Gerade als die Münchnerin Marlene Graßl ihren Job in der Marketingabteilung eines Konzerns geschmissen hatte und darüber nachdachte, sich selbstständig zu machen – kam die Nachricht. „Ich konnte es kaum glauben. Erst als das Geld auf dem Konto war“, erinnert sich die 35-Jährige. Kurz zuvor hatte sie sich auf der Internetplattform „Mein Grundeinkommen“ angemeldet und direkt gewonnen. Das Berliner Start-up verlost seit 2014 Grundeinkommen von monatlich 1000 Euro. Das Geld wird vorher per Crowdfunding gesammelt. Sobald genug zusammen ist, dreht sich live im Internet die Lostrommel. Rund 200 Menschen haben bereits gewonnen. Eine von ihnen ist Marlene Graßl. Ein Jahr lang gingen monatlich 1000 Euro auf ihr Konto. Einfach so, ohne Gegenleistung.
Sie machte sich selbstständig als Mentaltrainerin, ließ sich zur Feng-Shui-Beraterin ausbilden und gönnte sich eine Grafikerin für ihre Internetseite. „Ich war einfach großzügig zu mir selbst“, erinnert sich Graßl. Selbstständig hätte sie sich irgendwann sowieso gemacht. Aber das Grundeinkommen gab ihr die Ruhe und das nötige Polster direkt durchzustarten.
Was ist das Bedingungslose Grundeinkommen?
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE), so die Theorie, ermöglicht uns, Zeit in Dinge zu stecken, auch wenn sie kein Geld bringen: ehrenamtliche Arbeit, Zeit für sich und die Familie oder politisches Engagement. Viele Befürworter sagen, die Digitalisierung zwinge uns, über Arbeit neu nachzudenken. In Zukunft seien unzählige Jobs bedroht. Kein Wunder, dass viele Menschen am Bedingungslosen Grundeinkommen interessiert sind. Einer repräsentativen Umfrage von 2017 zufolge befürworten es 58 Prozent der Befragten. Als angemessen hohen Betrag gaben sie durchschnittlich 1137 Euro an. Die Idee eines Grundeinkommens scheint viele zu elektrisieren. So mussten im März bei einer Diskussion in Dresden mit der Parteivorsitzenden der Linken Katja Kipping und Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann unzählige Menschen weggeschickt werden. Der Kinosaal mit über 400 Plätzen war binnen weniger Minuten zum Bersten voll. Gleiches in Köln: Dort waren die mehr als 600 Karten für eine Diskussion zwischen dem Philosophen Richard David Precht und dem Armutsforscher Christoph Butterwegge schon Wochen vorher ausverkauft.
Bedürfnis: Sicherheit
Die Psychologin Jane Hergert forscht an der Fernuniversität Hagen zum Grundeinkommen. Eine Geldquelle löse Sicherheit aus, sagt sie. Das sei elementar für eine stabile Gesundheit.
Wie wird ein Bedingungsloses Grundeinkommen finanziert?
Es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren sei. Das „Solidarische Bürgergeld“ sieht ein Grundeinkommen von maximal 1000 Euro vor. Finanzierung: über eine massiv erhöhte Konsumsteuer. Allerdings treffen die Konsumkosten ärmere Menschen besonders hart. Denn Haushalte mit niedrigem Einkommen geben anteilig mehr Geld für Grundbedürfnisse aus. Gleichzeitig sollen Rente, Kindergeld und Krankenversicherung wegfallen, wie auch Kündigungsschutz, Tarifverträge und Mindestlohn. Beim „Emanzipatorischen Grundeinkommen“ soll der Sozialstaat erhalten und ein Existenz sicherndes Grundeinkommen gezahlt werden. Finanzierung: über eine höhere Einkommensteuer und mehr Abgaben auf Kapital.
2016 stimmten die Schweizer über die Einführung eines landesweiten Grundeinkommens ab. 78 Prozent waren dagegen. Trotz der Schlappe halten die Befürworter an der Idee fest. Ab 2019 wird es in dem Dorf Rheinau ein Grundeinkommen für alle 1300 Einwohner geben. Ein zweijähriges Experiment in Finnland wird nicht verlängert. Bis Ende 2018 bekommen dort 2000 Arbeitslose monatlich 560 Euro. Kritiker sagen, es bräuchte mehr Teilnehmer und mehr Geld, um zu erforschen, ob das Grundeinkommen spürbare Effekte auf das Leben der Menschen hat.
Der Arbeitsbegriff: Und was machst du so?
Bis ins Mittelalter war Arbeit nur Mittel zum Zweck. Die meisten Menschen lebten von der Hand in den Mund. Gearbeitet wurde hauptsächlich in der Landwirtschaft. Arbeit galt als Mühsal und Qual. Mit Martin Luthers Reformation wandelte sich das grundlegend. Arbeit galt nun als Pflichterfüllung vor Gott und der Beruf wurde zur Berufung. Dieses neue Denken bereitete den Weg für die Industrialisierung. Im Nationalsozialismus wurde der Arbeitsbegriff mit dem Eingangsspruch der Konzentrationslager „Arbeit macht frei“ abscheulich pervertiert. Heute ist die klassische Erwerbsarbeit das Kriterium für gesellschaftliche Anerkennung. – Wer kennt nicht die Frage: Und was machst du so?
In Deutschland verbringen Erwachsene mehr Zeit mit unbezahlter Arbeit als mit Erwerbsarbeit. Befürworter des Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) möchten diese unbezahlte Arbeit – in der Familie und Gesellschaft – sichtbar machen, aufwerten und ihren gesellschaftlichen Beitrag anerkennen.
Übrigens: Für viele, die in der Bio-Branche arbeiten, bedeutet das, einem Job mit Sinn nachzugehen. Mehr dazu lest ihr hier:
Was spricht für ein Bedingungsloses Grundeinkommen?
Belege dafür, dass sich ein Grundeinkommen positiv auswirken kann, gibt es allerdings auch: So waren die Bewohner des kanadischen Städtchens Dauphin zwischen 1974 und 1978 Teil eines Sozialexperiments. Rund 1000 Familien bekamen damals ein Grundeinkommen. Gesundheitlich ging es ihnen besser als zuvor, stellten die Forscher fest. Die Zahl der Krankenhausaufenthalte nahm um 8,5 Prozent ab. Psychische Krankheiten gingen ebenfalls merklich zurück.
Die Münchnerin Marlene Graßl bestätigt diese Beobachtung. Sie erzählt von einem Treffen mit anderen „Mein Grundeinkommen“-Gewinnern. „Alle erzählten, dass sie besser schlafen können“, sagt sie. Sogar Menschen mit chronischen Krankheiten sei es besser gegangen. „Kein Wunder“, findet die Diplom-Psychologin Jane Hergert, die an der Fernuniversität Hagen zur psychologischen Perspektive des Grundeinkommens forscht. „Eine Geldquelle gibt Sicherheit“, sagt sie. Das sei ein elementarer Faktor für eine stabile Gesundheit. Menschen mit schlechterer Bildung und prekären Jobs seien wegen der größeren ökonomischen Zwänge mehr Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Mit einem Grundeinkommen auf der faulen Haut liegen? Dieser oft vorgebrachte Einwand ist für Hergert absurd. „Arbeit“, sagt sie, „ist viel mehr als nur Geldquelle.“ Sie habe wichtige psychosoziale Funktionen, strukturiert unsere Zeit, hält aktiv, fördert Kompetenzen und ist Teil der persönlichen Identität. Kurzum: Wir arbeiten nicht allein, um Geld zu verdienen. Hätten wir mehr Geld, würden wir nicht unbedingt weniger, aber vielleicht anders arbeiten. „Natürlich gäbe es eine gesellschaftliche Umwälzung, aber es würden doch nicht alle Menschen aufhören zu arbeiten!“, sagt sie. Man wisse aus Studien, dass Arbeitslosigkeit für Betroffene schwer auszuhalten ist. Nur wenige blieben freiwillig untätig, sagt die Psychologin.
Kritik: Das spricht gegen das Grundeinkommen
Trotz aller Begeisterung gibt es auch kritische Stimmen. Susanne L. beispielsweise. Sie ist ebenfalls „Mein Grundeinkommen“-Gewinnerin, will aber lieber anonym bleiben. „Bei Geld werden die Menschen immer so schnell neidisch“, sagt die 36-Jährige, die mit ihrem Mann und drei Kindern in einer Kleinstadt bei Dresden lebt. Er ist Berufskraftfahrer, sie Logopädin. Beide arbeiten 40 Stunden und legen die monatlichen 1000 Euro auf die hohe Kante. „Eigentlich hätten wir gerne mal Wohneigentum, aber wir mussten uns von der Bank sagen lassen, dass wir zu arm für einen Kredit sind“, erzählt sie. Durch das monatliche Grundeinkommen können sie und ihr Mann wenigstens etwas ansparen. Trotzdem sieht sie das Grundeinkommen als gesellschaftliches Konzept kritisch. Eine grundsätzlichere Umverteilung fände sie gerechter. „Müssen Reiche eigentlich immer so reich sein?“, fragt sie.
Kritik am Grundeinkommen
Kritiker des bedingungslosen Grundeinkommens benennen vor allem drei Probleme: 1. die Finanzierung, 2. die Bürokratie und 3. die Auswirkungen auf den Niedriglohnsektor.
Wenige besitzen ganz viel
In Deutschland gehört dem reichsten Prozent der Bevölkerung ein Drittel des Gesamtvermögens, hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung ermittelt. Offizielle Zahlen darüber, wie viel deutsche Multimillionäre und Milliardäre wirklich besitzen, gibt es nicht, da seit 1997 keine Vermögenssteuer mehr erhoben wird. An dieser Ungleichheit würde ein Grundeinkommen nichts ändern, resümiert die Stiftung.
Weniger Bürokratie gebe es wahrscheinlich nicht, prophezeit Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge (s. Interview). Konzepte mit einer negativen Einkommensteuer erforderten eine Instanz, die kontrolliert, wer aufgrund seines höheren Gehaltes weniger Grundeinkommen erhält. „Dadurch entfällt ein großer Vorteil des Grundeinkommens, nämlich keine Kontrollen mehr zu brauchen“, kritisiert Butterwegge. „Dann wird das Finanzamt prüfen, ob schwarz gearbeitet wird oder anderweitige Einkommensquellen existieren.“
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Niedriglohnsektor: Arbeitgeber könnten ihren Mitarbeitern weiterhin Magerlöhne zahlen – schließlich steuert der Staat ja umfassend Geld bei. „Dann muss der Unternehmer wenig Lohn oder Gehalt oben drauf zahlen, um die Menschen zu motivieren, für sie beschäftigt zu sein“, sagt Butterwegge.
Bietet das Grundeinkommen nun die Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit? Marlene Graßl hält es nicht für so wichtig, ob und wann das Bedingungslose Grundeinkommen für alle kommt. „Entscheidender ist doch, sich darüber Gedanken zu machen, wie wir unser Leben gestalten wollen.“
Mehr Geld für alle! Die Idee gefällt unserer Autorin Uta Gensichen. Erschreckend findet sie hingegen den Vorschlag mancher Grundeinkommensbefürworter, dafür den Sozialstaat abzuschaffen.
Interview: „Die Menschen würden ihr blaues Wunder erleben“
Christoph Butterwegge
Der Politikwissenschaftler ist Professor an der Universität zu Köln. Sein Schwerpunktthema: Armut. Butterwegge ist schon seit Jahren ein scharfer Kritiker des Grundeinkommens.
Herr Prof. Butterwegge, wie gerecht ist die Idee des Grundeinkommens?
Es widerspricht meinem Gerechtigkeitsempfinden zutiefst. Ich halte nichts davon, dem Milliardär denselben Betrag zu zahlen wie der Multijobberin. Das Grundeinkommen wird nicht der Verteilungsgerechtigkeit gerecht. Diese besagt, dass man in einer Gesellschaft, die sich tief in arm und reich spaltet, umverteilt. Das Grundeinkommen ändert nichts an den ungerechten Verhältnissen.
Warum begeistert es trotzdem so viele?
Auf den ersten Blick ist es eine faszinierende Idee: An die Stelle des komplizierten Sozialstaats kommt etwas Einfaches. Aber wir würden ein blaues Wunder erleben. Was, wenn ich vor einer teuren Operation stehe oder eine höhere Rente will als 1000 Euro? Wer bezahlt die? Die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung wird es mit dem Grundeinkommen nicht mehr geben. Sozialstaat und Grundeinkommen sind zusammen nicht finanzierbar.
Braucht es nicht ein Konzept, um dem Jobabbau durch Digitalisierung zu begegnen?
Wir haben 44 Millionen Erwerbstätige und über 33 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse in Deutschland – so viele wie noch nie. Von Jobabbau keine Spur. Mit der Digitalisierung wollen Neoliberale uns Angst machen. Führende Manager sprechen sich für das BGE aus, damit der Staat künftig für die von ihnen Wegrationalisierten sorgt.
Welche Alternative gibt es?
Wir brauchen einen Sozialstaat, in dem alle einbezogen werden, auch etwa Selbstständige, Beamte oder Minister. Beiträge würden auch auf Kapitaleinkünfte, Dividenden, Miet- und Pachterlöse erhoben. Das würde den Sozialstaat auf ein festes Fundament stellen und man könnte eine bedarfsgerechte, armutsfeste, repressionsfreie Grundsicherung einbauen.
Mehr zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen
- www.mein-grundeinkommen.de
Die Berliner Initiative verlost regelmäßig Grundeinkommen: Für die Gewinner gibt᾽s ein Jahr lang monatlich 1000 Euro. - www.boeckler.de
Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung informiert darüber, wie eine gerechtere Gesellschaft gelänge. Steht dem Grundeinkommen kritisch gegenüber. - www.grundeinkommen.de
Über 100 Organisationen und Tausende Einzelpersonen sind Mitglieder im Netzwerk Grundeinkommen, das sich für die Einführung des BGE einsetzt. - www.woche-des-grundeinkommens.eu
Vom 17. bis 23. September 2018 finden bundesweit Veranstaltungen rund um das BGE statt. - Buch von Flassbeck, Heiner (u.a.): Irrweg Grundeinkommen – Die große Umverteilung von unten nach oben muss korrigiert werden. Westend-Verlag, 2012, 224 Seiten, circa 5 Euro
- Film von Christian Tod: Free Lunch Society –Komm komm Grundeinkommen,
2017, 95 Minuten, circa 17 Euro
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