Umwelt

Gewaltfreie Seide

Für Seidenraupen sind Seidenkleider eine teure Angelegenheit: Sie bezahlen dafür mit ihrem Leben. Außer, sie spinnen für den Designer Chandra Prakash Jha. // Jenni Zylka

„Non-violent silk“ nennt der indische Designer Chandra Prakash Jha darum die glänzenden Stoffmuster, die er in einer Berliner Wohnung ausbreitet. Der Absolvent des New Delhi Institute of Fashion Technology hat 2012 die Firma „Cocccon“ gegründet und lässt in seiner Heimat, dem ökonomisch armen Bundesstaat Jharkhand, in dem die Seidenindustrie einen der wenigen Arbeitgeber darstellt, gewaltfrei Seide produzieren. Der 36-Jährige zeigt ein Foto, auf dem Frauen in Saris auf dem Boden sitzen, in ihrer Mitte ein Haufen mit federigen kleinen Eiern – den Kokons der Raupen. „Die Frauen sind darin geschult, sie vorsichtig so anzuschlitzen, dass dem Tier nichts passiert“, sagt Prakash. Aus diesem Schlupfloch flattern die Schmetterlinge nach der Metamorphose ungehindert heraus. In der freien Natur würden sie hingegen den Kokon mit einem Sekret zerstören, der Faden ließe sich nicht mehr abwickeln.

Schmetterlingen das Leben schenken

Prakashs Angestellte sammeln die leeren Kokons wieder ein, „entkleben“ sie in kochendem Wasser und spinnen den Faden an großen Spinnrädern zu Garn. Sie müssen das in den Kokon geritzte Loch per Hand mit einer speziellen Technik wieder schließen, um einen fortlaufenden Faden zu erhalten. Mit einem Seidenschal, in Prakashs letztjähriger Kollektion mit ökologischen Farben gefärbt und per traditionellem Holzblockdruck verziert, „haben Sie unsere Mutter Erde vor vier Litern giftigen Chemikalien bewahrt und 4000 Schmetterlingen das Leben geschenkt“, steht auf einem kleinen Kärtchen, das an dem duftigen Schal befes-tigt ist. Auf die Frage, ob Jharkhand dann nicht bald unter einer Schmetterlingsplage leiden müsse, lächelt der Mann, der eine seiner Schal-Kreationen um den Hals trägt: „Nein, denn sie leben ohnehin nur eine Woche. Aber diese Woche ist für einen Seidenspinner ein kompletter Lebenszyklus. Wer gibt einem das Recht, den zu beenden?“

Ökologisch korrekt, fair und sozial

Er verarbeite auch die an ihren feinen Knötchen zu erkennende Wildseide, erklärt Prakash, denn die tut keiner Raupe was zuleide: Sie besteht aus den verlassenen Kokons geschlüpfter Schmetterlinge. Doch das Kokonsammeln ist zeitaufwendig, der Ertrag nicht vorhersehbar. „Reiche Inder warten manchmal ein Jahr, bis ihr Wildseide-Kleidungsstück fertig ist“, erklärt Prakash. Für die von ihm hergestellte Soja-Seide, ein atmungsaktives, jerseyartiges Material, das aus Sojabohnen-Proteinen besteht und bei viel günstigerer Fabrikation ähnliche Eigenschaften wie echte Seide hat, wurde er 2012 mit dem „Source Award for ethical fashion“ ausgezeichnet.

Neben spirituellen Wertvorstellungen gab es für ihn weitere Gründe für das Flanieren auf der Seidenstraße: Bei einem Spaziergang in seiner Heimatstadt seien ihm damals Menschen aufgefallen, die Kokons transportierten. „Sie bekommen nur einen Bruchteil davon, was die Seide später einbringt“, sagt Prakash. Der Rest des Gewinns bleibt bei Unter- und Zwischenhändlern hängen. Und seit 2007 der indische Mindestlohn auf 80 Rupien (etwas über einen Euro) erhöht wurde, lassen viele Seidenfabrikanten in China produzieren. Prakash sorgt also auch für gerechte Löhne, vor allem für Frauen. Und der unermüdliche Designer kümmert sich nicht nur um Stoff: Sogar die selbst entworfenen Pappkleiderbügel bestehen aus recycelter Pappe, sämtliche Knöpfe aus benutztem Holz. Zudem bietet er Upcycling-Materialien an. „Die Pailletten stammen von alten Saris“, erklärt er, und zeigt auf Stoffproben mit handgestickten Mustern. „In Indien werden alte Klamotten einfach weggeschmissen“, denn „es ist dort manchmal billiger, neu zu kaufen, als reinigen zu lassen“. Die Vertriebs- und Transportwege sind für Prakash ebenfalls Thema. „Container Sharing“ nennt man die Praxis, kleinere Mengen per Schiff transportieren zu lassen. Auf die Stoffe muss er dann allerdings oft monatelang warten.

Seine Seide stellte Prakash 2012 und 2013 auf der „Ethical Fashion Show“ in Berlin vor, viele Designer waren begeistert und bestellten das Textil für ihre eigenen Kreationen. Denn der in Hagen lebende Inder kann das Material günstig anbieten, manche Stoffe kosten 15 Euro pro Meter: Auch kleine Label sollen bei ihm einkaufen können. Das Vorurteil, nachhaltige Mode bestände aus zipfeligen Filzkaftanen und Schafswollsocken, kann er mit den nassglänzenden, eng am Körper anliegenden Kleidern aus der neuen Kollektion lässig ausräumen. Und extrem gut für das Karma ist so ein Glückliche-Raupen-Minikleid ohnehin. Dieser Beitrag erschien zuerst auf www.taz.de

Gewaltfreie Ahimsa-Seide

Ahimsa ist indisch und meint wörtlich das Nicht-Verletzen. Bei dieser Form der Seidenraupenzucht wird der Seidenfaden erst vom Kokon gehaspelt, nachdem der Falter aus ihm geschlüpft ist.

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