Kürzlich ist das Buch „Gift und Wahrheit“ von Alexander Schiebel im Oekom-Verlag erschienen, in dem der Autor und Filmemacher berichtet, wie er durch seinen Einsatz gegen Pestizide vor Gericht landete. Im Interview erzählt er, warum ihn das Verfahren depressiv gemacht hat, wie er den Prozess gewinnen konnte und wodurch sein Fall mediale Aufmerksamkeit erlangte.
Deine kritische Berichterstattung hat dich vor Gericht geführt. Würdest du es trotzdem wieder tun?
Absolut. Auch wenn ich in dieser Zeit manchmal an meiner Einsamkeit verzweifelt bin. Aber wenn die Natur zerstört wird und du versuchst, es zu verhindern, hast du wenigstens das Richtige getan. Das ist für mich letztlich das Einzige, was zählt.
Du hast über den Pestizideinsatz in Mals einen Film gedreht. Was ist dort passiert?
In Südtirol befindet sich die größte zusammenhängende Apfel-Monokultur in Europa. In vielen Orten liegen die Siedlungen direkt neben den Monokulturen und werden eingehüllt in dichte Pestizid-Nebel. Deshalb organisierten die Bürger:innen vor Ort eine Volksabstimmung und votierten dafür,
chemisch synthetische Pestizide auf allen Gemeindeflächen zu verbieten. Daraufhin schlugen die Apfelkonzerne Alarm, zusammen mit dem Bauernbund, der Landesregierung und den Südtiroler Medien.
Die Landesregierung hat die Volksabstimmung nicht ernst genommen. Was ist dann passiert?
Ich habe mich dazu entschieden, einen Film über diese Geschichte zu drehen und ein Buch zu schreiben. Im Lauf der Zeit führte ich Interviews mit vielen Bürger:innen vor Ort und initiierte damit eine zweite Protestwelle.
Welche Protestformen gab es da?
Sehr lustig fand ich es zum Beispiel, als wir in einer großen Gruppe mit Pestizid-Schutzkleidung auf den Radwegen im Tal gefahren sind – vor den endlosen Monokulturen und den ungläubigen Blicken der Touristen. Das habe ich mit meiner Kamera besonders gut einfangen können, weil hier in einem Bild wirklich alles gesagt ist: Man kann eine Region nicht als Urlaubsparadies bewerben und dort gleichzeitig intensive Landwirtschaft und Monokulturen mit hohem Pestizideinsatz betreiben.
Wer hat dich schließlich angezeigt?
Der landwirtschaftliche Landesrat. Kurz darauf haben die Apfel-Genossenschaften all ihre Mitglieder dazu eingeladen, auch Strafanzeige zu erstatten. Danach kam der Südtiroler Bauernbund hinzu und währenddessen hat die marktbeherrschende Mediengruppe fest mit dem Knüppel auf uns eingedroschen. Zum Schluss waren es 1372 Strafanzeigen und ein Strafprozess vor Gericht.
Wurde noch jemand angezeigt?
Mein wichtiger Verbündeter Karl Bär vom Umweltinstitut München und der Eigentümer des Verlages, in dem mein Buch erschienen ist: Jakob Radloff vom Oekom-Verlag, wurden ebenfalls angezeigt.
Zur Person
Alexander Schiebel wurde 1966 in Salzburg geboren und engagierte sich schon in seiner Jugend für den Umweltschutz. Nach seiner Tätigkeit als Software-Entwickler machte er sich 2013 als Autor und Filmemacher selbstständig. 2017 erschien sein erstes Buch „Das Wunder von Mals“ und ein Jahr später der gleichnamige Dokumentarfilm. Aufgrund seiner kritischen Berichterstattung über den Pestizideinsatz in Mals erhielt Schiebel 1372 Strafanzeigen. Der anschließende Prozess gilt als bekanntestes SLAPP-Verfahren. Schiebel hat vier Kinder und lebt in Wien.
Was war während der Zeit des Prozesses am schlimmsten?
Ich vergleiche das gerne mit dem Film „Matrix“, in dem die Hauptfigur Neo die Wahl hat zwischen zwei Pillen. Die eine Pille lässt einen in der bisherigen Welt zufrieden verweilen und die zweite Pille ist die der Erkenntnis. Man kann damit die Realität sehen, auch wenn sie brutal ist. Diesen Perspektivwechsel und die damit verbundene Einsamkeit empfand ich einige Jahre lang als unerträglich. Ich litt unter einer starken depressiven Verstimmung.
Du hast den Prozess am Ende gewonnen. Wie ist das gelungen?
Das ist das Verdienst des Umweltinstituts München. Dort hat man eine sehr große Menge an Menschen zu Solidarität bewegt, angefangen von Politiker:innen über NGOs bis hin zu Privatpersonen, die eine Petition unterzeichneten und große Medien, die über alles berichteten. Es wurde eine große Kampagne orchestriert, die den Effekt hatte, dass die Kläger:innen augenblicklich verstanden: Wir haben uns den falschen Gegner ausgesucht!
Warum löste das trotzdem keinen Jubel bei dir aus?
Letztlich wurde der Wunsch nach einer pestizidfreien Gemeinde in Mals nicht umgesetzt. Wir haben zwar jedes Gerichtsverfahren gewonnen, d.h. wir mussten keine Strafe begleichen. Aber gleichzeitig lösen solche Klagen bereits in dem Moment, wo sie beginnen, großen, irreversiblen Schaden an – durch ihren enormen Zeit- und Geldeinsatz. Und sie schrecken Aktivist:innen ab.
Dein Prozess wurde als SLAPP-Klage eingestuft. Was ist das?
SLAPP steht für Strategic Lawsuit Against Public Participation: ein Gerichtsverfahren gegen Menschen, die wirtschaftliche oder politische Probleme öffentlich kritisieren und dann durch Gerichtsprozesse mundtot gemacht werden sollen – so wie ich. Die Prozesse sind in dem Sinne strategisch, dass es den Betreibern nicht darum geht, sie zu gewinnen, sondern es geht ihnen vor allem darum, den Aktivist:innen möglichst großen Schaden zuzufügen.
„Die neue Anti-Slapp-Richtlinie macht Mut.“
Wie erfolgreich sind die Kläger:innen damit?
In der Regel außerordentlich erfolgreich, denn die Strategie funktioniert in den meisten Fällen. Es gibt darüber hinaus auch eine große Dunkelziffer, die nicht auf dem Radar erscheint, weil es gar nicht erst zum Prozess kommt: Die Aktivist:innen ziehen sich oft aus Angst vor den Folgen schon vorher zurück. Die Europäische Union hat im Februar – nicht zuletzt aufgrund unseres Falles – reagiert und eine Anti-SLAPP-Richtlinie beschlossen, als Schutz vor diesen Einschüchterungsklagen. Ich hoffe, das macht Aktivist:innen Mut.
Dein Prozess hat drei Jahre gedauert. Welche Spuren hat das hinterlassen?
Meine Familie ist daran zerbrochen und das ist eigentlich das grausamste, das einem Menschen widerfahren kann. Die Belastungen für meine Frau und mich waren teilweise leider wirklich extrem. Dazu kamen große finanzielle Probleme und Schulden.
Was gibt dir Kraft?
Ich versuche jetzt aktiv Glücksquellen zu finden und zu kultivieren. Außerdem haben mir die Reaktionen auf meine Arbeit geholfen.
Wie waren die Reaktionen?
Das Publikum war begeistert von dieser Geschichte des regionalen Widerstands: Mein Buch „Das Wunder von Mals“ hat sich extrem gut verkauft und in Süddeutschland standen die Leute Schlange vor den Kinos.
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