Interview

Vandana Shiva: „Ohne Pestizide bis 2030“

Angesichts von Klimakatastrophe und Artensterben fordert die indische Öko-Aktivistin und Feministin Vandana Shiva 100 Prozent Bio-Landbau. Wir sprachen mit ihr über zivilen Ungehorsam, Pestizide und Helden.

Vandana, Du möchtest die Welt bis 2050 von Pestiziden befreien. Ist das nicht ein verrückter Traum?

Die Idee, mit einem klaren Zeithorizont für eine pestizidfreie Welt zu kämpfen, wurde 2017 geboren. Auf einem Festival traf ich mich mit Shri Pawan Chamling, dem Ministerpräsidenten des indischen Bundesstaats Sikkim, und Ulrich Veith, dem Bürgermeister der Südtiroler Gemeinde Mals. Chamling hatte Sikkim auf 100 Prozent Bio umgestellt und Veith gerade einen Volksentscheid gegen Pestizide in der dortigen Apfelanbauregion erfolgreich durchgeführt. Wir entwickelten die Idee und hatten dabei absolut nicht das Gefühl, verrückt zu träumen.

Wie kommt ihr dabei voran?

Sehr gut. In den letzten Jahren hat sich der Bio-Landbau weltweit, aber vor allem in Indien, rasant verbreitet. Zurzeit stellen bei uns viele Millionen Bauern auf Bio um. Allein in meinem Heimatstaat Uttarakhand 1,7 Millionen Bauern – also alle! Kirgistan hat sich ebenfalls das Ziel gesetzt, seine Landwirtschaft zu 100 Prozent ökologisch zu gestalten – und in Europa das Burgenland in Österreich. In der Schweiz gibt es schon Regionen mit 60 Prozent Bio-Anbau. Aufgrund dieser Entwicklungen haben wir die Zielsetzung jetzt sogar auf das Jahr 2030 verkürzt. Wir müssen auch schneller sein, denn die Dynamik der Klimakatastrophe und des Artensterbens lässt uns keine 30 Jahre mehr.

Zur Person Vandana Shiva

Vandana Shiva lehnt an einem Baum und lächelt

Dr. Vandana Shiva wurde 1952 in Indien geboren. Sie ist Vorreiterin im Kampf gegen den Öko-Kollaps der Erde. Das größte Potenzial sieht sie im biologischen Landbau. Vandana Shiva wurde mit vielen internationalen Preisen ausgezeichnet, wobei der alternative Nobelpreis wohl ihre größte Anerkennung ist. Die Aktivistin hat in zahlreichen Dokumentarfilmen mitgewirkt und viele Bücher verfasst. Im August erscheint ihr neues Buch: „Eine andere Welt ist möglich – Aufforderung zum zivilen Ungehorsam“ (Oekom Verlag). Infos zu ihrer weltweiten Kampagne „100 Prozent pestizidfrei bis 2030“ gibt es in englischer Sprache unter:
www.navdanyainternational.org

Wie kann die Welt bis 2030 pestizidfrei werden?

Wir müssen den Menschen zunächst klarmachen, dass die gleichen Pestizide, die Bienen und Schmetterlinge umbringen, auch Bauern und Verbraucher krank machen. Durch diese Krankheiten entstehen Kosten, die wir als Gesellschaft tragen müssen. Wenn man das erst einmal verstanden hat, wird schnell klar, dass wir uns eine chemische Landwirtschaft nicht mehr erlauben können. Der schnelle Wechsel zur Bio-Landwirtschaft ist eine Überlebensfrage geworden.

Und wie bewertest du vor diesem Hintergrund die hohen Strafzahlungen und den Imageverlust von Bayer durch die Glyphosatprozesse?

Die riesigen, global agierenden Agro-Chemie-Unternehmen zerstören sich mit ihrer Gier und ihrer Verlogenheit selbst. Das wird gerade bei den Glyphosat-Verhandlungen in den USA allzu deutlich. Daher haben wir jetzt die Chance, diese mächtigen Wirtschaftskonzerne endgültig zu stoppen und damit zu verhindern, dass sie unsere Erde und unsere sozialen Gemeinschaften weiter zerstören.

Wie kam es eigentlich dazu, dass du Aktivistin für Kleinbauern, Ökologie und biologischen Landbau wurdest?

Eigentlich bin ich promovierte Physikerin. Als 1984 im Punjab die sogenannte Grüne Revolution stattfand, also die agro-chemische Landwirtschaft eingeführt wurde, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Dazu kam der fatale Brand in einer Agro-Chemie-Fabrik in Bhopal, bei dem Tausende Menschen zu Tode kamen. Damals fing ich an, mich ernsthaft mit dem Thema Landwirtschaft zu beschäftigen.

Zurückblickend: Was wurde seit dem Beginn deines Engagements erreicht?

Die züchterischen Leistungen und die traditionellen Zuchtmethoden werden wieder anerkannt. Diese machen Pflanzen widerstandsfähiger und so sind weniger Ackergifte nötig. Der Ansatz der nachhaltigen Landwirtschaft ist mittlerweile auch breit akzeptiert. Allerdings haben in diesem Zeitraum die multinationalen Agro-Chemie-Konzerne, die ich in meinem neuen Buch das „Giftige Kartell“ nenne, aus meiner Sicht nicht nur die Medien und die wissenschaftlichen Institutionen, sondern auch Gesetze manipuliert. Und sie haben ihre Gifte überall auf der Erde verbreitet. Dazu forcierten sie den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und von Monokulturen, die die Klimakatastrophe und den Verlust der Artenvielfalt beschleunigen.


Mit zivilem Ungehorsam gegen Lügen kämpfen.

Vandana Shiva, Öko-Aktivistin

Du sagst, dass auch die Demokratie in größter Gefahr ist. Warum?

Vor allem, weil sich das eine Prozent superreicher Menschen mit seinen multinationalen Unternehmen unser Wirtschaftssystem unter den Nagel gerissen hat. Die demokratischen Strukturen des Wirtschaftens werden immer weiter ausgehöhlt. Schon jetzt gibt es eine gefährliche Polarisierung der Gesellschaft. Dabei spielen das Internet und Social Media eine große Rolle. Mit viel Geld und „Fake News“ wird Rassismus geschürt. Ich glaube, dass es sich dabei um gezielte Kampagnen handelt, die verhindern sollen, dass die Menschen sich organisieren und gemeinsam ihre Freiheit und fundamentalen Rechte verteidigen.

Im Untertitel deines neuen Buches „Eine andere Welt ist möglich“ rufst du konkret zu zivilem Ungehorsam auf. Kommt hier deine tiefe Verbundenheit mit Mahatma Gandhi zum Ausdruck?

Das ist absolut richtig. Gandhi hat dafür den Begriff Satyagraha geprägt. In meinem Aktivistenleben ist Satyagraha ein roter Faden. Wir müssen auch mit zivilem Ungehorsam gegen Unwahrheiten kämpfen. Sei es die Lüge der Agrarchemie, die Welt zu ernähren oder die große Lüge, dass Agrargifte notwendig und sicher seien.

Und was können einzelne Personen machen?

Unsere Weltgemeinschaft ist doch die Summe aller Individuen. Wenn jedes Individuum sich ändert, ist die Gesellschaft verändert.

Was sind die aktuellen Satyagrahas?

In Zeiten der extremen Zerstörung der Artenvielfalt und der Klimakatastrophe brauchen wir eine Satyagraha für das Leben. Ohne Zweifel ist das zurzeit die Bewegung „Fridays for Future“. Die junge Generation praktiziert mit dem Schulstreik weltweiten zivilen Ungehorsam und das mit einer Wirkungskraft, die wir uns kaum vorstellen konnten.

Du wirst von vielen als Heldin verehrt. Hast du selbst auch einen Helden? Neben Gandhi?

Meine Eltern waren und werden immer heldenhafte Inspiration für mich sein. Eigentlich habe ich ganz viele Helden und das auf der ganzen Welt – die Bauern und vor allem die Bäuerinnen. Sie geben mir viel Kraft, um mich mit ganzer Energie meinen Aufgaben und den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.

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