Umwelt

Interview: Brot ist ein Stück Lebensqualität

Gesundes Brot – das ist oft ein Marketing-Trick mit eingebautem Verfallsdatum: Immer neue Heilslehren versprechen den ultimativen Fitness-Kick. Es gibt aber auch natürliche Methoden, den Gesundheitswert zu steigern. Über eine neue Art der punktgenauen Getreide-Keimung sprachen wir mit Demeter-Bäcker Rolf Härdtner aus Neckarsulm.

Interview „Brot ist ein Stück Lebensqualität“

Herr Härdtner, Sie haben in Zusammenarbeit mit zwei Wissenschaftlern Vollkornbrote mit gekeimtem Getreide entwickelt. Was war der Beweggrund dafür?

Das Goldkeimlingsbrot ist unsere Antwort auf den Trend zu angereicherten Broten, also etwa auf Zusätze von Vitamin E oder Kalzium oder Omega-3-Fettsäuren. Wir backen ohne jede Zusätze, also kommt dieses so genannte Functional Food für uns nicht in Frage. Das Backen mit gekeimtem Getreide dagegen ist ein ganz natürlicher Vorgang, das nutzten die Menschen schon vor 2.000 Jahren – Stichwort Essener Brot. Die Essener waren eine jüdische Volksgruppe, die zur Zeit um Christi Geburt den Nährwert von Getreide durch das Keimen erheblich steigerte.

Auf welche Vitamin-Gehalte kommt Ihr Brot?

Zwei Scheiben Goldkeimlingsbrot decken auf natürliche Weise zu 50 Prozent den Tagesbedarf an Vitamin E und an Folsäure, bei Vitamin B1 sind es 25 Prozent. Zum Vergleich: „Normales“ Vollkornbrot bringt es nur auf ein Viertel bis ein Drittel dieser Werte, ganz zu schweigen von ausgemahlenen Mehlen.

Welche Stoffe entstehen durch das Keimen neu?

Vitamin C etwa. Durch einen optimierten Keimvorgang erhalten Sie so viel Vitamin C wie in einer entsprechenden Menge Südfrüchte enthalten ist. Ganz wichtig dabei: Alle diese Vitalstoffe sind in einer ausgewogenen, bioverfügbaren Form im gekeimten Korn enthalten. Das ist anders als bei einer Vitaminpille. Nicht zu vergessen: Beim Goldkeimlings-Vollbrot wird Phytinsäure nicht nur abgebaut – das geschieht durch die Sauerteigführung bei anderen Vollkornbroten auch. Sondern diese schädliche Phytinsäure, die die Aufnahme von Mineralien und Spurenelementen hemmt, wird durch das optimierte Keimen sogar umgewandelt in einen lebenswichtigen und höchst kostbaren Stoff, das so genannte Triphosphoinositol.

Was ist neu an den Goldkeimlingen?

Das Keimen als solches ist in der Vollkornbäckerei natürlich nichts Neues. Jeder gute Bäcker, der ganzes Korn verbackt, weicht es ja längere Zeit ein. Aber in diesen Fällen handelt es sich um einen unkontrollierten Quell- und Keimvorgang, der vom optimalen Keimen weit entfernt ist. Worauf es ankommt, ist ein punktgenauer, optimierter Prozess. Die beiden Forscher haben einen EDV-gesteuerten Apparat entwickelt. Es wurde genau untersucht, was zu welchem Zeitpunkt unter welchen Bedingungen im Korn passiert. Wir wissen, dass in den ersten 20 Stunden nur wenig passiert und dass 48 Stunden optimal sind. Zu späteren Zeitpunkten verkehren sich positive Prozesse ins Gegenteil und irgendwann ist zum Beispiel Vitamin C wieder vollständig abgebaut.

Gibt es auf dieses Verfahren ein Patent oder können das auch andere Bäcker nutzen?

Das Patent liegt bei den Wissenschaftlern Dr. Manfred Otto und Dr. Wolfgang Wiesner, die am Fraunhofer Institut darüber geforscht haben und sich seit 14 Jahren mit dem Thema beschäftigen. Selbstverständlich habe ich von Anfang an meine Hilfe zugesagt, damit möglichst viele Bäcker dieses Verfahren anwenden. Ich habe Seminare abgehalten, um mein Wissen weiterzugeben. Denn ich finde die Idee einfach genial. Eine ganze Reihe von Bäckern probieren das im Moment aus.

Wie hoch ist der Anteil an gekeimtem Getreide in Goldkeimlingsbroten?

Am Anfang haben wir versucht, möglichst viel gekeimte Körner zu verbacken. Aber wenn Sie 100 Prozent verbacken, bekommen Sie etwas heraus, was nach landläufigem Verständnis kein Brot ist, sondern ein pappiges, nasses Produkt ohne Volumen. Die obere Grenze für ein vernünftiges Brot mit optimal gekeimtem Getreide liegt bei etwa 30 Prozent. Die Ausnahme ist unser Essener Fladen, dort sind 90 Prozent gekeimtes Getreide drin. Aber wohlgemerkt, das ist kein Brot, sondern ein Fladen, da geht das.

Sie arbeiten eng mit Demeter-Bauern zusammen. Warum?

Mir ist es wichtig zu wissen, welche Sorten ich im Hause habe. Darüber rede ich mit den Bauern. Das bringt eine hohe Sicherheit für das Backverhalten. Große Pluspunkte hat der Demeter-Anbau auch im Früchtebereich, etwa bei Erdbeeren oder Äpfeln. Selbst wenn ich im Einkauf manchmal vier Mal so viel bezahle wie im konventionellen Bereich: Ich weiß, dass der Kunde den Unterschied schmeckt. Niemand kennt sich mit den Sorten besser aus als die Demeter-Bauern.

Was zeichnet in Ihren Augen ein gutes Brot aus?

Gutes Brot ist für mich ein Stück Lebensqualität – und nicht etwas, das zur bloßen Unterlage für Käse oder Wurst degradiert wurde. Ich esse zum Beispiel sehr gerne eine Scheibe Brot zu einem Apfel oder einer Orange.

Wie schlägt sich die Demeter-Philosophie in der Backstube nieder?

Entscheidend sind für mich das Vertrauen in sichere und hochwertige Rohstoffe, der Verzicht auf Backmittel und Zusatzstoffe, außerdem der hauseigene Sauerteig, lange Ruhezeiten und viele Vorteige. Manche Brote brauchen eben 14 bis 16 Stunden.

Beliefern Sie auch Naturkostläden?

Seit der diesjährigen Bio Fach-Messe bieten wir unser Goldkeimlingsbrot unter der Marke e’sener an. Speziell für den Naturkosthandel haben wir dieses Brot circa zehn Wochen haltbar gemacht. Außerdem ist es gelungen, die Goldkeimlinge zu getrockneten Flocken zu verarbeiten. Jeder Bäcker kann die Flocken beziehen, um damit selbst Keimlingsbrote herzustellen. Die Flocken sind aber auch in haushaltsüblichen Packungen erhältlich, etwa fürs Müsli oder um sie über den Salat zu streuen.

Weitere Infos: www.haerdtner.de


Demeter-Kampagne zum Thema Brot

Nach dem Erfolg der ersten Demeter-Verbraucher-Aufklärungsoffensive zum Thema Milch und Molkereiprodukte startet der Verband im Oktober eine zweite Kampagne. Sie widmet sich dem Thema Brot und Backwaren. Die Kampagne ist gekoppelt an Aktionen in Verkaufsstellen und bietet neues Info-Material wie Flyer und Plakate. Ein kleines Zusatzsortiment mit Brotmessern und Schneidebrettern erfüllt weitergehende Kundenwünsche. Demeter-Bäcker backen ihr Brot ohne Zusatzstoffe, Enzyme und viele andere Verarbeitungshilfsstoffe sind tabu. Natürliche Triebmittel wie hauseigener Sauerteig, Backferment oder Hefe, sonnengereiftes Demeter-Getreide und vor allem die nötige Ruhe und Zeit in der Teigführung sorgen dafür, dass sich das Aroma voll entwickeln kann und die Brote besonders bekömmlich sind. Insgesamt gibt es in Deutschland zur Zeit über 100 Demeter-Bäckereien.

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