Umwelt

Der Hippie unter den Investmentfonds

FINANZEN Die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld ist anders. Seit Jahrzehnten setzt sie auf öko-soziale Investments. Dafür leistet sie sich den Luxus eines besonderen Gremiums.

FINANZEN Die Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld ist anders. Seit Jahrzehnten setzt sie auf öko-soziale Investments. Dafür leistet sie sich den Luxus eines besonderen Gremiums. Stephanie Silber & Annika Janßen

Sascha Dickel ist Visionär – so rein beruflich. Das täglich Brot des 40-jährigen Professors für Mediensoziologie an der Uni Mainz: „die Analyse sozialer, technischer und ökologischer Zukunftspfade“. Regelmäßig bittet ihn die Firma Ökoworld um seinen Blick in die Glaskugel. Gemeinsam mit elf anderen Spezialisten entscheidet er dann in mehrtägigen Sitzungen, in welche Unternehmen der Investmentfonds Ökovision Classic die Gelder seiner Kunden anlegt, die für ihr Alter vorsorgen oder Vermögen aufbauen wollen.

Die börsennotierte Aktien- und Kapitalverwaltungsgesellschaft Ökoworld ist sozusagen der Hippie unter den Investmentfonds. Sie bezeichnet sich als ethisch-ökologische Vermögensberatung. Damit das keine leere Worthülse ist, müssen Sascha Dickel und seine Kollegen aus dem sogenannten Anlagenauschuss ran. Und das funktioniert so: Zwölf unabhängige Experten aus Bereichen wie Verbraucherschutz, Entwicklungspolitik, Ökonomie, Ernährung und Energie kommen dreimal im Jahr zusammen. Sie sagen Ja oder Nein zu Firmen, die von Ökoworld-Mitarbeitern aus dem sogenannten Nachhaltigkeitsresearch in eine Vorauswahl gekommen sind. Der eigene Anspruch ist hoch: Es geht um „umwelt- und sozialverträgliche Produkte und Geschäftsmodelle, die sich aktiv für einen Umbau zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft engagieren.“

Für die Entscheidungen des Anlagenausschusses gibt es harte Kriterien – und einen großen Graubereich. Dass beispielsweise Atomkraft, Chlorchemie und Sklaven- oder Kinderarbeit ausgeschlossen sind, ist klar. Aber wie können die Mitglieder unterscheiden, ob Firmen, in die investiert werden soll, wirklich begonnen haben, Dinge im Sinne von Nachhaltigkeit zu verändern oder ob sie nur Green Washing betreiben? „Wir schauen, ob sich die Unternehmen auf den Weg gemacht haben. Ist tatsächlich ein konsequenter und umfassender Ansatz zu Nachhaltigkeit zu erkennen? Hat das Management die Systeme darauf eingestellt? Das prüfen wir anhand von Zahlen und konkreten Zielen“, erklärt die Ehrenvorsitzende des BUND Deutschland, Professorin Angelika Zahrnt, Mitglied im Ausschuss, dessen Arbeit.

Dessen Co-Vorsitzender, der FairTrade-Experte Dr. Martin Kunz, gibt ein Beispiel: „Bei einem Unternehmen, das Pumpen herstellt, die eigentlich auch für AKWs genutzt werden können, schauen wir, ob exklusiv für diesen No-go-Bereich produziert wird und ob das Unternehmen sogar damit wirbt, Pumpen für AKWs herzustellen.“ Ein weiteres Beispiel von Martin Kunz:„Wenn eine Firma super tolles Öko-Toilettenpapier herstellt, zertifiziert, Lieferkette tipptopp, dann ist es kein Ausschlusskriterium, dass dieses Toilettenpapier auch an das amerikanische Militär geliefert wird. Welcher Hintern damit abgeputzt wird, ist uns egal.“

links oben: Kunden von Ökoworld finden diese Aufkleber manchmal in oder auf ihrer Post. rechts oben: Sascha Dickel (Zweiter von rechts) mit seinen Kolleginnen und Kollegen. unten: Stephanie Silber (Achte von links) befragte die Mitglieder des Anlagenausschusses in einer seiner Sitzungen zu deren Arbeit. © Henning Ross; Peter Roggenthin/bio verlag

Es gibt Firmen, da sind sich die Experten schnell einig. Doch bei anderen ist es schwieriger. „Und wenn auch nur einer Bedenken hat, müssen wir ausführlicher diskutieren“, sagt Christine Füll. Sie leitet seit 2010 das Sekretariat der Rotterdam Konvention innerhalb der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen in Rom. „In jeder Sitzung gibt es mindestens ein Unternehmen, welches von uns kontrovers diskutiert wird.“ Es komme sogar vor, dass der ganze Ausschuss eine Entscheidung überschlafen müsse. „Aber das macht uns aus“, sagt Füll. „Nur durch solche Diskussionen können wir zu einem Ergebnis kommen, welches für alle stimmig ist.“

Alle Mitglieder des Anlagenausschusses arbeiten „ehrenamtlich“. Sie bekommen allerdings eine Aufwandsentschädigung. Für jede Sitzung planen sie etwa fünf Tage ein, inklusive Vorbereitung und der Treffen vor Ort.

In den letzten Jahren sei es schwieriger geworden, Unternehmen zu finden. „Der Fonds ist so gewachsen, dass wir viel mehr Firmen brauchen, in die wir investieren können“, erklärt Sascha Dickel. „Da wir aber nach echten, nachhaltigen Firmen suchen und die mit grünen Feigenblättern aussortieren, ist das nicht so einfach. Zumal auch die Rendite natürlich eine Rolle spielt.“

Und keine kleine. Der Investmentfonds ist nach eigenen Aussagen „renditeorientiert, aber nicht renditemaximiert“. Das scheint zu funktionieren: Der Bilanzgewinn der ersten Jahreshälfte 2018 lag bei knapp 10 Millionen Euro. Der Fonds Ökovision Classic etwa hat in den vergangenen drei Jahren eine Wertentwicklung von mehr als 22 Prozent hingelegt.

Die Seele des Sozialarbeiters

Der, der sich das alles ausgedacht hat, ist Alfred Platow, der Vorstandsvorsitzende von Ökoworld. Er gründete 1975 gemeinsam mit Klaus Odenthal „versiko”, die Wurzeln der heutigen Ökoworld. Für ihn spielen Ökologie, Soziales und Ethik schon immer eine große Rolle. Der Mann mit den blitzenden Augen und wehendem Haar ist nie um eine Geschichte verlegen, doch wenn der Anlagenausschuss tagt, lauscht er mucksmäuschenstill. Die Unabhängigkeit des Gremiums ist ihm sehr wichtig, er hat dort weder Sitz noch Stimme.


Vergleich mit Bio-Läden

Die Bearbeitungsgebühren sind im Vergleich zu anderen Fonds höher. „Aber ein Bio-Lebensmittel kostet ja auch mehr, weil es hohe ökologische und ethische Standards einhält“, erklärt Alfred Platow den Unterschied.


Seine eigene Geschichte ist die Seele von Ökoworld. Er stand nach eigenen Aussagen schon immer sehr weit links, ist überzeugter Pazifist, war Teil der Öko-Bewegung der Siebziger- und Achtzigerjahre, hat sich lange in Autonomen-Kreisen bewegt. Platow studierte fünf Jahre lang Sozialarbeit an der Fachhochschule Düsseldorf, gemeinsam mit der heutigen Grünen-Politikerin Renate Künast. Er war eine treibende Kraft der Hausbesetzerszene in Düsseldorf, hat sich in der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert und an studentischen Protesten teilgenommen.

„Einmal haben wir in Düsseldorf eine Straßenbahn besetzt“, erzählt Platow. Damit hatte er dafür gesorgt, dass nach der Räumung eines Hauses die Frauen, die dabei in Gewahrsam genommen worden waren, wieder frei gelassen wurden. Der Unternehmensgründer lächelt verschmitzt, wenn er von diesen Erinnerungen erzählt.

Irgendwann habe er begonnen, „das kapitalistische System neu zu reflektieren“, sagt Platow. Er erkannte, dass Geld und Ethik sich nicht ausschließen müssen – und dass auch Autonome sich um ihre Finanzen kümmern müssen. Das Interesse am Thema kam nicht von ungefähr: Platows Familie war durch Steuerberater geprägt: „Ich habe schon als Zehnjähriger Umsatzsteuererklärungen ausgefüllt, um mir mein Taschengeld zu verdienen.“

In den Siebzigerjahren begann er gemeinsam mit Klaus Odenthal, einem Mathematiker, Versicherungen für sozial bewegte Firmen zu verkaufen. „Alfred & Klaus – kollektive Versicherungsagentur“ hieß ihr Unternehmen. Der Firmensitz: eine Garage in Hilden. Platow beriet die Öko-Szene, versuchte, Versicherungen für Naturkostläden und andere „Öko-Buden“ abzuschließen. Zudem drängte er die Versicherer, die Beiträge der Kunden nachhaltig zu investieren. Das war nicht immer einfach: Zum einen reagierten Versicherer eher distanziert auf das alternative Anlagenkonzept und die neue Kundengruppe. Zum anderen war ihnen auch Platow suspekt, der schon damals Rauschebart und Birkenstocksandalen trug.

Bis zur Gründung von Ökoworld im Jahr 1995 war versiko ein selbstverwalteter Betrieb. Jeden Mittwochabend kamen die Mitarbeiter im Plenum zusammen, um wichtige Fragen zu besprechen. Ihre Gehälter bestimmten die Mitarbeiter selbst.

Heute, mit 55 Mitarbeitern und als mittelständische Fondsboutique mit Banken- und Privatkundenvertrieb, wären regelmäßige Sitzungen im Plenum schwierig. Dafür genießen die Mitarbeiter andere Vorzüge: Teilzeit oder Home Office, Mitarbeiteraktien oder Gutscheine für gesundes Mittagessen.

Noch immer hält Alfred Platow Transparenz innerhalb der Firma für äußerst wichtig: Er legt sein Gehalt im Geschäftsbericht offen (es sind 12 000 Euro brutto im Monat). Auch bei den Fonds des Unternehmens legt Platow Wert auf Transparenz: Anleger können jederzeit nachlesen, in welche Unternehmen investiert wird – und warum.

Damit dabei die selbst gesteckten Kriterien in Bezug auf Ökologie, Soziales und Nachhaltigkeit gewahrt bleiben, leistet sich Ökoworld den „Luxus“ des Anlageausschusses. „Dass wir bei unseren Sitzungen auch eine Menge voneinander lernen, ist ein toller Nebeneffekt“, sagt Sascha Dickel.

Geldanlage mal anders

Beispiel Öko-Aktie

Alfred Platow beschreibt beispielhaft eine seiner aktuellen Lieblingsaktien: „Bakkafrost betreibt Lachszucht in den Fjorden der Färöerinseln im Arktischen Meer und ist dort einer der größten Fisch verarbeitenden Betriebe. Wesentliche Geschäftszweige sind der Betrieb von Lachsfarmen sowie die Verarbeitung und der Verkauf von Lachs höchster Qualität. Was mir an dem Unternehmen besonders gut gefällt: Bakkafrost kommt ganz ohne Chemikalien aus. Die Futtermittel werden aus dem Beifang der örtlichen Fischer selbst produziert, sodass kein Futter aus minderwertigen Quellen verfüttert wird. Die Öko-Effizienz ist hoch und die Öko-Bilanz gut, vor allem im Vergleich mit der Mast von Rind, Schwein oder Huhn. Die hohen Umwelt- und Biodiversitätsschutzstandards schließen eine Nutzung von Antibiotika aus. Auch beim ökologischen Fußabdruck durch Wasserverbrauch und Treibhausgasemissionen zeigt sich ein positives Bild. Bakkafrost hat sich zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Umwelt verpflichtet.“

Alfred Platow ist Gründer und Vorstandsvorsitzender des Unternehmens.

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