Umwelt

Neue Wohnungen für Bienen: So könnte es gehen

Wissenschaftler erforschen die Lebensgewohnheiten der Insekten und tüfteln an neuen Wohnungen für Bienen.

Die Dokumentation „More than Honey“, die 2012 in den Kinos lief, schockierte viele Menschen. An die Bilder von Arbeitern in China, die in Obstbäume klettern und mit Wattetupfern die Blüten bestäuben und Trucks, die in den USA Tausende Bienenvölker zur Bestäubung von einer Monokultur in die nächste karren, erinnern sich viele.

So ging es auch Antonio Gurliaccio und Moses Martin Mrohs aus dem hessischen Karben: „Wir haben sofort gedacht, da muss man etwas tun“, sagt Moses Mrohs. Die beiden gründeten das Projekt Bienenbotschaft. Gurliaccio ist der Imker im Team, das erste Bienenvolk stellte er kurz nach dem Kinobesuch in seinen Garten. Seine Völker hält er in sogenannten Magazinbeuten aus Holz. Diese eckigen Kisten benutzen die meisten Imker, es gibt sie auch aus Kunststoff. Sie sind praktisch, stapelbar und gut zu transportieren. Der gebürtige Italiener hat aber so wie die Zeidler im Mittelalter auch Honigbienen, die in Baumhöhlen leben.

Zeidlerei: zwischen Beerntung wilder Honigbienen und moderner Imkerei

In der langen Geschichte von Mensch und Biene ist die Zeidlerei gewissermaßen eine Etappe zwischen der gefährlichen Beerntung wilder Honigbienen und der modernen Imkerei, die das Waldinsekt vor rund 150 Jahren von der Baumhöhle in eine Kiste umgesiedelt hat. Mit dem Aufkommen der Zuckerindustrie im 19. Jahrhundert verschwand die Zeidlerei. Nur im südlichen Ural in Russland wurde die uralte Waldbienenhaltung nie völlig aufgegeben. Wissenschaftler brachten das Handwerk im Rahmen eines WWF-Projekts vor zehn Jahren wieder zurück nach Polen, wo es mittlerweile mehr als 150 Zeidlerhöhlen gibt. Seither erlebt diese Art der Bienenhaltung in Europa eine Renaissance. Honig kann bei dieser extensiven Haltungsform wenig bis gar nicht geerntet werden. Es geht vielmehr darum, der Honigbiene ihr natürliches Zuhause in einem Baum zurückzugeben. Damit verbunden ist die Hoffnung, dass die Gesundheit der Völker profitiert, sie regenerieren.

Weil es bei uns kaum noch alte Bäume mit Naturhöhlen gibt, bauen moderne Zeidler wie Antonio Gurliaccio sogenannte Klotzbeuten. Dafür werden etwa zwei Meter lange Baumstämme ausgehöhlt und in fünf bis sechs Metern Höhe am Stamm eines Baumes befestigt. „Anders als im Mittelalter brauchen unsere Bienen heute eine imkerliche Betreuung“, sagt Gurliaccio. Er kümmert sich um die Völker in der Klotzbeute genauso wie um die in der herkömmlichen Magazinbeute. Über spezielle Öffnungen schaut er in die Bienenwohnung und kontrolliert, wie es den Insekten geht. So kann er sie gegen die Varroamilbe behandeln. Das Spinnentier ernährt sich vom Blut der Bienenlarven und ist eine große Bedrohung für die Bienengesundheit.

Besonderes Ökoklima in der Bienenwohnung

Um gefahrlos in der Höhe arbeiten zu können, errichten die Zeidler Gerüste oder arbeiten wie Gurliaccio mit Seil und Klettergurt. Inzwischen ist sein Zeidlerwissen europaweit gefragt. 2016 hat Bienenbotschaft zusammen mit einem befreundeten Zeidler aus der Schweiz einen Zeidlerbaum im Botanischen Garten der Stadt Frankfurt am Main errichtet, der erste in einer europäischen Stadt. Initiiert hat das Projekt die Umweltdezernentin Rosemarie Heilig. Die Idee dahinter: Schwärmen, die Stadtimkern ausbüxen, ein Zuhause anzubieten. Denn ein Bienenschwarm, der keine Höhle findet, überlebt in der Regel nicht. „Genau wie Vögel, die in ihrer Umgebung keine Brutmöglichkeit finden und in Nistkästen einziehen, nehmen Bienenschwärme Baumhöhlen meist sofort an“, sagt Gurliaccio. Im Botanischen Garten in Frankfurt können Besucher mittlerweile drei bewohnte Bienenbäume besichtigen.

Seit einigen Monaten sind Gurliaccios Klotzbeuten als Teil eines Feldforschungsprojekts mit empfindlichen Messsystemen verkabelt. Die Daten, unter anderem zu Feuchtigkeit und Temperaturen im Bienennest, sind für den Biologen Torben Schiffer ein weiteres wichtiges Puzzlestück bei der Erforschung des Ökoklimas in der Bienenwohnung. Schiffer gehört zum Forscherteam um Professor Dr. Jürgen Tautz, einem der renommiertesten Bienenexperten Deutschlands, der am Biozentrum der Julius-Maximilian-Universität in Würzburg lehrt und forscht. Im Rahmen seiner Grundlagenforschung hat Schiffer über Jahre Daten aus verschiedenen gängigen Beutensystemen, aber auch von Bienen besiedelten Baumhöhlen gesammelt. Die Ergebnisse sind erstaunlich: „Wir haben festgestellt, dass die klimatischen Verhältnisse in der Baumhöhle – anders als in den von Menschen gemachten Beuten – für das Überleben der Bienenvölker im Winter perfekt sind“, sagt Schiffer. Aktuell will er herausfinden, wie die Klotzbeute so optimiert werden kann, dass sie als Zuhause für die Biene genauso gut geeignet ist wie eine natürlich gewachsene Baumhöhle.

Von Bienen lernen

Grundsätzlich kommt die in einen Baumstamm geschlagene Höhle der ursprünglichen Behausung der Biene recht nahe: Wilde Honigbienen leben in einer oval-runden Höhle, gut isoliert durch das umgebende Stammholz und in luftiger Höhe. „Das Holz reguliert das Klima, indem es überschüssige Feuchtigkeit aufnimmt und einpuffert“, sagt Schiffer.

Bienen in der eckigen Magazinbeute stehen dagegen meist bodennah und dort ist es deutlich feuchter. Im Winter, wenn die Insekten auf den Waben eng zusammendrängen, um sich zu wärmen, bildet sich in den kühlen Ecken der Kiste Kondenswasser, Schimmel entsteht. „Gegen die kühl-feuchten Temperaturen heizen die Bienen verstärkt an. Dadurch brauchen sie mehr Futter – und sie setzen dabei fatalerweise noch mehr Feuchtigkeit frei“, sagt der Bienenexperte. Und noch einem Geheimnis der Baumhöhle ist die Wissenschaft gerade auf der Spur: Die Biene lebt darin in einer symbiotischen Gemeinschaft mit vielen Kleinstlebewesen, Mikroorganismen, Bakterien und Pilzen. In diesem Mikrokosmos profitiert jeder von jedem. Einer dieser Mitbewohner, der Bücherskorpion, steht momentan im Rampenlicht. Das wenige Millimeter große stachellose Tier ist so etwas wie die Reinigungskraft in der Wohngemeinschaft. Er putzt die Bienenwohnung mit seinem Appetit auf Varroamilben. Biologe Schiffer forscht seit elf Jahren über dieses faszinierende Lebewesen, das Imker schon vor mehr als 100 Jahren beschrieben. Seine gerade erschienene „Handlungsanleitung für artgerechte Bienenhaltung mit Bücherskorpionen“ liest sich so spannend wie ein Krimi.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung stellen Bienenexperten inzwischen weitreichende Überlegungen an: Können Honigbienenvölker auch ohne imkerliche Betreuung in unseren Wäldern überleben? Das hätte große Bedeutung für die Bienengesundheit, aber auch für die Biodiversität, also den Fortbestand der genetischen Vielfalt dieses Insekts. Die Bienen von Gurliaccio und Mrohs regen sich nach dem langen Winter jetzt in der Höhle ihres Zeidlerbaums. Bald fliegen sie hinaus und sammeln Pollen und Nektar – und jede Menge Daten, die Forschern helfen, ihr Leben und natürliches Habitat besser zu verstehen.

Mehr zum Thema

  • Naturnah imkern
    Neben den neuzeitlichen Zeidlern befassen sich auch andere mit naturnahen Haltungsmöglichkeiten von Honigbienen. Der Hobbyimker und Techniker Andreas Heidinger tüftelt seit 2012 an seiner Bienenkugel. Kernidee ist ein rundes Bienennest wie in der Natur, das Heidinger in die eckige Magazinbeute integrierte. In Zusammenarbeit mit Professor Tautz und dem Biologen Torben Schiffer hat er die Bienenkugel weiter entwickelt. Dicke Holzwände, ein diffusionsoffener Deckel für den Feuchtigkeitsaustausch und ein Lebensraum für Bücherskorpione & Co. kommen dem natürlichen Wohnklima in der Baumhöhle näher. Von außen sieht die Bienenkugel fast wie eine normale eckige Beute aus. Sie ist mit den gängigen Maßen der Magazinbeute kompatibel, sodass Imker sie auch zur Honiggewinnung einsetzen können.
    www.bienenkugel.de
  • www.bienenbotschaft.de: Workshops Klotzbeutenbau, Vorträge und Zeidlerbaum-Patenschaften
  • www.mellifera.de: Diskussionsforum moderne Zeidlerei
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