Umwelt

Dicke Luft in Deutschland

Sie rauben uns die Luft und machen krank. Viele sterben dran. Trotzdem dürfen Stickstoffdioxid & Co. weiter durch unsere Straßen wabern.

Die Menschen, die in die Arztpraxis von Norbert Mülleneisen kommen, haben Atemnot. Sie leiden unter chronischer Bronchitis, Asthma oder unter eingeschränkter Lungenfunktion. Trotz Behandlung stellt sich bei ihnen oftmals keine Besserung ein, wie Lungenarzt Mülleneisen erzählt. „Ich habe immer mehr Krankenhauseinweisungen und akute Verschlechterungen von chronischen Lungenerkrankungen“, berichtet er von einer besorgniserregenden Entwicklung. Die Erklärung dafür glaubt der Facharzt in den Adressdaten seiner Patienten gefunden zu haben. „Viele meiner Patienten wohnen in der Nähe großer Straßen“, sagt Mülleneisen. Der Mediziner hat seine Praxis in Leverkusen. Leverkusen hat ein Autobahnkreuz mitten im Zentrum. „Es ist eines der am stärksten befahrenen Kreuze Europas“, so Mülleneisen. Der Lungenspezialist schlussfolgert, dass die Auto-Abgase seinen Patienten zusetzen.

Mülleneisen ist keineswegs der einzige Fachmann, der sich wegen verpesteter Luft um die menschliche Gesundheit sorgt. Auch andere Ärzte sowie Umwelt- und Verbraucherschützer warnen vor einer zunehmenden Zahl von Erkrankungen durch Smog. Der Dreck, der um uns herum aufgewirbelt wird, könne sogar tödlich sein. Laut Umweltbundesamt (UBA) sterben in Deutschland jedes Jahr rund 47.000 Menschen, weil die Luft zu stark mit Feinstaub belastet ist. Die Umweltagentur der Europäischen Union schätzt, dass allein in der Bundesrepublik etwa 10 000 Todesfälle auf die Verschmutzung mit Stickstoffdioxid zurückzuführen sind. Europaweit fallen circa 600.000 Menschen dem Smog zum Opfer, berichtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Rund um den Globus sollen es mehr als sieben Millionen sein, vor allem Kinder, alte und kranke Menschen.

Wie Fabriken, Öfen und Autos die Luft belasten

Die dreckige Luft hat viele Quellen. Kohlekraftwerke, Stahlfabriken, Müllverbrennungsöfen und andere Feuerungsanlagen. In hiesigen Wohngebieten sorgt eine seit Jahren steigende Zahl an Kaminen und Öfen aus Privathaushalten für dicke Luft. Auch bei den beliebten Osterfeuern und der alljährlichen Silvesterknallerei kommt es zu stark erhöhten Schadstoffkonzentrationen. Dem Umweltbundesamt zufolge ist am ersten Tag des neuen Jahres die Belastung vielerorts so hoch wie sonst im ganzen Jahr nicht. Selbst auf dem Land, wo die Luft in der Regel reiner ist, geht es manchmal schmutzig zu. Hier sind es Emissionen aus der Tierhaltung, die den Menschen die saubere Luft zum Atmen rauben.

Zu den größten Dreckschleudern überhaupt zählen Schiffe, die mit Schweröl betrieben werden. Ihr Kraftstoff enthält deutlich mehr Schadstoffe als Benzin oder Diesel. Dennoch dürfen Schiffsschlote Unmengen davon auch über Hafenstädten und Küstenregionen ausqualmen. Die Hauptquelle der Luftverschmutzung in Ballungszentren aber ist der Straßenverkehr. Sind die Millionen von Autos, Lastwagen und Busse, die durch unsere Städte kreuzen. Aus ihren Auspuff-Rohren gelangt der Dreck in unsere Atemwege. Schleichend. Krank machend.

Wo Grenzwerte regelmäßig überschritten werden

Um die Menschen vor Luftverschmutzung zu schützen, existieren sogenannte Emissionsgrenzwerte. Es gibt sie sowohl für Industrieanlagen und Fahrzeuge als auch für die Luft in Innenräumen und im Außenbereich. Diese Grenzwerte sind in Gesetzen auf europäischer und nationaler Ebene geregelt. Bei vielen Luftschadstoffen haben technischer Fortschritt und Umweltschutz dazu geführt, dass die Grenzen auch weitgehend eingehalten werden. Doch drei Luftgifte wabern weiterhin massenhaft durch deutsche Straßen und treiben die Menschen zu Ärzten wie Norbert Mülleneisen in Leverkusen. Für diese Stoffe existieren zwar ebenfalls Obergrenzen, doch werden die regelmäßig überschritten.

Die größten Probleme für die Luftqualität und somit für die Gesundheit der Bevölkerung bereiten Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2). Die WHO empfiehlt für NO2 im Jahresmittel einen Höchstwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die EU hat diese Empfehlung übernommen. Aber ohne große Wirkung zu erzielen. Allein 2016 wurde die gesetzlich festgelegte Grenze laut UBA an mehr als der Hälfte aller „verkehrsnahen Messstellen“ in Deutschland durchbrochen. Seit Inkrafttreten des Grenzwerts im Jahr 2010 zeige sich bei der NO2-Belastung nur ein leicht abnehmender Trend.

Bei Feinstaub hingegen wurden 2016 die niedrigsten Belastungen seit zehn Jahren gemessen. Dem UBA zufolge lag das vor allem am Wetter. Kalte und trockene Wintertage, die Feinstaub begünstigen, gab es in dem Jahr kaum. So wurde die seit 2005 bestehende Vorgabe der EU von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel eingehalten. Aber: Die EU folgt bei ihrer Feinstaub-Obergrenze nicht der WHO. Die empfiehlt einen Grenzwert von 20 Mikrogramm und dieser Wert wird weiter klar überschritten. Zu Überschreitungen kam und kommt es außerdem in mehreren deutschen Städten auch bei dem EU-weit gültigen Tagesmittelwert von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter. Passiert das an mehr als 35 Tagen im Jahr, drohen den betroffenen Städten und Gemeinden Geldstrafen durch die EU.

Das dritte Luftgift, das Menschen zu schaffen macht, ist Ozon. Obwohl es 2016 keine lang anhaltenden Schönwetterperioden gab, die die Bildung dieses Schadstoffes verstärken, wurden nach UBA-Angaben an jeder fünften Messstation in Deutschland überhöhte Ozonwerte festgestellt.

Wo die Luft am dreckigsten ist

Hochburg des Verpestens ist nicht Leverkusen. Am dreckigsten ist die Luft in Stuttgart, Landeshauptstadt von Baden-Württemberg und Stammsitz großer deutscher Autokonzerne. Die Belastung mit Stickstoffdioxid erreicht hier auch schon mal das Doppelte des Erlaubten. Dazu kommen stark überhöhte Feinstaubwerte. Bereits im März war das zulässige Maß an täglichen Überschreitungen für dieses Jahr voll. „Stuttgart ist die schmutzigste Stadt Deutschlands“, lautet das Urteil der Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe.

Um das Luftproblem zu bereinigen, stellt Stuttgart seit drei Jahren einen Luftreinhalteplan auf. Auch rund 140 weitere Städte und Gemeinden in Deutschland machen das. Sie richten Umweltzonen (siehe Interview) ein, bauen Umgehungsstraßen, verhängen Tempolimits, fördern den öffentlichen Nahverkehr und statten Linienbusse mit Partikelfiltern aus. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die diese Pläne beinhalten können. Doch sauber ist die Luft deswegen noch lange nicht.

Warum die Gesundheit keine Lobby hat

Weder Industrie noch Politik machen den Eindruck, als wollten sie daran etwas ändern. Deutsche Autohersteller haben, indem sie die Abgaswerte ihrer Diesel-Fahrzeuge manipulierten, nicht nur sämtliche Luftreinhaltepläne ad absurdum geführt, sondern auch gegen Gesetze verstoßen. Doch statt konsequent dagegen vorzugehen, übt sich die Bundesregierung in Zurückhaltung, allen voran Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. Der CDU-Politiker schweigt sich zur Gesundheitsgefahr durch Luftverschmutzung komplett aus. Auf Anfrage unserer Redaktion hat sein Ministerium Anfang September mitgeteilt, dass es für „umweltbezogenen Gesundheitsschutz“ nicht zuständig sei und an das Bundesumwelt- sowie das Bundesverkehrsministerium verwiesen.

Wie wenig diese beiden Ministerien bewirken, offenbarte der sogenannte Diesel-Gipfel im Sommer dieses Jahres in Berlin. Dort konnten sich die Autobauer mit Software-Nachrüstungen für ihre Fahrzeuge aus der Affäre ziehen. Dabei stellte selbst das staatliche Umweltbundesamt klar, dass ein Software-Update nicht ausreicht, um die Luft vieler Städte sauber zu halten.

Wie Moos-Wände Feinstaub filtern

Stuttgart probiert es nun seit einem Dreivierteljahr auch mit Pflanzen. Entlang einer sechsspurigen Straße, die für ihre Feinstaub-Belastung berüchtigt ist, ließ die Stadt eine 100 Meter lange und drei Meter hohe Wand komplett mit Moos bedecken. Moose funktionieren wie eine Filteranlage. Sie fangen den Feinstaub ein und bauen ihn ab. Für die ganz große Luftrettung reicht das aber nicht. Bestenfalls zehn Prozent des anfallenden Feinstaubs lassen sich mit dieser Methode filtern, wie die Initiatoren der Moos-Wand sagen.

Wer die Luft nachhaltig verbessern will, muss den Auto-Verkehr stark reduzieren und den öffentlichen Nahverkehr massiv ausbauen. Das sagt der Verkehrsclub Deutschland (VCD). Für Stuttgart schlägt der VCD konkret vor: Statt neue Straßen zu errichten, sollten bestehende Fahrbahnen in Busspuren und Radwege umgewandelt werden. Die Deutsche Umwelthilfe geht noch einen Schritt weiter. Sie fordert Fahrverbote für bestimmte Diesel-Pkw. Die Organisation aus Berlin sagt, dass die Grenzwerte in vielen deutschen Städten nur dann einzuhalten sind, wenn die „größten Stinker unter den Autos“ aus dem Verkehr gezogen werden.

Rauchen sei zwar deutlich schädlicher als das Einatmen von Autoabgasen. Dennoch plädiert auch Lungenarzt Norbert Mülleneisen für Verbote. Der Zigarette könne man immerhin abschwören. Den Autoabgasen sei man ausgeliefert. „Da gibt es kein Entkommen“, so Mülleneisen.

Feinstaub, Stickstoffdioxid, Ozon: Wenn Atmen zum Risiko wird

  • Die WHO hat Feinstaub als eine der Hauptursachen für Krebs ausgemacht. Entscheidend dabei ist die Größe der Staubpartikel. Je kleiner, desto gefährlicher sind sie für den Menschen. Größere gelangen in die Nase und bleiben dort haften, die kleinsten aber können bis in den Blutkreislauf und die Organe vordringen. Auch das Risiko für Herzinfarkte steigt mit der Feinstaubbelastung.
  • Durch Stickstoffdioxid (NO₂), wird es eingeatmet, kann es zu einer Entzündung der Bronchialschleimhaut kommen. Atemnot, Husten, Bronchitis und eine verminderte Lungenfunktion können die Folge sein. Durch die angegriffene Schleimhaut können außerdem Staubpartikel und Pollen in die Lunge eindringen und Allergien auslösen.
  • Erhöhte Ozonwerte wiederum können zu einer verminderten Funktion der Lunge, zu Luftnot, Husten, Kopfschmerzen und Kreislaufproblemen führen. Ozon steht im Verdacht, ebenfalls Krebs auszulösen.

Luftschadstoffe: Woher sie kommen

  • Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen und gelangen durch große und kleine Schlote in die Luft. In Ballungszentren ist der Straßenverkehr die Hauptquelle. Entlang von Hauptverkehrsstraßen und Autobahnen sind die Belastungen am größten.
  • Feinstaub gelangt nicht nur aus Motoren an die Luft, sondern auch durch Abrieb von Bremsklötzen und Autoreifen. Es gibt noch andere Ursachen: Sogenannter sekundärer Feinstaub bildet sich aus verschiedenen gasförmigen Substanzen wie zum Beispiel Ammoniak, das insbesondere aus der Tierhaltung stammt.
  • Auch Ozon strömt nicht direkt aus einer Quelle, sondern entsteht unter anderem durch photochemische Prozesse, bei denen Sauerstoff mit freigesetzten Luftschadstoffen wie Stickstoffdioxid reagiert. Im Gegensatz zu Feinstaub und NO2, die besonders in trockenen Wintern Höchstwerte erreichen, klettern die Ozonwerte vor allem an heißen Tagen nach oben. Erhöhte Ozonwerte kann es sowohl auf dem Land als auch in der Stadt geben.
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