Interview

Claudia Kemfert: „Wir brauchen ein Notfallprogramm“

Professorin Claudia Kemfert erläutert, warum erneuerbare Energien die effizienteren Technologien liefern.

Bei Claudia Kemfert wird Energiesparen ernst genommen. Das bewies ihr Computer in der Hälfte unseres Gesprächs, als er in den Sparmodus ging und die Energie-Expertin mich nicht mehr sehen konnte. Wörter sind zum Glück nicht verloren gegangen.

Wie viel Energie spart unser Online-Meeting im Vergleich zur Zugfahrt von Frankfurt nach Berlin?

Man kann für beides sehr genau berechnen, wie viel Strom benötigt wird. Grundsätzlich nutzen wir seit der Corona-Pandemie sehr viel mehr Online-Meetings. Dadurch erhöht sich zwar der Stromverbrauch im Büro. Aber das ist verhältnismäßig wenig im Vergleich zu der Energie, die der Reiseverkehr benötigt. Das gilt umso mehr für inländische Flugreisen. Wie Online-Rechner zeigen: Unser Treffen im digitalen Format ist 500-mal energiesparender als die Bahnfahrt. Und wenn beide Öko-Strom nutzen, ist es gut fürs Klima.

Und wenn nicht?

Auch dann gibt es eine erhebliche Ersparnis an Energie, aber eben weniger. Denn schon um sogenannte Nutz- oder Endenergie zu produzieren, brauchen wir Energie, sogenannte Primärenergie. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass wir unseren Bedarf an Primärenergie halbieren könnten, wenn wir uns zu 100 Prozent auf Erneuerbare ausrichten und konsequent Energie sparen. Kurz: Energiesparen ist zentral. Öko-Strom aber auch!

Was ist mit Primärenergie genau gemeint?

Primärenergie ist die von noch nicht weiter verarbeiteten Energieträgern stammende Energie. Die Wirkungsgrade konventioneller Energien wie Kohle, Öl, Gas oder Atom sind oftmals sehr gering, das heißt: Wertvolle Energie geht ungenutzt verloren. Die Abwärme von Kraftwerken oder Motoren wird nur selten genutzt. Die direkte Nutzung von Öko-Strom in der Elektromobilität oder Wärmepumpe dagegen hat hohe Wirkungsgrade, heißt weniger Verschwendung. So wird sehr viel Energie eingespart.

Zur Person: Prof Claudia Kemfert

Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin leitet seit 2004 die Abteilung „Energie, Verkehr, Umwelt“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Kemfert wurde vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem B.A.U.M. Umweltpreis oder dem Vordenker Award. Die Wissenschaftlerin ist häufig als Klima- und Energie-Expertin zu Gast im TV und hat beim MDR ihren eigenen Klima-Podcast. Kemfert wurde 1968 in Delmenhorst geboren und lebt in Oldenburg und Berlin.

Wo verschwenden wir in Deutschland denn am meisten Energie?

Überall da, wo wir fossile Energien nicht wirklich effizient nutzen. Wir haben zum Beispiel in der Industrie große Sparpotenziale. Ähnliches gilt im Gebäudesektor und natürlich bei der Mobilität.

Wo liegen die Sparpotenziale in der Industrie?

Zum Beispiel in der effizienten Nutzung der Abwärme. In vielen Industriebetrieben, insbesondere in der Chemieindustrie, Metallerzeugung und der Zementherstellung fällt unvermeidbare Abwärme auf hohem Temperaturniveau an. Sie verpufft ungenutzt in der Umgebung, obwohl sie als Fernwärme geeignet wäre. Durch solche Wärmerückgewinnung könnten wir sehr viel Energie einsparen.

Warum passiert bei den Unternehmen nichts?

Zum einen fehlt es noch immer an Wissen und Bewusstsein. Gerade der Einsatz von effizienten Verfahren und digital gesteuertem Energieeinsatz bis hin zum Umstieg auf erneuerbare Energien braucht Informationen, Investitionen und ausreichende Rahmenbedingungen. Fossile Energien waren zu lange zu billig; weder geopolitische noch klimapolitische Faktoren wurden ausreichend eingepreist. Sparpotenziale blieben deswegen ungenutzt. Das muss sich schnell ändern.

Was könnte die Politik hier tun?

Unternehmen werden vom Wettbewerb getrieben und nehmen lieber Umweltschäden in Kauf als in erneuerbare Energiesysteme zu investieren. Hier braucht es neue staatliche Rahmenbedingungen, die solche Kostenabwälzung auf die Gemeinschaft unattraktiv machen. Zudem sollten öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die hohe Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsstandards erfüllen. Es geht also nicht allein um direkte Subventionen und Finanzhilfen, sondern vor allem um die Verbesserung der gesamten marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Stattdessen setzt die Regierung auf Flüssiggas.

Ein Fehler! Statt russischem Gas können wir auch Gas aus anderen Ländern beziehen. Für eine Übergangszeit ist auch Flüssiggas akzeptabel, obwohl es sehr viel umweltschädlicher ist. Der Import von Flüssiggas geht über existierende Infrastrukturen in den Niederlanden oder Belgien. Eine mögliche Deckungslücke in den kommenden Jahren könnte Deutschland mit zwei bis drei schwimmenden Flüssiggas-Terminals überbrücken. Mehr brauchen wir nicht, schon gar nicht auf Dauer.

Was genau ist das Problem mit Flüssiggas?

Feste Terminals lohnen sich wirtschaftlich erst bei einer Nutzung über 25 bis 30 Jahre. Wir haben uns aber gesetzlich verpflichtet, in den nächsten zehn Jahren den Anteil von fossilem Erdgas nicht nur rapide zu reduzieren, sondern auf Null zu bringen! Feste Terminals führen uns also entweder in neue fossile Abhängigkeiten, sogenannte Carbon Lock-ins, oder sie sind die nächsten „Stranded Investments“, vergeudetes Geld. Wie oft wollen wir die Fehler der Vergangenheit denn noch wiederholen?!

„Eine Wärmepumpe rechnet sich in kürzester Zeit“

Energie-Expertin Prof. Claudia Kemfert

Und wo liegen die Potenziale im Gebäudesektor?

Eine energetische Gebäudesanierung reduziert den Energiebedarf massiv. Außerdem heizt noch immer ein Großteil der Gebäude mit Gas und Öl. Das kann und muss so schnell wie möglich durch Erneuerbare ersetzt werden. Wenn Solarenergie und außerdem Wärmepumpen und Heimspeicher genutzt werden, sind die Sparpotenziale gewaltig.

Sind Wärmepumpen denn für alle Gebäudetypen geeignet?

Natürlich kommt es auf den Einzelfall an. Aber geeignete Wärmepumpen gibt es für nahezu alle Gebäudetypen, auch für Altbauten. Hier kursieren viele Mythen. Der Aufklärungsbedarf ist groß. Es braucht entsprechende Schulungen und Ausbildungsprogramme im Handwerk. Dann steht dem Einsatz von Wärmepumpen prinzipiell nichts mehr im Weg. Neben Wärmepumpen gibt es aber auch andere Lösungen, beispielsweise Solarthermie oder Nah- und Fernwärme aus Erneuerbaren.

Was würde das kosten?

Die fossilen Preise gehen derzeit durch die Decke. Spätestens damit lohnt sich der Umstieg finanziell. Gut investiert ist Geld in die Wärmedämmung, in den Austausch alter Fenster und vor allem in neue Heizungen. Eine Wärmepumpe zum Beispiel rechnet sich in kürzester Zeit. Man spart außerdem nicht nur die eigenen Energiekosten, sondern bringt auch volkswirtschaftlich Wertschöpfung hervor, stärkt regionale Handwerker und trägt zur Energiewende und zum Klimaschutz bei. Es fehlt derzeit allerdings an Handwerkern und Material. Da muss die Regierung dringend nachsteuern – mit finanzieller Unterstützung und einem konzertierten Ausbildungs- und Umschulungsprogramm.

Wie lange wird das dauern?

Solche Programme anzustoßen und auch das Handwerk entsprechend mitzunehmen, ist binnen zehn Jahren möglich. Leider fehlt in der Politik das Bewusstsein für die Dringlichkeit. Dabei brauchen wir ein Notfallprogramm, das jetzt sofort startet. Sonst diskutieren wir in zehn Jahren immer noch über dieselben Probleme, nur dann zusätzlich unter massiven Auswirkungen der Klimakatastrophe.

Wie sieht es bei der Mobilität aus?

Hinsichtlich der Effizienz sind batteriebetriebene Fahrzeuge unschlagbar. Sie nutzen Öko-Strom fast ohne Verluste. Außerdem kann man Batterien als zusätzliche Energiespeicher nutzen. Koppelt man diese dann mit einem digitalen Energie- und Lastenmanagement, kann der Strom intelligent verteilt werden. Das entlastet die dezentralen Netze und sorgt auch nachts bei Windstille für eine sichere Versorgung mit Strom.

Und was ist mit Wasserstoff?

Der Einsatz von Wasserstoff ist im Schwerlastbereich sinnvoll, etwa beim Schiffsverkehr und zur Produktion von E-Fuels im Flugverkehr – überall dort, wo es keine batteriebasierten Alternativen gibt. Ansonsten kann Wasserstoff nirgends mit der Effizienz von Batterien mithalten. Ich sage es immer wieder: Wasserstoff ist der Champagner unter den Energieträgern. Er ist kostbar und nur etwas für besondere Anlässe.

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Thorsten Barth

Hier, die Lösungs-Studie des ZETT beschreibt Sofortmaßnahmen, die viel bringen – wenn die Regierung sie umsetzt!

Beispielsweise der Anschluss von Biogasanlagen ans Gasnetz wäre bei vielen Anlagen innerhalb weniger Wochen bis Monate möglich. In der Vergangenheit hatten die Anlagenbetreiber keine wirtschaftlichen Anreize dafür. Aber alleine diese Maßnahme könnte unser Problem schon drastisch verringern.

Auch beim Windkraftausbau kann kurzfristiger Bürokratieabbau viel bringen: Im zweiten Halbjahr werden voraussichtlich über 1.000 Windräder gebaut, deren Genehmigungen aber so alt sind, dass veraltete Anlagentypen gebaut werden müssen – das kann man per Verordnung "heilen", ebenso wie das unkomplizierte Repowering. Neue Windräder können so bis zu 50% mehr Energie bereitstellen – bei nur unwesentlich höheren Kosten!

Artikel zur Studie:
https://www.klimareporter.de/energiewende/offensive-gegen-russisches-gas

Meine Petition an die Regierung, die die Umsetzung der Maßnahmen fordert: https://weact.campact.de/p/gas-freiheit

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