Interview

Christoph Bautz: „Wir haben nur noch dieses Jahrzehnt“

Das Kampagnen-Netzwerk Campact will die Bundestagswahl zur Klimawahl machen. Geschäftsführer Christoph Bautz erklärt, wie das gelingen soll.

Wieso soll die Bundestagswahl zur Klimawahl werden?

Wir haben nur noch dieses Jahrzehnt, um das Ruder rumzureißen. In den Wahlprogrammen der Parteien muss Klimaschutz auf einem viel höheren Niveau Einzug halten als bisher. Zudem muss Klimaschutz das bestimmende Thema der Wahl werden. So wie bei der Europawahl vor zwei Jahren, als Fridays for Future und Rezo mit seinem Video viele Menschen mobilisiert haben. Damals hat das Klimathema die Wahl entschieden und auf europäischer Ebene passiert nun viel mehr beim Klimaschutz. Mit dem Klimaschutz verbinden sich ja riesige Chancen – mehr Jobs, lebenswertere Stadtteile, wieder lebendigere Dörfer … Dafür müssen wir die Leute begeistern.

Die Agrarkrise wäre auch ein wichtiges Wahlkampfthema?

Es geht uns um eine sozial-ökologische Transformation. Dazu gehört auch der Landwirtschaftssektor. Auch dort muss es grundlegende Veränderungen geben. Und wir müssen das Soziale und das Ökologische konsequent zusammen denken. Denn nur so können wir die Doppelkrise – Biodiversitätsverlust und Klimawandel – erfolgreich angehen. Es braucht gute Antworten beim CO2-Preis, der über eine Klimaprämie wieder zurückverteilt werden muss. Im Mietbereich darf Klimaschutz nicht dazu führen, dass alle Wohnungen luxussaniert werden und Leute mit kleinem Portemonnaie sich eine energetisch sanierte Wohnung nicht mehr leisten können.

Zur Person Christoph Bautz

Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. Nach dem Studium baute er die Nichtregierungsorganisation Attac-Deutschland mit auf und koordinierte dort die Öffentlichkeitsarbeit. 2004 gründete er mit Günter Metzges und Felix Kolb Campact – und ist dort Geschäftsführender Vorstand. Das Kampagnen-Netzwerk Campact organisiert Online-Appelle, Aktionen und Demos zu Themen wie Energiewende, Agrarreform, Handelspolitik, Insektenschutz, Hate Speech ...

Was habt ihr konkret vor?

Wir wollen einen One-Million-Pledge machen. Über eine Million Menschen sollen versprechen: Ich wähle Klima und tue etwas dafür, dass die Wahl zur Klimawahl wird – zum Beispiel mit Wahlkreiskandidaten diskutieren, mit Freunden, Bekannten und Verwandten über das Thema sprechen, am nächsten Klimastreik der Fridays teilnehmen. Wir werden auch Orte der Zerstörung mit großen Mobilisierungen aufsuchen. Die Internationale Automobilausstellung in München ist so ein Ort für uns oder die A20, für die noch über 200 km Autobahn durch halb Norddeutschland gebaut werden sollen. Auch Großschlachtereien gehören dazu. Dabei werden wir immer die Alternativen sichtbar machen.

Corona könnte euch ausbremsen …

Wir schauen, was geht. Im vergangenen Jahr konnten wir ja bereits Erfahrungen sammeln. Wenn Demos nicht gehen, machen wir eine Menschenkette, in der die Leute durch Bänder getrennt sind und so entsprechend Abstand halten. Oder eine Fahrraddemo. Dabei hält man automatisch Abstand.

Die Große Koalition hat beim Klimaschutz auf ganzer Linie versagt.

Christoph Bautz, Campact

Deutschland hat 2020 in fast allen Bereichen seine Klimaziele erreicht. Ist das keine gute Nachricht?

Ich glaube, die Menschen haben begriffen, dass wir viel konsequenter handeln müssen als die alten Klimaziele es erfordern. Wir brauchen mindestens minus 70 Prozent CO2 bis Ende des Jahrzehnts, nicht nur 55 Prozent. Das ist eine immense Herausforderung. Dass die Klimaziele jetzt erreicht werden, liegt natürlich an Corona. Die Menschen fliegen weniger, fahren weniger Auto. Aber strukturell hat sich doch nichts verändert. Sobald Corona durch ist, wird das alte Verhalten wiederkommen. Die Klimakrise ist weiter ungelöst. Man muss es einfach so sagen: Die Große Koalition hat beim Klimaschutz auf ganzer Linie versagt. Wir brauchen eine Regierung, die wirklich mal Ernst macht beim Klimaschutz.

Ihr organisiert viele Appelle. Können diese wirklich etwas bewirken?

So ein Appell wird von Politikerinnen und Politiker beachtet, da er zeigt, wie viele Menschen ein Thema bewegt. Wir sehen daran, wie viele unter den 2,4 Millionen, die unseren Newsletter bekommen, interessieren sich für das Thema. Doch ein Appell ist immer nur ein Einstieg in eine Kampagne. Danach rufen wir zu mehr auf: mit Abgeordneten vor Ort sprechen, auf eine Demonstration gehen … Appellübergaben werden gerne von den Medien aufgegriffen und entfalten auch dadurch Relevanz.

Was war euer größter Erfolg?

Ich denke, das Verbot von Genmais MON 810, die Anti-Atombewegung nach Fukushima, die Aktionen gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA – dass wir da wichtige politische Erfolge erringen konnten, hat viel mit Campact zu tun. Wir machen das alles immer zusammen mit Partnern aus der Bewegung. Denn wir allein werden die Welt nicht retten, das funktioniert nur, wenn wir uns mit vielen anderen zusammenschließen.

Wie viele Leute seid ihr bei Campact?

An Hauptamtlichen gibt es knapp 100 Leute, die alle finanziert sind über Spenden und Förderbeiträge unserer bald 90000 Förderinnen und Förderer. Viele Leute unterstützen uns monatlich mit 10, 15 oder 20 Euro. So lassen sich kraftvolle Kampagnen entwickeln. Wir werden von Bürgern finanziert – von einer Bürger-Lobby sozusagen.

Was wünschst du dir für die Wahl?

Dass wir so viel Druck aufbauen konnten, dass Politiker ab sofort beim Klima auf einem Ambitionsniveau denken müssen, wie es bisher noch nicht möglich war. Und ich wünsche mir, dass wir zeigen konnten, dass Proteste den Unterschied machen und Engagement sich lohnt.

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