Ein sonniger Tag in Legau im Unterallgäu: Es rankt und blüht noch in den Bauerngärten, Milchkannen warten am Straßenrand, Traktoren tuckern gemütlich über die Feldwege. Auf den Bergen drehen sich Windräder, fast jedes Scheunendach ist mit Sonnenkollektoren ausgestattet. Hightech und Umweltgedanke - das passt auch bei Rapunzel ganz selbstverständlich zusammen.
International vernetzt
Seit 1986 ist der Naturkosthersteller, mit 300 Angestellten Hauptarbeitgeber im Ort, im umgebauten ehemaligen Milchwerk ansässig. Und seitdem trifft sich in Legau die Welt: Biorohstoffe aus rund 30 Ländern gehen hier täglich über die Laderampen: Vollrohrzucker aus Brasilien, Kakao aus der Dominikanischen Republik, Sesam aus Ägypten und Kokoschips aus Sri Lanka werden hier ebenso verpackt und verarbeitet wie Haselnüsse von der türkischen Schwarzmeerküste, indische Cashewkerne oder Kaffee aus Tansania.
Für die heutige Führung sind Heike Kirsten und Eva Kiene unsere Gastgeberinnen, tatkräftig unterstützt von Produktionsleiter Manfred Mayer. Wir warten im Casino auf das Eintreffen der Leser. In dem hellen freundlichen Raum mit der hohen Holzdecke verbringen die Mitarbeiter ihre Pausen mit frischer Biokost. „Eine Stunde Ausruhen am Tag ist Pflicht“, erzählt Heike Kirsten. „Sonst macht die Arbeit keinen Spaß mehr.“ Im Casino wird einem das Regenerieren leicht gemacht. „Oft treffen die Kinder nach der Schule hier ihre Mütter oder Väter, um mit ihnen gemeinsam zu Mittag zu essen“, erzählt Heike Kirsten. „Sogar der Bürgermeister kommt manchmal vorbei, um sich das Biogemüse oder den Schweinsbraten vom Bauern um die Ecke schmecken zu lassen.“ Mittlerweile treffen unsere ersten Leser ein: Handelsfachwirtin Maryam Benzadi mit ihrem zehnjährigen Sohn Marouan. Der weiß auch schon eine Antwort auf die Frage, was denn „Bio“ eigentlich ist: „Das gibt es nicht in billigen Supermärkten.“ Er freut sich schon darauf, ganz wie in seinen geliebten Detektivgeschichten der Herstellung von Samba und Tiger Creme auf die Spur zu kommen.
Zumindest mit Stubentigern haben Mutter und Sohn schon Erfahrung, denn zu Hause in Weilheim leisten ihnen zwei Perserkatzen Gesellschaft. Familie Wagner mit ihrer achtjährigen Tochter Gesine gesellt sich als nächste zu uns an den Tisch. Die Verwaltungsfachangestellte und der Jurist, die im 60 Kilometer entfernten Bad Wörishofen wohnen, wollten Rapunzel schon immer mal einen Besuch abstatten. Familie Fuchs komplettiert unsere Runde. Anja und Thomas Fuchs aus Moos sind vom Bodensee angereist, um sich mit den achtjährigen Zwillingen Nina und Peter und ihrer zwei Jahre älteren Schwester Julia einen Tag Familienurlaub zu gönnen. Mutter Anja, die zu Hause die Ziegen der Familie versorgt, begrüßt die Möglichkeit, den Kindern einmal „Bio life“ zu zeigen: „Was sie hier lernen, ist genauso wichtig wie Schule!“ Vater Thomas stimmt zu. Er arbeitet als Qualitätsleiter und Umweltbetriebsprüfer und kümmert sich in seiner Freizeit mit Sohn Peter um die familieneigenen Obstbäume.
Vernaschte Glückskäfer
Kinder, Tiere und Rapunzel - da gibt es bald genügend Gesprächsstoff, um den Rest des Tages bei Kaffee und Brezeln in gemütlicher Runde zu verbringen! Die Kids haben da allerdings etwas andere Vorstellungen: „Kann man die auch essen?“ fragen sie und deuten auf die Schokoladenherzen, Glückskäfer und Schokoriegel, mit denen unser Tisch geschmückt ist. Es dauert nicht lange, da verschwindet die süße Dekoration Stück für Stück auf geheimnisvolle Weise. Bevor wir unseren großen Rundgang antreten, wollen wir erst einmal etwas über die Geschichte des Bioherstellers erfahren. „Das einzig Beständige ist die Veränderung“ - im Museum wird klar, warum sich das Kant-Zitat im Innenhof der Firmenanlage sogar in Stein gehauen findet. Denn verändert hat sich wirklich viel, seit Joseph Wilhelm vor 34 Jahren gemeinsam mit seiner damaligen Frau Jennifer Vermeulen den Naturkostladen „Rapunzel“ in Augsburg eröffnete.
Müsli in der Wanne Wir erfahren, dass Rapunzelsalat aus eigenem Anbau, selbst gebackenes Brot und Kekse zum Kernsortiment der ersten Stunde gehörten. Ebenso wie die Müslis, die Joseph Wilhelm kurzerhand in der heimischen Badewanne mischte. Die ist zwar nicht als Exponat im Museum zu finden, dafür aber der Ofen, in dem die Vollkornkekse gebacken wurden, und die Elektromühle für die ersten Nussmus-Experimente. Wir gehen fasziniert von einer Station zur nächsten: Aus alten Schwarz-Weiß-Fotos strahlt ein vollbärtiger Joseph Wilhelm mit wilder Frisur im Stil der Siebziger in die Kamera. Wir können uns richtig vorstellen, wie er schon damals mit seinem alten VW-Bus in die Türkei reiste, um die ersten Mitstreiter für den biologischen Anbau von Sultaninen, Haselnüssen, Aprikosen und Feigen zu finden. Und erfahren aus einem kurzen Film mehr über das Türkei-Projekt, für das inzwischen Sohn Leonhard zuständig ist.Unter anderem haben sich unter Mitwirkung von Rapunzel in der Nähe von Izmir fünf Dörfer am Marmara Gölu See im sogenannten Sahlili-Projekt zusammengeschlossen und so mit dem See wieder ein zusammenhängendes Ökosystem geschaffen.
Allmählich scharren die Kinder mit den Füßen - höchste Zeit, zur Tat zu schreiten! Aus Hygienegründen dürfen wir uns vor unserem Rundgang erst einmal verkleiden, und zwar mit weißen Zellstoffmänteln und Frau Holle-Hauben, die ihren eigentlichen Reiz erst in Kombination mit den grünen Rapunzel-Schirmmützen entfalten! Großer Spaß für die Kids: Alles, was zu lang ist, wird ratzfatz abgeschnitten! Und schon pilgern wir im Gänsemarsch zu unserer ersten Anlaufstation, der Studentenfutter-Mischanlage. Sie sieht tatsächlich wie eine riesige Metall-Badewanne aus, in die zwei Mitarbeiter im ersten Arbeitsgang sorgfältig Cashewkerne, Walnüsse, Sultaninen, Hasel- und Paranüsse schichten. 720 Kilogramm fasst die Wanne, dann gehen die beiden Schaufelprofis ans Werk.
Abwechselnd wenden sie den empfindlichen Wanneninhalt so vorsichtig um, dass keine Nuss zerbricht. Während wir in Richtung Samba-Produktion weiterwandern, kündigt Anja Fuchs augenzwinkernd an: „Ich schau jetzt bei jedem Studentenfutter im Laden, ob das auch schön gemischt ist, und denke an die beiden Schaufler!“ Ob sie bei jedem Löffel Samba in Zukunft wohl auch an das Dröhnen des Mühlenraums denken wird? Dort verwandeln sich nämlich die gerösteten Haselnüsse, die 45 Prozent der bekannten Nuss-Nougatcreme ausmachen, gerade in ein feines öliges Mus. Jeder darf einmal die Hand auf die warme Trommel legen und fühlen, wie es im Innenraum wummert.
(links): Bevor die Schokocreme in die Gläser gefüllt werden kann, müssen die erst einmal aufs Band gestellt werden - Peter und Nina würden am liebsten den ganzen Tag dabei mithelfen.
Ein Geheimnis bleibt
Nach der Vermahlung ist das Mus bereit zur „Vermählung“ - mit Kakao, Zucker, Vollmilchpulver, Palmfett, Vanille und all den anderen Zutaten, aus denen die verschiedenen Schokocremes bestehen. Gesüßt werden sie mit Rohrzucker, Stabilisatoren, Emulgatoren, Geschmacksverstärker Farb- oder Konservierungsstoffe gibt es nicht. Auch wenn wir genau wissen, was drin ist - wie Samba schließlich gemischt wird, ist Herstellergeheimnis. So sehen wir unser Samba erst nach einem weiteren Mahlvorgang als warme, schokoduftende Masse wieder. Die Kolbenabfüllanlage steht ein Stockwerk tiefer, so kann für die Produktion auch die Schwerkraft genutzt werden. Hier dürfen die Kinder die Samba-Gläser zunächst einmal auf das Band stellen und dabei beobachten, wie jedes Glas vor der Befüllung einen kleinen Looping fährt. „Was glaubt ihr wohl, warum das so ist?“ fragt Heike Kirsten. „Was kann denn passieren bei so großen Maschinen?“ „Es könnte eine Schraube reinfallen!“, kommt die Antwort aus der ersten Reihe. „Genau, und außerdem haben wir hier auch noch zusätzliche Metalldetektoren!“ Manfred Mayer demonstriert an einem Probeglas, wie schon kleinste Metallbestandteile lautstarken Alarm auslösen - und nutzt den Bandstopp, um kleine und große Sambafans von der warmen Schokomasse probieren zu lassen. Eine gute Gelegenheit, weitere Kontrollmechanismen zu erläutern: Schon nach der Anlieferung in Legau werden Nüsse und Saaten sowohl von der hauseigenen Qualitätskontrolle geprüft, als auch durch ein unabhängiges Labor auf Rückstände wie Pflanzenschutzmittel und Aflatoxine analysiert. Nach dem Abfüllen erfolgt eine weitere Prüfung auf diese Gifte, die durch Schimmelpilze freigesetzt werden.
Salat und Holzhackschnitzel
Zeit für das Mittagessen, bei dem wir uns im Casino mit Biosalat von der Salatbar und knusprig paniertem Fischfilet stärken. Währenddessen erzählen Heike Kirsten und Eva Kiene vom neuesten Rapunzel-Coup: Im Zuge baulicher Erweiterungen hat sich die gesamte Firma durch die Installation von zwei modernen Biomasse-Heizkraftwerken zu 100 Prozent von fossilen Brennstoffen unabhängig gemacht. Holzhackschnitzel aus der Region sorgen in Zukunft auch für die Grundwärme bei der Röstung von Nüssen und Saaten. Zudem hat der Biohersteller eines der größten Photovoltaik-Projekte im Allgäu realisiert. Dazu wurden sämtliche Dachflächen am Firmensitz in Legau sowie am Logistik-Zentrum in Bad Grönenbach mit fast 5000 Solarmodulen ausgestattet.
Die bilden eine Gesamtfläche von circa 6500 Quadratmetern, das entspricht glatt der Größe eines WM-Fußballfeldes. Zum Dessert haben unsere Gastgeber auf einem langen Tisch ein kaltes Buffet aus sämtlichen Nussmusen und Schokocremes des Hauses zum Verkosten aufgebaut. Wie die Profis von der Qualitätsprüfung dürfen die Kinder auf einer Liste ihren Geschmack beurteilen. Dass Samba und Tiger Creme Bestnoten erhalten, versteht sich von selbst, aber auch das Mandelmus mit und ohne Schoko erreicht auf Anhieb die Spitzengruppe. Währenddessen verrät Leonhard Wilhelm seine Schwäche für Samba Kokos und erzählt den Erwachsenen von Rapunzels weltweiten Hand-in-Hand-Projekten, die Ökologie und fairen Handel vereinen.
Dabei garantiert der Hersteller ie langfristige Abnahme der Produkte zu fairen Preisen, während die Hersteller sich nicht nur zu deren Bioqualität, sondern auch zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen und der sozialen Absicherung ihrer Arbeiter verpflichten. Rohrzucker, Kakao und Vanille in den Sambaprodukten stammen unter anderem aus solchen Projekten. Da hupt es auf dem Parkplatz, aber das ist nicht irgendein Auto: Der original Flower-Power Rapunzel-Bus mit dem Schild „Bio aus Liebe“ auf dem Dach lädt alle kleinen Besucher zur Probefahrt um den Hof ein. Der farbenfroh restaurierte Oldtimer taucht immer wieder bei besonderen Events auf und hat im vergangenen Jahr auch die von Firmenchef Joseph Wilhelm initiierte „Genfrei Gehen“-Wanderung gegen Gentechnik in Nahrungsmitteln begleitet, eine Aktion, die auch für den Sommer 2009 wieder geplant ist. Begeistert drücken sich die Kinder ihre Nasen an den Autoscheiben platt, und sie würden wenig später am liebsten auch noch mit den Gabelstaplern im vollautomatischen Logistik-Zentrum in Bad Grönenbach eine Runde drehen.
14000 Paletten stapeln sich hier in 12 Meter hohen Regalen. Sie werden umschwirrt von den „Ameisen“, kleinen, von Hand gesteuerten Staplern, mit deren Hilfe die Ware für die rund 6 000 Kunden kommissioniert wird. In drei verschiedenen Klimazonen warten die Produkte auf den Versand, um Haltbarkeit und Geschmack individuell zu gewährleisten. Frischkäse, Käse und Fett werden bei kühlen 7 °C gelagert, Nüsse und Trockenfrüchte bei 10 °C. Die Speiseöle dagegen fühlen sich in der 18 °C-Halle bei den Gläsern mit Nussmus und Schokocreme am wohlsten. Die Großen staunen, und die Kleinen laufen allmählich zu Hochform auf. Jetzt könnte man doch noch - ein Weilchen auf dem Spielplatz spielen, sich mit Verpackungsmaterial verkleiden oder als wilde Rapunzel-Bande ganz ohne die „Alten“ auf Abenteuer ausgehen … Aber unser Besuch neigt sich dem Ende zu. Als Abschieds-Trostpflaster haben unsere Gastgeberinnen noch etwas Besonderes: Jedes Kind bekommt ein VW-Bus-Modell geschenkt, das ganz genauso aussieht wie der große! Eines hat es allerdings nicht: das „Bio aus Liebe“-Schild auf dem Dach. Aber wer einmal hier war, der wird das sowieso nie mehr vergessen.
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