Jede Sekunde flieht ein Mensch auf der Welt vor Dürre oder Überschwemmung. Oft nur für eine kurze Zeit, bis das Schlimmste vorüber ist, viele aber verlieren ihre Heimat für immer. Jährlich sind es rund 25,4 Millionen, die dem „Atlas der Umweltmigration“ zufolge wegen Naturkatastrophen vor dem Nichts stehen. Wovor Institutionen wie der Weltklimarat oder der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung (WBGU) seit vielen Jahren warnen, ist längst bittere Realität: Massenwanderungen nehmen dramatisch zu. Vergleicht man die heutige Welt mit der von 1950, ist es mittlerweile um 60 Prozent wahrscheinlicher geworden, aufgrund von Naturkatastrophen seine Heimat verlassen zu müssen.
Klimakrise lässt die Welt fiebern
Es ist eine unheilvolle Verkettung: Der Fortschritt fußt auf fossilen Brennstoffen wie Kohle, Gas und Öl. Außerdem roden wir massiv unsere Wälder und vergiften durch die industrielle Landwirtschaft die Böden. Das Immunsystem der Erde, so scheint es, ist durch den Virus Mensch geschwächt. Die Mengen an CO2 und Methan in der Atmosphäre haben beängstigend zugenommen, die Temperaturen auf der Erdoberfläche steigen spürbar. Allein im Monat April 2016 war die globale Durchschnittstemperatur knapp 1,1 Grad höher als zwischen 1950 und 1981, belegen Messungen der NASA. Kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht Wärmerekorde aufgestellt werden. Gletscher und Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, Land zum Leben und zum Anbau von Nahrungsmitteln geht verloren. Gleichzeitig gibt es mehr Stürme und Hurrikans, begleitet von extremen Niederschlägen.
Menschen in Entwicklungsländern am meisten betroffen
Die Organisation Germanwatch hat ermittelt, welche Länder zwischen 1996 und 2015 am meisten von Wetterextremen heimgesucht worden sind. Neun der zehn am stärksten betroffenen Länder sind Entwicklungsländer. Staaten wie Honduras, Nicaragua oder die Philippinen zählen dazu. Sie sind nicht nur die ärmeren unter den Entwicklungsländern, sondern auch noch am wenigsten verantwortlich für den Klimawandel. Und es kommen immer mehr hinzu. So wie Kenia.
Das Land in Ostafrika, das vom Tee- und Kaffeeanbau lebt und weltweit einer der größten Exporteure von Schnittblumen ist, erlebt seit mehr als zwei Jahren eine nicht enden wollende Dürrekatastrophe. Über 60 Prozent der Bevölkerung sollen inzwischen Hunger leiden. „Überall im Land sind die Temperaturen gestiegen. Aber im Gegensatz zu früher sind die Regenfälle nicht mehr vorhersagbar und unregelmäßiger geworden. Und wenn es regnet, dann viel intensiver als zuvor.“ Cornelius Kyalo Matheka weiß, wovon er spricht. Der Kenianer lebt mit seiner Familie im Osten des Landes und arbeitet für eine Partner-NGO der deutschen Hilfsorganisation Arche Nova.
Damit die Menschen vor Ort nicht aus Verzweiflung ihr Land verlassen, baut Arche Nova mit ihnen Auffangbecken und Sanddämme. Denn immer mehr Viehbauern suchen sonst andernorts nach Wasserquellen, um zu überleben. „Das führt zu Konflikten mit anderen ortsansässigen Gemeinden, wenn sie deren Gebiete durchwandern. Es kommt immer wieder zu Kämpfen, bei denen sowohl Tiere als auch Menschen schon ihr Leben lassen mussten“, berichtet Matheka. Das Beispiel macht auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam – die Binnenmigration. Kenia hat selbst mit einer riesigen Flüchtlingswelle zu kämpfen. In Dadaab steht das größte Flüchtlingslager der Welt. Die meisten kommen aus dem Nachbarland Somalia.
Klimaflucht kompakt
- Besonders oft fliehen Menschen in Asien aufgrund von Naturkatastrophen und Extremwetterereignissen. Rund 87 Prozent aller Klimaflüchtlinge weltweit kommen von dort.
- Inselstaaten sind überproportional von Überschwemmungen und Stürmen bedroht. Die Malediven bauen deshalb an einer höheren künstlichen Insel, wo in 40 Jahren rund 150 000 Menschen leben sollen. Und die Bewohner des Pazifikstaats Kiribati werden bald auf die Fidschi-Inseln umgesiedelt.
- Bald nicht mehr da: Küstenstädte oder in Flussdeltas gelegene Megacitys
wie Bangkok, New York, Shanghai, Tokio oder Jakarta werden von
Sturmfluten bedroht. Manche Städte wie Miami erhöhen bereits ihre
Straßen und bauen Pumpstationen auf.
In Bangkok oder Jakarta kommt hinzu, dass die Städte mitsamt ihrem Untergrund absacken. Es wird zu viel Grundwasser abgepumpt, gleichzeitig drücken die Städte von oben mit ihrem Gewicht – der Boden sinkt ein.
Kein Anspruch auf Schutz
Neben Afrika ist insbesondere Asien vom Klimawandel betroffen. Wegen Extremwetterereignissen und Naturkatastrophen mussten dort allein 2014 etwa 16,4 Millionen Menschen fliehen. Zum Beispiel Bangladesch: Der Weltklimarat schätzt, dass bei einem Anstieg des Meeresspiegels um 45 Zentimeter rund zehn Prozent des südasiatischen Landes verloren gehen. Über fünf Millionen Menschen stünden dann vor dem Nichts. Durch geringere Niederschläge würde außerdem das einfließende Meerwasser nach und nach Grundwasser und Böden versalzen und Landwirtschaft unmöglich machen. Schon jetzt sollen es jedes Jahr rund eine Million Bangladescher sein, die wegen regelmäßiger Überflutungen ihr Hab und Gut packen. Die meisten ziehen in die Stadt oder versuchen, über einen streng gesicherten Grenzzaun nach Indien zu fliehen.
Trotz alledem sind Klimaflüchtlinge im internationalen Recht nicht
vorgesehen: Die Genfer Flüchtlingskonvention erkennt Menschen nicht als
Flüchtlinge an, wenn sie aufgrund von Folgen des Klimawandels ihre
Heimat verlassen. Anders als Menschen, die vor Krieg und politischer
Verfolgung fliehen, haben sie keinerlei Anspruch auf Flüchtlingsschutz
oder Unterstützung. Was folgt, sind Frustration, Leid und Armut.
Klimawandel schürt Konflikte
Das zeigt: Die globale Erwärmung beeinflusst unser Miteinander erheblich. Exemplarisch betrachteten Wissenschaftler 2009 in einer Studie, wie sich Kriege in Afrika südlich der Sahara mit steigenden Temperaturen verändern: Durch den Klimawandel werden die Konflikte enorm zunehmen, um bis zu 54 Prozent bis 2030. Extreme Wetterereignisse verstärken kriegerische Konflikte, ökonomische Krisen und soziale Spannungen eines Landes. Der Klimawandel funktioniert in Ländern oder Regionen mit instabilen Verhältnissen wie ein Brandbeschleuniger. Für eine breite Diskussion unter Klimawissenschaftlern sorgte etwa die Theorie von US-Forschern, eine heftige Dürreperiode zwischen 2007 und 2010 hätte den Bürgerkrieg in Syrien mitverursacht.
Dass unser Hunger nach Kohle und Öl die Erderwärmung befeuert und deshalb eine Region nach der anderen auf der Welt unbewohnbar wird, ist eigentlich nicht neu. Trotzdem scheinen wir dieses Problem gedanklich wegzuwischen. Aus den Augen, aus dem Sinn, würde der Soziologe Stephan Lessenich dazu sagen. In seinem Buch „Neben uns die Sintflut“ erklärt er, wie das Schicksal der Klimaflüchtlinge mit unserem Wohlstand zusammenhängt – und warum wir diesen Zusammenhang kollektiv verdrängen.
Externalisierung nennt Lessenich diesen Mechanismus. Am Beispiel einer Kaffeekapsel erklärt: Damit es in einer weiß gefliesten Einbauküche eines Krefelder Reihenendhauses jeden Morgen auf Knopfdruck nach Café Arabica duftet, werden Tausende Kilometer weiter weg Bauxit für die Alu-Kapseln ab- und Kaffeebohnen für den Genuss angebaut. Beides geschieht unter ökologisch wie menschlich katastrophalen Bedingungen. Von denen sieht und schmeckt der Besitzer der Kaffeemaschine aber nichts mehr. Sie werden ausgelagert – und das schlechte Gewissen gleich mit.
Klimakiller Kohle
Dazu kommt: „Die Kohlekraftwerke, die in Deutschland stehen, verschärfen den Klimawandel, der dann eben zu heftigen Stürmen auf den Philippinen führt“, sagt Jan Kowalzig, Referent für Klimawandel und Klimapolitik bei der entwicklungspolitischen Organisation Oxfam. Doch seien es nicht allein die große Politik und die Kohlekraftwerke, die Menschen in anderen Teilen der Welt zur Flucht zwingen. „Jeder leistet seinen ganz persönlichen Beitrag und ist mitverantwortlich für den Klimawandel.“ Täglich frische Blumen aus Kenia, ein Auto für jedes Familienmitglied und Fleisch satt – uns geht es so gut, weil andere den Gürtel enger schnallen, beschreibt es der Soziologe Stephan Lessenich. Als Dank machten wir die betroffenen Länder auch noch selbst für ihr Schicksal verantwortlich. Ihre Bewohner grenzen wir aus und werten sie ab. Aber das Wasser, es steigt uns allen gemeinsam bis zum Hals. Mit jedem Grad mehr steigt der Meeresspiegel um zwei Meter. Noch in diesem Jahrhundert wird ein Anstieg von 28 bis 98 Zentimetern erreicht, warnt der Weltklimabericht von 2013. Um das zu verhindern, um Menschen nicht in die Flucht zu treiben, muss dringend etwas passieren.
„Während die Politiker immer nur reden, leiden Menschen in Ländern wie Kenia, die schon jetzt von den direkten Folgen des Klimawandels betroffen sind. Sie verlieren einfach ihre Lebensgrundlagen, wenn die Wasserquellen austrocknen“, sagt Cornelius Kyalo Matheka aus Kenia. Was er glaube, warum es nicht vorangeht? „Weil es weniger an rechtlichen Grundlagen als am politischen Willen der entwickelten Nationen mangelt“, sagt Matheka.
Diese Länder seien es, die jetzt dringend von den fossilen Energien
Abschied nehmen müssten, meint auch Jan Kowalzig von Oxfam. Und zwar
zügiger und beherzter als etwa die ärmeren Länder, für die oft
Entwicklung und Armutsbekämpfung im Vordergrund stehe. „Natürlich müssen
alle Länder jetzt mit vollem Ehrgeiz das Pariser Klimaschutzabkommen
umsetzen. Weil die Industrieländer aber reich sind und weil sie eine
große historische Verantwortung für den Klimawandel haben, müssen sie
stärker vorangehen als andere“, sagt er.
Mehr zum Thema Klimaflucht
- www.germanwatch.org/kri
Der Klima-Risiko-Index zeigt, welche Länder besonders vom Klimawandel betroffen sind. - www.iom.int
Von der Internationalen Organisation für Migration (IMO) gibt es zahlreiche Studien zum Einfluss des Klimawandels und ganz aktuell zu Corona. - www.wbgu.de/welt-im-wandel
Sicherheitsrisiko Klimawandel. Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen - Ionesco, Dina (u.a.): Atlas der Umweltmigration. Oekom Verlag, 176 Seiten, 22 €
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