacht wurde dicht gemacht. Seitdem gibt es den Bergbau nur noch im Museum. Doch das könnte sich bald ändern, denn im Untergrund von Zinnwald-Georgenfeld lagert ein Rohstoff, den heute die halbe Welt begehrt und der wie Ökostrom zu den Bausteinen einer nachhaltigen Zukunft gehört: Lithium.

Ohne Lithium keine Energiewende

Der Grundstoff für Lithium-Ionen-Batterien steckt in Smartphones und Laptops, in Elektrorollern, E-Bikes und Elektroautos. Ohne Lithium keine E-Mobilität. Und die soll Fahrt aufnehmen. So hat die Europäische Union (EU) beschlossen, dass ab 2035 EU-weit nur noch Neuwagen mit Elektroantrieb verkauft werden dürfen. Die Bundesregierung plant für Deutschland mit sieben bis zehn Millionen neu zugelassenen E-Autos bis zum Jahr 2030. Die Nachfrage nach Lithium dürfte damit rasant steigen. Der Haken an der Sache: Der Rohstoff wird größtenteils außerhalb Europas gewonnen.

Lithium aus Deutschland macht Akkus grüner

Im Zuge der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie brüchig globale Lieferketten sein können. In manchen Bereichen bestehen bis heute Lieferengpässe. Nicht zuletzt deshalb will die EU ihren Bedarf an Lithium künftig auch aus hiesigen Quellen speisen. In Zinnwald-Georgenfeld sind die Vorboten eines europäischen Lithium-Rausches bereits sichtbar.

Bohrung nach Lithium

Männer bohren nach Lithium

In Zinnwald-Georgenfeld im Erzgebirge Hinter einer Schallschutzwand bedienen zwei Arbeiter eine Bohranlage, mit der sie Gesteinsproben aus dem Erdreich fördern. Die Proben sollen Aufschluss darüber geben, wie groß die Vorkommen tatsächlich sind und wo genau man nach ihnen graben muss. Laut dem Unternehmen ‚Deutsche Lithium‘, das den Schatz im Auftrag britischer Investoren bergen will, handelt es sich um eine der größten Lagerstätten in Europa.

Ersten Untersuchungen zufolge sollen im unterirdischen Gestein im Erzgebirge insgesamt rund 125.000 Tonnen Lithium schlummern. Zum Vergleich: Die Welt verbraucht jährlich rund 100.000 Tonnen Lithium, das derzeit vor allem in australischen Minen der Erde abgerungen wird. Die größten Vorkommen befinden sich in Südamerika, wo Lithium über Verdunstungsprozesse aus riesigen Salzseen gewonnen wird.

Die Energiewende produziert neue Abhängigkeiten

Auch bei anderen Batterierohstoffen wie zum Beispiel Kobalt sind Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten der EU auf weit entfernte Förderländer angewiesen. 60 Prozent des silbergrauen Metalls stammt aus der Demokratischen Republik Kongo. Doch der Kongo gilt als politisch instabil. Streiks und Unruhen könnten zu Produktionsausfällen führen, die laut einer Risikoanalyse der Deutschen Rohstoffagentur „kaum zu kompensieren“ wären. Wie fatal die Abhängigkeit von einzelnen Rohstofflieferanten sein kann, zeigt sich in der aktuellen Energiekrise. Deutschland hatte sich bei der Versorgung mit Erdgas an Russland gebunden. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine wurde der Import von russischem Gas zum Problem. Früher oder später – so das Ziel – sollen Deutschland und auch der Rest der EU komplett unabhängig von fossilen Energieträgern werden.

Seltene Erden aus China

Mit der Energiewende wächst allerdings die Gefahr von neuen Abhängigkeiten. Wie bei Elektroautos sind auch die Produzenten von Windrädern und Solarzellen auf Rohstoffe angewiesen, die überwiegend außerhalb Europas gefördert werden – zum Teil unter äußerst fragwürdigen Bedingungen. Die Metalle der Seltenen Erden sind für die Energiewende genauso wichtig wie Gewürze für ein gutes Essen. Diese Metalle sind nicht selten, sie kommen nur in geringen Konzentrationen vor und werden auch nur in kleinen Dosen eingesetzt. Einer ihrer bekanntesten Vertreter heißt Neodym und ist essenziell für die Herstellung von starken Magneten, die wiederum ein zentrales Bauteil für Windräder darstellen. 90 Prozent der weltweit geförderten Seltenen Erden stammen aus China.

Wie gefährlich ist die Energiewende für Mensch und Umwelt?

Eine im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführte Studie von 2014 über die größte chinesische Mine für Seltene Erden zeigt die Gefahren für Mensch und Umwelt: giftige Abgase und Millionen Kubikmeter Abwasser und andere Bergbaurückstände, die mit gesundheitsgefährdenden Chemikalien und radioaktiven Stoffen belastet sind.

Durch ihren hohen Verbrauch von Fluss- und Grundwasser trage die Mine außerdem zur Wüstenausbreitung bei, heißt es in der Studie weiter. Ähnlich ist es mit der Lithium-Förderung in Südamerika. Auch hier ist der Wasserverbrauch enorm und die betroffene Bevölkerung fürchtet um die Vorräte für sich und ihr Vieh.

Die Schattenseiten von Silizium

Mit Silizium, dem Grundmaterial für Solarzellen, sitzt China noch auf einem weiteren bedeutenden Rohstoff für die Energiewende. Das Reich der Mitte ist der mit Abstand größte Produzent. Doch die Produktionsbedingungen werfen ein schlechtes Licht auf den Solarrohstoff. Chinas Fabriken profitieren vom staatlich subventionierten, klimaschädlichen Kohlestrom und von billigen Arbeitskräften. In der Autonomen Region Xinjiang wird die muslimische Minderheit der Uiguren zur Arbeit in den Silizium-Werken gezwungen. China ist zwar ein Extremfall. Aber auch anderswo kommt es durch den Rohstoffhunger westlicher Staaten zu fragwürdigen Arbeitsbedingungen. In den Kobalt-Minen im zentralafrikanischen Kongo arbeiten Kinder. Es ist die Armut, die sie zu dieser Arbeit zwingt.

Damit in Solarzellen und anderen Produkten, die in Deutschland vertrieben werden, künftig keine Zwangs- und Kinderarbeit stecken, ist Anfang 2023 das sogenannte Lieferkettengesetz in Kraft getreten. Es verpflichtet deutsche Unternehmen dazu, ihre direkten Zulieferer auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu überprüfen. Wie gut das funktioniert, muss sich noch zeigen. Lest dazu das Interview mit Kathrin Schroeder vom Hilfswerk Misereor.

Was bedeutet die Energiewende für die Menschen in Ländern des globalen Südens?

Im Interview nimmt Kathrin Schroeder Stellung zum neuen Lieferkettengesetz

Zur Person Kathrin Schroeder

Kathrin Schroeder ist Leiterin der Abteilung „Politik und Globale Zukunftsfragen“ beim Hilfswerk Misereor.

Vor rund vier Jahren kam es in einer Eisenerzmine in Brasilien zur Katastrophe. Misereor begleitet den Fall bis heute. Was war passiert?

Der Damm eines Abwasserbeckens war gebrochen und Millionen Liter kontaminierter Schlamm überschwemmten mehrere Siedlungen. 272 Menschen kamen dabei ums Leben, vier Personen werden bis heute vermisst.

Wie geht es der betroffenen Region heute?

In vielen Gemeinden sind Gewässer und Trinkwasserquellen mit Schwermetallen kontaminiert. Fischfang und Landwirtschaft sind nur eingeschränkt möglich. Auch im Blut von Menschen konnten Schadstoffe nachgewiesen werden.

Die Energiewende basiert auf Rohstoffen, die wie in Brasilien teils unter katastrophalen Bedingungen abgebaut werden. Ist das nicht ein Dilemma?

Diese Bedingungen sind ja menschengemacht! Wir wissen um die Missstände. Wir können diese Missstände anprangern und wir können sie vor allem beheben. Das hat ganz viel damit zu tun, wie Rechtsstaatlichkeit und Verantwortung in der Lieferkette durchgesetzt werden.

Zum 1. Januar 2023 trat in Deutschland das Lieferkettengesetz in Kraft. Erfüllt es Ihre Erwartungen?

Nicht ganz. Gerade die Bereiche zivilrechtliche Haftung und Verantwortung für Umweltschäden und Klimabilanzen sind uns nicht stark genug ausgeprägt. Aber ich würde ihm trotzdem eine Chance geben. Wenn wir auf europäischer Ebene ein noch stärkeres Lieferkettengesetz einführen, dann muss Deutschland nachbessern. Dann können wir sicherlich noch mehr Einfluss darauf nehmen, wie Bergbau künftig stattfindet.

Lithium-Abbau stößt nicht überall auf Gegenliebe

Ob der Bergbau nach Zinnwald-Georgenfeld zurückkehrt, ist noch ungewiss. Sicher scheint: Ganz ohne Störgeräusche wird das nicht passieren. „Die Menschen fragen sich, was ihnen der Eingriff in die Natur nützt“, so Ortsvorsteher Henry Beeckmann. Ganz zu Beginn wollten die Investoren Schacht und Aufbereitungsanlage auf einem Grundstück am Ortseingang errichten. „Dann hätten die Touristen aus den Hotelzimmern direkt auf das Bergwerk geschaut. Das haben wir gleich abgelehnt“, sagt Beeckmann.

Auch ein anderes deutsches Lithium-Projekt stößt nicht nur auf Gegenliebe: In Rheinland-Pfalz, wo eine Firma den Rohstoff aus Tiefenwasser filtern will, haben sich gleich mehrere Bürgerinitiativen gegen das Vorhaben formiert. Sie befürchten, dass die Förderung aus Tausenden Metern Tiefe Erdbeben auslösen könnte.

Die Alternative zu Rohstoffen aus natürlichen Lagerstätten ist das Recycling. Doch während sich Metalle wie Kobalt und Nickel mittlerweile gut aus alten Batterien zurückgewinnen lassen, steckt das Recycling von Lithium noch in den Kinderschuhen.

Recycling gilt als unwirtschaftlich

  • Pro Jahr werden schätzungsweise 49.000 Tonnen ausgediente Lithium-Ionen-Batterien in Deutschland recycelt. Das heißt aber nicht, dass das Lithium gerettet wird. Andere Bestandteile werden zurückgewonnen, Lithium aber kaum oder gar nicht. Es existieren zwar verschiedene Technologien, aber nichts im industriellen Maßstab. Das Recycling von Lithium gilt als unwirtschaftlich.
  • Ein Knackpunkt: Lithium-Ionen-Batterien können sich sowohl im Design als auch in ihrer chemischen Zusammensetzung unterscheiden. Unterschiede gibt es auch in der Abnutzung. Wie oft wurde ein Akku aufgeladen, bevor er entsorgt wurde?

Für ein effizientes Recycling sind solche Informationen wichtig. Sie sollen künftig in einem digitalen „Batterie-Pass“ erfasst werden. Wie genau der aussehen soll, daran forschen Wissenschaft und Industrie noch.

Es gibt Alternativen zu Lithium-Batterien

Und wie sieht es mit Alternativen zu Lithium-Ionen-Akkus aus? Die gibt es. Sogenannte Zink-Luft-Batterien zum Beispiel. Als Knopfzellen in Hörgeräten werden sie bereits eingesetzt. Ihr Manko: Man kann sie nur einmal benutzen. Forschende der Fachhochschule Münster haben nun eine Variante entwickelt, die sie wieder aufladen können. Wie leistungsfähig ihre Batterie ist, müssen sie aber erst erproben. Ein anderer Akkutyp, an dem Forschung und Industrie tüfteln, sind Natrium-Ionen-Batterien. Auch von solchen Neuerungen wird abhängen, ob sich der Lithium-Abbau im Erzgebirge lohnt.

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