Größer, weiter, internationaler: Jahrzehntelang galt grenzenloses Wirtschaften rund um den Globus als eine wichtige Strategie, um auf Dauer erfolgreich zu sein. Doch Corona und der Krieg in der Ukraine haben unbequeme Nebenwirkungen der Globalisierung zum Vorschein gebracht. Denn obwohl das weltweite Lieferkettengeflecht mit der Zeit immer dichter geworden ist – besonders stabil scheint es nicht zu sein. Transport- und Energiekosten explodieren, Wertschöpfungsketten brechen zusammen. Container, LKWs und Arbeitskräfte fehlen, um Frachten zu transportieren. Viele Bio-Unternehmen gehen andere Wege.
Wie regionaler Bio-Anbau unsere Lebensgrundlagen sichert
Laut einer Umfrage beziehen 60 Prozent der deutschen Bio-Firmen ihre Rohwaren durchschnittlich aus einem Umkreis von 228 Kilometern. Und davon profitiert die ganze Gesellschaft. Denn Bio-Landwirtschaft bringt chemiefreie Kost auf unsere Teller und hat beim Schutz des Grundwassers, bei der Förderung der Artenvielfalt und beim Aufbau von Böden, die CO2 und Wasser speichern, die Nase vorn. Firmen, die regional einkaufen, unterstützen damit quasi vor Ort den Erhalt unserer Lebensgrundlagen.
Wie Bio-Firmen die Region fördern
Zum Beispiel Zwergenwiese: Äpfel, Erdbeeren, Zwiebeln und mehr – zahlreiche Zutaten für die Bio-Aufstriche, Soßen und Fertiggerichte werden rund um den eigenen Schornstein in Norddeutschland angebaut. Pressesprecherin Bianca Spenner erläutert die Vorteile: „Kurze Transportwege, die Möglichkeit, unsere Anbauer:innen schnell besuchen zu können sowie die Stärkung des deutschen Bio-Landbaus sprechen in unseren Augen für sich.“
Auch Johannes Ehrnsperger von der Firma Lammsbräu in der Oberpfalz zieht regionale Partnerschaften auf Augenhöhe anonymen Lieferbeziehungen vor. Auf der Suche nach den besten Braurohstoffen hatte sein Vater schon in den 70er-Jahren einen Agraringenieur eingestellt, um lokale Landwirte dabei zu unterstützen, ohne Chemie zu ackern. Damit diese sich darauf einließen, bot er ihnen Abnahmegarantien über zehn Jahre. „Rund 180 Landwirte bauen heute in einem Umkreis von 150 Kilometern Bio-Getreide und Bio-Hopfen für uns an. Sie sind in einer Erzeugergemeinschaft organisiert und bilden eine echte Öko-Keimzelle für unseren Landkreis, der seit 2014 eine der ersten Öko-Modellregionen Deutschlands ist“, so Johannes Ehrnsperger. Gemeinsam mit den Landwirten setzt Lammsbräu Projekte um, etwa zur Saatgutzüchtung oder für mehr Artenvielfalt.
In Öko-Modellregionen wird der Aufbau regionaler Bio-Wertschöpfungsketten durch staatlich geförderte Regionalmanager systematisch vorangetrieben. Ein Konzept, das auch Müsli-Hersteller Barnhouse in Oberbayern nutzt. Geschäftsführer Martin Eras erklärt: „Dank der Vernetzung in unserer Öko-Modellregion können wir Dinkel und Hafer seit 2020 vollständig von Bio-Landwirten im Umkreis von 80 Kilometern um unseren Firmenstandort beziehen.“ Es geht Eras aber nicht nur darum, den Rohstoffbedarf zu decken. Gemeinsam mit den Bauern könne man Projekte, etwa zum Humusaufbau oder für mehr Biodiversität, ins Leben rufen. Die Landwirte können Anbauversuche starten. Die Kosten dafür gleicht Barnhouse aus. Die Ergebnisse werden der gesamten Liefergemeinschaft zur Verfügung gestellt.
Wie Bio-Firmen Lieferengpässe abpuffern
Natürlich gehen die Krisen unserer Zeit auch an regional gut vernetzten Bio-Firmen nicht spurlos vorbei. Etwa bei Nachfrageschwankungen: Im ersten Coronajahr sind die Bio-Umsätze um rund 22 Prozent rasant gestiegen. Martin Eras von Barnhouse erinnert sich: „2020 hatten wir Sorge, dass unser Getreide nicht ausreichen würde, um den Bedarf zu decken. Wir hatten sogar schon einen Aufkleber vorbereitet, der die Kunden darauf hinweist, dass wir unser Krunchy aufgrund der Ausnahmesituation aktuell nicht mit regionalem Getreide backen können.“ In diesem Jahr sind die Umsätze inflationsbedingt wieder stark rückläufig.
Um solche Schwankungen abfangen zu können, hat sich die Brauerei Lammsbräu am Bau eines Bio-Lagerzentrums für Getreide beteiligt. Johannes Ehrnsperger sagt: „Genossenschaftlich organisierte Lagerhaltung vor Ort bindet zwar Kapital, reduziert jedoch Lieferengpässe und ermöglicht den Bauern auch die Vermarktung kleinerer Mengen. Das wird vor allem angesichts des Klimawandels immer wichtiger.“ Denn je kleiner das Einkaufsgebiet, desto höher das Risiko, dass Ernten durch Extremwetter buchstäblich verhagelt werden. Oder dass wegen des Wassermangels einfach nicht genug wächst.
Wie Bio-Hersteller den Marktturbulenzen trotzen
Regionale Rohstoffbeschaffung ist allerdings keine Garantie für kurze, effiziente Wertschöpfungsketten. Denn oft werden Kartoffeln, Getreide & Co. zwar in der Region angebaut, legen dann jedoch lange Wege zurück, um zwischenverarbeitet zu werden. Nicht so bei Lammsbräu, einer der wenigen Brauereien in Deutschland, die Bio-Gerste selbst malzen. Dadurch spart das Unternehmen Transportwege und kann seine Qualitätsansprüche vom Feld bis in die Flasche sicherstellen.
Deutschlandweit geht die Anzahl der Zwischenverarbeitungsbetriebe jedoch zurück. Auf den Mangel regionaler Bio-Verarbeitungsstrukturen hat auch Zwergenwiese reagiert und gemeinsam mit einem landwirtschaftlichen Betrieb eine Schälanlage für Bio-Sonnenblumenkerne aufgebaut. Rein wirtschaftlich gesehen ist regionale Rohstoffbeschaffung für viele Bio-Betriebe aufgrund des höheren Aufwands noch teurer als der Einkauf im Großhandel. Doch faire Partnerschaften und der unmittelbare Austausch mit den Landwirten vor Ort sorgen trotz Marktturbulenzen für mehr Planungssicherheit und Zusammenhalt – zwei Größen, die man am Weltmarkt konventionell angebauter Rohstoffe für Lebensmittel meist vergeblich sucht.
Beispiele für Bio-Anbauprojekte: Das wächst vor der Haustür
- Zwergenwiese in Silberstedt, Schleswig-Holstein. Viel Obst und Gemüse für die Aufstriche stammt aus Norddeutschland.
- Kräutergarten Pommerland in Pulow, Mecklenburg-Vorpommern. Frauenmantel, roter Basilikum, Johanniskraut, Melisse von eigenen Feldern.
- Bohlsener Mühle in Bohlsen, Niedersachsen. 70 Prozent der Rohstoffe aus Deutschland – sogar das Andengetreide Quinoa.
- Bauckhof in Rosche, Niedersachsen. Ein Großteil des Bio- und Demeter-Getreides stammt vom eigenen Hof.
- Voelkel in Pevestorf, Niedersachsen. Möhren und Rhabarber aus der unmittelbaren Nachbarschaft.
- Söbbeke in Gronau, Nordrhein-Westfahlen. Milch von 130 Bio-Höfen aus der Region.
- Bio Planète in Lommatzsch, Sachsen. Öl von Sonnenblumen und Raps vom Hof und aus Meißen.
- Lammsbräu in Neumarkt, Bayern. Die meisten Rohstoffe für die Bio-Biere stammen von Bauern der Erzeugergemeinschaft im Umkreis von
50 Kilometern. - Naturata in Marbach, Baden-Württemberg. Der Dinkel für die Teigwaren stammt von einer Demeter-Erzeugergemeinschaft von der Schwäbischen Alb.
- Spielberger Mühle in Brackenheim, Baden-Württemberg. 70 Prozent der Rohstoffe von regionalen Erzeugergemeinschaften und Landwirten aus der Region.
- Taifun in Freiburg, Baden-Württemberg. Auf 3000 Hektar bauen Bio-Landwirte Soja an.
- Chiron in Mietingen, Baden-Württemberg. Eigener Hanfanbau in Oberschwaben.
- Barnhouse in Mühldorf am Inn, Bayern. Hafer und Dinkel für die Krunchys wachsen im Umkreis von maximal 80 Kilometern.
- Antersdorfer Mühle in Simbach am Inn, Bayern. Getreide von rund 250 Bio-Bauern aus Niederbayern.
- Andechser Molkerei in Andechs, Bayern. Die Mehrheit der Bio-Milchhöfe liegen im Alpenvorland Bayerns und des Allgäus.
- Herbaria in Fischbachau, Bayern. Dill, Koriander, Majoran und Thymian stammen direkt aus Bayern.
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