Umwelt

1 Jahr danach

40.000 Jahre leben mit Acrylamid

Die Verfechter einer Risikotheorie stützen sich auf Tierversuche: Ratten bekamen Acrylamid in Reinform ins Futter gemischt. Die geringste Dosis, bei der noch Effekte beobachtet wurden, lag bei ein bis zwei Milligramm je Kilogramm Körpergewicht. Ein durchschnittlicher Erwachsener müsste rund 70 Kilogramm Chips täglich essen, um auf eine solche Menge zu kommen. Tatsächlich nehmen wir über die Nahrung etwa ein Mikrogramm Acrylamid je Kilogramm Körpergewicht zu uns, also ein Tausendstel der Dosis aus den Tierversuchen. Dieser Wert kann, je nach Speiseplan, schwanken. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich für Substanzen wie Acrylamid keine unschädliche Dosis angeben lässt und nur eine verminderte Aufnahme das Risiko einer Krebserkrankung entsprechend verringert. Studien, die ein erhöhtes Krebsrisiko beim Menschen bestätigen würden gibt es bisher nicht.

Tierversuche sind aber so eine Sache. Zum einen werden die Substanzen dabei meist in reiner Form verfüttert und zudem in Dosen, die relativ hoch sind. Für sehr viele an sich harmlose Stoffe gilt, dass sie schädlich sind, wenn sie aus dem natürlichen Zusammenhang gerissen und überdosiert werden. Außerdem sind Ratten keine Menschen und haben nicht genau denselben Metabolismus. Auf dieses Argument stützen sich die Verfechter der Anpassungstheorie: Menschen bereiten seit der Entdeckung des Feuers Lebensmittel auf die Weise zu, die Acrylamid entstehen lässt: Braten und Rösten über dem Feuer. Mindestens 40.000 Jahre hatte der menschliche Organismus also bereits Gelegenheit, sich mit diesem Stoff vertraut zu machen. Für Ratten gilt das nicht. Es gibt also die Vermutung, dass der menschliche Organismus gelernt hat mit Acrylamid umzugehen. Einen Beweis dafür gibt es allerdings nicht.

Wo wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen, muss der gesunde Menschenverstand aushelfen:

Man kann die Aufnahme von Acrylamid reduzieren: Indem man bei der Zubereitung darauf achtet und bekanntermaßen hoch belasteten Produkte meidet (Siehe Tipp). Aber es spricht nicht viel dafür, dass man sich dabei verrückt machen muss.

Acrylamid ist keine neue oder zusätzliche Gefahr: Acrylamid in Lebensmitteln entsteht beim Braten und Backen und das schon 40.000 Jahre. Das Leben ist also nicht gefährlicher geworden als es schon war.

Selbst wenn die Vermutung stimmt, dass Acrylamid gefährlich ist: Das Risiko ist viel höher, durch falsche Ernährung, Übergewicht oder Rauchen an Krebs zu erkranken.

Es ist ohnehin eine Illusion zu glauben, man könne jedem gefährlichen Stoff aus dem Weg gehen. Und zwar einfach deswegen, weil viele Stoffe sowohl gefährlich als auch wertvoll oder gar lebensnotwendig sind. Beispiel: Sauerstoff. Ohne ihn können wir nicht leben und gleichzeitig ist er eines der aggressivsten und reaktionsfreudigsten Gase, die es gibt. So reaktionsfreudig, dass er beständig Zellen schädigt, maßgeblich am Altersprozess beteiligt ist und möglicherweise mehr Krebs verursacht als alle anderen Ursachen natürlicher und künstlicher Art zusammen. Wer deswegen nicht mehr an die frische Luft geht, tut sich aber keinen Gefallen. Die Parallele zu Acrylamid: Der Prozess, bei dem Acrylamid entsteht, ist derselbe, bei dem auch Aromastoffe gebildet werden, die unseren Appetit anregen und die Verdauung auf die Nahrungsaufnahme vorbereiten. Vielleicht hat es seinen guten Grund, warum wir eine Röst- oder Backkruste so mögen. Wer dennoch gezielt Acrylamid aus dem Weg gehen möchte, der koche mit Wasser statt zu braten, backen oder zu rösten oder gehe zumindest allzu dunklen Krusten aus dem Weg. „Vergolden statt Verkohlen“ ist die Devise, nach der man in der eigenen Küche handeln sollte.

Auf diese Weise können wir sicher noch mal 40.000 Jahre mit Acrylamid leben.

Was ist Acrylamid?

„Acrylamid“ ist … … ein natürlicher -Stoff, der immer dann entsteht, wenn -Kohlenhydrate (Zucker oder Stärke) und Eiweiße (Aminosäure Asparagin), beides natürliche Bestandteile jeder Pflanze, -zusammen auf 120 Grad und mehr erhitzt werden und dabei Wasser fehlt. Das findet in jeder Küche aber auch bei der industriemäßigen oder handwerklichen Herstellung täglich statt: Braten, backen, frittieren, rösten.

Acrylamid gibt es auch …

… als Hilfsstoff in der Kunststoffherstellung, aber das hat mit der Lebensmittelproblematik nichts zu tun.

Acrylamid wirkt …

… im Tierversuch krebserregend und erbgutverändernd und wird deshalb als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ eingestuft. Studien, die ein erhöhtes Krebsrisiko beim Menschen bestätigen würden – etwa mit Arbeitern aus der Kunststoffindustrie – gibt es bisher nicht.

Was tun die Hersteller?

Der Bio-Hersteller Rapunzel stellte fest, dass gerade die traditionelle Herstellung von Vollrohrzucker besonders viel Acrylamid entstehen lässt. Darauf reagierte man sofort: Durch ein Vakuumverfahren wird der Acrylamidgehalt im Rapadura-Vollrohrzucker auf unter 200 Mikrogramm je Kilogramm gesenkt. Zuvor hatten die Werte zwischen 1000 und 2700 gelegen. Ähnlich bei Naturata: Er hatte in seinem Vollrohrzucker Sucanat 1500 Mikrogramm Acrylamid pro Kilogramm gefunden. Zusammen mit dem Vorlieferanten machte man sich daran, das Herstellungsverfahren zu verändern, um die Werte zu senken.

Das Bundesverbraucherministerium initiierte Branchengespräche zur Verringerung von Acrylamid in Lebensmitteln. Die Hersteller von Pommes frites haben sich geeinigt, die bislang unterschiedlichen Temperaturangaben für die Zubereitung von vorgefertigten Pommes auf den Verpackungen zu vereinheitlichen. Das ist aber noch nicht überall geschehen.

Tipp:

  • So vermeiden Sie Acrylamid in der Küche:
  • Beim Braten, Backen, Grillen und Frittieren auf Temperaturen achten, niedrig halten.
  • Möglichst kurze Garzeiten.
  • Lebensmittel nur wenig bräunen: „Vergolden statt verkohlen“.
  • Auf Frische und Feuchtigkeitsgehalt des Lebensmittels achten.
  • Wasser behindert die Bildung von Acrylamid.

Zum Weiterlesen

Basisinfos und Verhaltenstipps:

aid infodienst: www.was-wir-essen.de

Verbraucherfragen: www.acrylamid-forum.de

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