Kolumne

Da rollt was auf uns zu

Was haben "E-Scooter", „Klimawandel“ und "käufliche Liebe“ gemeinsam? Fred Grimm findet in seiner Kolumne einen Zusammenhang.

Es gibt da eine lange Liste von Wörtern, die man gern mal in den Arm nehmen und beschützen würde. „Verantwortung übernehmen“ zum Beispiel. So heißt das heute, wenn man Milliarden für die militärische Aufrüstung ausgeben will. Die größte Umweltkatastrophe unserer Zeit wird sanft-lullig als „Klimawandel“ umschrieben und noch immer gibt es Journalisten, die Prostitution „käufliche Liebe“ nennen. Mindestens ebenso deprimierend ist, was mit dem Begriff „Innovation“ angestellt wird. Dass Innovationen Probleme lösen und das Leben der Menschen verbessern sollten, scheint vergessen. Stattdessen lösen „Innovationen“ heute oft nur noch die Probleme, die man ohne „Innovationen“ gar nicht hätte. Wenn überhaupt.

Geht es nach dem Willen von Bundesautominister Andreas Scheuer, rollen demnächst abertausende „innovative Lösungen unserer Mobilitätsprobleme“ durch unsere Städte. Sogenannte „E-Scooter“ – bis zu 20 Stundenkilometer schnelle, motorisierte Tretroller – dürfen dann auf den winzigen Bürgersteigen in den Kleinkrieg gegen Rentner, Kinderwagenschieber und andere Fußgänger ziehen. Wenn es dort zu eng wird, könnten die Roller theoretisch auch auf die Straße ausweichen und sich dort mit den SUV-Bataillonen anlegen.

Die E-Scooter-„Innovation“ löse das „Problem der letzten Meile“, heißt es in einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey zur „Mikromobilität“. Endlich könne man sich flott von der U-Bahn- oder der Bushaltestelle zum Arbeitsplatz bewegen. Und das auch noch mit einem „umweltfreundlichen“ Elektroantrieb. Tatsächlich sind mir in deutschen Städten noch keine Menschen aufgefallen, die hilflos an Bushaltestellen herumstehen, weil sie vergessen haben, wie sie von dort ins Büro kommen sollen. Laufen? Wie ging das nochmal? Stattdessen sehe ich Fußgänger, die sich ebenso über mehr Platz auf ihren Wegen freuen würden wie die Radfahrer, die mit hyperinnovativen Zero-Emission-Antrieben an parkenden Autos vorbei manövrieren müssen. Auf zusätzliche Hindernisse in Gestalt adrenalingesteuerter E-Scooter-Fahrer verzichten sie sicher gern.

Andererseits verheißen Experten aus den Unternehmensberatungen den Politikern, dass E-Scooter „Milliardengeschäfte“ für die deutsche Wirtschaft bedeuten können. Wenn man jetzt noch weiß, dass insbesondere die Managements von BMW und Daimler, also Herrn Scheuers gefühlte Vorgesetzte, viel Geld in E-Scooter investieren, um sie in ihr „innovatives“ Mobilitätskonzept einzubinden, machen die albernen Roller plötzlich doch wieder Sinn. Schließlich muss mit dem Bundesverkehrsminister ja einer „Verantwortung übernehmen“ für die Automobilindustrie, deren Stammgeschäft durch den „Klimawandel“ hinfällig zu werden droht. Man kann das „Innovation“ nennen, wenn man mag. „Käufliche Liebe“ passt aber auch.

Fred Grimm

Der Hamburger Fred Grimm schreibt seit 2009 auf der letzten Seite von Schrot&Korn seine Kolumne über gute grüne Vorsätze – und das, was dazwischenkommt. Als Kolumnist sucht er nach dem Schönen im Schlimmen und den besten Wegen hin zu einer besseren Welt. Er freut sich über die rege Resonanz der Leser und darüber, dass er als Stadtmensch auf ein Auto verzichten kann.

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