Meterhoch türmen sich vor uns die Müllberge: Zerfledderte Wurstverpackungen, ausgeblichene Trinkpäckchen, alte Autoreifen, geschredderte Kabelreste, Bauschutt, stinkende, teils angeschmorte Gummiklumpen, rostige Batterien, mannshoch gestapelte Säcke ausgestanzter Plastikteile. Dazwischen liegen Kanister für Pestizide, einige mit dem Wirkstoff Glyphosat, in manchen schwappen noch Reste, andere sind zerquetscht und eingerissen. Die aufgedruckten Gefahrenkennzeichnungen sind aber noch gut zu erkennen: Achtung, ätzende Substanzen, leicht entflammbar, schädlich für Wasserorganismen, „fachgerecht entsorgen“. Doch fachgerecht ist hier nichts. Wir sind auf einer riesigen illegalen Mülldeponie. Nicht in Malaysia oder Ghana, wo man solche Bilder vielleicht erwartet – sondern am Ortsrand von Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern, 50 Kilometer südlich von Rostock.
Was sind illegale Müllkippen?
Obwohl wir uns in einem Trinkwasserschutzgebiet befinden und die Ablagerung von Müll untersagt worden war, haben skrupellose Geschäftsleute hier mehr als zwei Jahrzehnte lang Müll aufgetürmt. Erst Anfang 2020 flog ihr illegaler Deponiebetrieb auf. Da waren sie schon über alle Berge verschwunden. Die Müllberge aber sind geblieben. Insgesamt rund 14.000 Tonnen, zum Teil stark belastet mit krebserregenden Fasern, toxischen Schwermetallen und giftigen Polychlorierten Biphenylen (PCB). Das geht aus einem Gutachten hervor, das später im Auftrag der zuständigen Umweltbehörde erstellt wurde und uns vorliegt. Der Toxikologe Edmund Maser von der Universität Kiel, dem wir den Fall schildern, warnt: „Wenn solche illegale Deponien lange genug bestehen, muss man damit rechnen, dass die Schadstoffe auch in eine tiefer liegende Grundwasserschicht sickern.“ Für ihn ist klar: „Eine illegale Deponie in der Nähe eines Trinkwasserschutzgebiets ist ein No-Go. Das ist unglaublich.“
Schockiert ist auch Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD). Als „Schandfleck inmitten unseres schönen Bundeslandes“ bezeichnet er die illegale Deponie in Güstrow und kündigt an, den Müll entsorgen zu lassen. Da sich die mutmaßlichen Verursacher laut Behörden aber ins Ausland abgesetzt haben, muss das Land für die Entsorgung zahlen: rund 3,8 Millionen Euro. Die Kosten werden also auf die Steuerzahler abgewälzt. Umweltminister Backhaus rätselt derweil, „wie derart große Müllmengen hier abgelagert werden konnten, angeblich ohne dass irgendjemand davon etwas mitbekommen hat“.

Seit wann auf der Halde? Siehe Mindesthaltbarkeitsdatum: 2017.
Wir Deutschen produzieren mehr Müll als unsere Nachbarn in anderen EU-Ländern. Laut der Statistikbehörde Eurostat entsorgte 2020 jeder Mensch in Deutschland rund 632 Kilogramm Abfälle. Der europäische Durchschnitt liegt bei 505 Kilogramm.
Was ihr persönlich tun könnt, um Abfall zu vermeiden:
Wo gibt es illegale Mülldeponien?
Güstrow ist nur ein Fall unter vielen. An unzähligen Orten in Deutschland häufen sich Abfälle mit teils giftigen Schadstoffen. Allein in den norddeutschen Bundesländern gibt es aktuell insgesamt 60 große illegale Müllkippen. Bei den Ablagerungen handelt es sich vor allem um Bauabfall und Altreifenlager. Der größte illegale Müllberg befindet sich im Bremer Ölhafen. Dort lagern 650.000 Tonnen kontaminierter Erden. Auch in anderen Bundesländern sorgten schon einzelne Skandale für Schlagzeilen: So hatte eine Firma in Bayern jahrelang giftige Abfälle als harmlose Materialien ausgegeben, um sie dann auf dafür nicht zugelassene Deponien zu bringen. In einer Tongrube in Nordrhein-Westfalen wurden Tausende Tonnen ölhaltige Produktionsabfälle aus einer Raffinerie illegal entsorgt.
Hotspot schmutziger Müllgeschäfte in Deutschland ist aber Brandenburg. Das Land hat neben 10.500 Baudenkmälern, 3.000 Seen und 500 Schlössern auch mehr als 120 illegale Deponien und Abfalllager vorzuweisen. Auf ihnen rotten insgesamt rund fünf Millionen Tonnen Müll vor sich hin. Das ist mehr, als die Einwohner der sieben größten deutschen Städte zusammen in einem Jahr an Abfall produzieren. Geschätzte Kosten für die Sanierung und Entsorgung: rund 500 Millionen Euro. Die Schäden für Mensch und Umwelt sind kaum zu ermessen. In mehreren Fällen verseucht der Müll das Grundwasser.
Brände auf illegalen Müllkippen
Welche Gefahren von illegalen Deponien ausgehen, zeigt ein brandaktueller Fall aus der Stadt Oranienburg, rund zwanzig Kilometer nördlich von Berlin. Hier wird seit mehr als einem Jahr die Betriebsstätte eines ehemaligen Sägewerks massiv zugemüllt. Anfang März ging ein Teil des Mülls in Flammen auf. Eine schwarze Rauchwolke stieg 100 Meter hoch. Auch das ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es auf illegalen Halden zu Bränden. „Wenn so eine Mülldeponie in Brand gerät, wird das Ganze nur noch schlimmer“, sagt Toxikologe Maser. „Dann werden giftige Stoffe gasförmig und verbreiten sich schnell durch die Luft. Und es kommen Schadstoffe hinzu, die durch die Verbrennung erst entstehen, zum Beispiel Kohlenmonoxid und Dioxine.“
Im Fall von Oranienburg geht die Polizei von Brandstiftung aus, die Suche nach den Tätern verläuft bislang erfolglos. Als wir ein Dreivierteljahr zuvor um das alte Sägewerk schleichen, herrscht reger Betrieb. Der Lastwagen einer Berliner Recyclingfirma fährt auf. Aus einem Gebäude dringt Stimmengewirr, aus einem anderen schallen Hammerschläge. Überall stapelt sich der Müll. Container sind prall gefüllt mit Sperrmüll, Hallen bis unters Dach mit Autoreifen vollgestopft. Über das Gelände verteilen sich schrottreife Autos, manche unter sandartigem Material vergraben. Polizei und Umweltbehörden haben das illegale Abfalllager im Visier, den Müllbetrieb auch untersagt, mit Bußgeldern und Strafverfahren gedroht. Doch all diese Maßnahmen verpuffen. Nach wie vor wird Müll angeliefert, wie Ortskundige anonym berichten.
Was tun deutsche Behörden dagegen?
Bei vielen illegalen Deponien in Deutschland handelt es sich um einst genehmigte Standorte. Die Betreiber verstoßen gegen Auflagen, nehmen etwa mehr Müll an als erlaubt – und gehen plötzlich insolvent. Hinter den Müllbergen von Güstrow steckt nach unserer Recherche eine Unternehmerfamilie aus Norddeutschland. Ihr gehört eine Reihe von Firmen, die meisten inzwischen in Konkurs. Sie verfügten nie über eine Genehmigung. Die Ablagerung in Güstrow war von vornherein komplett illegal. Genau wie in Oranienburg. Dort wird das illegale Abfalllager mutmaßlich von einem Unternehmer betrieben, der in Berlin Haushaltsauflösungen anbietet und mit Altwaren und Gebrauchtwagen handelt.
Einer, der sich mit Ermittlungen zu illegaler Müllentsorgung auskennt, ist Harry Jäkel. Er leitet das Kommissariat „Schwere Umweltkriminalität“ beim Landeskriminalamt Brandenburg. Jäkel kennt die Tricks der Täter. Sie kassieren Annahmepreise für den Müll, doch statt aufzubereiten und zu entsorgen, häufen sie einfach an. Oder sie verschieben den Unrat weiter, manipulieren Frachtpapiere, weisen Lieferungen falsch aus, deklarieren etwa gefährlichen zu ungefährlichen Abfall um und kippen ihn dann illegal ab. Oder sie vermischen zum Beispiel Plastikmüll mit Gülle und Klärschlamm, um ihn dann noch zu verwerten. „Scheinverwertung“ nennt Umweltermittler Jäkel das.
Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel spricht von „bandenartigen Strukturen“. Ein Potsdamer Staatsanwalt sagte uns am Rande eines Strafverfahrens, man habe es gar mit „mafiösen Strukturen“ zu tun. Nach unseren Recherchen handelt es sich bei der deutschen Müllmafia um ein Netzwerk aus Unternehmen, vom kleinen Containerdienst bis zum großen Entsorgungskonzern. Ein eingespieltes System, in das Müllmakler, Spediteure und andere, mitunter kriminelle Geschäftsleute verstrickt sind. Harry Jäkel vom LKA Brandenburg sagt, dass viele Täter zwar innerhalb der Abfallwirtschaft legal agierten. „Wenn sich aber die Gelegenheit ergibt, machen sie illegale Geschäfte“, so der Umweltermittler.
Wer wird zur Verantwortung gezogen?
Das Bundeskriminalamt verglich einmal die Gewinne der Müllbarone mit den Profiten der organisierten Drogenkriminalität – und stellte fest: Dealen mit Müll ist lukrativer. Und nicht nur das: Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist auch geringer. Wenn doch mal jemand auffliegt, sind die Strafen oft mild. Zahlen aus dem brandenburgischen Justizministerium für die Jahre 1994 bis 2015 zeigen: In 90 Prozent ihrer Urteile beließen es die Richter bei einer Geldstrafe. Dass ein Mülldealer ins Gefängnis kommt, ist selten. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich daran etwas geändert hat. Das Landgericht Potsdam hat erst vergangenes Jahr einen Mann, der mit seiner Kiesfirma rund 200.000 Tonnen Müll unter Sand und Steinen in einem Tagebau vergraben hat, zwar zu Freiheitsentzug verurteilt, die Strafe aber zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr davor hat es einen großen Müllprozess nach rund vierjähriger Verhandlungsdauer gegen Geldauflage eingestellt.
Immerhin: Als erstes und bislang einziges Bundesland hat Brandenburg vor knapp zwei Jahren eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Umweltkriminalität eingerichtet. Durch sie sollen Müllverbrechen und andere Umweltdelikte besser verfolgt werden, so die Hoffnung des Landes.
Während Politik und Behörden in Deutschland langsam aufwachen, haben die Müllschieber aber längst ihr nächstes Ziel gefunden: in Osteuropa. Nach unseren Recherchen lagern Zehntausende Tonnen Müll aus Deutschland auf illegalen Deponien in Polen.
Schmutzige Exporte von Müll

- Der Brennpunkt dreckiger Müllgeschäfte in Europa ist Polen. Die Autoren haben dort 2021 illegale Deponien erkundet und Unmengen an Müll aus Deutschland entdeckt: vor allem Plastik aus Gelben Säcken und Reste aus der Verschrottung von Autos. Mehr unter muellrausch.de
- Abfälle aus ganz Europa türmen sich auf den illegalen Halden, insgesamt Hunderttausende Tonnen. Die schmutzige Fracht wird im Schatten legaler Abfalltransporte über die Grenze gebracht.
- Legale Müllexporte aus Deutschland nach Polen haben sich innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppelt – auf fast eine Million Tonnen 2018.
- Laut der Sonderabfallgesellschaft SBB, die für Berlin und Brandenburg den Müllverkehr überwacht, verstoßen Entsorgungsfirmen „willentlich“ gegen Gesetze.
Deutschland rühmt sich für seine hochentwickelte Entsorgungsindustrie. Doch die Entsorgung ist teuer und der Druck, die Massen an Abfall loszuwerden, hoch. Die Deutschen produzieren immer mehr davon.
Solange wir nicht weniger wegwerfen und damit kriminellen Mülldealern ihren Stoff entziehen, solange Umwelt- und Ermittlungsbehörden die Machenschaften nicht konsequent verfolgen, werden die schmutzigen Deals weitergehen. Denn, so heißt es in der Abfallbranche: Müll sucht sich immer das billigste Loch.
Interview: „Landesgrenzen spielen keine Rolle“
Jan op gen Oorth

Jan op gen Oorth ist Sprecher von Europol. Die Behörde mit Sitz in Den Haag unterstützt die 27 EU-Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung schwerer Formen der internationalen Kriminalität.
Wie groß ist das illegale Müllgeschäft in Europa?
Im Jahr 2020 wurden die jährlichen Einnahmen in der EU aus dem illegalen Handel mit gefährlichen Abfällen auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro geschätzt. Es ist ein Wachstumsmarkt, weil hier relativ gefahrlos gute Gewinne erzielt werden können.
Welche Rolle spielt Deutschland?
Eine wichtige. Zum einen liegt es im Herzen Europas, viele Transitlinien führen durch das Land. Hinzu kommt, dass Deutschland als eine führende Wirtschaftsnation und bevölkerungsreichstes Land der EU sehr viel Müll produziert. Es gibt strenge Regeln, wie zu entsorgen ist. Dann gibt es aber immer wieder Lücken, in die die Organisierte Kriminalität stößt.
Was können Sie über die Täter sagen? Wie gut sind die organisiert?
Das illegale Geschäft mit Müll ist sehr komplex, Entsorgung oft international. Urkundenfälschung, Falschdeklarierung und Bestechung sind dabei Straftaten, deren sich die Müllmafia bedient. So kann eine Firma sich dafür bezahlen lassen, Elektroschrott fachgerecht zu entsorgen, kommt dem aber nicht nach, verkauft auf eigene Rechnung, was wiederverwertbar ist, deklariert dann den Rest um und verschifft ihn als gewöhnlichen Müll in ein anderes Land.
Wie kann man der Müllmafia auf die Schliche kommen?
Die Ermittler müssen international denken. Bei Europol sagen wir: Man muss ein internationales polizeiliches Netzwerk sein, um einem internationalen kriminellen Netzwerk das Handwerk zu legen. Für die Organisierte Kriminalität spielen Grenzen keine Rolle. Man muss sich Spezialisten ins Boot holen, die verstehen, wie die Geschäfte funktionieren, wie Korruption und Urkundenfälschung genutzt werden, um das illegale Geschäft am Laufen zu halten.
Mehr zum Thema illegale Mülldeponien:
- Billig, Michael: Schwarz. Rot. Müll: Die schmutzigen Deals der deutschen Müllmafia. Herder, 2019, 240 Seiten, 22 €
Kommentare
Registrieren oder einloggen, um zu kommentieren.