Umwelt

Klimaschutz: Was CO2-Zertifikate wirklich bringen

Wir alle pusten ständig CO2 in die Luft und können das über den Kauf von Zertifikaten ausgleichen. Hilft das dem Klima?

Das kleine Kästchen auf meinem Bildschirm ist keinen halben Quadratzentimeter groß. Mit einem einzigen Klick kann ich hierüber die CO2-Emissionen meiner Flixbus-Fahrt von Koblenz nach Nürnberg für nur 30 Cent ausgleichen. Laut Webseite gehen 75 Prozent meines Beitrags – ganze 23 Cent – in die Finanzierung brennstoffeffizienter Öfen nach Ruanda. Der Rest fließt in einen Fonds für eine nachhaltige Verkehrswende. Klingt sinnvoll, kostet fast nix und fühlt sich kurz ein bisschen gut an. Rund zehn Prozent der deutschen Flixbus-Nutzer:innen tun es mir gleich und klicken sich regelmäßig grün. Aber bringt das wirklich was?

Dass wir unsere CO2-Emissionen in den Griff kriegen müssen, ist inzwischen bei den meisten angekommen. Ähnlich wie beim Thema Müll sollten wir angesichts der Klimakrise den Fokus allerdings vor allem darauf richten, Emissionen komplett zu vermeiden oder wenigstens stark zu reduzieren. Also lieber die Reise nach Nürnberg absagen oder mit dem Rad hinfahren und die 30 Cent stattdessen in ein veganes, plastikfreies Mittagessen aus regionalen Bio-Zutaten investieren. Ich muss aber nach Nürnberg, und zwar morgen. Deshalb kompensiere ich. Und sorge damit hoffentlich dafür, dass irgendwo am anderen Ende der Welt jemand meine Emissionen einspart.

Treibhausgase und Klima: Ein Blick auf die Zusammenhänge

Dem Klima ist es egal, wo Treibhausgase entstehen – solange sie andernorts vermieden werden. Letztlich kommt es auf die Summe an – die Summe der Treibhausgase in unserer Atmosphäre. Ihr ungebremster Anstieg sorgt dafür, dass immer weniger von der Erde abgestrahlte Wärme ins Weltall entweicht. Es wird heißer, der Meeresspiegel steigt, Wetterphänomene werden extremer und unberechenbarer. Umso besser, dass es rund um den Globus Projekte gibt, mit denen ich mein Klimagewissen aufpolieren kann, wenn ich sie finanziell unterstütze.

Laut Umweltbundesamt setzen mehr als die Hälfte der freiwilligen Klimakompensationsprojekte auf den Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz – zum Beispiel beim Kochen oder Heizen. Hier reihen sich auch meine 23 Cent für die Öfen in Ruanda ein.

Ein Drittel der Projekte finanziert regenerative Landwirtschaft und die Aufforstung von Wäldern – beides Maßnahmen, durch die CO2 in Pflanzen und Böden gespeichert wird. Weitere vier Prozent widmen sich dem Schutz bestehender Wälder. Was auffällt: Klimakompensation findet meistens in Schwellen- und Entwicklungsländern statt. Warum eigentlich? Katrin Mikolajewski von atmosfair erklärt: „Solche Projekte bewirken einen Technologietransfer von einem Industrieland in den globalen Süden und tragen so zu einer nachhaltigen, klimafreundlichen Entwicklung in Nicht-Industriestaaten bei.“ Es ist der Versuch, weniger entwickelte Länder davor zu bewahren, Klimasünder wie wir zu werden.

Atmosfair entstand 2004 aus einem Forschungsprojekt des Bundesumweltministeriums und ist, ebenso wie Klima-Kollekte, myclimate Deutschland und PrimaKlima, gemeinnützig organisiert. Laut eigenen Angaben fließen rund 90 Prozent der von atmosfair eingenommenen Klimaschutzbeiträge direkt in die Projekte – ein guter Wert, den auch die Stiftung Warentest anerkennt. Sie hat die vier gemeinnützigen Anbieter letztes Jahr genauer unter die Lupe genommen und atmosfair als Testsieger gekürt. Einer der Gründe: Ein Flug innerhalb Deutschlands kann bei atmosfair nicht kompensiert werden. Denn solche Reisen gilt es zu vermeiden. Außerdem arbeitet die Organisation sehr transparent und betreibt ausschließlich Projekte, die nach dem Goldstandard zertifiziert sind.

Klimaschutzprojekte in der Kritik

Der Goldstandard wird seit 2003 ausschließlich an Projekte vergeben, die nicht nur Klimaschutz, sondern auch Umweltschutz und soziale Themen auf der Agenda haben. Anders als andere Standards, etwa der zuletzt stark in die Kritik geratene Verified Carbon Standard, unterstützt der Goldstandard keinen Waldschutz. Das hat gute Gründe: Beim Waldschutz muss zunächst abgeschätzt werden, wie viel Wald auf dem Spiel stünde, wenn das betroffene Gebiet nicht mit Geldern aus Klima-Zertifikaten geschützt würde.

Das motiviert zur Schwarzmalerei, denn je düsterer die Prognose, desto mehr Zertifikate gibt es. Grundsätzlich kann ein Zertifikat, mit dessen Mitteln Bäume geschützt oder neu gepflanzt werden, über Nacht durch Stürme, Brände oder einen Politikwechsel seinen Wert verlieren. Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe sagt deshalb: „Waldschutz und Aufforstung sind keine Kompensationsgarantien. Ein Baum nimmt oft erst ab einem Alter von 20 bis 50 Jahren nennenswerte Mengen CO2 auf. Wer kann heute schon garantieren, dass er dann überhaupt noch steht?“

Solche und ähnliche Kritik an Klimaschutzprojekten gibt es immer wieder. Um Schlupflöcher sowohl auf dem verpflichtenden als auch auf dem freiwilligen Kompensationsmarkt zu schließen, wurden 2021 bei der Klimakonferenz in Kopenhagen die internationalen Kompensationsregeln verschärft. So soll sichergestellt werden, dass Zertifikate nicht doppelt verkauft und Treibhausgasminderungen nur einer Partei gutgeschrieben werden – entweder dem Projektland selbst oder denjenigen, die die Zertifikate kaufen.

Doch es braucht Zeit, bis solche Regeln ihre Wirkung zeigen. Ein Bewertungstool des Environmental Defense Fund, des WWF und des Öko-Instituts hat erst kürzlich bei fast allen untersuchten Emissions-Zertifikaten Mängel festgestellt. Kritisch sei vor allem der Aspekt der Zusätzlichkeit: Manche Projekte, besonders im Bereich erneuerbarer Energien, würden als Klimaschutzmaßnahme verkauft, obwohl sie auch ohne die Mittel aus CO2-Zertifikaten wirtschaftlich rentabel wären.

Verpflichtender Emissionshandel: Wer Zertifikate kaufen muss

In Deutschland sind rund 2000 Unternehmen rechtlich dazu verpflichtet, Emissions-Zertifikate zu kaufen – darunter Stahlwerke, Raffinerien, Kohlekraftwerke und Airlines. Jedes Zertifikat berechtigt sie zum Ausstoß einer Tonne CO2; das Geld fließt in staatliche Energie- und Klimafonds. Wer Emissionen einspart und die Zertifikate nicht aufbraucht, kann sie an andere Firmen weiterverkaufen. Die Anzahl der vergebenen Zertifikate sinkt jährlich.

Allerdings war der CO2-Preis viele Jahre lang zu billig, um echte Sparanreize zu setzen: 2021 kostete ein Verschmutzungs-Zertifikat nur etwa 25 Euro. 2022 lag der Durchschnittspreis immerhin bei 80 Euro pro Tonne CO2.

Auch Privatpersonen können beim Emissionshandel indirekt mitmischen – indem sie Organisationen wie For Tomorrow oder 50Zero unterstützen.

Wie kompensieren Bio-Firmen ihren CO2-Ausstoß?

Auch zahlreiche Bio-Firmen gleichen freiwillig ihre Emissionen über Klimaschutzprojekte aus. Und müssen sich folglich mit den Kritikpunkten in Sachen Klimakompensation auseinandersetzen.

Followfood hat deshalb Anfang diesen Jahres die Zusammenarbeit mit myclimate beendet. Obwohl die unterstützten Projekte alle Goldstandard-zertifiziert seien, habe Followfood „einen höheren Anspruch an Transparenz und Impactmessung“, begründet das Unternehmen in einer Mitteilung. Aktuell werde an einer Alternative gearbeitet, „um wirkungsvolles und nachvollziehbares Klimaengagement umzusetzen.“

Auch der bio verlag, in dem die Schrot&Korn erscheint, stellt die Art und Weise, Emissionen auszugleichen, regelmäßig auf den Prüfstand. Seit 2009 ist der bio verlag zertifiziert klimafreundlich. Wie die meisten anderen Bio-Firmen unterstützt das Verlagshaus internationale Projekte – zum Beispiel ein Windkraftprojekt in Indien und ein Aufforstungsprojekt in Kolumbien. Die Nachhaltigkeitsbeauftragte Marion Morgner sagt: „Wo immer möglich reduzieren wir Emissionen oder halten sie so gering wie möglich. Unvermeidliche Emissionen gleichen wir mit Goldstandard-Projekten aus.“

Die Firma Holle überzeugt der Gedanke, Emissionen international und regional zu kompensieren. Der Babyfood-Hersteller kauft einerseits Klimaschutz-Zertifikate für ein Regenwald-Projekt in Simbabwe. Pressesprecherin Karin Henke ergänzt: „Wir unterstützen außerdem zwei deutsche Bio-Höfe bei der Kohlenstoffbindung durch konstanten Humusaufbau – und zwar aktuell ohne die Ausstellung von Emissions-Zertifikaten.“

Die Firma Bauckhof fördert den Humusaufbau ebenfalls direkt vor Ort – und nutzt dafür den hauseigenen Dinkelspelz, ein Abfallprodukt aus der Produktion. Geschäftsführer Jan-Peter Bauck sagt: „Durch unser Dinkelspelz-Projekt kompensieren wir rund 600 Tonnen Treibhausgase im Jahr. Für die internationale Kompensation setzen wir auf den Standard Plan Vivo, der auf Wiederaufforstungen spezialisiert ist. In Nicaragua konnten wir 2020 dazu beitragen, Bäume auf einer Fläche von 115 Fußballfeldern zu pflanzen.“

Letztlich behaupten auch Bio-Firmen nicht, dass Klimakompensation der Königsweg zur Rettung unseres Planeten ist. Viele zeigen jedoch auf Unternehmensebene, was auch für mich als Konsumentin gilt: Emissionen so gut es geht ganz vermeiden oder wenigstens reduzieren – und gleichzeitig schon heute Verantwortung für meinen Dreck übernehmen. Ein Weg ist, gute Klimaschutzprojekte finanziell zu unterstützen. Diese Meinung teilt auch Dr. Michael Bilharz.

Interview: „Klimaschutz sollte so einfach sein wie ein Einkauf im Bio-Laden“

Dr. Michael Bilharz betreut den CO2-Rechner des Umweltbundesamtes und ist Vorstandssprecher des gemeinnützigen Vereins 3 fürs Klima

Kann CO2-Kompensation unser Klima retten?

Sicher nicht alleine. Trotzdem ist es wichtig, dass sowohl Konsumenten als auch Unternehmen ihre verursachten Emissionen regelmäßig bilanzieren, über wirkungsvolle Projekte ausgleichen und damit hier und jetzt Verantwortung übernehmen. Freiwillige Kompensation trägt dazu bei, schon heute Klimaschutzprojekte umzusetzen, die aktuell noch nicht wirtschaftlich sind. Damit gewinnen wir Zeit. Genauso wichtig ist es jedoch, die eigene Zukunft zu optimieren – indem wir unseren Alltag klimafreundlicher gestalten und politisch aktiv werden.

Geben Sie uns ein Beispiel: Wie gehen Sie mit Ihren eigenen CO2-Emissionen um?

Da ich noch nie in meinem Leben geflogen bin, keinen Führerschein besitze, in einem Niedrig-Energie-Mehrfamilienhaus lebe und in Teilzeit arbeite, ist mein persönlicher CO2-Fußabdruck mit 5 Tonnen recht gering. Diese Emissionen gleicht der Verein 3 fürs Klima jedes Jahr automatisch für mich aus. Das Geld geht dabei an Klimaschutzprojekte gemeinnütziger Organisationen wie atmosfair, myclimate und primaklima. Reine Waldschutzprojekte nutzen wir nicht zur Kompensation.

Automatische Kompensation – ist das nicht ein bisschen bequem?

Uns läuft beim Klimaschutz die Zeit davon. Umso wichtiger ist, dass wir weg von Einzelentscheidungen und hin zu festen Strukturen kommen – damit wir nicht mehr dauernd darüber nachdenken müssen, ob wir uns heute für oder gegen das Klima entscheiden. Das ist vergleichbar damit, nur noch im Bio-Laden einzukaufen: Es ist zwar etwas teurer, aber ich kann mir grundsätzlich sicher sein, dass mein Einkauf eine zukunftsfähige, ökologische Landwirtschaft unterstützt. Klimaschutz sollte genauso einfach sein!

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Kommentare

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Tanja Faust

Kleine Korrektur: Bäume speichern nicht CO2, sondern Kohlenstoff.

RedaktionLeserservice Schrot&Korn -

Liebe Frau Faust. Genaugenommen haben Sie recht: Die Bäume binden CO2. Sie nehmen es auf, wandeln es in Kohlenstoff und Sauerstoff um. Der Kohlenstoff wird gespeichert, Sauerstoff wird abgegeben

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