Umwelt

Evi Hartmann: „Wir müssen darüber reden“

INTERVIEW Wer Smartphones, Kleidung und Lebensmittel kauft, wird zum Sklavenhalter, sagt BWL-Professorin Evi Hartmann. Doch es gehe auch anders. Allerdings sollten wir nicht auf Firmen oder Regierungen warten.

Wie viele Sklaven halten Sie?“ heißt das Buch von Evi Hartmann. Darin geht es um Globalisierung und Moral, um widrige Arbeitsbedingungen und Konsum ohne Mitgefühl. Der Buchtitel provoziert. Und vielleicht ist Ihre Reaktion ja auch: „Ich bin doch kein Sklavenhalter.“

Sie, ich, wir alle sind moderne Sklavenhalter. Wie meinen Sie das?

Dazu müssen wir nur nach Bangladesch schauen. Dort nähen Frauen für uns T-Shirts – bei extremer Hitze, viele Stunden am Tag, für nur 50 Cent. Und wenn sie zu lange Klopause machen, bekommen sie noch nicht einmal die 50 Cent. Dafür fällt mir kein besserer Begriff ein als Sklavenhaltung.

Für Sie arbeiten 60 Sklaven, schreiben Sie in Ihrem Buch. Wie haben Sie das berechnet?

Es gibt verschiedene Webseiten, auf denen man das berechnen lassen kann. Zum Beispiel Slaveryfootprint.org. Über die Zahl lässt sich natürlich streiten. Vielleicht sind es auch 80 oder 100 Sklaven, vielleicht auch 40. Auf jeden Fall sind es zu viele. Ich arbeite daran, dass es weniger werden. Seit ich mich mit dem Thema beschäftige, versuche ich fair Produziertes zu kaufen.

Welche Produkte machen uns zu Sklavenhaltern?

Es sind vor allem Produkte mit einem vielgliedrigen Herstellungsprozess wie Kleidung oder auch Smartphones. Die Mineralien dafür kommen aus Minen im Kongo. Dort gibt es Kinderarbeit und es herrschen widrige Arbeitsbedingungen. Durch unsere Geiz-ist-Geil-Mentalität sind die Firmen gezwungen, hier zu sparen.

Sind die konventionellen Milchbauern in Deutschland eigentlich auch Sklaven? Der Preisdruck hier ist existenzraubend.

Natürlich kann man das auch auf hier produzierte Nahrungsmittel übertragen. Wenn ich nicht bereit bin, einen ordentlichen Preis zu zahlen, wird die Milch unter nicht fairen Bedingungen hergestellt. Allerdings ist es nicht so, dass teure Produkte unbedingt fair hergestellt wurden.

Das macht faires Einkaufen nicht leicht.

Man muss genau hinschauen. Aber wenn ich sehe, wie viel Zeit wir mit unseren Smartphones verbringen, dann ist es sicher sinnvoller zu recherchieren, welche Firmen fair produzieren.

Allerdings muss man sich auskennen. Was ist echtes Engagement und was nur ein faires Deckmäntelchen?

Ja, nicht jedes Gütesiegel hält, was es verspricht. Am besten ist es, sich selbst ein Bild zu machen. Und wir müssen beim Thema Moral – und um die geht es ja – an Marketing denken. Wenn jeder über die Produkte, von denen er weiß, dass sie fair produziert werden, reden würde, dann würden wir schneller vorankommen. Darüber sprechen, animiert andere, ebenfalls fair einzukaufen. Das hat einen Schneeballeffekt, der allen zugutekommt.

Obwohl die katastrophalen Arbeitsbedingungen bekannt sind, kaufen nur wenige Menschen faire Produkte.

Ich glaube, es ist ganz natürlich, dass wir unschöne Sachen ausblenden. Wir müssen uns stärker bewusst machen, was unser Handeln bewirkt. Und da sind wir beim Thema Erziehung. Die fängt zu Hause an. Auch meine Kinder haben Smartphones und sie finden es uncool, nicht das aktuelle zu haben. Man muss darüber reden, welche Konsequenzen es hat, ständig ein neues zu kaufen. Auch ein Kind kann verstehen, wie schrecklich es ist, unter schlechten Bedingungen arbeiten zu müssen. In der Schule geht Erziehung weiter, ebenso an der Uni. Doch Moral ist im Curriculum nicht automatisch ein Thema.

Was tun Sie als Professorin?

Ich mache die schlechten Arbeitsbedingungen in den Vorlesungen zum Thema. Wir diskutieren die Konsequenzen, die es hat, wenn Produktionskosten immer weiter gedrückt werden müssen.

Wollen die Studierenden etwas ändern?

Einige ja, andere nein. Ich respektiere beides. Moral ist immer eine freie Entscheidung jedes einzelnen Menschen. Schön ist natürlich, dass Moral ihren ganz eigenen Lohn hat.

Was hilft es, wenn ich faire Produkte kaufe und die anderen tun nichts?

Das ist eine Ausrede, nichts tun zu müssen. Doch das ist der falsche Ansatz. Wenn wir darauf warten, dass Regierungen oder Unternehmen etwas ändern, tut sich womöglich nichts. Wenn ich aber sage, ich fange bei mir an, dann bewegen die kleinen Schritte ein System und sie bewegen mich, weil ich das Richtige tue.

Die Firmen könnten doch auch den ersten Schritt machen.

Ich finde es nicht gut, zu sagen, die bösen Manager, die bösen Regierungen. Man kann die moralische Verantwortung für eigenes Handeln nicht einfach abgeben. Und manche Unternehmen tun schon etwas. Sie bezahlen zum Beispiel einen Living Wage, also einen Lohn, von dem die Arbeiter in den Schwellenländern leben können.

Doch die meisten Firmen sagen: „Die Leute wollen billige T-Shirts und deshalb produzieren wir so.“ Stehlen sie sich da nicht aus ihrer Verantwortung?

Im Prinzip müssen sich beide Seiten fragen, was der richtige Weg ist. Doch am Ende wird produziert, was die Kunden wollen. Deshalb muss ich mich fragen: Was will ich und was sind die Konsequenzen daraus?

Und dann bewegen sich die Firmen?

Ja. Ein Beispiel ist die Mülltrennung. Die wurde auch nicht von heute auf morgen umgesetzt. Es ist ein Bewusstsein entstanden. Dieses Bewusstsein müssen wir entwickeln. Wir müssen uns bewusst gegen unfaire Arbeitsbedingungen stellen. Auch wenn wir uns dann nicht mehr zehn neue T-Shirts im Jahr leisten können.

Was tun Sie als Privatperson, damit die Welt ein bisschen fairer wird?

Beim Essen achte ich darauf, dass die Lebensmittel unter fairen Bedingungen hergestellt wurden. Ich gebe lieber mehr Geld fürs Fleisch aus, weiß aber, dass es ordentlich produziert wurde. Bei Kleidung – und bei vier Kindern spreche ich von einem Berg an Klamotten – recherchiere ich, welche Firmen faire Arbeitsbedingungen gewährleisten.

Werden Sie noch ein Buch schreiben?

(lacht) Vielleicht. Die Frage „Wer will ich sein und in welcher Welt will ich leben?“ interessiert mich schon.

„Wie viele Sklaven halten Sie? Über Globalisierung und Moral“ heißt das Buch von
Dr. Evi Hartmann (Campus, 2016, 224 Seiten, 17,95 Euro)

Zur Person: Evi Hartmann

... ist Wirtschaftsingenieurin und Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Universität in Erlangen-Nürnberg. Sie lehrt Supply Chain Management, also die Optimierung von Lieferketten. Dass sie in den Vorlesungen nun auch über die schlechten Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern spricht, hat gute Gründe, unter anderem den Fabrikeinsturz 2013 in Bangladesch, bei dem über 1100 Näherinnen starben. Evi Hartmann ist Mitglied im Netzwerk GenerationCEO für Frauen in Führungspositionen und schreibt den Blog „Weltbewegend“. Sie hat vier Kinder und lebt mit ihrer Familie in Frankfurt.

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