Interview

Jürgen Tautz: „Bienen sehen beim Fliegen nur grün“

Sie sind schnell wie ein Auto, trinken Alkohol und sind für die Umwelt unverzichtbar. Forscher Jürgen Tautz über die Welt der Bienen.

Bienenexperte Jürgen Tautz hat in diesem Jahr sein neues Buch „Auch Bienen haben Schweißfüße“ veröffentlicht. Im Interview verrät er verblüffende Fakten über Honigbienen. Zum Beispiel, dass Bienen beim Fliegen farbenblind werden und betrunken werden können. Außerdem erklärt er ihre Bedeutung für unsere Umwelt.  

Warum haben Bienen Schweißfüße? 
Bienen haben sechs Füße mit je zwei Zehen, an denen sich ein vollgesogener Schwamm befindet. Wenn eine Biene an einer Blüte landet, um Pollen oder Nektar zu sammeln, bestempelt sie diese mit dem Sekret aus dem Schwamm. Sie lässt also eine Art „Schweißfußabdrücke“ zurück. Das führt dazu, dass andere Bienen vorbeifliegen, weil sie wissen, dass dort nichts mehr zu holen ist. Diese Schweißfußabdrücke verduften wieder, wenn die Blüte neuen Nektar gebildet hat.

Wie hat sich Ihre Leidenschaft für die Bienen entwickelt? 
Rein zufällig. Ich habe mich vorher als klassischer Zoologe mit Fischen, Fröschen und Krebsen beschäftigt. Als mir ein Kollege ein Bienenvolk schenkte, hatte ich erst richtig Angst vor den Bienen. Ich wusste nur: Sie machen Honig und können stechen. Dann habe ich angefangen, den Bienen zuzuschauen und mein Interesse wuchs. Ich habe viel über Bienen gelesen und meine Beobachtungen deckten sich nicht mit den Büchern. So habe ich mit über 50 Jahren noch einmal bei Null angefangen, über Bienen zu forschen. 

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Warum sind Bienen so wichtig? 
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir etwa 200 Millionen Jahre zurückblicken. Damals wurden grüne Landpflanzen nur  durch den Wind bestäubt. Das ist enorm ineffizient. Deshalb entwickelten sich Insekten wie die Biene, die den Blütenstaub absammeln und bestäuben. Bienen sind unverzichtbar. Die Bedeutung für uns Menschen und die Landwirtschaft kann man in Zahlen ausdrücken: Ein Drittel aller Lebensmittel ist der Bestäubungsleistung der Biene zu verdanken. Bei allen Obst- und Gemüsesorten sowie Tierfutter läuft ohne Bestäuber nichts.

Welche Rolle spielen konventionelle und ökologische Landwirtschaft für die Bienen? 
Konventionelle Landwirtschaft ist für die Bienen, die ganze Natur und für uns Menschen ein Unglück. Konventionelle Landwirtschaft hat sinkende Artenvielfalt zur Folge. Wenn wir nicht aufpassen, wird uns das auf die Füße fallen – und zwar in einer Intensität, gegen die der Klimawandel ein Kindergeburtstag ist. Denn die verschwundene Biodiversität ist nicht mehr zu reparieren. Viele sind schon dabei, rein ökologische Landwirtschaft zu betreiben. Und Blühstreifen an Feldrändern können die Artenvielfalt stärken. Aber wenn die Felder mit Insektiziden und Herbiziden bearbeitet werden, wird man da keine Insekten finden. 

Würden Sie sagen, dass durch rein ökologische Landwirtschaft die Biodiversität gesichert werden kann?
Ja absolut. Nur ökologische Landwirtschaft wäre die Garantie, um den Niedergang der Artenvielfalt zu stoppen. 

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Zur Person

Jürgen Tautz hat in Darmstadt Biologie, Geografie und Physik studiert, fertigte seine Dissertation in Konstanz und ließ 1986 die Habilitation in Zoologie folgen. Seit über 20 Jahren widmet er seine Forschung den Bienen. 2004 wurde er Gründungsvorsitzender des Bienenforschung Würzburg e.V. und ist emeritierter Professor am Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität. Tautz entwickelte unter anderem die internetbasierte Lehr- und Lernplattform Hobos und die App beeactive. Das Imkern hat Tautz mittlerweile aufgegeben, um der „klassischen Imkerkrankheit“ zu entgehen: einem Bandscheibenvorfall. 

In Ihrem aktuellen Buch steht, dass Bienen manchmal farbenblind sind – wann genau ist das der Fall? 
Bienen sehen die Welt bunt, aber anders als wir. Bienen sind nämlich rotblind. Eine Mohnblüte ist für Bienen schwarz. Dafür kann sie ultraviolettes Licht sehen, das wir nicht sehen. Außerdem ist das Bienenhirn klein. Alles was gerade nicht gebraucht wird, wird abgeschaltet. Beim Fliegen müssen die Bienen aufpassen, dass sie nirgends anstoßen. Fliegen sie schneller als 6 km/h – und sie können bis zu 30 km/h schnell werden – dann werden sie farbenblind und sehen nur noch grün. 

Mit Bienen wird immer das Attribut „fleißig“ verbunden – wie fleißig sind sie denn wirklich?  
Das Bienenvolk als Ganzes ist schon enorm fleißig – es besucht am Tag etwa sechs bis sieben Millionen Blüten. Viele Bienen im Volk machen aber meistens nichts. Sie warten ab und arbeiten nach dem Prinzip: „Mach du es doch.“ Erst wenn niemand sich darum kümmert, bewegt sich eine Biene. Das betrifft alle Berufe im Bienenstock. Sammelbienen zum Beispiel sind eher mäßig fleißig. Sie machen am Tag drei, vier Ausflüge. Dabei besuchen sie allerdings bis zu 2000 Blüten. Die fleißige Biene drängt sich also nicht danach, fleißig zu sein.  

Sammelbienen bedienen sich auch an überreifem Obst – können sie betrunken werden?
Ja, Bienen können Säfte aufnehmen, in denen Alkohol enthalten ist und sie können betrunken werden. Der Alkohol wirkt auf ihr Nervensystem ähnlich wie bei uns Menschen. Die Bienen taumeln dann tatsächlich und fallen manchmal um. In der Kommunikation klappt es auch nicht mehr so gut. Der Alkohol wird aber wieder ausgeschieden und hinterlässt wohl keinen Schaden.  
 

„Die fleißige Biene drängt sich nicht danach, fleißig zu sein."

Jürgen Tautz

Sie gehen auch der Frage nach, ob Bienen Emotionen haben – haben sie denn Gefühle?
Meiner Ansicht nach nein. Das Denken und Bewusstsein der Bienen ist aktuell zwar ein sehr populäres Thema. Man kann allerdings  gar nichts darüber sagen. Je weiter wir uns beim Thema Gefühle von uns Menschen entfernen, desto weniger können wir darüber eine Aussage treffen. Bei Affen kommen wir da noch mit, bei Bienen ist das völlig ausgeschlossen. 


Was können wir als Einzelpersonen tun, um die Bienen zu schützen?
Zuerst einmal: uns mit dem Thema beschäftigen und uns belesen. Man kann im Garten oder auf dem Balkon und der Fensterbank Bienenweiden pflanzen. Dann kann man die Menschen unterstützen, die sich um Bienen kümmern, wie Imkerinnen und Imker sowie ökologische Landwirtinnen und Landwirte. Außerdem bestimmen wir als Verbraucherinnen und Verbraucher ganz viel mit. Wir sind der allermächtigste Hebel.

Welche war die für Sie unglaublichste Erkenntnis über die Bienen? 
Meine erstaunlichste Erkenntnis: Je tiefer man bei den Bienen eintaucht, desto dümmer kommt man sich vor. Als ich noch nichts über Bienen wusste, dachte ich, ich weiß alles über Bienen. Und je mehr ich über Bienen weiß, desto größer wird das Staunen und der Wunsch, immer mehr wissen zu wollen.

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