Umwelt

E-Mobilität: Mehr Strom bitte

Elektromobilität kann zum Klimaschutz beitragen. Fehlende Ladestationen, hohe Preise und widersprüchliche Subventionen erschweren aber den Umstieg. Andere Länder sind da weiter.

Lisa Güven ist frustriert. Seit fast einem Jahr denkt die 35-jährige Lehrerin aus Wuppertal über die Anschaffung eines neuen Autos nach. „Unser alter Golf ist jetzt zwölf Jahre alt“, sagt sie. „Wer weiß, wie lange der noch hält.“ Für Güven und ihren Ehemann steht fest, dass das nächste Auto elektrisch fahren soll. „Alles andere macht doch heute keinen Sinn mehr“, sagt sie. „Ich brauche ein Auto, um zur Arbeit zu fahren, aber ich will keine Umweltsünderin sein.“

Wie die meisten Deutschen wohnt das Paar in einem Mehrfamilienhaus – und da fangen die Probleme an. „Am liebsten würden wir eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach setzen“, erzählt Güven. Verbunden mit einer Ladestation (Wallbox) könnte das E-Auto dann mit selbst produziertem Öko-Strom versorgt werden. „Leider haben unsere Nachbarn da etwas andere Ansichten“, seufzt Güven. Die Hausgemeinschaft ist zerstritten, was die Investition angeht, weshalb wir Güvens Namen für diesen Artikel geändert haben.

Doch die Ladesituation ist nur eine von vielen ungeklärten Fragen. Da wäre zum Beispiel die Lieferzeit: Wegen diverser Lockdowns in China ist die Produktion ins Stocken geraten – viele Kundinnen und Kunden müssen Monate, manchmal sogar über ein Jahr auf ein neues Fahrzeug warten. Das macht sich auch im Preis bemerkbar: E-Autos, die dieses Jahr zugelassen werden, erhalten einen Zuschuss von bis zu 9000 Euro. Ab 2023 soll diese Förderung gekürzt werden, Stromer mit einem Listenpreis von bis zu 40.000 Euro werden nur noch mit 4500 statt 6000 Euro bezuschusst; für E-Autos bis 65.000 Euro soll es künftig nur noch 3000 Euro statt bisher 5000 Euro geben. „Das ist schon frustrierend“, sagt Güven. „So langsam haben wir echt keinen Bock mehr.“

E-Autos sind unterm Strich günstiger

E-Autos sind in der Anschaffung zwar immer noch teurer als Verbrenner. Rechnet man auf die Lebensdauer aber alle Kosten zusammen, schneiden sie meist besser ab. Zu diesem Ergebnis kommt der ADAC in einem Vergleich. E-Autos sind ab Kauf zehn Jahre von der Kfz-Steuer befreit, Strom ist günstiger als Benzin, in der Werkstatt muss weniger getauscht werden (z.B. kein Ölwechsel).

Versicherungen für Stromer können bis zu 34 Prozent günstiger sein. Zudem können E-Auto-Besitzer am Emissionshandel teilnehmen und sich jährlich bis zu 400 Euro für ihr eingespartes CO2 auszahlen lassen („THG-Quote“).

Darüber hinaus werden E-Autos beim Kauf subventioniert. Die Höhe hängt vom Autopreis ab – für Modelle mit einem Nettolistenpreis von max. 40.000 Euro gibt es 9000 Euro; bei teureren Autos weniger. Vorsicht: Der volle Umweltbonus gilt nur, wenn das Auto bis zum 31.12.2022 zugelassen wird. Daher unbedingt die Lieferzeiten checken!

Elektromobilität ja, Infrastruktur Fehlanzeige

Mit dieser Feststellung ist die junge Frau nicht allein. Die Elektromobilität boomt: Anfang des Jahres waren rund 618.000 reine E-Autos in Deutschland zugelassen, Tendenz stark steigend. Doch im Alltag hapert es an vielen Stellen: fehlende oder kaputte Ladestationen, unklare Förderung, ökologische Bedenken. Schließlich müssen auch E-Autos mit Strom „betankt“ werden – und der fällt nicht vom Himmel. Trotz des Ausbaus der erneuerbaren Energie stammten 2021 noch immer 13 Prozent des deutschen Strommixes aus Atom- und 30 Prozent aus Kohlekraftwerken.

Diese Probleme verursacht die Batterie-Produktion

In den Akkus stecken zudem viele seltene Rohstoffe. So schätzt das Freiburger Öko-Institut, dass im Jahr 2030 weltweit 240.000 Tonnen Lithium allein für E-Autos benötigt werden. In Bolivien, Chile und Argentinien, wo 70 Prozent der weltweiten Vorkommen lagern, läuft der Abbau nicht ohne Konflikte ab. In Südamerika leiden indigene Völker ohnehin schon unter Landraub, Luft- und Wasserverschmutzung. Der Run auf Lithium dürfte die Lage weiter verschärfen. Immerhin beschäftigt sich die Industrie bereits mit Alternativen. Der chinesische Hersteller BYD verbaut zum Beispiel Lithium-Eisenphosphat-Batterien in einigen Pkw. Die sollen deutlich langlebiger sein. Und bei Tesla beschäftigt man sich bereits mit Natrium-Ionen-Batterien, die gänzlich ohne Lithium auskommen. Serienreif sind diese bislang aber noch nicht.

E-Autos sind das kleinere Übel

Sollte man sich unter diesen Vorzeichen also überhaupt ein E-Auto zulegen? Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin, geht dieser Frage schon lange nach: „Wenn ich E-Autos kritisiere, muss ich Autos insgesamt kritisieren.“ Ohne den starken Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs sei eine echte Verkehrswende nicht machbar. Aber: Viele Bedenkenträger suchten nur allzu gerne eine Ausrede, um bei Diesel oder Benzin zu bleiben. Dass E-Autos das kleinere Übel sind, steht mittlerweile außer Frage. Zwar fällt bei der Produktion der Stromer wegen des Akkus deutlich mehr CO2 an als bei Benzinern. Im Laufe ihres Lebens holen E-Autos diesen Nachteil aber wieder auf, da sie keine Abgase produzieren.

So listet zum Beispiel der Hersteller Polestar detailliert auf, welche Emissionen bei der Produktion seines E-Autos „Polestar 2“ anfallen: Es sind insgesamt 24 Tonnen CO2. Diesem Wert wird der Volvo XC40 gegenübergestellt, ein vergleichbarer Verbrenner-SUV aus dem gleichen Konzern. Bei dessen Produktion werden „nur“ 14 Tonnen CO2 ausgestoßen. Allerdings verflüchtigt sich dieser Vorteil im Laufe des Autolebens: Ab 78.000 Kilometern fährt der elektrische Polestar im europäischen Strommix klimaneutral.

Auch unabhängige Studien haben den Klimavorteil von E-Autos mehrfach bestätigt. Eine der neuesten Untersuchungen dazu stammt von der Hochschule der Bundeswehr. Sie hat 730 Fahrzeuge miteinander verglichen und festgestellt, dass E-Autos von der Produktion bis zur Verschrottung zwischen 73 und 89 Prozent weniger CO2 ausstoßen als Verbrenner. Klar ist aber auch: E-Auto ist nicht gleich E-Auto. Große, schwere Geländewagen schneiden in der Klimabilanz schlechter ab als kleine, effiziente Modelle. „Das nachhaltigste E-Auto wäre eines, das klimaneutral hergestellt wird und seinen Strom selbst produziert“, sagt Energieprofessor Quaschning. Entsprechende Fahrzeuge stecken aber noch in der Entwicklungsphase, zum Beispiel beim Münchner Start-up Sono Motors, das ein Elektroauto mit Solarzellen ausstatten will.

Also lieber abwarten? „Ich würde mir keinen Verbrenner mehr kaufen“, rät Quaschning. Er rechnet mit sinkenden Wiederverkaufswerten, Fahrverboten und einem baldigen Tankstellen-Sterben. „Eigentlich müsste man Verbrenner verbieten“, sagt Quaschning. Doch mit solchen Maßnahmen tue sich die Bundesregierung schwer, wie die aktuelle Debatte auf EU-Ebene zeige.

Der Einsatz von E-Fuels für Pkw ist fragwürdig

Tatsächlich stellt sich vor allem die FDP schützend vor die fossile Autowelt: Als der EU-Ministerrat im Juni darüber debattierte, ab 2035 keine neuen Verbrenner zuzulassen, protestierte der deutsche Verkehrsminister Volker Wissing. Der aktuelle Kompromiss sieht vor, dass Verbrenner erlaubt bleiben, wenn sie mit synthetischen Kraftstoffen (E-Fuels) betankt werden. Ob dieser Plan aufgeht, ist fraglich, denn die Herstellung von E-Fuels ist aufwendig und teuer. Sie wären in der Luftfahrtindustrie besser aufgehoben.

Derweil bringen E-Autos den Herstellern gleich mehrfach Vorteile. So verdienen sie nicht nur am Verkauf der Stromer, sondern profitieren von staatlichen Förderungen. Zum anderen helfen E-Autos den Konzernen dabei, ihre EU-weiten CO2-Flottengrenzwerte zu senken, also den durchschnittlichen CO2-Ausstoß aller neu zugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers. Erfüllen sie diese nicht, drohen Strafen.

Dass es dazu bisher nicht gekommen ist, liegt an zahlreichen Schlupflöchern, die der „International Council on Clean Transportation“ (ICCT) in seinem Jahresbericht kritisiert. Demnach können Unternehmen sogenannte Pools bilden, um ihre Bilanzen zu verbessern: So tat sich zum Beispiel der Hersteller Tesla (der nur E-Autos produziert) mit Honda und Jaguar Land Rover (die fast nur Verbrenner im Bestand haben) zusammen. Das Ergebnis: Grenzwerte erfüllt! Auch sonst gibt es zahlreiche Sonderregelungen, etwa für besonders schwere Fahrzeuge, wovon Hersteller wie BMW und Mercedes profitieren. So lebt die fossile neben der elektrifizierten Autowelt weiterhin fort. Schnelles Umsteuern? Fehlanzeige.

Diese Länder sind Vorreiter beim Ausbau der Elektromobilität

Wie es besser geht, zeigen unsere Nachbarländer. In den Niederlanden schreitet der Aufbau der öffentlichen Lade-Infrastruktur rasant voran, gleichzeitig wird der Radverkehr gefördert. In London können E-Autos an Straßenlaternen geladen werden. Ganz zu schweigen von Norwegen, dem Paradies der E-Mobilität. Dort sind inzwischen vier von fünf Neuwagen vollelektrisch unterwegs – und das in einem bergigen, kalten Land. Das Erfolgsrezept: deutlich stärkere Subventionen als in Deutschland. Die staatliche Förderung ist so erfolgreich, dass die Regierung sie zurückdrehen möchte.

Ob E-Autos, Radwege, Busse oder Bahnen: Auch in Deutschland wird die Verkehrswende zunehmend diskutiert. Ob sie klappt, lässt sich derzeit noch nicht sicher sagen. „Auf jeden Fall werden wir die Hoffnung nicht aufgeben“, meint Lisa Güven, die Lehrerin aus Wuppertal. Nach zig Probefahrten hat sie zwar immer noch nicht ihren Wunsch-Stromer gefunden. Immerhin ist das Problem mit der Ladestation gelöst: „Die Eigentümergemeinschaft hat sich geeinigt“, sagt Güven. „Es geht voran, aber langsam.“

Interview: „Wir brauchen eine Mobilitätsgarantie“

Kerstin Haarmann

Die studierte Juristin und Bundesvorsitzende des ökologisch orientierten Verkehrsclubs Deutschland (VCD) im Kurzinterview.

Welchen Beitrag kann die E-Mobilität zur Verkehrswende leisten?

Sie ist wichtig für die Umstellung von klimaschädlichen Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf klimafreundlichen Auto- und Güterverkehr. Mindestens genauso wichtig für die Erreichung unserer Klimaziele ist jedoch die Verlagerung von Personen- und Güterverkehr auf die Bahn, insbesondere im Fernverkehr.

Wenn alle Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden, ist das aber noch keine Verkehrswende, oder?

Nein. Verkehrswende ist, wenn man überall ohne eigenes Auto gut mobil sein kann. Denn viele Menschen können nicht Auto fahren oder können es sich nicht leisten. Wir brauchen eine Mobilitätsgarantie, die dafür sorgt, dass man von früh bis spät seine Ziele erreicht. Mobilstationen mit Carsharing und Leihrädern sowie ein gut ausgebautes Rad- und Fußwegenetz gehören auch dazu.

Manche Städte belohnen E-Auto-Fahrende, indem sie ihnen Parkgebühren erlassen. Was halten Sie davon?

Das ist oft gut gemeint in der Hoffnung, so die Abgas- und Lärmbelastung zu reduzieren. Es klappt aber nur, wenn weniger Menschen mit dem Auto in die Stadt fahren und mehr mit dem ÖPNV oder dem Fahrrad. Dazu brauchen wir mehr Busspuren und mehr Radwege, auch auf Kosten der Parkplätze.

Viele Menschen, die zur Miete wohnen, hadern mit dem Umstieg. Was raten Sie?

In der Stadt: Prüfen, ob E-Auto-Carsharing eine Alternative ist; Privatparkplätze sind dort ohnehin knapp. Tagsüber laden ist sinnvoller wegen des höheren Solarstromanteils im Netz. Deswegen: Arbeitgeber fragen nach Lademöglichkeiten auf dem Firmenparkplatz. Ansonsten in die Apps schauen nach öffentlichen Ladepunkten – und auch mit der Vermieter:in sprechen.

Mehr zum Thema

  • riffreporter.de/elektroauto
    Der Autor dieses Artikels berichtet in seinem Online-Magazin über die Entwicklungen rund um E-Mobilität.
  • adac.de
    Kostenvergleich aktueller Verbrenner- und Elektromodelle
  • isi.fraunhofer.de
    Einordnung der Entscheidung des EU-Parlaments zu Verbrennungsmotoren
Veröffentlicht am

Kommentare

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Michael Bätjer

Mir fehlt ein sehr wichtiger Punkt: 
Es ist den Lobbyisten gelungen eine Europaweit gültige Norm zur Ladeleistung von E-Autos durchzubringen: Der Mindestladestrom!
Erst ab einer Leistung von 1,4 kW = 1400 W darf eine Wallbox ein Fahrzeug laden und kann ein Fahrzeug sich laden lassen. 
Die durchschnittliche Einfamilienhaus PV Anlage hat diese Leistung nur als Peak für 1 Stunde über Mittag zur Verfügung. Überschußladen wird so fast unmöglich.
Nach dieser Norm werden derzeit alls Autos und alle Wallboxen konstruiert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Nebenbei: Warum dürfen E-Bikes nur 25 km/h fahren, wo doch Autos gerne 30 fahren wollen?
Warum dürfen Mopeds nur 40 fahren, wo doch Autos lieber 50 fahren wollen? Damit man sich lieber ein Auto kauft?

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